Der gute Banker (eBook)

(Autor)

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2016 | 1. Auflage
526 Seiten
Verlag Antje Kunstmann
978-3-95614-150-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Der gute Banker -  Paul Murray
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Hat Claude Martingale gehofft, er könne seinem Leben als Banker durch seinen Umzug von Paris nach Dublin die ersehnte Wende geben? Sein neuer Job in der aufstrebenden Bank von Torabundo raubt ihm jedenfalls schnell jegliche Illusion. Auch hier verbringt er, wie alle seine Kollegen, seine Tage und Nächte einzig im Dienste des Geldes. In diese lähmende Eintönigkeit platzt der Schriftsteller Paul, der, auf der Suche nach neuem Stoff, Claude zu seinem modernen Jedermann erkoren hat, zum Helden seines künftigen literarischen Meisterwerks. Unter Pauls höchst erfindungsreichem Einfluss wird Claudes Leben tatsächlich aufregender, besonders als die schöne griechische Kellnerin Ariadne ins Geschehen tritt. Doch Paul treibt ein doppeltes Spiel, und auch die Bank von Torabundo erweist sich als weniger ehrenwert als erhofft: zwielichtige Übernahmen, dubioser Derivatehandel und eine neue Unternehmensstrategie, die sich »kontraintuitives Handeln« nennt - kann das alles gut gehen?

Paul Murray, geboren 1975, studierte Englische Literatur und Creative Writing an der University of East Anglia. Danach arbeitete er als Buchhändler. Nach An Evening of Long Goodbyes (2005) und dem Bestseller Skippy stirbt (2011) ist dies sein dritter Roman. Er lebt in Dublin und gilt als eine der bedeutendsten Stimmen der irischen Literatur.

Paul Murray, geboren 1975, studierte Englische Literatur und Creative Writing an der University of East Anglia. Danach arbeitete er als Buchhändler. Nach An Evening of Long Goodbyes (2005) und dem Bestseller Skippy stirbt (2011) ist dies sein dritter Roman. Er lebt in Dublin und gilt als eine der bedeutendsten Stimmen der irischen Literatur.

1


Eine Bootsfahrt


Als Heilmittel gegen das Leben in der Gesellschaft: die Großstadt. Sie ist für alle Zukunft die einzig begehbare Wüste.

Albert Camus

 

 

»CLAUDE

»Ja?«

»Was machst du unter deinem Schreibtisch?«

»Ich?«

»Versteckst du dich etwa?«

»Warum sollte ich mich verstecken?«, sage ich. Ich warte noch eine Sekunde und hoffe, dass sie sich damit zufriedengibt, aber ihre Füße rühren sich nicht vom Fleck. »Ich suche meinen Tacker.«

»Oh«, sagt Ish. An einem Knöchel, zwischen dem Lacklederpumps und dem Saum ihres Rocks, baumeln an einer feingliedrigen Kette mehrere kleine Tieranhänger. Auf den fusseligen blauen Teppichfliesen nähert sich ein Paar braune Budapester und bleibt neben Ishs Pumps stehen.

»Was ist los?«, höre ich Jürgen sagen.

»Claude sucht seinen Tacker«, sagt Ish.

»Oh«, sagt Jürgen. Und dann: »Da liegt er doch, mitten auf dem Schreibtisch.«

»Tatsächlich«, sagt Ish. »Claude, dein Tacker liegt auf dem Schreibtisch.«

Ich stehe auf und schaue auf den Punkt, auf den ihr Finger zeigt. »Ah!«, sage ich und versuche ein erfreutes und überraschtes Gesicht zu machen.

»Kommst du mit zum Essen?«, fragt Jürgen. »Wir gehen in den Hippieladen.«

»Ich habe ziemlich viel zu tun«, sage ich.

»Es ist Freitag, Claude, Casual Day«, drängelt Ish. »Du kannst doch am Casual Day nicht am Schreibtisch essen!«

»Ich habe heute Nachmittag noch einen Termin mit Walter.«

»Komm schon, Claude, du kannst doch nicht nur von Carambars leben.« Sie greift nach meinem Arm und zieht daran.

»Okay, okay«, sage ich, greife nach meiner Anzugjacke und tue so, als fiele mir der missbilligende Blick nicht auf, mit dem sie mich mustert.

Zu Hause in Australien hat Ish Anthropologie studiert. Den Casual Day, eins der wenigen Rituale, die wir bei der Bank of Torabundo haben, nimmt sie sehr ernst. Für die meisten Angestellten tun es gebügelte Chinos und vielleicht noch ein geöffneter Hemdkragen, aber Ish trägt ein tief ausgeschittenes, mit Quasten besetztes Top und einen langen, bunten Rock, ebenfalls mit Quasten. Sie hat für den Anlass sogar ihre gebräunte Haut noch etwas aufgepeppt. Das dunkle, speckige Braun sieht aus, als hätte sie sich den Körper mit Pastete eingerieben. Als mir dieses Bild in den Sinn kommt, wird mir sofort übel. Im Lift nach unten hebt und senkt sich mein Magen wie bei einer Achterbahnfahrt. Im günstigsten Fall macht mich der Casual Day übellaunig. Heute treibt er meine Paranoia zu neuen, unguten Höhen.

»Kommt Kevin auch?«, frage ich, um mich abzulenken.

»Er ist schon vorgegangen und versucht einen Tisch zu ergattern«, sagt Ish.

»Am Casual Day ist in dem Laden die Hölle los«, sagt Jürgen. Der Lift hält in jedem Stock und nimmt weitere Leute mit gebügelten Chinos und geöffneten Hemdkragen auf. Sie quetschen sich zu uns und saugen die Luft ab. Von dem Gedränge bekomme ich Herzrasen: Ich bin erleichtert, als ich durch die Doppeltüren des Transaction House hinaus in die frische Luft treten kann – aber nur für einen Augenblick.

Pastellfarbene Wellen identisch gekleideter Menschen ergießen sich von allen Seiten auf die Plaza. Ich scanne die herandrängenden Gesichter, schaue in die nichtssagenden Blicke, die meinem begegnen. Inmitten all der eleganten Lockerheit sollte eine Gestalt in Schwarz leicht auszumachen sein – was aber bedeutet, dass auch ich ein nicht zu übersehendes Ziel bin. Plötzlich steht mir das eingefrorene Bild vor Augen, auf dem er sich durch das Meer aus Leibern drängt wie eine in gesundem Blut schwimmende Krebszelle.

»Ich überlege gerade, ob ich mir ein Bidet anschaffen soll«, sagt Ish.

»Für die neue Wohnung?«, fragt Jürgen.

»Hatte ich am Anfang gar nicht dran gedacht. Aber dann hat der Kerl aus dem Ausstellungsraum angerufen und gemeint, weil ich die komplette Garnitur nehme, könnte er mir ein Bidet zum halben Preis lassen. Die Frage ist, will ich ein Bidet? Eigentlich bin ich ja schon einigermaßen stubenrein.«

»Außerdem will man sich im eigenen Bad nicht wie im Ausland fühlen, oder?«, sagt Jürgen. »Schätze, Claude ist da der Fachmann. Also, Claude, was hat so ein Bidet für Vorteile?«

»Glaubst du, Franzosen mampfen den ganzen Tag nur Baguettes und sitzen auf ihren Bidets rum«, blaffe ich ihn an. Im Freien fällt es mir schwer, meine Nervosität zu verbergen.

Jürgen erzählt Ish von einer speziellen Kloschüssel, die er aus Deutschland hat importieren lassen. Ich schalte seine Stimme stumm und nehme die Suche wieder auf. Über mir kreisen und wirbeln einfarbige Vögel, die aussehen wie Fetzen, die man aus dem wolkenverhangenen Himmel gerissen hat. Wie lange geht das schon so? Eine Woche? Zwei? Also, seit er mir zum ersten Mal aufgefallen ist – obwohl, wenn ich an die Zeit davor denke, scheint er auch schon da gewesen zu sein, ganz unauffällig, am Rand meiner Erinnerungen.

Es gibt kein erkennbares Muster für seine Auftritte. An einem Tag taucht er hier auf, am nächsten woanders. Möglich, dass ich ihn in der Morgendämmerung neben den Trambahngleisen sehe, auf meinem kurzen, synaptischen Gang von der Wohnung zur Bank. Später sitze ich mit Jürgen über einem Verkaufsprospekt, schaue aus dem Fenster und sehe ihn Sonnenblumenkerne kauend auf einer Bank sitzen. Im Feinkostladen, in der Bar, sogar nachts, wenn ich auf meinem Balkon stehe und über den entvölkerten Platz schaue, scheint er immer wieder kurz aufzutauchen, sein leerer Blick das Spiegelbild meines eigenen Blicks.

Die Arche ist jetzt in Sichtweite. Ich kann die hin und her wuselnden Kellnerinnen sehen, Gäste, die essen, sich unterhalten, mit ihren Handys spielen. Von meinem Verfolger keine Spur, doch mit jedem Schritt wächst in mir die grauenhafte Gewissheit, dass er da drin ist. Ich bleibe stehen, meine schweißnassen Lippen beginnen Ausreden zu nuscheln, aber es ist zu spät, die Tür öffnet sich, und eine Gestalt geht schnurstracks auf uns zu …

»Alles voll«, sagt Kevin.

»Mist«, sagt Ish.

»Viertelstunde, dann wird was frei«, sagt Kevin.

Jürgen schaut auf seine Uhr. »Dann hätten wir noch zwölfeinhalb Minuten zum Essen.«

»Tja«, sage ich und stoße einen verlogenen Seufzer aus. »Schätze, dann müssen wir zurück ins …«

»Was ist mit diesem neuen Laden?«, sagt Ish und schnippt mit den Fingern. »Drüben, auf der anderen Seite des Platzes? Wird dir gefallen, Claude, ist französisch.«

Ich zucke mit den Achseln. Solange wir uns von der Arche wegbewegen, bin ich glücklich.

Der »französische Laden« heißt Chomps Elysées. Ein Bild vom Eiffelturm ziert das laminierte Schild, und an den Wänden im Innern hängen Fotografien von Sacré-Cœur und dem Moulin Rouge. Nichts auf der Speisekarte scheint typisch französisch. Ich bestelle einen Moccachino und etwas, das sich »Panini Fromage« nennt. Ich lehne mich zurück und versuche zu entspannen, während unser Trainee Kevin seine Meinung zu Ishs sanitären Optionen zum Besten gibt. Sei vernünftig, sage ich mir: Wer sollte ein Interesse daran haben, dich zu verfolgen? Keiner, lautet die Antwort. Außerhalb meiner Abteilung weiß kein Mensch, dass es mich überhaupt gibt.

Dieser Gedanke muntert mich nicht so auf wie beabsichtigt. Zu allem Übel kommt dann auch noch das Panini Fromage. Es ist nicht so, dass der Käse wirklich schlecht schmeckt, vielmehr schmeckt er nach nichts. Ich glaube nicht, dass ich jemals zuvor so intensiv nichts geschmeckt habe. Es ist, als äße ich ein winziges schwarzes Loch, das in einem italienischen Sandwich steckt. Ausgeschlossen, dass man in Paris jemals so schlechtes Essen serviert bekäme, denke ich und verspüre plötzlich einen Stich Heimweh. Wie weit ist es mit mir gekommen! Was habe ich alles zurückgelassen! Und wofür? Mit jedem Bissen spüre ich die Leere in mir aufsteigen, als löschte das Panini wie eine Art Anti-Madeleine direkt vor meinen Augen meine Vergangenheit aus – als würde jede Verbindung gekappt und mir nur dieser graue, nach nichts schmeckende Augenblick bleiben.

Ich gehe zur Theke. Das missmutige Gesicht der Kellnerin erscheint mir authentisch pariserisch, aber als sie den Mund aufmacht, verrät ihr Akzent die proaktivere Feindseligkeit des Slawischen.

»Ja?«, sagt sie und tut erst gar nicht so, als würde sie sich durch mein Auftauchen auch nur um einen Deut weniger langweilen.

»Ich glaube, da ist ein Fehler passiert«, sage ich.

»Panini Fromage«, sagt sie. »Das ist französischer Käse.«

»Das ist kein Käse«, sage ich. »Das ist synthetisch.«

»Synthetisch?«

»Nicht echt.« Ich klappe das Brot auseinander und zeige auf die dicke,...

Erscheint lt. Verlag 24.8.2016
Übersetzer Wolfgang Müller
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Bank • Börse • Claude Martingale • Der gute Banker • Dublin • Finanzkrise • Finanzwelt • Humor • Jedermann • Kapitalismus • Paris • Paul Murray • Satire • Schriftsteller • Skippy stirbt • The Mark and the Void • Turbokapitalismus • Wolfgang Müller
ISBN-10 3-95614-150-4 / 3956141504
ISBN-13 978-3-95614-150-8 / 9783956141508
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