Sebastian Rudd ist kein typischer Anwalt. Seine Kanzlei ist ein Lieferwagen, eingerichtet mit Bar, Kühlschrank und Waffenschrank. Er arbeitet allein, sein einziger Vertrauter ist sein Fahrer, der zudem als Leibwächter und Golfcaddie fungiert. Sebastian Rudd verteidigt jene Menschen, die andere als den Bodensatz der Gesellschaft bezeichnen. Warum? Weil er Ungerechtigkeit verabscheut und überzeugt ist, dass jeder Mensch einen fairen Prozess verdient.
Mit Sebastian Rudd hat John Grisham seinen brillantesten, eigenwilligsten und lebendigsten Helden geschaffen. Der Gerechte ist hart, clever und packend und zeigt den Meister des Justizthrillers in Höchstform.
John Grisham ist einer der erfolgreichsten amerikanischen Schriftsteller. Seine Romane sind ausnahmslos Bestseller. Zudem hat er ein Sachbuch, einen Erzählband und Jugendbücher veröffentlicht. Seine Werke werden in fünfundvierzig Sprachen übersetzt. Er lebt in Virginia.
- Spiegel Bestseller: Belletristik / Taschenbuch (Nr. 39/2017) — Platz 15
- Spiegel Bestseller: Belletristik / Hardcover (Nr. 20/2016) — Platz 20
- Spiegel Bestseller: Belletristik / Hardcover (Nr. 18/2016) — Platz 16
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- Spiegel Bestseller: Belletristik / Hardcover (Nr. 16/2016) — Platz 13
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1
Mein Name ist Sebastian Rudd, und ich bin Strafverteidiger. Obwohl ich ziemlich prominent bin, werden Sie meinen Namen weder auf Werbetafeln, Bussen noch in großen Lettern auf dem Einband der Gelben Seiten finden. Ich zahle nicht dafür, ins Fernsehen zu kommen, dennoch bin ich oft auf dem Bildschirm zu sehen. Mein Name steht in keinem Telefonbuch. So etwas wie eine herkömmliche Kanzlei habe ich nicht. Ich trage legal eine Waffe, weil mein Name und mein Gesicht die Sorte von Menschen anziehen, die selbst Waffen tragen und kein Problem damit haben, sie zu benutzen. Ich lebe allein und schlafe für gewöhnlich auch allein. Für Freundschaften fehlen mir Geduld und Verständnis. Die Justiz ist mein Leben, was rund um die Uhr vollen Einsatz verlangt und hin und wieder von Erfolg gekrönt ist. Jemand hat einmal den Satz geprägt, die Justiz sei wie eine eifersüchtige Geliebte. Für mich ist sie mehr wie eine herrische Ehefrau, die das Budget kontrolliert. Es gibt kein Entrinnen.
Zurzeit muss ich in billigen Motels nächtigen, jede Woche in einem anderen. Nicht dass ich Geld sparen will. Nein, ich versuche, am Leben zu bleiben. Es gibt jede Menge Leute, die mich umbringen wollen, und einige davon haben das ziemlich deutlich zum Ausdruck gebracht. Im Studium sagt einem keiner, dass man vielleicht eines Tages jemanden verteidigt, dessen Verbrechen so abscheulich ist, dass selbst friedliche Bürger den Drang verspüren, zur Waffe zu greifen und zu drohen, den Angeklagten, dessen Rechtsanwalt und auch gleich noch den Richter zu erschießen.
Ich wurde schon häufiger bedroht. Das gehört dazu, wenn man ausschließlich echte Übeltäter verteidigt, eine Nische, in die ich mehr oder weniger per Zufall hineingeriet. Als ich vor zehn Jahren mit dem Studium fertig war, gab es kaum Arbeit für frischgebackene Anwälte. Zähneknirschend nahm ich einen Teilzeitjob als Pflichtverteidiger an. Danach landete ich in einer kleinen, unrentablen Kanzlei, die nur Strafsachen machte. Als die Kanzlei wenige Jahre später pleiteging, stand ich auf der Straße, wie viele andere, die ebenfalls verzweifelt versuchten, sich über Wasser zu halten.
Durch einen Fall wurde ich dann bekannt. »Berühmt« kann man es nicht nennen, denn welcher Anwalt in einer Stadt mit einer Million Einwohnern kann schon von sich sagen, er sei berühmt? Es gibt natürlich jede Menge kleine Lichter im Ort, die sich für superprominent halten. Sie betteln auf Werbetafeln mit Zahnpastalächeln um Firmenpleiten oder bringen in Fernsehwerbespots wortreich ihre Sorge um den Gesundheitszustand potenzieller Mandanten zum Ausdruck. Allerdings müssen sie für ihre Auftritte bezahlen – im Gegensatz zu mir.
Die billigen Motels wechseln wöchentlich. Ich stecke mitten in einem Prozess in einem trostlosen Kaff namens Milo, zwei Stunden entfernt von der Stadt, in der ich wohne. Ich habe die Pflichtverteidigung für Gardy Baker übernommen, einen achtzehnjährigen retardierten Schulversager, dem vorgeworfen wird, zwei kleine Mädchen umgebracht zu haben. Es geht um eines der schlimmsten Verbrechen, die ich je erlebt habe, und ich habe schon viele gesehen. Meine Mandanten sind fast immer schuldig, also verschwende ich nicht viel Zeit damit, mir Gedanken darüber zu machen, ob sie ihr Urteil verdienen. Gardy jedoch ist unschuldig, was allerdings keinen interessiert. Für Milo zählt nur, dass er zum Tode verurteilt und hingerichtet wird, damit sich die Stadt endlich besser fühlen und zur Normalität übergehen kann. Welche Normalität? Ich habe keine Ahnung, und es ist mir auch egal. Dieser Ort bewegt sich seit fünfzig Jahren rückwärts in der Zeit, und ein lausiges Urteil wird daran nichts ändern. Man hört und liest, dass Milo einen »Schlussstrich« brauche, was immer das heißen soll. Man muss schon sehr beschränkt sein, um zu glauben, dass diese Stadt plötzlich blühen und gedeihen und mehr Toleranz entwickeln wird, nur weil Gardy die Nadel gesetzt bekommt.
Mein Auftrag ist vielschichtig und kompliziert und zugleich ziemlich einfach. Ich werde vom Staat dafür bezahlt, einen Angeklagten zu verteidigen, der eines Kapitalverbrechens beschuldigt wird, erstklassig und nach allen Regeln der Kunst, in einem Gerichtssaal, in dem mir niemand zuhört. Gardy wurde praktisch am Tag seiner Verhaftung verurteilt, sein Prozess ist nur noch eine Formalität. In tumbem Eifer erfanden die Polizisten alle Anklagepunkte und fälschten Beweismittel. Der Staatsanwalt weiß das, hat aber kein Rückgrat, zumal er nächstes Jahr wieder ins Amt gewählt werden will. Der Richter schläft. Die Geschworenen sind nette, einfache Menschen, die mit großen Augen der Verhandlung folgen und mehr als bereit sind, die Lügen ihrer Staatsvertreter im Zeugenstand zu glauben.
Milo verfügt zwar über eine Reihe billiger Motels, doch ich kann mich unmöglich in der Stadt aufhalten. Man würde mich lynchen oder häuten oder auf dem Scheiterhaufen verbrennen, bestenfalls würde mir ein Heckenschütze eine Kugel zwischen die Augen jagen, dann wäre es wenigstens schnell vorbei. Beamte der State Police, nicht lokale Polizisten, sollen mich während des Prozesses beschützen, doch ich habe den Eindruck, dass sie ihre Aufgabe nicht ernst nehmen. Sie starren mich genauso an wie die meisten anderen Menschen in Milo. Für sie bin ich ein Eiferer mit langen Haaren, der krank im Kopf sein muss, weil er sich für die Rechte von Kindermördern und dergleichen Abschaum einsetzt.
Momentan hause ich in einem Hampton Inn fünfundzwanzig Autominuten von Milo entfernt, für sechzig Dollar die Nacht, die ich später vom Staat erstattet bekommen werde. Im Zimmer nebenan wohnt Partner, mein ständiger Begleiter. Partner ist von massiger Statur, stets schwer bewaffnet und trägt immer schwarze Anzüge. Er ist mein Chauffeur, Bodyguard, Vertrauter, Assistent, Golfcaddie und einziger Freund. Seit ihn eine Jury für nicht schuldig befunden hat, einen verdeckten Drogenermittler getötet zu haben, ist er mir treu ergeben. Wir verließen den Gerichtssaal Arm in Arm und sind seither unzertrennlich. Mindestens zweimal haben Polizisten außer Dienst versucht, ihn umzubringen. Einmal hatten sie es auf mich abgesehen.
Noch haben wir uns nicht kleinkriegen lassen. Auch wenn wir immer mit gesenktem Kopf herumlaufen.
2
Um acht Uhr morgens klopft Partner an meine Tür. Es ist Zeit. Wir wünschen uns einen guten Morgen und steigen in meinen Wagen, einen aufwendig umgebauten, großen schwarzen Ford-Transporter. Da mir das Fahrzeug als Büro dient, wurden die Rücksitze so angepasst, dass man sie an einen Tisch drehen kann, der sich an die Wand klappen lässt. Es gibt ein Sofa, auf dem ich des Öfteren die Nacht verbringe. Alle Fensterscheiben sind geschwärzt und kugelsicher. Außerdem zur Ausstattung gehören ein Fernseher, eine Stereoanlage, Internet, Kühlschrank, eine Bar, zwei Schusswaffen und ein Satz Kleidung zum Wechseln. Ich setze mich neben Partner auf den Beifahrersitz, und wir wickeln Frühstückssandwichs mit Würstchen aus der Packung, während wir vom Parkplatz rollen. Zwei Polizeiwagen in Zivil eskortieren uns nach Milo, einer vor uns, der andere hinter uns. Die letzte Todesdrohung kam vor zwei Tagen per E-Mail.
Partner redet nur, wenn er angesprochen wird. Ich habe diese Regel nicht aufgestellt, aber ich finde sie großartig. Es macht ihm überhaupt nichts aus, wenn lange Pausen im Gespräch entstehen, ebenso wenig wie mir. Nachdem wir jahrelang praktisch gar nicht miteinander gesprochen haben, haben wir gelernt, uns über Nicken und Zwinkern wortlos zu verständigen. Auf halbem Weg nach Milo schlage ich eine Akte auf und fange an, mir Notizen zu machen.
Der Doppelmord war so abscheulich, dass keiner der ortsansässigen Anwälte sich darauf einlassen wollte. Dann wurde Gardy verhaftet. Ein Blick genügt, und man weiß, er war es. Lange, pechschwarz gefärbte Haare, ein erstaunliches Sortiment von Piercings vom Hals aufwärts und Tattoos über den restlichen Körper verteilt, passende Stahlohrringe, farblose kalte Augen und ein Grinsen, das nichts anderes sagt als: »Klar, ich hab’s getan, na und?« Als zum ersten Mal in der Lokalzeitung von Milo über ihn berichtet wurde, hieß es, er sei »Mitglied einer satanischen Sekte, die für sexuellen Missbrauch von Kindern bekannt ist«.
So viel zum Thema objektive Berichterstattung. Gardy war nie Mitglied einer Sekte, und der angebliche Kindesmissbrauch ist nicht das, wonach es aussieht. Doch von diesem Moment an war Gardy schuldig, und ich kann immer noch nicht fassen, dass wir bis jetzt durchgehalten haben. Sie wollten ihn schon vor Monaten aufknüpfen.
Natürlich hatte jeder Anwalt in Milo die Tür verriegelt und das Telefon abgestellt. Es gibt in der Stadt kein staatlich finanziertes Büro für Pflichtverteidiger, dafür ist sie zu klein. Mittellose Mandanten werden vom Richter freischaffenden Anwälten zugewiesen. Es gibt ein ungeschriebenes Gesetz, dass die jungen Anwälte diese schlecht bezahlten Fälle übernehmen, weil (1) irgendjemand sie erledigen muss und weil (2) die älteren das auch gemacht haben, als sie jung waren. Doch niemand erklärte sich bereit, Gardy zu verteidigen, und wenn ich ehrlich bin, kann ich ihnen das nicht verdenken. Es ist ihre Stadt, ihr Leben, und sich an die Seite eines Psychomörders zu stellen kann eine Karriere im Keim ersticken.
Als Gesellschaft wollen wir glauben, dass auch jemand, der ein schweres Verbrechen begangen hat, einen fairen Prozess verdient. Doch manche haben Probleme mit der Vorstellung, dass man dafür einen...
Erscheint lt. Verlag | 21.3.2016 |
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Übersetzer | Kristiana Dorn-Ruhl, Imke Walsh-Araya, Bea Reiter |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Original-Titel | Rogue Lawyer |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | Agententhriller • amerikanisches Justizsystem • Anwalt • eBooks • Einzelkämpfer • Gerechtigkeit • Justizthriller • Moral • New-York-Times-Bestseller • Politthriller • Straßenanwalt • Thriller • Verteidigung |
ISBN-10 | 3-641-18816-4 / 3641188164 |
ISBN-13 | 978-3-641-18816-0 / 9783641188160 |
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