Sportlerkind (eBook)

Meine Jugend mit Seitenstechen
eBook Download: EPUB
2016 | 1. Auflage
248 Seiten
Verlagsgruppe Droemer Knaur
978-3-426-43641-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Sportlerkind -  Tommy Krappweis,  Werner Krappweis
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»Mein Urgroßvater war ein begeisterter Radfahrer und besaß das größte Fahrradgeschäft in Bayern. Seine Tochter - meine Oma - lief noch im hohen Alter mit dem Schäferhund um die Wette, unterstützt von Krücken und dem Durchhaltevermögen aus zwei Weltkriegen. Ihr Sohn - mein Vater - fuhr Radrennen mit geplatztem Blinddarm, ging Langlaufen mit abgerissenem Bizeps und Joggen mit gebrochenen Rippen. Sein Sohn - ich - wollte einfach nur Lego spielen...«

Tommy Krappweis, geboren 1972 in München, ist Musiker, Comedian, Autor, Regisseur und Produzent. Nach Stationen in der Westernstadt 'No Name City' und bei 'RTL Samstag Nacht' erfand er die Kultfigur Bernd das Brot, für die er mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet wurde. Tommy Krappweis lebt und arbeitet als Produzent, Autor und Multitalent in München.

Tommy Krappweis, geboren 1972 in München, ist Musiker, Comedian, Autor, Regisseur und Produzent. Nach Stationen in der Westernstadt "No Name City" und bei "RTL Samstag Nacht" erfand er die Kultfigur Bernd das Brot, für die er mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet wurde. Tommy Krappweis lebt und arbeitet als Produzent, Autor und Multitalent in München.

Der Anfang


Von Werner Krappweis

Als ich im Kriegsjahr 1941 in München zur Welt kam, wurden mir die Radsportgene sicherlich bereits in die Wiege gelegt. Mein Großvater, der Vater meiner Mutter, war begeisterter Radrennfahrer gewesen, und ich bewunderte schon als kleines Kind seine schönen Siegerpokale aus Zinn und Glas, die auf einem umlaufenden Sims im Wohnzimmer standen. Schon damals dachte ich mir: »So soll es bei mir zu Hause auch einmal aussehen.«

Rückblickend kann ich sagen, ich habe mir diesen Wunsch übererfüllt: Als ich meiner heutigen Ehefrau Renate vorschlug, bei mir einzuziehen, war eine ihrer Bedingungen, dass ich mich von mindestens fünfzig der unansehnlichsten Pokalen trennen müsse. Damals war ich zunächst schockiert, denn ich konnte mir ein Leben ohne diese Trophäen kaum vorstellen. Heute muss ich zugeben, dass es mit den verbleibenden etwa hundertfünfzig Siegerpötten nahezu identisch lebt.

 

Dass meine liebe Renate eines frühen Morgens die Pokale mitsamt der marmornen Sockel ausgerechnet in Müllsäcke packte und diese der Belastung ausgerechnet im Treppenhaus nachgaben, sorgte für eine recht einzigartige, gold- und silberglänzende sowie ohrenbetäubend lärmende Kaskade vom achten Stock bis hinunter ins Erdgeschoss. Der Hausmeister schwört, er hätte heute noch ein Klingeln im Ohr, aber hier dürfte es sich um den berufstypischen Hang zur Übertreibung bei Lärmbelästigung handeln.

 

Zurück zu meinem Großvater: Der hatte früher in der Westendstraße in München das größte Fahrradgeschäft der Stadt. Außerdem war er einer der ersten Münchner, der ein Auto besaß, mit dem er auch oft Radrennen begleitete. Dazu war er Gründungsmitglied des hiesigen Radrennclubs RRC 02, der heute noch existiert.

Ich selber kannte meinen Großvater allerdings eher als einen liebevollen alten Herrn, der in einem kleinen, ebenerdigen Zimmerchen in der Bergmannstraße Nähmaschinen reparierte.

Erst viel später erfuhr ich von meiner Mutter, dass er schon mit achtundvierzig Jahren sein Geschäft für eine ansehnliche Summe Goldmark verkauft hatte. Seine beiden Töchter hatten weder Interesse gehabt, in dem Fahrradgeschäft zu arbeiten, noch es zu übernehmen.

Mit dem Geld wäre er bestimmt bis an sein Lebensende gut ausgekommen, hätte er nicht einen großen Teil seinem besten Freund für eine Geschäftsgründung geliehen. Das Unternehmen des Freunds aber ging vor die Hunde, und mein Großvater bekam sein Geld nie mehr zurück. Somit verdiente er sich seinen Lebensabend sehr kläglich in dem erwähnten Kämmerchen durch Reparaturen von Nähmaschinen, bis an sein Lebensende.

 

Da meine Eltern kein Auto besaßen, wurden in unserer Familie schon immer alle Fahrten notgedrungen mit dem Rad erledigt.

Ich erinnere mich noch gut an einen Urlaub, den wir in einer kleinen Pension am Fuß des Wendelsteins verbrachten. Auch dort waren wir natürlich mit dem Fahrrad angereist. Ich hatte ein Damenfahrrad, bei dem der Sattel mittels einer Rohrschelle am Sattelrohr befestigt werden musste, da mir der Rahmen viel zu hoch war. Mein zweieinhalb Jahre älterer Bruder besaß jedoch ein sehr schönes Rad der Marke Adler, das er von unserem Opa geerbt hatte. Dieses Prunkstück hatte im Tretlager bereits eine Dreigangschaltung! Meine Mutter hatte ebenfalls ein hochwertiges Damenrad, das auch aus dem Geschäft ihres Vaters stammte.

Mein Vater dagegen fuhr mit einem alten, klapprigen Herrenrad und wollte auch gar kein anderes. Er war seit jeher der Meinung, dass ein Fahrrad nur dazu da war, um von A nach B zu kommen und von dort möglichst auch wieder zurück nach A. Wenn ich meinen Sohn Tommy heute reden höre, kommt mir vieles recht bekannt vor. Auch er kann sich bis heute nicht an der Schönheit eines perfekten, technisch einwandfreien Fahrrads erfreuen. Im Gegenteil, je klappriger und unpraktischer, desto besser. Dass nur ja keiner auf die Idee käme, er würde das Radfahren aus Freude betreiben. Ganz genau wie mein Vater Hans Krappweis …

 

Auf vier Fahrrädern und mit dem Gepäck auf den Gepäckträgern verzurrt fuhren wir also in den Urlaub ins Gebirge. Als Fotoapparat hatten wir eine sogenannte Agfa-Box dabei, einen ziemlich großen, braunen, eckigen Blechkasten mit nichts drin.

Das Ding erwies sich auch als nahezu unzerstörbar. Mehrfach fiel es uns herunter, schlug auf der Straße, auf felsigen Gebirgswegen oder auf dem Kopfsteinpflaster auf, aber nichts davon beeinträchtigte die zugegeben recht rudimentäre Funktion des Kästchens. Einmal kugelte mir die »Kamera« bestimmt hundert Meter den Berg hinunter. Als sie mein Vater mit viel Mühe wieder geborgen hatte, war sie zwar etwas verbeult, aber nach wie vor absolut funktionsfähig. Somit entsprach sie in ihrer Unverwüstlichkeit auch der damaligen Generation. Wir alle waren Schlimmeres gewohnt und mussten auch unter den härtesten Bedingungen noch »funktionieren«.

 

Auf dem Rückweg nach Hause ereignete sich allerdings ein folgenschweres Unglück, an das ich mich noch sehr gut erinnern kann: Mein Bruder Bernd fuhr mit seinem tollen Adler-Rad voraus den Berg hinunter über eine steile Schotterstraße. Wahrscheinlich hatte er vor einer Kurve zu stark die vordere Bremse gezogen, das Vorderrad blockierte, er überschlug sich, und als wir an der Stelle ankamen, lag er bewusstlos vor uns mitten auf der Straße.

Ein Krankenwagen brachte meinen Bruder nach Fischbachau ins Krankenhaus. Noch während des Transports kam Bernd wieder zu sich, bevor man ihm im Hospital dann die klaffende Wunde am Kinn zunähte. Kaum war der Faden an den beiden Enden gekappt, saßen wir auch schon wieder auf unseren vier Rädern und fuhren nach Hause. Ganz spurlos ging das Erlebnis aber nicht an meinem Bruder vorbei: Ziemlich sicher rührt von diesem Unfall seine lebenslange Hemmung, bei Radrennen bergab die Bremsen loszulassen, was ihn immer wieder kostbare Sekunden und Punkte und somit die Chance auf einen Sieg kostete. Wer könnte ihm das verdenken …

 

Vor jedem Ausflug zur Verwandtschaft wurden die Räder sauber geputzt und geölt und von meinem Vater soweit notwendig repariert. Sein ganzes Werkzeug bestand jedoch nur aus einer alten Kombizange, mit der er alle Reparaturen durchführte. Sogar die Laufräder versuchte er mit der Zange zu zentrieren. Das führte aber leider nur dazu, dass der Seitenschlag noch schlimmer wurde, aber dafür die Speichennippel bald so abgenudelt waren, dass das Rad nie wieder zentriert werden konnte.

 

So kam es also, dass ich im Alter von neun Jahren mit dem erwähnten Fahrrad in drei Tagen die zweihundert Kilometer von München nach Höchstadt a.d. Aisch in Urlaub fuhr.

Am Eichstätter Berg mussten wir unsere schwer bepackten Räder schieben, weil mein Vater befürchtete, wir würden sonst »die Kette zu sehr ausdehnen«. Er duldete hierbei keine Diskussion, vielleicht weil er insgeheim wusste, dass er diese von der puren Faktenlage her kaum für sich entscheiden könnte.

Ich vermutete schon damals, dass er sich am Berg nicht von seinen zwei kleinen Söhnen abhängen lassen wollte, aber beweisen kann ich es natürlich nicht. Vielleicht hatte er auch nur Angst, dass ihm im Falle einer Kettendehnung seine mitgebrachte Kombizange kaum nützen würde.

In den zwei Wochen, die wir im Urlaub bei den Großeltern waren, fuhren wir, sehr zum Leidwesen unserer Oma, den ganzen Tag mit unsern Rädern durch die Gegend. Zum Leidwesen deshalb, weil uns die Oma bei der Ankunft immer auf die Waage stellte und dann alles daransetzte, uns während des Aufenthalts ein paar Kilo auf die Rippen zu bringen. Obwohl sie jeden Tag für ein ganzes Regiment kochte und wir aßen wie die tollwütigen Scheunendrescher, schaffte sie es kein einziges Mal.

 

Bei dem Training, das ich als Kind schon hatte, war es kaum verwunderlich, dass ich mit dem Fahrrad auch unter meinen Freunden immer der Schnellste und vor allem der mit der größten Ausdauer war.

Nun hatte mein älterer Bruder Bernd einen Schulfreund, den Sachsberger Hugo, der Mitglied beim Radsportverein RV Sturmvogel war. Er fuhr sogar schon bei Radrennen mit und versuchte meinen Bruder ständig zu überreden, ebenfalls dem Verein beizutreten.

Das war aber gar nicht so einfach, da es unser Vater streng verboten hatte! Er war der festen Meinung, Leistungssport sei ungesund, man ruiniere sich damit die Gesundheit und das Herz würde ob der unmenschlichen Anstrengung im Leib explodieren. Auch hier argwöhnten wir natürlich, dass es wohl eher daran läge, dass er selbst nicht zu den sportlichsten Menschen gehörte. Vieles deutete darauf hin, dass er früher durchaus darunter gelitten hatte, bis er wohl irgendwann beschloss, dass Sport nicht nur überbewertet, sondern eben auch gefährlich sei, und ein Leben ohne Leibesertüchtigung selbiges entschieden verlängerte. Somit war er nur um unser Wohl bemüht, wenn er jegliche Tendenzen seiner Söhne in Richtung Leistungssport energisch unterband.

 

Mit siebzehn Jahren wurde mein Bruder ohne Erlaubnis seines Vaters dann doch Mitglied beim RV Sturmvogel und fuhr heimlich die Vereinsrennen mit. Unsere Mutter Maria Krappweis wusste allerdings Bescheid und unterstützte uns, wo es nur ging. Sie selbst war zwar nie Leistungssportlerin gewesen, aber trotz allem eine Art »Bewegungsfanatikerin«. Bewegung an der frrrischen Luft – das »r« dabei saftig in der Kehle gerollt – war für unsere »Mu« ein Quell der unerschöpflichen Energie. So konnte nichts und niemand diese durch zwei Weltkriege gestählte Dame aufhalten, wenn sie sich in den Kopf gesetzt...

Erscheint lt. Verlag 17.3.2016
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Achtziger Jahre • Bundesjugendspiele • Eltern • Erinnerungen • Humor • Kinder-Sport • Kindheit • kindheit 70er • kindheit 80er • kindheit geschichte • Siebziger Jahre • Sport • Sportmuffel • Sportunterricht • unsportlich • Vater-Sohn-Beziehung • Vater und Sohn • wahre Familiengeschichte • Wahre GEschichte
ISBN-10 3-426-43641-8 / 3426436418
ISBN-13 978-3-426-43641-7 / 9783426436417
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