Amber und ihr Esel (eBook)

Spiegel-Bestseller
Von der lebensrettenden Kraft einer Freundschaft
eBook Download: EPUB
2016
352 Seiten
Goldmann (Verlag)
978-3-641-18808-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Amber und ihr Esel - Julian Austwick, Tracy Austwick
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Als Shocks, der Esel, auf einer irischen Farm seinem Schicksal überlassen wurde, war es fraglich, ob er sich jemals wieder erholen würde. Als Amber mit nur 26 Wochen als Frühchen zur Welt kam, war auch ihr Schicksal ungewiss. Ein Luftröhrenschnitt rettete ihr Leben, doch die Ärzte teilten Julian und Tracy Austwick mit, dass ihre Tochter nie würde sprechen können. Später stellte sich heraus, dass sie außerdem an Kinderlähmung litt. Die Austwicks waren verzweifelt. Irgendwann griffen sie nach einem letzten Strohhalm und brachten ihre Tochter in ein Esel-Therapiezentrum, wo das Unglaubliche geschah: Die kleine Amber und der Esel Shocks begegneten sich wie Seelenverwandte und halfen einander, ihre Verletzungen zu heilen. Dank Shocks kann Amber heute sprechen und laufen, und auch der Esel ist mittlerweile gesund und voller Lebensmut. Es ist die bewegende Geschichte einer einzigartigen Freundschaft.

Julian und Tracy Austwick leben zusammen mit ihren fünfjährigen Zwillingsmädchen Amber und Hope in Birmingham, UK. Shocks ist es zu verdanken, dass Amber heute - entgegen sämtlicher Prognosen der Ärzte - laufen und sprechen kann. Amber wiederum war es, die Shocks aus seiner Isolation befreite.

Dem Tod überlassen

»Oh mein Gott.«

Sinead O’Connell, die Mitarbeiterin der Tierschutzorganisation Donkey Sanctuary, konnte nicht glauben, was sie sah.

Versteckt am anderen Ende des verwilderten Gartens stand ein Esel mit grauenhaften Verletzungen am Hals.

Er war hundert Meter von der Straße entfernt, aber Sinead konnte deutlich das Blut erkennen, das aus den tiefen Wunden sickerte. Das arme Tier taumelte, halb im Delirium vor Schmerz.

»Wir brauchen hier sofort die Gardaí – die irische Polizei«, gab sie per Funk an die Zentrale durch, um Verstärkung anzufordern.

Sie wusste, dass Tierschutzmitarbeiter, die misshandelte Esel retten wollen, ein privates Grundstück nur in Begleitung eines Polizeibeamten betreten durften, deshalb musste sie jetzt einfach ausharren, bis die Verstärkung eintraf. Es war ein bitterkalter Tag im Januar 2010. Sinead zog den Reißverschluss ihrer Fleecejacke hoch und wickelte sich den Schal fest um den Hals.

Dem armen Esel musste unglaublich kalt sein. Esel sind zwar sehr robuste Tiere, geschaffen für ein Leben im Freien, aber ein Blutverlust aus derartigen Wunden ließ die Körpertemperatur stark abfallen.

Es würde eine Weile dauern, bis die Polizei eintraf, denn Sinead saß hier mitten im Nirgendwo – in einem winzigen Nest auf dem Lande, etwa eine halbe Autostunde entfernt von der irischen Hafenstadt Galway. Die Eselhilfe hatte am Abend zuvor einen Hinweis aus der Bevölkerung erhalten. Die Anruferin – eine Frau, die ihren Namen nicht nennen wollte – hatte berichtet, dass der Esel an einen Pfahl angepflockt sei und sehr elend aussehe. Sinead konnte kein Seil erkennen, wahrscheinlich war es über Nacht entfernt worden.

Sie spürte, wie es ihr kalt über den Rücken lief, und es war nicht nur die Kälte, die ihr zusetzte – sie hasste es, zu Fällen wie diesem gerufen zu werden.

Die meisten der aus schlechter Haltung geretteten Esel – das sind fast 4500 – stammen aus Irland. Die Iren glauben, dass es Glück bringt, einen Esel auf ihrem Land zu haben, und so werden viele Esel angeschafft, die dann praktisch ihrem Schicksal überlassen werden und auf irgendjemandes Hinterhof »verrotten«.

Sinead warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. Es war mittlerweile 14:53 Uhr. Sie blies sich in die Hände, um sie zu wärmen, und steckte sie dann unter die Achseln. Kurz darauf tauchte ein Polizeiwagen auf.

»Was liegt an?«, fragte der Polizist und kletterte aus seinem Geländewagen. Aus seinem Walkie-Talkie drang ein lautes, quäkendes Stimmengewirr. Er stellte es leise, um sich auf die anstehende Aufgabe zu konzentrieren.

Sinead musste nichts erklären, sondern nur auf den Esel deuten.

Angewidert schüttelte der Polizist den Kopf. Er war ein junger Kerl, Mitte bis Ende zwanzig, mit einem draufgängerischen Grinsen.

»Na, mal sehen, was die zu ihrer Verteidigung zu sagen haben«, verkündete er und steuerte die Haustür an. Sinead wusste aus Erfahrung, dass man nie vorhersagen konnte, wie solche Situationen verliefen. Manche Besitzer rechtfertigten oder entschuldigten sich, andere reagierten so aggressiv, dass man Verstärkung brauchte.

Von der Haustür blätterte die Farbe ab. Eine Klingel gab es nicht, also verlegte sich der Polizist auf mehrmaliges lautes Klopfen. Sie traten beide einen Schritt zurück und wappneten sich.

»Ja?« Eine Frau mittleren Alters öffnete die Tür, ließ aber die Kette vor, sodass nur eine Hälfte ihres Gesichts zu sehen war.

»Ist das Ihr Esel da draußen im Garten?«, fragte der Polizist.

»Ja«, antwortete die Frau in abwehrendem Ton.

»Wir haben Grund zu der Annahme, dass er misshandelt wurde und möchten uns das gern einmal genauer ansehen. Dürfen wir hereinkommen?«, fragte der Beamte höflich, aber bestimmt.

Die Frau starrte sie einen Moment lang an. Ohne ein Wort zu sagen, schloss sie die Tür und riss sie dann weit auf, nachdem sie die Kette gelöst hatte.

Der Geruch traf Sinead wie ein Keulenschlag. Es miefte nach schmutzigen Abfalleimern oder unabgewaschenem Geschirr – nach faulenden Essensresten auf jeden Fall –, und abgestandener Zigarettenrauch mischte sich auch darunter. Der Geruch kam in Wellen. Bei jedem zweiten oder dritten Atemzug wurde Sinead von einer üblen Duftschwade getroffen. Schützend hielt sie eine Hand über die Nase, als sie in den Flur trat.

»Wir wussten nicht, dass es ihm so schlecht ging. Wir haben versucht, ihm zu helfen …«, brabbelte die Frau in ihrem breiten regionalen Akzent.

Bei genauerem Hinsehen schätzte Sinead sie auf Mitte vierzig. Sie trug einen wadenlangen grünen Kordrock, der an der Taille sehr eng saß und sich dann über ihrem Bauch bauschte. In den Rock hatte sie eine cremefarbene Bluse gesteckt, und darüber trug sie eine dicke dunkelblaue Strickjacke. Das grau melierte Haar war fettig und hing ihr strähnig auf die Schultern herunter.

Sie führte ihre ungebetenen Besucher durchs Haus und in den Garten. Sinead sah, dass das Anwesen genauso vernachlässigt war wie der Esel. Die Wände waren von Flutwellen aufsteigender Feuchtigkeit gezeichnet, und auch von der Decke blätterte die Farbe. Die Möbel im Stil der Siebzigerjahre waren mit einer dicken Staubschicht und Essenskrümeln bedeckt. Überall standen Aschenbecher herum und quollen über vor Kippen. Sinead war noch nie so froh gewesen, wieder in die Kälte hinaustreten zu können.

Als sie den Esel, zu dessen Rettung sie gekommen war, aus der Nähe sah, fiel ihr als Erstes seine beeindruckende Größe auf. Er war viel größer als der Durchschnittsesel – eher wie ein kleines Pferd. Abgesehen von seinem weißen Maul und Unterbauch war er dunkelbraun. Anders als bei einigen anderen Rettungsaktionen musste sie sich hier keine Sorgen machen, dass er weglaufen würde – er konnte sich kaum auf den Beinen halten. Unsicher und taumelnd wie ein neugeborenes Fohlen stand er im kalten Wintermatsch.

»Oh mein Gott!«, sagte sie zum zweiten Mal an diesem Tag und schlug die Hand vor den Mund.

Die Verletzungen waren noch viel schlimmer, als sie von der Straße aus vermutet hatte. Drei breite, tiefe Wunden zogen sich um Hals und Kehle. Das Fell um die Wunden herum sah aus, als wäre es weggeätzt worden. Der Esel musste unvorstellbare Schmerzen haben.

»Das scheint entzündet zu sein. Er braucht sofort Antibiotika.« Sinead drehte sich zu dem Polizisten und der Frau um. Die Besitzerin drückte sich an der Tür herum, bereit, sich auf der Stelle in ihre Höhle zurückzuziehen.

»Wie konnten Sie das zulassen?«, fragte Sinead anklagend.

Die Frau legte die Stirn in fächerförmige Falten, suchte nach Ausflüchten.

»Er hatte dieses Seil um den Hals, und wir haben erst gemerkt, wie schlimm es ist, als mein Partner es gestern Abend abgenommen hat«, erklärte sie in Panik. »Das Seil muss wohl in den Hals eingewachsen sein.«

»Ganz richtig. Genau das ist geschehen«, blaffte Sinead. Allem Anschein nach hatten die Besitzer das Seil in den fünf Jahren, die der Esel ihren Angaben zufolge bei ihnen war, kein einziges Mal gelockert. Als das Tier größer geworden war, war das Seil in die Haut eingewachsen. Wie eine Garotte. Es sah aus, als fehlten nur noch wenige Millimeter, um eine Arterie zu durchtrennen.

»Er braucht dringend medizinische Hilfe, wir müssen ihn wegbringen. Sofort.« Sinead ging mit den offiziellen Formularen für die Verzichtserklärung auf die Frau zu.

»Was ist das?«, fragte sie und blätterte durch das Schriftstück.

»Das ist eine offizielle Erklärung, mit der Sie gestehen, den Esel misshandelt zu haben, und alle Besitzrechte auf uns übertragen«, erklärte Sinead und hielt ihr einen Stift hin.

Die Frau erstarrte wie ein Kaninchen, das vom Scheinwerferlicht erfasst wird.

Sinead kannte das alles nur zu gut. »Sie haben nichts zu befürchten, das hat keine strafrechtlichen Konsequenzen für Sie. Wir wollen diesen Esel einfach nur so schnell wie möglich in Sicherheit bringen«. Obwohl das Donkey Sanctuary durchaus mit der RSPCA zusammenarbeitet – der Royal Society for the Prevention of Cruelty to Animals, einem britischen Tierschutzverein –, um Tierquäler vor Gericht zu bringen, hat der Schutz der Esel oberste Priorität. Die Organisation verzichtet auf eine strafrechtliche Verfolgung, wenn dadurch das Leben eines Esels gerettet werden kann.

Sinead wedelte mit dem Stift.

»Okay«, gab die Frau klein bei und unterschrieb das Formular.

Sinead stieß einen tiefen Seufzer aus. Die erste Hürde war genommen. Die nächste bestand nun darin, den kranken Esel in Sicherheit zu bringen. Sie erklärte dem Polizeibeamten, dass sie in Kürze mit dem Anhänger wieder da sein würde.

Sie war nur zwanzig Minuten fort gewesen, doch bei ihrer Rückkehr war der Dritte Weltkrieg ausgebrochen. Der Besitzer war in der Zwischenzeit nach Hause gekommen und schäumte vor Wut, weil man ihm den Esel wegnehmen wollte.

»Wer zum Teufel glauben Sie, dass Sie sind?! Was fällt Ihnen ein, einfach auf mein Grundstück zu kommen und sich meinen Esel zu nehmen?!«, tobte er und deutete mit dem Finger auf Sinead.

»Sie müssen sich beruhigen, Sir«, schritt der Polizeibeamte ein.

»Sag du mir nicht, was ich zu tun habe, Bübchen!«, brüllte er.

Der Mann war ebenfalls mittleren Alters, unrasiert und hatte eine Narbe, die vom Haaransatz bis zum Augenwinkel verlief. Er trug einen rötlichen Pullover mit V-Ausschnitt, der Löcher an...

Erscheint lt. Verlag 14.3.2016
Übersetzer Maren Klostermann
Zusatzinfo mit Abbildungen
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel Amber's Donkey
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Berührend • Biografie • Biographien • Bob der Streuner • eBooks • Eltern • Freunde • Gefühle • Geschichte • Gesundheit • Herz • Mädchen • Schicksal
ISBN-10 3-641-18808-3 / 3641188083
ISBN-13 978-3-641-18808-5 / 9783641188085
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