Die Frauen von La Principal (eBook)
319 Seiten
Insel Verlag
978-3-458-74472-6 (ISBN)
Die Frauen von La Principal erzählt von Müttern, von Töchtern und Schwestern, von all denjenigen, die sich hingebungsvoll einer Aufgabe widmen und ihr Glück erkämpfen - ein Lebensglück, das so schillernd und flüchtig bleibt wie der Lichtschein an den Weinhängen ihres Dorfes.
Spanien im Sommer 1893: Während ihr Vater mit den Brüdern einen Neuanfang in Barcelona wagt, muss Maria auf dem ruinierten Weingut La Principal zurückbleiben, um zu verwalten, was davon noch übrig ist. Für sie die Enttäuschung ihres Lebens, für alle anderen im Dorf der Beginn einer neuen Zeit. Denn Maria findet überraschend einen Weg, mit viel Mut und noch mehr Eigensinn verwandelt sie La Principal in das Anwesen von damals und sich selbst in die mächtigste Frau ihrer Heimat. Ein Leben lang bewundert, ein Leben lang beneidet. Doch als man am Vorabend des Spanischen Bürgerkriegs eine Leiche findet, wird Marias Vermächtnis an die Tochter zu einer gefährlichen Bürde ...
»Es war ein riesiges Vergnügen, dieses Buch zu lesen.« Iris Berben
<p>Lluís Llach, geboren 1948, erlangte als Sänger der Nova cançó große Berühmtheit. Sein während der Franco-Diktatur im Pariser Exil entstandener Song <em>L'Estaca</em> gilt als die Hymne der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung. Llach lebt auf seinem Weingut im katalanischen Dorf Porrera. <em>Die Frauen von La Principal</em> ist sein erster Roman in deutscher Übersetzung.</p>
Lluís Llach, geboren 1948, erlangte als Sänger der Nova cançó große Berühmtheit. Sein während der Franco-Diktatur im Pariser Exil entstandener Song L'Estaca gilt als die Hymne der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung. Llach lebt auf seinem Weingut im katalanischen Dorf Porrera. Die Frauen von La Principal ist sein erster Roman in deutscher Übersetzung.
2
DER BESUCH
Donnerstag, 7. November 1940
Úrsula, die selbst im Halbschlaf scharfe Ohren hatte, war, als hätte sie schon wieder den Türklopfer gehört, immer hartnäckiger drangen die Schläge durch ihre Benommenheit. Um sich zu vergewissern, blinzelte sie durch einen Lidspalt, als könnte sie, wenn sie die Augen öffnete, auch deutlicher hören. In ihrem Alter und in diesem verschlafenen Zustand war das Aufstehen aus dem Schaukelstuhl nicht so einfach und erforderte Achtsamkeit: Zuerst neigte sie den Oberkörper, um die Sitzfläche nach vorn zu kippen, wobei sie aufpassen musste, sich gut mit den Beinen abzustützen, denn tat sie es mit den Armen, bestand die Gefahr, dass der Stuhl nach hinten wegrutschte. Und während immer wieder der Türklopfer ertönte, ging sie beunruhigt die dreifach gewundene Treppe hinunter in den Eingangsbereich.
Im Gegenlicht konnte sie den Mann in der Tür nicht genau sehen, aber sie hörte ihn sagen:
»Ich klopfe schon eine ganze Weile.«
Was bildete der sich ein, so mit ihr zu reden? Diesem Dämlack war wohl nicht klar, dass sie La Principal repräsentierte. Gutgekleidet war er, wie ein Städter, darum hielt sie sich vorsichtshalber zurück und warf ihm nicht an den Kopf, was ihr auf der Zunge lag, sondern erwiderte nach kurzem Nachdenken:
»Das ist La Principal, wissen Sie, das größte Haus im Dorf, und da muss man schon kräftig klopfen, um sich bemerkbar zu machen. Außerdem war ich beim Wäschewaschen im Hof, und das ist ganz auf der anderen Seite. Gut, was kann ich für Sie tun?«
»Ich möchte Senyora Maria Magí sprechen.«
Was Sie nicht sagen, dachte Úrsula.
»Die ist gerade nicht da. Kommen Sie ein andermal wieder, und wenn sie dann da ist, wird sie Ihnen selbst sagen, ob sie Sie empfangen kann.«
Der Mann sah sie fest an und betonte jedes Wort, als er langsam sagte:
»Passen Sie mal auf, gute Frau, ich bin Inspektor Lluís Recader vom Hauptkommissariat in Rius, und Sie sollten wissen, dass ich nicht anfrage, ob Senyora Magí mich empfangen kann oder nicht. Wenn sie zu Hause ist, wird sie mich empfangen müssen.«
Während er sprach, hielt er ihr eine halboffene Brieftasche vors Gesicht, um sich auszuweisen, doch Úrsulas müde Augen vermochten im schwachen Licht nichts zu entziffern.
Die Worte des Mannes ließen sie aufhorchen. Was wollte ein Polizeiinspektor auf der Principal? Normalerweise statteten die Beamten der Guardia civil, wenn sie auf ihrer Streife vorbeikamen, der Senyora einen Höflichkeitsbesuch ab. Erst tranken sie in der Küche ein Glas Wein, und dann pflegte die Senyora sie für ein Weilchen in die obere Etage einzuladen. Sie erkundigten sich, ob die Senyora irgendetwas brauche oder ob es in Pous etwas Neues gebe, und das war alles. Noch nie hatte ein Polizist in Zivil und erst recht kein Inspektor des Hauptkommissariats von Rius sie zu sprechen verlangt. Während Úrsula diese Gedanken zu ordnen versuchte, hörte sie ihn fragen:
»Und Sie, wer sind Sie?«
»Úrsula.«
»Ach ja, von Ihnen hat man mir schon erzählt.«
Die schiefe Falte auf Úrsulas Stirn vertiefte sich, aber sie sagte nichts.
»Wann wird Senyora Magí denn zurück sein?«
»Sie ist im Mas Gran.«
»Na schön, Senyora Úrsula, dann lassen Sie mich bitte rein, ich werde warten, bis sie wiederkommt.«
»Tut mir leid, aber zum Mas Gran ist es eine gute Stunde Weg, und sie hat das gesamte Personal mitgenommen, das heißt, sie wird erst am späten Nachmittag wieder hier sein. Und ich bin ganz allein …, und darum …«
»Und darum werden Sie mit einem Polizeiinspektor im Haus vollkommen sicher sein. So kann ich Ihnen ja vorab schon mal ein paar Fragen stellen, und Sie könnten mir derweil etwas zu essen geben. Ich bin heute sehr früh in Rius aufgebrochen, und die vielen Kurven haben mich hungrig gemacht. Was halten Sie davon?«
»Oje, Herr Inspektor, da bringen Sie mich aber in Verlegenheit, ich weiß nicht recht, ob ich das tun sollte, besser gesagt, ob ich das überhaupt darf …«
Der Polizist blickte sie durchdringend an. Die Frau konnte von Glück sagen, dass sie so alt war.
»Aber natürlich sollten Sie, Senyora Úrsula, natürlich dürfen Sie.«
Sein Blick wurde härter, und er kam zwei Schritte näher. Úrsula begriff, wie ernst es ihm war. Sie wich zur Seite und roch ein süßliches Kölnischwasser, als der Mann an ihr vorbei ins Haus trat. Obwohl sie nach all den Jahren kaum noch etwas schrecken konnte, war sie unsicher und verwirrt. Sie lehnte die Tür an und führte ihn in die Küche.
Sie gingen an der Treppe vorbei bis zum anderen Ende der Eingangshalle, wo Úrsula ihm die Tür zu einem großen, gediegen möblierten Raum öffnete.
»Das Speisezimmer des Hauses?«
»Nein, das ist oben, es wird aber nur genutzt, wenn hoher Besuch kommt. Die Senyora isst lieber hier, im Esszimmer der Bediensteten. Sie sagt, das ist praktischer.«
Der Inspektor ließ den Blick durch den enormen Raum schweifen und nahm im Geist Maß. Sie hatten das Erdgeschoss in gerader Linie durchschritten und vom Haustor aus schätzungsweise vierzig Meter zurückgelegt.
»Erstaunlich, von außen sieht das Haus so riesig gar nicht aus.«
»Das größte der Gemeinde«, entgegnete sie stolz, »wenn Sie den ersten Stock sehen würden …«
»Da kommen wir auch noch hin, Senyora Úrsula, immer langsam. Und wohin geht es da?« Er wies auf die vier Türen zu beiden Seiten des Saales.
»Das ist mein Zimmer, dieses ist das von Neus und Caterina. In dem da schläft Llorenç, und das andere steht leer, falls mal jemand von außerhalb hier eine Arbeit zu erledigen hat, die länger als einen Tag in Anspruch nimmt, und manchmal schläft da auch meine Tochter, wenn sie mich besuchen kommt …«
»Ach, Sie haben eine Tochter?«
»Ja, Senyor.«
Durch die letzte Tür links betraten sie die Küche. Úrsula atmete auf, dies war ihr Reich.
»Und wie heißt sie?«, fragte der Polizist.
»Úrsula.«
»Ah ja …« Er verkniff sich das Grinsen nicht. Ein Inspektor brauchte sich fast nie etwas zu verkneifen. »Und wer ist Llorenç?«
»Der Sohn von Neus.«
»Wie alt ist er?«
»Genau so alt wie die Senyora, sie sind ein Jahrgang.«
»Nämlich?«
»Dreißig, wenn ich mich nicht irre.«
»Und er ist der einzige Mann im Haus?«
»Der hier auch schläft, ja.«
»Aber auf diesem Gut arbeiten doch noch mehr …«
»Auf dem Gut arbeiten mehr Knechte und Mägde, aber nur wir vier haben die Erlaubnis, hier zu übernachten. Alle anderen müssen die Principal verlassen, bevor abends das Tor geschlossen wird.«
Úrsula war es nicht gewohnt, so ausgefragt zu werden, nicht einmal von der Senyora, und der Ton, in dem sie dem Inspektor das Wort abgeschnitten hatte, erschien ihr selbst unpassend. Auch der Inspektor hatte diesen Eindruck, und eine andere Person hätte er möglicherweise in ihre Schranken gewiesen, doch dieser Alten gegenüber spielte er gern den Nachsichtigen.
»Darf ich mich setzen?«
»Oh, Verzeihung, Herr Inspektor, Ihre Fragerei bringt mich ganz durcheinander. Nehmen Sie Platz, bitte, nehmen Sie Platz. Worauf hätten Sie denn Appetit? Ich habe Ziegenmilch, Brot, etwas Hartwurst, oder wenn Sie vielleicht Lust auf ein Glas Hauswein haben … Was immer Sie mögen.«
Der Inspektor beschloss, sich mit einem Happen zu begnügen. Eigentlich hatte er gar keinen Hunger, eher eine flaue Leere im Magen von den vielen Kurven, die sein Opel von Rius hierher hatte nehmen müssen.
»Danke, Senyora Úrsula, ich denke, ich werde mich mit einem Glas Milch und einem Stück Brot begnügen. Bestimmt ist die Wurst in diesem Haus exzellent, aber jetzt möchte ich keine.«
Der Inspektor setzte sich auf den einfachen Rohrstuhl, den ihm die Frau gewiesen hatte, und sah sich um. Eine Küche von solchen Ausmaßen hatte er noch nie gesehen, nicht einmal in den reichsten Häusern von Rius, in denen er hatte herumschnüffeln dürfen. Ihm fiel die lange Reihe von Feuerstellen und Ziegelöfen auf, die drei Viertel der Wand einnahm. Dort stand auch ein moderner, offenbar nagelneuer Sparherd mit goldfarbenen Ornamenten, und am Ende befand sich einer dieser offenen Kamine, unter denen die gesamte Belegschaft Platz gefunden hätte. Der Inspektor stellte sich diese Küche bei Hochbetrieb vor. An den anderen Wänden gab es Spülbecken, Wassergefäße, Türen, durch die man vermutlich in Speisekammern gelangte, eine Tür zum Gemüsegarten und mitten im Raum der alte, riesige Tisch, an dem er saß. Der Inspektor konnte nicht umhin zu bemerken:
»Ziemlich groß, diese Küche, um eine einzige Dame zu versorgen.«
»Könnte man meinen, aber das Personal muss ja auch essen.« Das war keine gute Antwort, um den Frieden zu wahren, dachte Úrsula und verbesserte sich sofort: »Außerdem hat diese Küche schon ganz andere Zeiten erlebt. Als ich ins Haus kam, waren allein die Roderichs zu siebt, und sie hatten eine Menge Bedienstete. Da konnte man eine solche Küche gut gebrauchen, das können Sie mir glauben! Jetzt wird sie nur noch zu seltenen Gelegenheiten richtig genutzt.«
Während der Inspektor ihr zuhörte, griff er in seine linke Jackentasche und zog ein schwarzes Notizbuch hervor. Auf dem Umschlag war ein weißes Rechteck mit einigen handschriftlichen Wörtern, zwei Zeilen akkurater Buchstaben in zwei unterschiedlichen Blautönen. Der Polizist holte auch einen Bleistift heraus und legte ihn daneben.
»Senyora Úrsula, was Sie mir da erzählen, interessiert mich sehr, denn das bedeutet ja, dass Sie schon hier waren, als noch Senyora Roderich, die...
Erscheint lt. Verlag | 7.3.2016 |
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Übersetzer | Petra Zickmann |
Verlagsort | Berlin |
Sprache | deutsch |
Original-Titel | Les dones de la Principal |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Schlagworte | 50plus • Barcelona • Best Ager • Dorf • Erbe • Familiengeschichte • Generation Gold • Golden Ager • insel taschenbuch 4557 • IT 4557 • IT4557 • Katalonien • Les dones de la Principal deutsch • L'Estaca • Nova Canço • Priorat • Rentner • Rentnerdasein • Ruhestand • Saga • Senioren • Spanien • Starke Frauen • Wein • Weingut |
ISBN-10 | 3-458-74472-X / 345874472X |
ISBN-13 | 978-3-458-74472-6 / 9783458744726 |
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