Blumen und Bücher -  Didar Amantay

Blumen und Bücher (eBook)

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2016 | 1. Auflage
204 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7412-4678-4 (ISBN)
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In diesem Roman sucht der Schriftsteller Alischer, wie auch die deutschen und französischen Schriftsteller und Existenzialist-Philosophen des 20. Jahrhunderts (Franz Kafka, Albert Camus, Jean-Paul Sartre, Friedrich Nitzsche, Martin Heidegger u.a.), nach dem Sinn des Lebens, aber er findet ihn nicht. Er kann weder an Gott glauben, noch ihn verneinen und lebt daran leidend am Rande des Lebens und des Todes. Seiner Meinung nach ist der Geist das Bewusstsein. Damit der Geist nicht stirbt und von Generation zu Generation fortgesetzt wird, müsste das Bewusstsein, das die Erkenntnis und das Wissen umfasst, von Generation zu Generation über das Buch übergeben werden. Das, was Alischer schreibt, wird in Form eines Buches im Inneren des Romans angeboten. Alischers Hauptziel als Schriftsteller ist, die Geschichte alter Turkvölker wieder zu schreiben. Sein Vorhaben will er auf mythologische Weise verwirklichen. Dabei versucht er, die geschichtliche Einheit des türkischen Bewusstseins wiederzubeleben. Aber dabei stößt er auf die Krise des metaphysischen Bewusstseins. Von ihm werden drei Fragen aufgeworfen: das geschichtliche Bewusstsein alter Turkvölker, das metaphysische Bewusstsein der Menschheit, die Entwicklung und die Zukunft der vollkommenen Prosa. Er versucht, seine Gedanken über diese drei Dinge durch die Verbindung der Sprache, der Form und des Stils zu berichten. Alischer schreibt in der Umgebung der Blumen und der Bücher. Die Blumen und die Bücher teilen auch seine Einsamkeit.

DER STERN SUMBILE


Wir haben die Wohnung zu dritt verlassen. Das Morgenrot steigt langsam im Osten. Ainasch trägt einen kurzen Jeansrock und ein rotes, weites T-Shirt. Sie geht in der Mitte. Auf ihrer anderen Seite geht die dunkelhäutige, große Aitolkyn. Ihr Gesichtsausdruck ist mild. Wir gehen langsam und träge die lange Hauptstraße entlang.

Ich habe gute Laune. Aber die Reisetasche auf meinen Schultern drückt mich bei jedem Schritt. Bald halten wir ein Taxi an, steigen ein und das Auto rollt sehr schnell über den glatten Asphalt. Das Taxi biegt von der Timirijasew-Straße in die Kosmonawtow-Straße, fährt diese entlang und erreicht die Tole Bi-Straße. Dort biegt es links ab und fährt geradeaus weiter.

Aitolkyn sitzt vorne beim Fahrer, Ainasch sitzt neben mir. Ihr dickes schwarzes Haar fällt ihr bis auf die Schultern und dort ist es gerade abgeschnitten. Sie hebt die Hand und streicht das Haar in den Nacken. Sie trägt einen goldenen Ohrring in der Form eines Mondes. Sie schaut mich an und lächelt. Sie hat keine großen Augen, ihre dünnen Brauen erinnern an Schwalbenflügel. Wenn sie lächelt, verengen sich ihre Augen leicht und sie wird noch hübscher. Ich blicke sie auch lächelnd an.

»Mein Gesicht glüht«, sagt sie.

»Das sehe ich«, antworte ich.

»Letzte Nacht habe ich gut geschlafen«, bemerkt sie seufzend.

Darauf ich: »Das glaube ich, du bist so schön geworden.«

»Danke.«

»Meine Seele hat dich die ganze Nacht vermisst«, gestehe ich.

Sie lacht. »Wir haben doch in einem Zimmer geschlafen.«

»Vielleicht habe ich dich gerade aus diesem Grund vermisst.«

Sie mustert mich. »Ich konnte lange nicht einschlafen, denn ich dachte daran, was ich machen würde, wenn du zu mir kommen würdest.«

»Und ich dachte daran, wie ich zu dir kommen könnte.«

Ainasch lächelt wieder. »Bist du schon mal in Kapschagay gewesen?«

»Nein, ich komme ja nicht von hier.«

»Woher kommst du?«

»Aus Karagandy.«

»Das muss eine schöne Stadt sein, oder?«

»Eines Tages nehme ich dich mit für immer und du siehst sie selbst.«

Nachdem das Auto den Sairan-See erreicht hat, fährt es noch ein Stück weiter, dann biegt es links ein und hält. Wir steigen aus, vor uns steht das große zweistöckige Haus des Busbahnhofs. Wir gehen zum Busbahnhof. Die Reisenden nach Kapschagai steigen gerade in den Bus ein. Ich kaufe Fahrkarten und wir nehmen eilig alle drei im Bus Platz. Der Bus wartet noch eine Weile, aber da es keine weiteren Fahrgäste gibt, fährt er schließlich langsam rückwärts und verlässt dann den Parkplatz. Er fährt den bekannten Weg und rollt im typischen Bustempo vorwärts. Ainasch lehnt ihren Kopf an meine Schulter. Sie schaut durchs Fenster. Ihre weiche Hand sucht meine, findet sie und sie beruhigt sich. »Möchtest du ein Bier?«, frage ich.

Sie schüttelt ihren Kopf. »Habe keine Lust.«

»Ein anderes Getränk?«

»Habe keinen Durst.« Sie schließt ihre Augen.

Der Bus schaukelt langsam. Ich will auch schlafen und schlafe kurz darauf tatsächlich ein. Als ich wieder erwache, steht der Bus und surrt vor sich hin. Alle steigen aus. Ainasch schnauft leise im tiefen Schlaf. Ich halte sie im Arm und ziehe sie leicht zu mir. »Ainasch«, flüstere ich.

Sie wacht auf. »Sind wir schon angekommen?«

»Ja. Brauchst du ein Taschentuch?«

Sie nickt. Ich ziehe ein Taschentuch aus meiner Manteltasche und gebe es ihr. Sie holt einen kleinen Spiegel heraus, betrachtet sich im Spiegel und wischt mit dem Taschentuch unter den Augen herum. Wir steigen ganz zum Schluss aus. Als wir den Bus verlassen haben, werden unsere Körper vom leichten Wind umhüllt.

»Was machen wir jetzt?«, fragt Ainash.

»Wir müssen jetzt ein Taxi finden«, antworte ich und gehe zu einem Auto, das abseits steht. Ich klopfe ans Fenster und öffne die Fahrertür. Der Fahrer sieht mich an. Ich frage: »Würden Sie uns zum See bringen?«

Er fragt zurück: »Wie viel gibst du?«

»Dreihundert Tenge«, biete ich.

Der Fahrer stimmt zu. Ich steige auf der Beifahrerseite ein. Das Auto fährt zu den Mädchen und hält vor ihnen an. Ich steige aus, nehme die Reisetasche und verstaue sie auf dem Rücksitz. Dann steigen Ainasch und Aitolkyn ins Auto.

Den See erreichen wir schnell. Nachdem die beiden Mädchen ausgestiegen sind, bezahle ich den Fahrer und nehme die Reisetasche. Als ich zu den Mädchen komme, sitzen sie am Strand, wo es nicht so viele Menschen gibt. Sie umarmen die Knie und starren auf das Wasser. Ich werfe die Reisetasche in den Sand und ziehe mich bis auf die Badehose aus. Die Mädchen ziehen sich jetzt auch aus. Ainasch trägt einen Badeanzug und Aitolkyn einen Bikini. Wir legen uns alle auf den heißen Sand. Dann stehe ich wieder auf, mache die Reisetasche auf und nehme drei Badetücher heraus. »Aitolkyn, das ist deins«, sage ich und werfe ihr ein Badetuch zu. Sie fängt es auf. Das große Tuch von Ainasch falte ich zusammen, hebe ihren Kopf leicht und lege es als Kissen auf den Sand. Sie streckt sich, setzt sich auf in den Schneidersitz und holt unter ihrer Kleidung eine Sonnenbrille hervor. Sie setzt die Sonnenbrille auf, legt sich wieder zurück. Ich betrachte sie genau. In dieser Pose sieht sie wunderschön aus. Ein Arm liegt neben ihr, der andere ist halb mit ihrem Haar bedeckt. Die Sonnenbrille auf ihrem rosa Gesicht gibt keine Information über ihre innere Welt. Der blaue Stoff, der bei ihren Brüsten anfängt, reicht bis zu ihren Oberschenkeln, weiter unten liegen weiße Beine, die die Sonne noch nicht kennen. Ich beschaue sie immer noch.

»Rauan, das reicht doch«, sagt sie nun.

Ich lächle. »Ist dir unwohl?«

»Natürlich, jedem wird unwohl, wenn man ihn so starr anblickt.«

Ich lege mich wieder auf meinen Platz. Wenn ich mein Gesicht auf den Sand lege, spüre ich die heißen Sandkörner. Ich wünsche mir, dass dieser Moment nicht vergeht. Aber die Sandkörner drücken und tun weh. Ich drehe mich um und fege mit meinen Händen die Sandkörner von meinem Körper und sehe in den Himmel. Die Sonne scheint warm. Ich schließe die Augen, bewege meine Hand und suche nach der Hand von Ainasch. Meine Hand, die über den Sand tastet, findet sie aber nicht. Es gibt sie einfach nicht. Ich mache meine Augen auf und sehe, dass die Mädchen am See sind. Sie wagen nicht zu baden, daher laufen sie im Wasser hin und her, es reicht bis an ihre Knöchel.

Ich stehe auf und nähere mich den Mädchen. Am See angekommen, beuge mich herab und tauche meine Hände ins Wasser. Es ist kühl. Ich gehe vorsichtig weiter ins Wasser. Es wird immer tiefer. Das Wasser reicht mir schon bis zur Taille. Die Wellen zittern leicht auf dem Wasserspiegel. Ich schöpfe mit meinen beiden Händen Wasser und wasche damit mein Gesicht. Dann tauche ich ins Wasser. Ich tauche leicht und immer tiefer. Bald beginne ich quer zu schwimmen. Mit jeder meiner Handbewegung schwimme ich vorwärts. Dann fühle ich, dass ich Luft brauche. Das Wasser streichelt über meinen Leib und das ist angenehm. Ich schwimme nach oben zur Oberfläche und tauche auf. Wenn ich meinen Kopf schüttele, spritzen aus meinen Haaren Wassertropfen zu alle Seiten. Ainasch und Aitolkyn sind nicht weit vom Ufer entfernt. Ich lasse mich rückwärts in das Wasser fallen und schwimme zum Ufer. Aitolkyn schwimmt mir entgegen. Als sie sich mir nähert, holt sie Atem und steht auf. Das Wasser reicht über ihre Knie. Ich bleibe neben ihr stehen. »Schwimm nicht so weit«, sagt sie.

»Die Stelle, wo ich gewesen bin, ist nicht so weit.«

»Hier ist es bald tief, bald seicht. Kannst zufällig in eine Grube unter dem Wasser fallen.«

Ainasch kommt zu uns. Ihr blauer Badeanzug ist halb nass. Ihr bis auf die Schultern fallendes und dort gerade abgeschnittenes Haar und ihre Augen, die sich verengen und sie niedlich machen, wenn sie lächelt, berühren das Herz. Ihre Augenbrauen erinnern an die Flügel der Schwalbe. Oder sie sind wie ein Kommazeichen, leicht gebogen und an der Stirnmitte dicker. Ihr lockiges Haar macht ihr Gesicht noch schöner. Ich schaue sie schweigend an. Sie benimmt sich, als ob sie meine Stimmung nicht bemerkt hätte, und taucht ihre Hände ins Wasser. Plötzlich spritzt sie mich nass. Ich wende den Kopf ab. Sie läuft fort zum Strand. Dabei lacht sie fröhlich. Sie erreicht den Strand, macht ein paar Schritte und setzt sich auf den Sand. Dann winkt sie mir zu.

»Wollen wir auch rausgehen?«, frage ich Aitolkyn.

Sie nickt. »Ja, lass uns auch gehen. Ainasch wollte mit mir planschen.«

Aber wir bleiben im Wasser stehen. »Ich werde sie jetzt fangen«, sage ich.

»Werdet ihr heiraten?«, fragt sie.

»Ich weiß nicht«, ich zucke mit den Schultern.

»Wieso nicht?«

»Vielleicht verstehen wir uns nicht, was dann? Ich bin zu hochmütig.«

»Alle Menschen sind hochmütig.«

»Dann kann man nichts voraussehen.«

»Sie ist hübsch.«

»Ich weiß.«

»Hast du keine Angst, dass du sie verlierst?«

»Ich habe keine Angst.«

»Das bezweifle ich«, sagt sie und mustert mich.

Ich nicke kaum merklich. »Alle streben nach Schönheit. Aber niemand kann die Schönheit vollkommen besitzen. Sie hat viel Auswahl. Sie hat immer jemanden, der sie liebt. Das ist die Wahrheit. Und damit muss man sich versöhnen.«

Es wird traurig. Aitolkyn beugt sich herab und schlägt mit der Handfläche aufs Wasser. Ich schaue ihr zu. Sie schwenkt ihre Arme hin und her und schöpft das Wasser. Es rinnt durch ihre Finger ununterbrochen, wenn sie ihre Arme hebt. »Lass uns gehen«, verlange ich.

»Gehen wir«, stimmt sie zu.

Wir verlassen den See. Ainasch liegt am Strand und...

Erscheint lt. Verlag 19.2.2016
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
ISBN-10 3-7412-4678-6 / 3741246786
ISBN-13 978-3-7412-4678-4 / 9783741246784
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