Macht (eBook)

Roman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2016 | 1. Auflage
416 Seiten
Verlag Kiepenheuer & Witsch GmbH
978-3-462-31538-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Macht -  Karen Duve
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Noch nie war Liebe so finster und Weltuntergang so unterhaltsam. Frauen haben die Regierung an sich gerissen, Pillen geben ewige Jugend, religiöse Endzeitsekten schießen wie Pilze aus dem Boden und ein genervter Mann kettet seine Frau kurzerhand im Keller an ... Wir schreiben das Jahr 2031: Staatsfeminismus, Hitzewellen, Wirbelstürme, Endzeitstimmung und ein 50-jähriges Klassentreffen in der Hamburger Vorortkneipe ?Ehrlich?. Dank der Verjüngungspille Ephebo, der auch Sebastian Bürger sein gutes Aussehen verdankt, sehen die Schulkameraden im besten Rentenalter alle wieder aus wie Zwanzig- bis Dreißigjährige, und als Sebastian seine heimliche Jugendliebe Elli trifft, ist es um ihn geschehen.Wen interessiert es da noch, dass die Krebsrate vonEphebo bei 60 % innerhalb der nächsten zehn Jahre liegt? Alles könnte so schön sein, wäre da nicht Sebastians Frau, die ehemalige Ministerin für Umwelt, Naturschutz, Kraftwerkstilllegung und Atommüllentsorgung, die er seit zwei Jahren in seinem Keller gefangen hält. Dort muss sie ihm seine Lieblingskekse backen und auch sonst in jeder Hinsicht zu Diensten sein. Seiner neuen Liebe steht sie jetzt allerdings im Weg. Bei dem Versuch, sich seine Frau vom Hals zu schaffen, löst Sebastian eine Katastrophe nach der anderen aus . . .

Karen Duve, 1961 in Hamburg geboren, lebt in der Märkischen Schweiz. Sie wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Ihre Romane Regenroman (1999), Dies ist kein Liebeslied (2002), Die entführte Prinzessin (2005) und Taxi (2008) waren Bestseller und sind in 14 Sprachen übersetzt. 2011 erschien ihr Selbstversuch Anständig essen, 2014 ihre Streitschrift Warum die Sache schiefgeht. Die Verfilmung ihres Romans Taxi kam 2015 in die Kinos. 2016 sorgte sie mit ihrem Roman Macht für Aufruhr und wurde mit dem Kasseler Literaturpreis für grotesken Humor (2017) ausgezeichnet. Für ihren Roman Fräulein Nettes kurzer Sommer (2018) wurde Karen Duve mit dem Carl-Amery-Preis, dem Düsseldorfer Literaturpreis und dem Solothurner Literaturpreis ausgezeichnet.

Karen Duve, 1961 in Hamburg geboren, lebt in der Märkischen Schweiz. Sie wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Ihre Romane Regenroman (1999), Dies ist kein Liebeslied (2002), Die entführte Prinzessin (2005) und Taxi (2008) waren Bestseller und sind in 14 Sprachen übersetzt. 2011 erschien ihr Selbstversuch Anständig essen, 2014 ihre Streitschrift Warum die Sache schiefgeht. Die Verfilmung ihres Romans Taxi kam 2015 in die Kinos. 2016 sorgte sie mit ihrem Roman Macht für Aufruhr und wurde mit dem Kasseler Literaturpreis für grotesken Humor (2017) ausgezeichnet. Für ihren Roman Fräulein Nettes kurzer Sommer (2018) wurde Karen Duve mit dem Carl-Amery-Preis, dem Düsseldorfer Literaturpreis und dem Solothurner Literaturpreis ausgezeichnet.

1


Ich habe gerade das Telefon installiert, das ich auf dem Dachboden gefunden habe, ein einfacher hellgrauer Fernsprechapparat mit Wählscheibe und ohne technische Fisimatenten – kein Stand-by-Modus, kein Bildschirm, kein integriertes Kopiergerät, dessen Druckerpatrone nur unter Zuhilfenahme einer bebilderten Bedienungsanleitung gewechselt werden kann, und vor allem kein Anrufbeantworter. Nichts als ein altmodisch großer Hörer auf einem robusten Gehäuse, das von jedem Laien mit einem einfachen Schraubenzieher geöffnet und repariert werden kann.

Aber als es jetzt klingelt, ist es nicht dieser Inbegriff der Nachhaltigkeit und Wiederverwertbarkeit, der meine Eltern in den 60er-Jahren mit der Welt verbunden hat, sondern es ist natürlich das schicke, flache, leicht konkave Ego-Smart in meiner Hosentasche, dieser Fluch der Menschheit, der uns zwingt überall und jederzeit verfügbar zu sein, wenn wir noch irgendwo mitmischen wollen. Und dass es dabei den gleichen altmodischen Klingelton von sich gibt wie das Telefon meiner Eltern, ist der reine Hohn.

Ich fürchte, dass es jemand vom Heimatbund sein könnte. Unvorsichtigerweise habe ich zugesagt, beim gemeinschaftlichen Geländeeinsatz gegen den alles überwuchernden Killer-Raps mitzuhelfen. Aber das Gesicht auf dem Display – eine halb kahle, halb ergraute Raubvogelphysiognomie mit Beuteln unter dem unrasierten Kinn – kenne ich von irgendwo anders her, wenn ich auch nicht sofort weiß, woher.

»Hey Basti«, schreit das Gesicht, »es ist wieder so weit! Bist du dabei?«

Kaum jemand sagt heute noch am Telefon seinen Namen. Je langweiliger ein Mensch, desto mehr ist er auch davon überzeugt, dass seine öde Hackfresse überall einen unvergesslichen Eindruck hinterlassen hat. Ich shamme das Bild auf den 80-Zoll-Compunikator über dem Sideboard, hoffe, dass sich wenigstens dort der Name des Anrufers einblendet – aber Fehlanzeige.

»Ich bin’s – Norbert! Sag bloß, du erkennst mich nicht? Norbert Lanschick! Weißt du nicht mehr, wer ich bin?«

»Ja, … schon, … du hast doch …«

Ich lasse große Pausen zwischen den Wörtern in der Hoffnung, dass Norbert Lanschick sie füllt.

»Gymnasium Ohlstedt! Abiturjahrgang 1981! Na, fällt der Groschen?«

Er fällt: Norbert – Nobbi – Lanschick, damals ein spindeldürres Elend, dem die Mädchen »Biafra« hinterhergerufen haben, überdurchschnittliche Leistungen in Physik, unterdurchschnittliche bis gar keine in Sport, außerdem etwas kindisch, nie eine Freundin. Heute: Marathonläufer, Rechtsanwalt, BMW-Fahrer, Ehemann, Vater, immer noch langweilig, immer noch dünn, Halbglatze. Alle fünf Jahre organisiert er ein Jahrgangstreffen im »Gasthof Ehrlich«, um die Zeugen seiner erbärmlichen Jugend zu Zeugen seiner wunderbaren Verwandlung werden zu lassen. Was natürlich nicht funktioniert. Seinen ehemaligen Schulkameraden kann man genauso wenig etwas vormachen wie seinen Geschwistern. Auch wenn Biafra Lanschik jedes Mal seine durchaus ansehnliche Ehefrau mitbringt, vergisst deswegen niemand, wie er damals beim Geräteturnen diese unglaublich langen und dünnen Beine, die aus seinen Turnhosen wuchsen, um den Stufenbarren wickelte und Ewigkeiten zwischen dem oberen und unteren Holm hängen blieb, kopfüber wie ein bizarres Insekt, sich mit den Spargelarmen immer wieder hochzustemmen versuchte, dabei aber nur Zentimeter für Zentimeter dem Boden entgegenrutschte.

»Und ich dachte schon, du hättest die Sache aufgesteckt …«, sage ich zu ihm. Das letzte Treffen ist nämlich ausgefallen. Da hat es wohl einen Karriereknick gegeben. Aber nun wieder! Was wird er uns diesmal vor die Füße legen, wie ein gut abgerichteter Labrador? Eine neue Frau, ein neues Auto?

»Das letzte Mal konnte ich nicht«, sagt Lanschick mit bebender Stimme, »mein Teilhaber ist gestorben. Das hat mich unheimlich schwer getroffen. Wir haben die Kanzlei über dreißig Jahre zusammen geführt, verstehst du? Mit dem habe ich mehr Zeit verbracht als mit meiner Frau. Jetzt muss ich das alles allein machen.«

Das auf die vierfache Größe aufgeblasene Geiergesicht auf dem Compunikator-Bildschirm versucht, ein selbstzufriedenes Grinsen zu unterdrücken. Eine Haut wie angetrockneter Grießbrei. Alt sieht er aus – alt, alt, alt. Wie kann man sich nur so gehen lassen.

»Aber diesmal mache ich es wieder. Wenn ich es nicht mache, macht es doch niemand. Ist dir das überhaupt klar, dass das diesmal unser fünfzigjähriges Klassentreffen ist? Also: Kneifen kommt nicht infrage. Soll ich für dich ein Zimmer buchen?«

»Nein, ich brauche kein Zimmer«, sage ich. »Ich wohne wieder in Wellingstedt.«

»In Wellingstedt? Wo denn? Du wohnst doch nicht wieder bei deinen Eltern?« Lanschick lacht meckernd. »Seit wann?«

»Schon seit vier Jahren«, sage ich. »Und meine Eltern sind tot. Ich wohne bloß in dem Haus.«

Als die Dinge um mich herum sich aufzulösen begannen, meine Frau mich verließ und mir die Kinder wegnahm, als klar wurde, dass die Klimaerwärmung sämtliche Tipping-Points bereits überschritten hatte und auch der verordnete Staatsfeminismus nichts mehr daran würde ändern können, als meine Lieblingskneipe abbrannte und meine Augen so schlecht wurden, dass ich die Zeitung nur noch lesen konnte, wenn ich sie am ausgestreckten Arm von mir hielt, was dann aber sowieso egal wurde, weil auch die letzte seriöse Printzeitung ihren Druck einstellte, als kurz nacheinander erst meine Mutter und dann mein Vater aus purem Eigensinn starben und meine Geschwister auf mich einredeten, dass wir das Haus, in dem wir aufgewachsen waren, einem unglaublichen Schmierlappen von Makler übergeben sollten, verkaufte ich alles, was sich irgendwie zu Geld machen ließ, nahm einen Kredit auf, zahlte meinen Bruder aus, ließ meine Augen lasern und die Haare wieder wachsen, packte meine Zahnbürste und ein paar Unterhosen in eine Adidastasche und zog dahin zurück, wo ich die glücklichste Zeit meines Lebens verbracht hatte.

»Ist ja eigentlich auch gar keine schlechte Lage«, räumt Lanschick gönnerhaft ein, »habe selbst schon einmal daran gedacht.«

Wellingstedt gilt inzwischen als erstklassige Wohngegend für gut verdienende junge Familien und Angeber wie Lanschick. Eine geringe Kriminalitätsrate, nur zwei – noch dazu bestens integrierte – Asylbewerberheime, grüne Wälder und ein brauner Fluss, der sich durch die Endmoränenlandschaft windet, und nur zwanzig Kilometer bis zur Hamburger Innenstadt. Ende der 50er-Jahre bauten Handwerker und kleine Angestellte hier ihre Häuser auf Grundstücke, die ihnen ein wenig vorausschauender Bauer zu einer unfassbar niedrigen Leibrente überlassen hatte. Unter ihnen meine Eltern, die nach Feierabend Beton mischten und die Ziegelsteine in einer Schubkarre heranschafften. Nachdem die Zufahrtsstraßen asphaltiert worden waren, kamen auch wohlhabendere Leute und bauten ihre großzügigen Flachdach-Bungalows direkt neben die kleinen Backstein- und Walmdachhäuser mit den bunten Glasbausteinen. Und wir, die Kinder von Elektrikergesellen und Waschmittelvertretern, gingen mit den Kindern der Bank- und Versicherungsdirektoren wie selbstverständlich gemeinsam aufs Gymnasium, paddelten im Sommer mit ihnen auf der Alster und lieferten uns Schlachten, in denen vielfach geflickte Schlauchboote auf Kanus aus kanadischem Zedernholz trafen. Unter der Regierung einer sozialliberalen Koalition machten wir später wie selbstverständlich gemeinsam das Abitur – ein kurzes Zeitfenster sozialer Gerechtigkeit hatte sich aufgetan, eine Anomalie der Geschichte, die es so noch nie gegeben hatte und wohl auch nie wieder geben wird.

Damals lebten hier Erdkröten, Eisvögel und Fischotter und selbst heute kann man mit etwas Glück noch einem Spatzen oder einem Kaninchen begegnen. Natürlich hat sich Wellingstedt ganz schön verändert. Die in den 60er-Jahren in die Gärten gepflanzten Koniferen sind so groß geworden, dass die Grundstücke inzwischen aussehen wie die Toteninseln von Böcklin. Außerdem verwandelt sich der Ort langsam, aber unvermeidlich in ein Habitat der Reichen. Vor den letzten kleinen Häusern, in denen noch indigene Bevölkerung vor sich hin wurschtelt, schnüren Makler auf und ab. Und wenn eines dieser alten Häuser frei wird, reißt man es weg und setzt stattdessen einen Klotz von Toskana-Villa auf das dafür viel zu kleine Grundstück, weil so eine Toskana-Villa aus irgendeinem Grund zweistöckig gebaut werden darf, ohne damit die Bauvorschriften, die eigentlich nur einstöckige Bebauung erlauben, zu verletzen.

»Das Gebäude selber hat gar keinen Wert«, sagte der Makler, den mein Bruder damals beauftragt hatte, den Preis unseres Elternhauses für ihn vorteilhaft zu bestimmen. »Im Gegenteil, Sie müssen vom Grundstückswert minus Abrisskosten ausgehen – aber das sind immer noch schöne 500000 Euro cash – Euro-Nord natürlich.«

Die Grundstückspreise sind explodiert. Weswegen auch das Wollgeschäft und die Scheune, die an meinem Schulweg lagen, längst verschwunden sind. Der etwas schmuddelige Reiterhof ist jetzt ein Sport-Hotel und die Erdbeerfelder, auf denen ich vor Jahrzehnten kleine, sandige und sonnenwarme Früchte in einen Spankorb pflückte, wurden in einen 27-Loch-Golfplatz verwandelt. Im Nachbarort hat sich ein Koi-Züchter niedergelassen. Außerdem gibt es dort jetzt ein Sternerestaurant und zwei Läden für Wohndesign. Meine Vergangenheit löst sich auf wie ein Zuckerstück im Regen.

»Ist deine Frau mitgezogen?«, fragt Lanschicks Riesengesicht. »Ich meine, die muss doch in Berlin...

Erscheint lt. Verlag 18.2.2016
Verlagsort Köln
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Dystopie • Frauen-Regierung • Gesellschaft • Humor • Jugend-Pille • Karen Duve • Klassentreffen • Klima-Katastrophe • Liebe • Weltuntergang-Stimmung
ISBN-10 3-462-31538-2 / 3462315382
ISBN-13 978-3-462-31538-7 / 9783462315387
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