Schwere Tage -  Jens Korbus

Schwere Tage (eBook)

Eine Thomas-Mann-Novelle und weitere Texte

(Autor)

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2015 | 6. Auflage
84 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7386-8972-3 (ISBN)
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Thomas Mann hat auf seiner Hochzeitsreise nach Zürich 1905 die Adressen von zwei Psychiatern und einem Hypnotiseur in seinem Notizbuch festgehalten. Niemand ist bisher diesen Hinweisen nachgegangen. Jens Korbus tut dies in seiner kenntnisreichen und spannenden Novelle. www.jenskorbus.de

Jens Korbus, 1943 in Ostpreußen geboren, studierte in Bonn und Düsseldorf Germanistik und Philosophie und schrieb seine zwei Staatsarbeiten über Heinrich Heine und Max Frisch. Er war eine Zeitlang Assistent am Germanistischen Institut der Universität Düsseldorf und unterrichtete Deutsch und Philosophie an einem Koblenzer Gymnasium. 1988 war er 1. Preisträger bei dem Fachinger Kulturpreis für seinen Brief an Goethe.

Wer nicht die Welt in seinen Freunden sieht,
Verdient nicht, dass die Welt von ihm erfahre.
Goethe, Torquato Tasso I, 3

In einer sehr schönen, langschößigen Nerzjacke mit einem Barett aus dem gleichen Pelzwerk, wie gerade vom Shopping kommend, stand Katja neben ihren Eltern auf dem Bahnsteig und wartete auf ihn. Er kam in seinem nicht mehr neuen Wintermantel, ein Köfferchen mit ein paar neu gekauften Kleidern in der Rechten. Er wusste, was er sich schuldig war. Die „Buddenbrooks“ warfen ja neuerdings etwas ab. Fischer hatte dieses Buch 1903 mit einer einbändigen Ausgabe für fünf Mark verramschen wollen. Aber das billige Buch war ein Erfolg geworden, und 1904 waren bereits achtzehntausend Exemplare verkauft. Dieser unerwartete Erfolg hatte ihm den Einzug in die reiche Münchener Gesellschaft verschafft. Das junge Mädchen, das jetzt seine Frau geworden war, hatte das Buch begeistert gelesen und war auch dadurch auf ihn aufmerksam geworden. Nur so konnte er die Einladung bei der Schriftstellerin Elsa Bernstein, die unter dem Pseudonym Ernst Rosmer schrieb, arrangieren, wo er, zum ersten Mal, am Tisch neben Katja zu sitzen kam. Er hatte in diesem Gespräch alle Kräfte zusammengenommen, um ganz auf dem qui vive zu sein. Wie beim Schreiben! Sie wollte eigentlich gar nicht aus ihrem Kreis heraus, den Hausbällen, den Soirées, den Teegesellschaften, dem Tennisverein, wo sie vorzüglich spielte, und den Wagner-Opern im Kaimsaal! – Und den Kontakt mit ihrer Mutter würde er auf gar keinen Fall unterbinden können. Er war ja schon vor der Verlobung beim Psychiater Dr. Seif gewesen und hatte sich ihre „Entschließungsangst“ bestätigen lassen und daraufhin klug abgewartet. Aber eigentlich hatte der Psychiater ihm von der jungen Frau abgeraten, da er seine Disposition schnell erkannt hatte. Wie hatte er denn gelebt, bevor er in diese Familie hineingeglitten war. „Ausgeschlossen, unbeachtet, unberechtigt, fremd, hors ligne, deklassiert, Paria, erbärmlich vor sich selbst …“ Er musste es zu Ende bringen.

Die Koffer waren jetzt schon im Gepäckwagen. Der Dienstmann, Katjas Eltern – seine Mutter wartete ja schon in Augsburg – alle waren auf dem Bahnsteig mit den runden Emporen. Die Lok fuhr zischend und laut quasselnd ein: ra-ta-ta! Das Reisen war für ihn nichts Neues, denn er war schon bei einigen Lesungen in Deutschland herumgekommen. Man suchte die Plätze, nachdem man sich eingezwängt hatte: natürlich ein Coupé 1. Klasse. Reserviert! Vorfreude gab‘s keine, denn in Augsburg in der Hochzeitsnacht müsste er sich beweisen. Katja, seine Frau, die Bezeichnung war ihm ungewohnt, saß ihm gegenüber. Draußen war es kalt, es war Februar. Beide waren sie etwas betreten. In den Zug gesetzt, und jetzt seht mal, wie ihr zurechtkommt. Katja ohne Ahnung, was auf sie zukam. „I was married as a virgin. That should not be allowed.“ So Lynn in Max Frischs „Montauk“. Thomas Mann wusste ja ein bisschen vom Sexuellen, obwohl ihm der Akt immer etwas Angst machte. Paolo Hoffmann aus seiner Novelle „Ein Glück“ war in der Hochzeitsnacht gestorben. Lieber den Tod als diese Entäußerung! Die Fahrt würde ja nur eine knappe Stunde dauern, dann wäre man am Ort der Entscheidung: Oh Hanegiff, welch Gewaffen! Aber ob er es auch zu benutzen verstünde, das Gewaffen? Er war sich nicht sicher, und sein Mut sank von Sekunde zu Sekunde. Dieses junge gebärfreudige Weib mit den etwas zu kräftigen Beinen wollte von ihm begattet werden. Es gab in seinen Aufzeichnungen noch mehr Künstler, die in der Hochzeitsnacht starben. Olching und Merbog ließ er schweigend passieren. Dann, kurz vor Hanstetten, musste er etwas sagen: „Guck mal die schönen Eisblumen am Abteilfenster:

Wir jagen über weisse steppen

Der trennung weh verschwand im nu

Die raschen räder die uns schleppen

Führen ja dem frühling zu.

Die nacht voll rollender gedanken

Ich weiss … und wie nach spätem schlaf

Als vor dem licht die nebel sanken

Matter schein die scheiben traf.

Wo farren gräser junge palmen

Ganz aus kristall sich aufgestellt

mit ähren moosen schachtelhalmen

wundersame pflanzenwelt!

Fünf Jahre alt waren diese Zeilen. Niemand hatte eine winterliche Eisenbahnfahrt und die Eisblumen am Fenster besser beschrieben und in ein Gedicht gebracht, als sein Bruder im Geiste: Stefan George! Ihr gefiel das Gedicht auch, wie sie überhaupt ein feines Gespür für das Literarische hatte. Das war die Familie.

In Augsburg fuhr der Zug stampfend in den Bahnhof ein. Auf dem Bahnsteig wartete die Mutter. Auch im Pelz. Mit der Droschke erst zu ihr in die Klinkerbergstraße 16. Auf dem Klinkerberg ließ sich gut wohnen. Aber man hörte dauernd die Lokomotiven der nahen Bahn. Ein verspätetes Frühstück. Dann mit der Droschke ins Hotel „Drei Mohren“, ein fast vierstöckiges Haus im Zuckerbäckerstil. Hier sollte es also geschehen. Hier hatte er sich zu bewähren. Er hatte vorher in der Ainmillerstraße 31 gewohnt, im dritten Stock, dann noch vierzehn Tage in einer Pension direkt neben seinem künftigen Heim. Sein Schwiegervater hatte ihn vollständig umsorgt. Und wie über Nacht war er nun in diesem unglaublich feinen Hotel in Augsburg. Er gehörte jetzt zur Noblesse! Nachdem es ihn von Kleinwohnung zu Kleinwohnung quer durch München gezogen hatte. Aber immer um den Prinz-Leopold-Palais herum und um seine Mutter. Er hatte in diesen Wohnungen mit seinem Fahrrad und zwei rot lackierten Korbsesseln gelebt. Das konnte nur eine vorläufige Existenz sein.

Nach dem Essen ging es in die Hotelzimmer. Sie hatten eine Suite mit Schlafzimmer. Am Abend wagte er sich hinein. Katja lag, schon mehr auf, als in dem Bett, die Arme hinter dem Kopf verschränkt. In einem batistenen Nachtgewand und einem vom Spitzen umrahmten, quellenden Décolleté. Sie hatte ihren Haarknoten gelöst und die Flechten auf eine sehr kleidsame, lockere Art kranzförmig um den Kopf gewunden. Umständlich streiften sie sich gegenseitig die Nachthemden ab. Dann fiel er über sie her.

Aber ihr ganzer Körper spannte. Er musste die Lenden besser bewegen. Seine Säfte flossen nicht! Zum ersten Mal waren sie ja allein. Ganz nackt in einem Doppelbett im Hotel „Drei Mohren“ in Augsburg! Dieses schreckliche Zimmer, das Bett mit Amber bestäubt, mit seinen Troddeln und den Ampeln, die zu hell waren. Er hätte es lieber im Dunkeln gemacht, das hier erinnerte ihn an Rozsa, die immer helles Licht gewünscht hatte, dazu ein paar Spiegel, an den Wänden und an der Decke. Bei Rozsa war alles so glücklich gegangen. Sie hatte ihn immer mit befeuernden Ausrufen ermuntert: „Allez-hopp! Streng dich an, mein Hengstchen, schließlich ist es ja umsonst! Dein Teil ist für die Liebe wie gemacht! Und dann im niederen ein solcher Michel! – L’espoir des dames!“ Als er dieses Hotel im Zuckerbäckerstil aus der Droschke gesehen hatte, hatte er gleich ein mulmiges Gefühl gehabt. Er hatte jetzt über zehn Jahre in Einzimmerwohnungen rund um Schwabing gelebt. Drei Stiegen hoch, ein Zimmer mit Kanapee. Im Winter Kohlen schleppen. Toilette auf dem Flur. Frostbeulen, die man sich aufkratzte, und wenn man in den Spiegel schaute, hatte man ein Gesicht wie ein Teufel. – Er hatte oft mit dem Teufel geliebäugelt. Denn was er bisher zuwege gebracht hatte, war mit dem göttlichen Verstand nicht zu erklären! Hier, zum ersten Mal in einem so feudalen Hotel, fühlte er sich permanent beobachtet. Auch in seiner Hochzeitsnacht. Er machte Licht. Ihre Schultern waren so schmal, wie die des Mädchens in seiner Studie „Der Kleiderschrank“. Aber ihr Becken war breit und gebärfreudig, und ihre Beine waren ziemlich kräftig. – Jetzt musste er sich beweisen. Aber er wusste: Das musste spontan kommen. Und er wusste auch: Die Reinheit war dem Leben im Fleisch nicht gegeben. Auch der verweigerndste Hochmut muss der Natur ihren Zoll entrichten. Die stolzeste Geistigkeit steht dem Trieb am allerunvermittelsten gegenüber! – Aber Rozsa war gar kein richtiges „Weib“ gewesen, denn sie hatte die Augen und Wangenknochen von Williram Timpe, seiner Jugendliebe! Was hatte er denn außer Rozsa noch für Frauen gekannt? – Irma Weltner, Schauspielerin, und Dunja Stegemann aus Moskau, die zweitklassige Literaturkritiken schrieb und emanzipiert war. Aber die hatte ihn abgewiesen, als er, trotz entfleischter Brunst, sie hatte besitzen wollen. Sie war geistig ein Mann, aber das Instrumentum des Versuchers war doch das Weib. Das hatte sie im einem seiner enthemmten Augenblicke nicht verbergen können. „Sie war eine große Person mit flacher Brust, flachen Hüften, hellgrünlichen Augen, die keines verwirrten Ausdrucks fähig waren, eine übermäßig aufgeworfene Nase und einer kunstlosen Frisur von indifferentem Blond. Die Freiheit ihres Geistes verblüffte ihn. Ihre Emanzipation war so ungewollt, so ohne Übertreibung und Unterstreichung, wie er es nicht für möglich gehalten hatte.“ „Meine Begierden waren...

Erscheint lt. Verlag 19.1.2015
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
ISBN-10 3-7386-8972-9 / 3738689729
ISBN-13 978-3-7386-8972-3 / 9783738689723
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