Sämtliche Gedichte (eBook)

Mit einem Nachwort von Uljana Wolf

Uljana Wolf (Herausgeber)

(Autor)

eBook Download: EPUB
2016 | 1. Auflage
432 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-403597-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Sämtliche Gedichte -  Else Lasker-Schüler
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Else Lasker-Schüler gilt heute als die wichtigste Lyrikerin des Expressionismus. Karl Kraus sah in ihr 1910 die »stärkste und unwegsamste lyrische Erscheinung des modernen Deutschlands«. Dass Gottfried Benn sie 1952 »die größte Dichterin, die Deutschland je hatte« nannte, erhob sie in den literarischen Adelsstand. Ihre Gedichte sind von einer Kraft und Tiefe, die noch immer berühren wie auch herausfordern. Mit einem ausführlichen Nachwort von Uljana Wolf.

Else Schüler wurde 1869 in Elberfeld geboren. 1902 erschien ihr erster Gedichtband ?Styx?. 1932 erhielt die Autorin den letztmals vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten vergebenen Kleist-Preis. 1933 emigrierte sie nach Zürich, 1934 reist sie erstmals nach Palästina. Nachdem ihr 1938 die deutsche Staatsangehörigkeit aberkannt wurde, reiste sie zum dritten Mal nach Palästina, der Kriegsausbruch verhinderte ihre Rückkehr. 1943 erschien ihr letzter Gedichtband ?Mein blaues Klavier?. 1945 starb Else Lasker-Schüler und wurde auf dem Ölberg in Jerusalem begraben.

Else Schüler wurde 1869 in Elberfeld geboren. 1902 erschien ihr erster Gedichtband ›Styx‹. 1932 erhielt die Autorin den letztmals vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten vergebenen Kleist-Preis. 1933 emigrierte sie nach Zürich, 1934 reist sie erstmals nach Palästina. Nachdem ihr 1938 die deutsche Staatsangehörigkeit aberkannt wurde, reiste sie zum dritten Mal nach Palästina, der Kriegsausbruch verhinderte ihre Rückkehr. 1943 erschien ihr letzter Gedichtband ›Mein blaues Klavier‹. 1945 starb Else Lasker-Schüler und wurde auf dem Ölberg in Jerusalem begraben. Uljana Wolf, geboren 1979 in Berlin, lebt zurzeit als Lyrikerin, Übersetzerin und Dozentin in Berlin und New York. Ihre Gedichte wurden in mehr als 15 Sprachen übersetzt und vielfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Peter-Huchel-Preis 2006, dem Erlangener Preis für Poesie als Übersetzung 2015 und dem Adelbert-von-Chamisso-Preis 2016.

Nachwort von Uljana Wolf


»Heimliche Heimat« – Else Lasker-Schülers Ankunftssprachen


Wie kann man heute Else Lasker-Schüler lesen? Ein Lesen, das Dialog ist, Zusprechen, Weiterschreiben, Antippen – wie so vieles ihrer Dichtung? Das ihre »fernsten Nähen« und Zugvögel zwischen Orient und Okzident ganz weit heranholt und gleichzeitig ganz nah bei sich lassen kann? Das also annähernd so kostbar verwoben wäre wie ihre Gedichte – »Sinn und Klang, Wort und Bild, Sprache und Seele«, wie Karl Kraus überschwänglich über das Gedicht ›Ein alter Tibetteppich‹ schrieb?[1]

Deine Seele, die die meine liebet

Ist verwirkt mit ihr im Teppichtibet.

*

Tippe Else schnell und du erhältst Lese. Tippe Else Englisch und du erhältst else. Tippe Else von innen rechts nach außen links und du erhälst Seel’. Tippe Else stur und du erhältst einen Esel. Lies noch einmal: Lese else Seel’ Esel. Lese: der anderen Seele Esel. Lese: Esel, die andere Seele. Der Name ist ohne Zweifel ein sehr kleines Gedicht. Der Name ist ohne Zweifel eine sehr kleine Grenzüberschreitung. Der Name ruft ohne Zweifel nach Anderen. Der Name bedarf ohne Zweifel einer Übersetzung. Der Name ist ohne Zweifel eine Art Zwiebel. In der Zwiebel wohnt der Zweifel. Der Zweifel zwickt. Der Zweifel hat Schalen, Tränen. Die Zwiebel hat kein Zentrum. Ziel der Zwiebel ist ein anderer Zweifel. Im Grimmschen Märchen ist die kluge Else eine, die zu viel Eigensinn hat. Die am Ende neben sich steht. Die ausgeschlossen wird von der Gemeinschaft. Es bleibt ihr die Gewissheit: »Ach Gott, dann bin ich’s nicht.« Noch heute hört man das Klingeln der Schellen, man hat sie aber nie wieder gesehen.

*

Was hat Else Lasker-Schüler mit der Grimmelse zu tun?[2] Was ihr Name mit Eigensinn, mit Zweifelrede, Übersetzung? Ist ihre Lyrik auch eine Grimmsprache, Gemeinsprache? Oder vielmehr Geheimsprache? Aber wessen Heim wäre dann darin versteckt? Heimlich zur Nacht – ein großer Herzhimmel, ganz viel Wachsein? Oder doch eher Wachsamsein am Geheimnis? Ist vielleicht die Idee von Heim darin versteckt? Oder versteckt sich die Idee vielmehr selbst darin, wovor – vor ihrem deutschen Zuhause? Ist darum auch ein Weh an dem Heim, wie in dem folgenden Gedicht ›Heimweh‹?

Ich kann die Sprache

Dieses kühlen Landes nicht

Und seinen Schritt nicht gehen.

1911 schrieb Else Lasker-Schüler dieses Gedicht, mit zweiundvierzig Jahren, obwohl sie bei sich selbst und gegenüber ihren Zeitgenossen ein ganz anderes Alter gehabt haben mag. Sie legte mit diesen Zeilen eine Spur der Nichtübereinstimmung, die sich wie ein roter Faden durch ihr Leben, ihr Schaffen und die Rezeption ihrer Dichtung zieht. Eine Spur, der man beim Wiederlesen und Neuentdecken ihres Werkes folgen kann, der man folgen muss – und die sich dennoch als Irrweg entpuppt. Gilt es doch heute nicht mehr, die Heimatlosigkeiten von Else Lasker-Schüler zu erhellen, sondern vielmehr zu fragen: Ob das Land die Sprache dieser Dichterin konnte?

*

Zwei Mal, zwei folgenreiche Male, lautete die Antwort Nein. Für die Jahre des Dritten Reiches ist das keine überraschende Diagnose. Während die vielfach veröffentlichte Autorin, die aus einer aufgeklärten jüdischen Familie aus Elberfeld stammte, 1932 noch den Kleistpreis erhielt, galten ihre Werke ein Jahr später als wertlos und »zersetzend«. Am 19. April 1933 flüchtete Else Lasker-Schüler aus ihrem geliebten Berlin, das jahrzehntelang Heimat gewesen war, nach Zürich, aufgerüttelt durch die Zunahme der antisemitischen Pöbeleien nach der Machtergreifung Hitlers. »All verry schwer here to be in Germany, allready 2 jears – all Pleite and all like the animals and only wild Tigers and also piks.« Schrieb die Dichterin in für sie seltener, anderssprachiger Deutlichkeit an ihren amerikanischen Großneffen.[3] In den Schweizer Jahren, geprägt von Armut und Drangsalierung durch die Fremdenpolizei, pendelte sie zwischen Zürich und Ascona. Mit Geldern von Freunden und Gönnern gelang es ihr, zwei Reisen nach Jerusalem zu unternehmen, denen sie ihr damals international erfolgreiches Buch ›Das Hebräerland‹ verdankte. Nach der dritten Jerusalemreise 1939 verweigerte man Else Lasker-Schüler die Erlaubnis zur Einreise in die Schweiz. Sie verbrachte ihre letzten Lebensjahre in jener Stadt, die sie lyrisch-mythisch beschworen hatte und die ihr nun widerstrebend ein letztes fremdes Obdach wurde, von Ängsten, Trauer, später Liebe und Produktivität durchwebt:

Es ruhen Steine in den Betten ihrer toten Seen

Statt Wasserseiden, die da spielten: kommen und vergehen

(Jerusalem)

*

Das zweite, folgenreiche Nein hat etwas zu tun mit ihrem Heim in der deutschen Nachkriegsliteratur – ein Haus versteckter Ankünfte und fortgesetzter Verstreuung.[4] Es ist weniger offensichtlich als die Exilierung durch das Hitlerregime. Es versteckt sich zum Beispiel in der berühmten, als Würdigung getarnten Rede des Dichters Gottfried Benn, der Anfang 1933 die Nationalsozialisten in einer Radioansprache begrüßt hatte und während des Dritten Reichs als Arzt in Deutschland geblieben war. Sieben Jahre nach Else Lasker-Schülers heimatlosem Tod, am 22. Februar 1952, wollte er im Berliner British Centre an die Dichterin erinnern. Doch die Rede, ihre höchste Preisung, erweist sich als Bennscher Bärendienst. Und das nicht nur wegen der historischen Amnesie oder dem chauvinistischen Zugriff, mit dem zuerst die »unmöglichen Obergewänder« und »Dienstmädchenringe« der Dichterin beschrieben werden, sondern weil die Rede etwas über die Sprache sagte, das doch eigentlich unerhört war, und auch fast nicht gehört wurde. »Das Jüdische und das Deutsche in einer lyrischen Inkarnation!«, feierte Benn, als sei nichts geschehen. »Dies war die größte Lyrikerin, die Deutschland je hatte. Ihre Themen waren vielfach jüdisch, ihre Phantasie orientalisch, aber ihre Sprache war Deutsch, ein üppiges, prunkvolles, zartes Deutsch …« Mit der Heimholung der jüdischen Autorin ins Gedächtnis der Deutschen und in ihre Sprache gelang es Benn, seiner Anwesenheit in der deutschen Nachkriegsgesellschaft den Nimbus der Versöhnung zu geben. Eine Art privatliterarische Entnazifizierung, nicht zuletzt durch die Erinnerung an die erstaunliche Beziehung zwischen dem großen deutschen Sprachchirurgen und der deutsch-jüdischen Verwandlerin, die sich vierzig Jahre zuvor in Berlin abgespielt hatte und von der auch Else Lasker-Schülers stärkste Gedichte zeugen.

Doch was wird da eigentlich gepriesen? Warum heißt es »aber ihre Sprache war Deutsch«? Ist es nicht selbstverständlich, vielfach jüdisch Deutsch zu schreiben? Oder phantasievoll orientalisch Deutsch? Deutsch mit unmöglichen Obergewändern? Deutsch mit pechschwarzem Haar? Deutsch mit lauter Krimskrams? Deutsch mit Theben und Bagdad? Deutsch als Frau? Deutsch mit Nüssen und Obst? Ist es nicht selbstverständlich? Wenn all das auf Deutsch geschrieben ist? Versteht sich da ein bestimmtes deutsches Selbst nicht mehr? Mehr als mit jeder Zeile von Else Lasker-Schüler wird hier, im ungesagten negativen Raum, auf dem wie ein Pfropfen das Aber sitzt, eine Art Nichtzugehörigkeit unterstellt. Eine Nichtübereinstimmung, die viel mit dem zu tun hat, was früher, was damals, was heute vielleicht noch als deutsche Literatur und Kultur verstanden werden will. Oder warum sonst steht genau dieser Bennsche Satz, sein Deutschpfropfen, noch immer unkommentiert im Klappentext jeder Ausgabe der Gedichte?

*

Von Franz Kafka ist bekannt, dass er sich intensiv mit der Situation der deutsch-jüdischen Schriftsteller in Prag auseinandersetzte. Das Gefühl, nicht zur deutschen Mehrheitskultur zu gehören, oder gehören zu dürfen, schnürte ihm die Sprache enger zusammen. Eine Art Verpfropfung auch hier, von der aus Kafka seinen strengen Furor der Entortung entfachte. »[E]ine von allen Seiten unmögliche Literatur«, schrieb er im Juni 1921 an Max Brod über jüdisches Schreiben, »eine Zigeunerliteratur, die das deutsche Kind aus der Wiege gestohlen und in großer Eile irgendwie zugerichtet hatte, weil doch irgendjemand auf dem Seil tanzen muss. (Aber es war ja nicht einmal das deutsche Kind, es war nichts, man sagte bloß, es tanze jemand)«[5]. Die Unmöglichkeit wendet sich hier auf den Satz selbst an und entlarvt in der Klammer (in Kafkas anderem Aber) die Narration der Mehrheitskultur als Fama, Sage, Zuschreibung: Es war nichts, man sagte bloß … Was bleibt, ist der Tanz der Worte.

Nun kann man Kafkas geopolitische und literarische Situation als Prager Jude nicht mit der Situation Else Lasker-Schülers vergleichen.[6] Lasker-Schülers Familie stammte aus dem intellektuellen jüdischen Bürgertum Elberfelds und Frankfurts; sie zog mit fünfundzwanzig Jahren nach Berlin, ins Zentrum des Kunstschaffens der Zeit; sie stand – nach der Scheidung von ihrem ersten Mann Berthold Lasker und der kurz darauf, 1903, erfolgten Heirat mit Herwarth Walden (Georg Levin), dem Begründer des expressionistischen...

Erscheint lt. Verlag 25.2.2016
Reihe/Serie Fischer Klassik Plus
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Lyrik / Dramatik Dramatik / Theater
Schlagworte Abendstunde • Abendzeit • Berlin • Dichtung • Drama • Expressionismus • Gedichte • Herzkirsche • Jerusalem • Jussuff • Königswille • Liebesflug • Liebeslied • Lyrik • Pharao • Schlesien • Sterbelied • Sturmlied • Syrinxliedchen • Theaterstück • Wegrand • Winternacht
ISBN-10 3-10-403597-0 / 3104035970
ISBN-13 978-3-10-403597-0 / 9783104035970
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