Das zweite Kind (eBook)

Familiendrama

(Autor)

eBook Download: EPUB
2015 | 1. Auflage
175 Seiten
Harpercollins (Verlag)
978-3-7337-8543-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Das zweite Kind - Cordula Hamann
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Wenn deine Wurzeln dich fesseln...
Ein tragisches Familiendrama über eine unstillbare Sehnsucht und eine Freundschaft, die keine Grenzen kennt.
Eine weiße Villa mit Rosengarten im noblen Berliner Westend. Georg hätte es mit seiner Stelle als Dienstbote der Sommers wohl schlechter treffen können. Selbst seine dreijährige Nichte Conny findet in der wohlhabenden Familie ein neues Zuhause - und wird sogar adoptiert. Doch das Familienglück trügt. Obwohl sich zwischen Georg und dem Hausherrn eine tiefe Freundschaft entwickelt, zeigt dessen Frau Ursula Sommer ein völlig anderes Gesicht. Mit perfiden Forderungen zieht die herrschsüchtige Frau ihr heranwachsendes Adoptivkind unaufhaltsam in den Abgrund. Zum ersten Mal in seinem Leben muss Georg handeln - gegen jede Vernunft ... und für die Menschen, die er liebt.



Cordula Hamann, geboren 1959, lebt mit ihrer Familie in Berlin und in Spanien. Nach einer juristischen Ausbildung ist sie im Bereich der Immobiliensanierung und -beratung selbständig tätig. Seit 2006 hat sie das Schreiben zum Beruf gemacht. Ihre literarischen Schwerpunkte sind Thriller und Familiendramen. Cordula Hamann ist im Vorstand des Vereins '42erAutoren - gemeinnütziger Verein zur Förderung der Literatur e.V. und Mitglied der 'Mörderischen Schwestern'. Homepage von Cordula Hamann (www.cordulahamann.de)

1. KAPITEL

Mein Großvater war Werftarbeiter gewesen, genau wie mein Vater. Beide haben ihre Familien gut davon ernährt. Trotzdem wollte ich keiner werden. Ebenso wenig hatte ich Lust, zur Bundeswehr zu gehen. Wann auch immer ich an Soldaten dachte, kam mir mein Freund Klaus in den Sinn. Nach unserer Einschulung hatten ihm unsere Klassenkameraden ihre ungeteilte Bewunderung entgegengebracht, weil sein Vater Berufssoldat war. Auch ich hatte es merkwürdig gefunden, dass Klaus nicht stolz darauf gewesen war. Ich wäre es jedenfalls gewesen. Bis ich ihn eines Tages zum Spielen abgeholt hatte.

Ich klingelte an seiner Tür. Klaus öffnete, und in seinem Gesicht sah ich eine große Schürfwunde. Dünne rote Striche zeigten, dass die Wunde noch ziemlich frisch war und weh getan haben musste.

„Bist du hingefallen?“

Er senkte nur den Kopf und trottete vor mir her in die gute Stube. Auch seine Mutter schien traurig zu sein. Sie bot uns heiße Schokolade an, und als sie eingoss, sah ich, dass auch sie eine Schramme trug, exakt an der gleichen Stelle auf der linken Wange.

Klaus wollte mir nicht die Wahrheit erzählen. Aber nach ein paar Monaten begriff ich den Zusammenhang zwischen den Schürfwunden und den Besuchen seines Vaters, die diesen vorausgingen. Seither war die Bundeswehr für mich gestorben.

Vom Schicksal meines Freundes Klaus einmal abgesehen, war die Grundausbildung bei der Bundeswehr er Arbeit auf der Werft nicht unähnlich. Ständig musste man sich den Dreck mit dem Bimsstein von den Händen waschen, sonntags für die Kirche sogar so sauber, bis sie bluteten. Ein Jahr lang bearbeitete ich deshalb meine Eltern, selbst entscheiden zu dürfen, womit ich meinen Lebensunterhalt verdiente. Ich bettelte sogar.

Meine Mutter frustrierte es sehr, dass ich so weit weg wollte.

Wilhelmshaven – Berlin. 520 km.

Der Widerstand meines Vaters dagegen war nichts Anderes als verletzter Stolz. Doch zu meinem Glück war ich der Nachzügler in der Familie, und da mein älterer Bruder Hans schon einen ordentlichen Beruf auf der Werft gelernt hatte, wofür ich ihm von Herzen dankte, konnte ich schließlich doch gehen.

Den letzten Ausschlag gab die Tatsache, dass mein Vater einen Kumpel in Berlin hatte, der mir dort eine Ausbildungsstelle zum Tischler besorgte – ein Handwerk, das auch mein Vater als annehmbare Alternative akzeptierte. Was mein Vater nicht wusste: Auch mein Bruder wollte beruflich umsatteln und Tischler werden. Trotzdem bat ich ihn inständig, mit der Neuigkeit zu warten, bis ich weg war.

Anfang des folgenden Jahres war es soweit. Mit dem Zug ging es nach Hannover und dann mit dem Bus die Transitautobahn durch die Zone nach Berlin. In meiner Tasche hatte ich den Ausbildungsvertrag und die notwendigen Vollmachten meiner Eltern, die ich mit siebzehn Jahren dringend brauchen würde. Als ich endlich am Kontrollpunkt Dreilinden den ersten Hauch Westberliner Luft atmen durfte, schien sie auf meiner Haut zu prickeln, so aufgeregt war ich.

Der Kumpel meines Vaters holte mich vom Busbahnhof am Funkturm ab.

„Na, Georg, hast es geschafft, ja?“

Seine Hand donnerte auf meine rechte Schulter. Er nahm es sehr wörtlich mit dem Auftrag meiner Eltern, mich in den ersten Tagen in der Großstadt unter seine Fittiche zu nehmen. Diese Fittiche rochen nach ranzigem Öl und bewegten sich zielgerichtet per Bus und Bahn zur Monumentenstraße in Kreuzberg. Mein Aufpasser verteilte in einer kleinen Imbiss-Stehtisch-Bude einige lautstarke Kommandos, bevor er mich in den ersten Stock des Hauses zu seiner Frau brachte. Sie stank zwar nicht nach altem Öl, dafür aber nach Rauch; wie alles in dieser Wohnung, selbst mein Bettzeug, in dem ich meine erste Nacht in einer Stadt verbrachte, die ziemlich von meinen Vorstellungen abwich. Ich hatte keine Ahnung, wie ich mich hier allein zurechtfinden sollte.

Immerhin fand ich den Weg zu meinem zukünftigen Ausbildungsplatz. Der lag in der Müllerstraße im Wedding, wo ich am nächsten Morgen dank eines Fahrspickzettels meiner Gastgeber pünktlich in der Tischlereiwerkstatt stand.

„Tut mir wirklich leid, aber ich kann dich nicht beschäftigen“, sagte der Meister. „Kann doch keiner wissen in den heutigen Zeiten, und mein Neffe kommt aus der Zone. Denen geht’s da nicht so gut wie uns. Du findest schon was anderes. Kannst ja auch zurück, bist ja noch jung.“

Ich war wie vor den Kopf geschlagen. Langsam strich ich mit der Hand über das glatte Holz eines Stuhlbeines, das in einem Schraubstock eingespannt seiner Ausbesserung entgegensah. Da sich der Meister weigerte, den Lehrvertrag einzuhalten, würde meine gerade erst gewonnene Freiheit ein jähes Ende finden. Zurück nach Wilhelmshaven, in die Wohnung der Eltern und zur Bundeswehr. Der Meister murmelte, dass die eigene Familie einem schließlich näher stünde, dass Blut dicker als Wasser sei. Seine Scham besänftigte mich nicht. Ein Wort war schließlich ein Wort.

Wütend verließ ich die Werkstatt und fragte einen Passanten nach der Schulzendorfer Straße. Mein Vater wollte seine Bekannten nicht länger als nötig bemühen und hatte auf dem Postweg ein Zimmer im Haus Nummer 42 gemietet und für einen Monat auch bereits bezahlt.

„Komm rein, Junge. Hier ist dein Zimmer.“ Der dicke Mann öffnete mit der einen Hand weit die Tür und streckte mir die andere entgegen. Er erwartete sicher ein Lob. Ich konnte ihm nicht sagen, dass ich das Berliner Domizil nun gar nicht mehr brauchte. Denn er war nett und schien so gemütlich wie das Zimmer. Und er sah nicht aus, als hätte er kein Verständnis für junge Leute. Ginge ich wieder zurück, müsste ich den Musterungstermin nach meinem achtzehnten Geburtstag in drei Wochen wahrnehmen. Dann hätte mich der Arm des Gesetzes eingeholt. Volljährig durften wir erst mit einundzwanzig sein, aber zur Waffe greifen schon früher. Und nicht etwa ein Jahr wie bisher. Nein, ganze achtzehn Monate hatten die Herren da oben in der Politik gerade beschlossen. Mein sehniger Körper und mein Gesundheitszustand ließen keinen Zweifel, dass ich tauglich sein würde.

Kurzerhand schlug gab ich meinem Zimmerwirt die Hand und er drückte sie so heftig, dass ich kurz das Bild eines Gorillas vor mir sah. Ich verzog schmerzlich das Gesicht.

Ich verschwieg den Bekannten meines Vaters den Vorfall, auch meinen Eltern, und machte mich auf die Suche nach einer neuen Lehrstelle. Mit Stadtplan und einem Reiseführer für Berlin zog ich los. Am sinnvollsten erschien mir, mit meiner neuen Heimat zu beginnen, dem Wedding. Dreh- und Angelpunkt bildete die schnurgerade Müllerstraße. Von den Mühlen und ihren Müllern, die dieser Straße ihren Namen gegeben haben sollen, sah man nichts mehr, dafür die Folgen der Kriegszerstörungen umso mehr. Aber es gab auch schöne Wohnhäuser, im nordwestlichen Bereich des Stadtteils, den meine neuen Kumpels das „vornehme“ Wedding nannten. Doch eine Miete dort konnte ich mir nicht leisten.

Schnell lernte ich während meiner Streifzüge andere junge Leute kennen. Sie waren entweder Lehrlinge, wie ich es hätte sein sollen, oder schon fertig und arbeiteten in einem der vielen kleinen Handwerksbetriebe auf den Hinterhöfen der Müllerstraße. Es wäre doch gelacht, dort nicht ebenfalls eine poplige Lehrstelle finden zu können. Wir hatten auch zwei Kluge in der Klicke: Eberhard und Kurt. Sie studierten Maschinenbau. Doch dafür brauchte man zum einen Abitur und zum anderen Geld. Beides hatte ich nicht. Dafür war ich aber der Einzige unter ihnen, der minderjährig ohne familiäre Kontakte in der Stadt unterwegs war. Ich war sozusagen mein eigener Herr, was mir bei ihnen eine gewisse Achtung einbrachte. Sie nahmen mich abends mit, entweder nördlich in den Bereich zwischen Leopoldplatz und Seestraße, meist aber in den Ostsektor in die Chausseestraße und zum Oranienburger Tor.

Russen. Allein das Wort führte dazu, dass sich die Pupillen meiner Mutter angstvoll weiteten und die Finger meines Vaters sich zu Fäusten ballten. Dabei war der Krieg nun schon sechzehn Jahre vorbei. Westberlin zu verlassen, fühlte sich selbst bei mir jedes Mal aufs Neue wie ein großes Abenteuer an. Aber für meine Kumpel war die Teilung der Stadt nichts Besonderes mehr. Alle wohnten wie ich in unmittelbarer Nähe zur Sektorengrenze im französischen Teil Westberlins.

Auf dem Nachhauseweg mussten wir immer häufiger unsere Ausweise zeigen, obwohl ein freier Zugang zwischen den Sektoren möglich war. Eberhard, der in der sowjetischen Zone wohnte, verließ uns schon immer vor dem Übergang. Ich hielt meinen bundesdeutschen Pass hin, die Grenzer ignorierten mein Alter, und meine Freunde beneideten mich darum.

Einige Tage später weckte das heftige Klopfen meines Zimmerwirtes mich und Eberhard, der über Nacht geblieben war. „Steht auf. Sie sperren den Osten mit Stacheldraht ab.“

Ich verstand nicht gleich. Vielleicht lag es an der Anzahl der Biere am gestrigen Abend, aber dass die Kontrollen an der Grenze zwischen Ost- und Westdeutschland immer stärker wurden, war doch nichts Neues.

Verschlafen starrte Eberhard mich an. „Aber doch nicht in Berlin“, murmelte er.

Wir zogen uns schnell an, verzichteten auf ein Frühstück und liefen zum Übergang Chausseestraße. Dass alle Freunde bereits dort waren, wunderte mich nicht. Als sie uns sahen, stürmten sie auf Eberhard zu.

„Du bist hier? Wir dachten … Mann, hast du ein Glück.“

Sie klopften ihm lachend auf die Schulter. Einige umarmten ihn. Eberhard lachte nicht. Erst in diesem Moment wurde mir seine Situation bewusst. Und die Bedeutung dieser entscheidenden 800 Meter, die zwischen unseren...

Erscheint lt. Verlag 15.9.2015
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror
Literatur Lyrik / Dramatik Dramatik / Theater
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte cordula hamann • Deutsche Autoren • Drama • Familie • Familiendrama • Familiengeschichte • Familiengeschichten • Familienroman • Herzschmerz • traurige Bücher
ISBN-10 3-7337-8543-6 / 3733785436
ISBN-13 978-3-7337-8543-7 / 9783733785437
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