Tadellöser & Wolff (eBook)

Ein bürgerlicher Roman
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2015 | 1. Auflage
576 Seiten
Knaus (Verlag)
978-3-641-06065-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Tadellöser & Wolff -  Walter Kempowski
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»Tadellöser & Wolff« nannte Walter Kempowskis Vater, Reeder in Rostock und guter Kunde der Tabakwarenhandlung Loeser & Wolff, so ziemlich alles, was nicht gerade »Miesnitzdörfer & Jenssen« war. Und als »Miesnitzdörfer« ließ sich in der Zeit von 1938 bis 1945, von der dieser Roman erzählt, wahrhaftig vieles bezeichnen.

Walter Kempowski wurde am 29. April 1929 als Sohn eines Reeders in Rostock geboren. Er besuchte dort die Oberschule und wurde gegen Ende des Krieges noch eingezogen. 1948 wurde er aus politischen Gründen von einem sowjetischen Militärtribunal zu 25 Jahren Zwangsarbeit verurteilt. Nach acht Jahren im Zuchthaus Bautzen wurde Walter Kempowski entlassen. Er studierte in Göttingen Pädagogik und ging als Lehrer aufs Land. Seit Mitte der sechziger Jahre arbeitete Walter Kempowski planmäßig an der auf neun Bände angelegten 'Deutschen Chronik', deren Erscheinen er 1971 mit dem Roman 'Tadellöser & Wolff' eröffnete und 1984 mit 'Herzlich Willkommen' beschloss. Kempowskis 'Deutsche Chronik' ist ein in der deutschen Literatur beispielloses Unternehmen, dem der Autor das mit der 'Chronik' korrespondierende zehnbändige 'Echolot', für das er höchste internationale Anerkennung erntete, folgen ließ.

Walter Kempowski verstarb am 5. Oktober 2007 im Kreise seiner Familie. Er gehört zu den bedeutendsten deutschen Autoren der Nachkriegszeit. Seit 30 Jahren erscheint sein umfangreiches Werk im Knaus Verlag.

1


Morgens hatten wir noch in der alten Wohnung auf grauen Packerkisten gehockt und Kaffee getrunken (gehört das uns, was da drin ist?). Helle Felder auf den nachgedunkelten Tapeten. Und der große Ofen, wie der damals explodierte.

Zu Mittag sollte schon in der neuen Wohnung gegessen werden.

 

Die Zimmerpalme wurde dem Gärtner geschenkt, die würde man nicht mehr stellen können. Wunderbar, wie die sich in all den Jahren entwickelt hatte. Den gelben Onkel nahm man mit, mit dem gab es ab und zu »hau-hau«! Schön würde es werden in der neuen Wohnung, herrlich. Wir sollten sehn: zauberhaft. Vom Balkon eine Aussicht – wonnig. Und keine Öfen zu heizen, das war auch was wert.

 

Als ich aus der Schule kam, sah ich schon von weitem den ausgepolsterten Möbelwagen, die Pferde mit rostroten Planen über dem Rücken und Messingschildern am Zaum.

 

Wir waren selbstverständlich bei Bohrmann. Der Flügel stand noch drinnen, ich hatte also nichts verpaßt. Die Träger mit Gurten um den Leib, Haken unten dran.

Sie schraubten die Beine ab; in einem Schlitten hievten sie ihn die Treppen hinauf. Sieben Zentner schwer. Die Adern quollen ihnen raus.

»Kinder«, sagte meine Mutter, »wie isses nun bloß möglich …«

Ob in der Nachbarschaft nicht’n paar kräftige Männer aufzutreiben wären, wurde gefragt.

Ein dicker Herr schob sich an den Trägern vorbei, er sah versonnen das Treppenhaus hinauf. Da oben kam Licht aus einem Rubbelglasfenster. Dieser Mann hieß Quade, der hatte das Haus gebaut.

 

 

 

Es war eine geräumige Wohnung, allerdings: 2. Stock, wie Tante Silbi von Anfang an bemerkte. Die Garderobe ganz in Rot. Über der Eichentruhe schon die Schießscheiben und der Säbel meines Vaters. (»Der wird dann angeschliffen, Junge.«)

 

Rechts der offne Schrank mit den Wolffschen Telegraphenberichten und – »Giftfische und Fischgifte« – zahllosen Kosmosbändchen.

 

Mein Bruder reckte sich vor dem Spiegel.

Die Wohnung sei Gutmannsdörfer. Ob ich das nicht auch fände?

»Ja.«

»Na, denn sei froh.«

 

Für sämtliche Zimmer waren neue Lampen gekauft worden.

Im Wohnzimmer hielten Adlerkrallen die Leuchtschalen. In den Schlafzimmern floß das Licht durch Alabaster.

Im Eßzimmer hing eine Klingel vom ausufernden Papierschirm herab, damit sollte das Mädchen dann gerufen werden.

Für die Küche wurde keine Lampe gekauft, da war schon eine drin.

 

Kröhl, ein pensionierter Finanzbeamter, brachte die Lampen an. Er spielte im Quartett die Bratsche (Geiger gäb’s wie Sand am Meer), der machte sich gern nützlich.

»Würdest du bitte mal knipsen? Den unteren Schalter? Danke.« Als er noch im Amt war, hatte er mal zu meinem Vater gesagt: »Das ist natürlich wieder alles falsch.«

»Wieso ›natürlich‹?« hatte mein Vater geschrien. »Und wieso: ›wieder‹ und ›alles‹?«

 

Daß die Küche nicht gefliest war, komme ihr grade recht, sagte meine Mutter. Fliesen seien so kalt von unten.

 

In den Waschbecken sprang das Wasser wie ein Quell aus einem Loch. Der Schließer war durch Druckknopf zu betätigen. »Fabelhaft.«

 

Die Fenster der Wohnung gingen leider alle nach innen auf.

»Das werden wir schon kriegen«, sagte meine Mutter. Aber die Blumentöpfe, die mußte sie doch jedesmal rükken.

Genau gegenüber der Schlachter mit einem aus Talg geformten Adler im Fenster und Rosen aus Speck. Daneben der Drogist. Alles in der Nähe, fein.

Um die Ecke »Wiener Moden«.

 

Auf der Kreuzung brachten sie grade ein neues Verkehrszeichen an, »STOP« stand da drauf.

 

Ein geräumiger Balkon mit Glasdach und Mauervorsprüngen zum Aufstellen von Judenbart und Schlangenkaktus.

Noch waren die Bäume unbelaubt, aber es würde ein schöner Blick sein, über die blühenden Gärten hin zum grünen Turm von St. Jakobi.

»Kinder, wie isses schön«, sagte meine Mutter, »nein, wie isses schön«, und drückte die Geranien fest.

 

Linker Hand, neben einem gelb gestrichenen Etagenhaus, an dessen zerklüfteter Rückseite eine Anzahl Eisenbalkons mit Margarinekisten voll Schnittlauch hingen, konnte man sogar den kleinen Turm der kathodischen Kirche ausmachen, mit dem so kräftigen Geläut.

 

 

Am Abend kam mein Vater aus dem Geschäft. Er trug Knickerbocker in Pfeffer und Salz. Seinen Teichhut hängte er singend auf einen der roten Garderobenhaken.

Wie so sanft ruhn,
alle die Toten …

Das war das Logenlied, wie meine Mutter es nannte.

»Ich werd’s Ihnen lohnen im späteren Leben«, sagte er zu Kröhl und gab ihm die Hand, »einstweilen besten Dank.« Er betrachtete die Lampen: »Das ist natürlich wieder alles falsch …«

Dann setzte er sich an den Flügel, lehnte sich zurück und spielte:

Singt dem großen Bassa Lieder …

Pink-pink! – ja, es ging.

 

Über dem Instrument hing das Hafenbild mit dem dicken Goldrahmen, ein Hochzeitsgeschenk von Konsul Discher. Es sei nicht billig gewesen, hieß es.

 

Meine Schwester Ulla (»Was hast du nur für schöne Zöpfe, mein Kind«), sieben Jahre älter als ich, bekam die Dachkammer.

»Wahrschau!« rief sie und brachte Vasen nach oben.

Sie trug ein rostfarbenes Wollkleid mit quer eingestickten Blumengirlanden.

 

 

Ich teilte mit meinem Bruder Robert das Zimmer. Sechs Jahre älter als ich. Das blonde Haar stark gewellt, wie die Wogen des Sees Genezareth, in der Bilderbibel, auf denen Jesus wandelt. Er behauptete, von mir gehe ein »pestilenzialischer Gestank« aus.

Er schnurkste ständig, so als zöge er von Zeit zu Zeit sein Uhrwerk auf. Meine Mutter sagte dann: »Prost! Wisstu’n Stück Brot?« Gern trug er Querbinder. Die band er mit Geduld. Hinterher reckte er sich noch ein Weilchen, als wollte er sagen: »Ich bin doch eigentlich recht staatsch.« »Na, du Schleef?« sagte er, wenn wir uns auf dem Korridor begegneten.

 

 

Meine Mutter stammte, wie sie behauptete, aus einem alten Hugenottengeschlecht, de Bonsac. Im 16. Jahrhundert geadelt. Der Vorfahr habe als Mundschenk guten von schlechtem Wein rasch unterscheiden können. Es war noch ein Wappen auf die Familie überkommen, das hing jetzt in Wandsbek, in das war eingeschnitzt

Bonum bono, dem Guten das Gute

Und auf dem Wappen Kelch und Traube.

 

Beim Gutenachtsagen legte sie mir die Hand auf die Stirn. (»Sieht sie nicht aus wie eine Gräfin?«)

Dann sprach sie lange Gebete, bei denen sich ihre Augen allmählich mit Tränen füllten.

»Oh, lieber Gott, sich an, wie wir ohnmächtig sind vor Dir, sei barmherzig, hilf uns in allen Nöten des Leibes und Lebens, daß das Gute in uns aufkomme, und mach uns zu Deinen Kindern. Hilf allen Menschen durch Deine allmächtige, alles ver-, ver-, ver- veranlassende, verordnende Güte …« und so weiter.

Das dauerte oft recht lange, und ich suchte durch Strecken und Dehnen anzudeuten, daß es nun genug sei.

Dann sang sie

Müde bin ich, geh’ zur Ruh’ …

Alle vier Strophen. Sie hatte eine schöne Stimme.

Zum Schluß beugte sie sich auf mich herab, und ich durfte sie küssen. »Aber nicht auf den Mund.«

Wenn mein Vater die Abendpost durchgesehen hatte – »Tadellöser & Wolff!« – spielte er meist noch lange Klavier. Das konnte ich bei offner Tür gut hören.

Das »Frühlingsrauschen« von Sinding oder die Davidsbündler Tänze. »Mit Humor und etwas hanbüchen.«

 

In die Tür unseres Zimmers waren geriefelte Glasscheiben eingesetzt. Wenn man von vorn in den Korridor einbog, sah man sofort, ob ich verbolenerweise noch las. (»Kai aus der Kiste.«) Den Finger hatte ich, in angespanntester Aufmerksamkeit, ständig auf dem Knipser. Die Mutter konnte mich nie erwischen. »Auf Ehre?«

Mein Bruder Robert aber, der sich zeitweilig am Anschleichen beteiligte, war gewiefter, der faßte die Glühbirne an. »Sag mal, schämst du dich nicht?«

Er selbst las bis zum frühen Morgen. Lok Myler: »Der Mann, der vom Himmel fiel.«

 

 

Morgens kam er schwer hoch. (»Uppstahneque!«)

Und er hatte doch Fensterwache! Für meinen abergläubischen Vater mußte er nach jungen Mädchen Ausschau halten.

»Los, Vater, komm schnell!«

Der kam dann gebückt gelaufen, so als könne er sich nicht aufrichten, halb rasiert, mit hängender Hose und schlappenden Pantoffeln.

»Gut dem Dinge«, nun konnte ihm keine alte Frau mehr den Tag verderben.

 

Das Frühstück war immer sehr harmonisch.

»Was macht meine Haut?« fragte mein Vater und hielt uns den Hals hin. Bei Ypern hatte er Gas abgekriegt.

»Wunderbar«, mußten wir dann sagen, »keinerlei Druck- oder Schelberstellen«, sonst wäre der ganze Tag im Eimer gewesen.

Dem zuletzt Kommenden wurde: »Ah! Die Sonne geht auf!« zugerufen. Der mußte dann lange nach seinen Brötchen suchen, die – »heiß! kalt!« – irgendwo versteckt waren (meistens auf dem Schoß meiner Mutter).

»Wer nicht kommt zur rechten Zeit,
dem geht seine Mahlzeit queit.«

Neben dem Teller meines Vaters lag das Kalenderblatt. »Meyers historisch...

Erscheint lt. Verlag 30.9.2015
Reihe/Serie Die deutsche Chronik
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 2. Weltkrieg • Abenteuerroman • Deutsche Chronik • Deutsche Gegenwartsliteratur • eBooks • Familiengeschichte • Jugend im Nationalsozialismus • Nachkriegszeit • Nationalsozialismus • Rostock • Weltkrieg • Zeitgeschichte
ISBN-10 3-641-06065-6 / 3641060656
ISBN-13 978-3-641-06065-7 / 9783641060657
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