Das Kapverdenhaus -  Ursa Koch

Das Kapverdenhaus (eBook)

Roman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2015 | 1. Auflage
304 Seiten
Albas Literatur Verlag
978-3-944856-10-0 (ISBN)
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Spannende, detailreiche Erzählung von realen Landschaften, Orten und Menschen der kapverdischen Inseln, gepaart mit einer packenden, deutschen Familiengeschichte. Ein fesselndes Buch, das die Reiseliteratur der Kapverden hervorragend ergänzt. Atmosphärisch dicht und sehr einfühlsam geschrieben, wie die Kritiker loben. Ausgesprochen lesenswert!

2

Schwarzer Sand

»Frauke?« Ein Mann, stark wie ein Baum, mit breiten Schultern und gespreizten Beinen, in Jeans und rosarotem Polohemd, verdunkelte das Bild. Offenbar meinte er mich, denn er hatte sich direkt vor mir aufgebaut, breit grinsend. Mit einer ausladenden Handbewegung, als wolle er mich umarmen, nahm er seine verspiegelte Sonnenbrille ab. Ich brauchte zwei, drei lange Sekunden, bis mir klar wurde, wer dieser Mensch war, der mich auf der Fähre mit falschem Namen ansprach. »Jorge!” Umständlich erhob ich mich von der weißlackierten Holzbank ganz oben auf dem Deck der Fähre, auf der ich es mir soeben bequem gemacht hatte. Eine Welle, die das Schiff gefährlich schlingern ließ, hätte mich diesem Mann beinahe vor die Füße geworfen. Es gelang gerade noch, die Reling zu erwischen. »Olá!« Die Umarmung fiel aufgrund des Seegangs außergewöhnlich innig aus. Eine derartige Begrüßung wäre an Land mit einem Handschlag erledigt gewesen, allerhöchstens noch mit den obligatorisch distanzierten Küsschen auf die Wangen. »Franka. Ich heiße Franka”, bemerkte ich, um meine Verlegenheit, ihn nicht gleich erkannt zu haben, zu überspielen. Jorge war der Besitzer jener kleinen Familienpension am Rande des Fischerdorfs, in dem wir vor drei Jahren unsere Ferien verbracht hatten. Ich konnte mich gut an ihn erinnern. Allerdings hätte ich ihn sicher nicht unter all den Einheimischen erkannt, wenn er mich nicht angesprochen hätte. In fremden Ländern, vor allem in Asien und Afrika, brauchte es immer eine Weile, bis ich die Personen zweifelsfrei und zügig voneinander unterscheiden konnte. Kurzsichtigkeit wäre zwar eine plausible, aber nicht zutreffende Erklärung. Die Menschen hier glichen sich ebenso wenig in ihrem Aussehen wie wir Europäer uns ähneln, dennoch gelang mir die Zuordnung von Namen und Gesichtern nicht auf Anhieb.

»Desculpe, Franka«, sagte Jorge, faltete die Hände und verneigte sich theatralisch, um Entschuldigung bittend. Eine neue, heftige Bugwelle erschütterte das Schiff. Ich setzte mich rasch und wunderte mich über die Standfestigkeit meines Gegenübers, als mir Jorges Geschichte wieder einfiel. Er war viel herumgekommen und zur See gefahren, bevor er die Gästebungalows gebaut hatte. »Erstaunlich, dass du dich an mich erinnerst. Nach der langen Zeit und den sicher vielen Touristen«, fischte ich nach einem Kompliment. Jorge spielte mit seinem versteckten Charme und ließ kluge Sätze häppchenweise fallen. Von dieser Seite hatte ich ihn nicht kennen gelernt. »Nur mit Freunden lässt sich verschüttetes Wasser einsammeln. Man vergisst sie nie.« Damit spielte er auf unsere gemeinsamen Erlebnisse an, als das Dorf wegen eines Seebebens und einer zu erwartenden Flutwelle vorsichtshalber evakuiert worden war. Damals hatte er in all dem Durcheinander einen kühlen Kopf bewahrt und das unter Beweis gestellt, was man diesem Menschenschlag nachsagt: Probleme ins Gegenteil zu verkehren, zu lachen, wenn uns bereits das Lächeln vergangen ist, anzupacken, ohne lange darüber nachzudenken, welchen Vorteil das mit sich bringt, und sich selbst bei alledem nicht so wichtig zu nehmen.

Jorge setzte sich neben mich. Ich betrachtete im Schutz der dunklen Sonnenbrille diese muskulösen Arme und prallen Schenkel, um die sich der Stoff der Jeans spannte. Er hatte auch sehr starke Hände und kräftige Handgelenke, was mir gefiel. Männer mit filigranen, blassen Fingern jagen mir Angst ein. Dabei dachte ich an eben jenen Aufenthalt an Weihnachten, der für uns alle zu einem unvergesslichen Erlebnis wurde. »Wie geht es Filipa?«, fragte ich, denn der Name seiner Frau wollte mir nicht mehr einfallen. Lediglich die gute Seele, Köchin, Putzfrau, Wäscherin, Seelentrösterin in einer Person, verband ich sofort mit dem Residençial. »Gut. Wir sind zufrieden«, meinte er lächelnd und knetete seine Finger. »Und die Wirtschaftskrise? In Portugal leben doch viele Leute von den Kapverden, die ihre Angehörigen hier unterstützen, oder?«, bohrte ich weiter. Jorge drehte sich zu mir hin und meinte ernst: »Die Auswirkungen spüren wir schon. So ist das eben. Es gibt immer Hochs und Tiefs. Das Leben ist nicht konstant, so wenig berechenbar wie das Meer. Und manchmal profitiert man auch von einer Krise.« Umständlich nestelte er in seinen engen Hosentaschen, zog ein Päckchen Kaugummi heraus und bot mir einen an, bevor er weitersprach. »Seit ein paar Jahren kommen immer mehr Touristen. Die meisten aus Frankreich, wegen der Unruhen in den arabischen Ländern, aber auch viele Deutsche, Italiener und sogar Skandinavier. Sie haben alle unsere Inseln entdeckt. Und manche werden sogar sesshaft. Wie deine Schwester«, grinste er. Vielleicht täuschte es, aber ich hatte den Eindruck als läge eine Spur von Ironie in diesem Lächeln.

Mich hätte brennend interessiert, was er davon hielt, dass sich immer mehr Ausländer auf den Inseln niederließen, und vor allem hätte ich gerne gewusst, wie er Amelie empfand, ob sie sich auch als snobistische Grande Dame gab, wie in ihren Kreisen üblich, was mir stets bitter aufstieß. Wie deplatziert hatte ich mich gefühlt, als ich noch eingeladen wurde zu diesen Geburtstagsfesten, zwischen all den langweiligen, einflussreichen Leuten, die nur noch sahen, was sie nicht hatten. Wie anstrengend das war, dem Small Talk zu folgen, die mit scheinbarem Interesse geheuchelten Floskeln zu ertragen. Ich höre sie noch, die Begrüßungsworte in aufgedrehtem Tonfall: »Meine Liebe! Schon so lange nicht mehr gesehen. Du hast dich überhaupt nicht verändert. Gut siehst du aus. Wie geht’s dir denn?« Und wie ich mich dafür hasste, darauf belanglos und einigermaßen freundlich geantwortet zu haben. Keine der Damen interessierte sich in Wirklichkeit für meine Belange. Was aber, wenn ich meine Zunge nicht im Zaum gehabt und eine unerwartet ehrliche Antwort gegeben hätte. Das wäre unverzeihlich gewesen, brüskierend beinahe. Vor allem wäre diese Entgleisung der Anlass für den interessantesten Gesprächsstoff des Abends gewesen, und das gönnte ich ihnen nicht. Zumindest lange Zeit nicht.

Meistens liefen diese Abende nach ähnlichem Muster ab. Die Damen sprachen über Luxusreisen und Beautyfarmen, die ach so erfolgreichen Kinder und die kleinen Wehwehchen. Nebenbei präsentierten sie galant ihre neuesten Designer-Outfits und tauschten irgendwelchen Klatsch aus, bevor die Langeweile in Alkohol ertränkt wurde. Die sich betont lässig und jugendlich gebenden gebräunten Herren dieser Gattung hatten andere, gewichtigere Themen. Man(n) unterhielt sich über Politik, die Euro-Krise, Investments, profitable Geldanlagen, Steuerparadiese. Ich wurde dabei die beklemmende Ahnung nicht los, dass sich diese Leute immer weiter von der Realität der breiten Masse wegbewegten. Sie hatten es sich bequem eingerichtet in ihrem geschäftigen, gesellschaftlichen Rahmen, den sie eisern zusammenhielten. Ich hielt sie für gefühllos und immun gegenüber der Außenwelt, überdrüssig des Überflusses, den sie permanent anreicherten. Dabei kamen sie mir leer und unerfüllt vor, zudem unfähig, etwas daran zu ändern, wenn sie es denn gewollt hätten. Aber wozu auch. Mit Ablenkungen im schönen Schein lassen sich sehr gut traurige Gedanken verdrängen, der Verzweiflung über die so rasch vergangene Lebenszeit entgegenwirken, die abhandengekommenen Gefühle wie Freude, Dankbarkeit und Glück überdecken.

Anfangs empfand ich es noch als amüsant, dann als frustrierend und traurig, einsamer Part dieser Partys zu sein, denn Arne ließ sich darauf erst gar nicht ein. »Außen reich, innen arm«, brachte er auf den Punkt, was ihm zu wenig und mir allmählich zu viel war. Weder der fest verankerte Anstand, ein Produkt der hanseatischen Erziehung, noch die talentierten Musiker im Hintergrund, denen niemand Beachtung schenkte, schafften es, mich länger als eine Stunde dort zu halten. Auch die für exquisit gehaltenen Trüffelhäppchen des angesagten Caterers einschließlich des sündhaft teuren Champagners nicht. Das war nach jenem Abend im Oktober, dem sechzigsten Geburtstag meines Schwagers Wolfram auch gar nicht mehr nötig. Kurz nach der Ansprache eines Geschäftsfreundes, der die Verdienste des Gastgebers gebührend hervorgehoben hatte, erläuterte Wolfram, welchem Spendenzweck die Geschenke in Scheckform zufließen würden. Man gab sich wohltätig, unterstützte ein Austauschprojekt zwischen chilenischen und deutschen jungen Menschen, aus gutem Hause, versteht sich. Ich dachte spontan, das sei der richtige Moment, den Gästen einmal die andere Seite der Lebenssituation südamerikanischer Kinder und Jugendlicher aufzuzeigen, die nicht mit dem goldenen Löffel gefüttert werden konnten, weil es gar nichts zu futtern gab. Ich hatte dort so viel Armut und Elend gesehen, dass ich davon berichten wollte. Sofort. Auf der Stelle. Ich wollte diese Leute konfrontieren. Ich konnte gar nicht anders. Als ob ein kleiner Teufel mich geritten hätte, marschierte ich an’s Mikrofon, gratulierte Wolfram zu seinem Wiegenfest und sagte dann mit triumphierendem Blick in die Runde: »Wie schön, dass Sie sich für Chile interessieren. Da kann ich Ihnen gerne einige Projekte erläutern, die dringend unterstützt werden müssten.« Leider kam ich über den dritten Satz nicht hinaus. Amelie zog mich unsanft am Arm weg, lächelte charmant und erklärte: »Meine Schwester kommt gerade aus dem Ausland. Sie hat sicher viel zu erzählen. Aber zunächst möchte ich Euch nicht länger auf die Folter spannen. Das Buffet ist eröffnet.« Lautstarkes Händeklatschen während Amelie mir in’s Ohr zischte: »Das passt jetzt absolut nicht hier her, Franka!« Damit hatte sie den Nagel auf den Kopf getroffen. Die Not betraf andere. Das sagte ich ihr. Gerne hätte ich mit meiner Schwester auch über mein gespaltenes Verhältnis zum Thema...

Erscheint lt. Verlag 18.8.2015
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Kapverdenliteratur, Inselerzählung, Inselepisoden, Familiengeschichte, Geschwisterbeziehung, Frauenliteratur
ISBN-10 3-944856-10-4 / 3944856104
ISBN-13 978-3-944856-10-0 / 9783944856100
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