Tod in Weimar (eBook)

Kriminalroman
eBook Download: EPUB
2015
288 Seiten
Knaus (Verlag)
978-3-641-16346-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Tod in Weimar - Dominique Horwitz
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Dominique Horwitz' Romandebut: frech, witzig und temporeich
In der 'Villa Gründgens', dem Weimarer Alterssitz für Bühnenkünstler, wird die Probenarbeit des 'Schiller-Zirkels' jäh unterbrochen: Aus der greisen Theatergruppe stirbt unter mysteriösen Umständen einer nach dem anderen. Roman Kaminski, Kutscher und Stadtführer in der Goethe-Stadt, sieht sich gezwungen, der rätselhaften Todesserie auf den Grund zu gehen. Doch der ehrgeizige Kommissar Westphal scheint Kaminski in der Hand zu haben, der zu allem Überfluss auch noch zwischen zwei Frauen steht.

Dominique Horwitz, geboren 1957 in Paris, ist Schauspieler, Regisseur und Sänger. Neben zahlreichen Filmrollen ('Stalingrad', 'Der große Bellheim') spielte er unter anderem am Thalia-Theater in Hamburg, am Berliner Ensemble, am Deutschen Theater in Berlin und am Schauspielhaus Zürich. Bei Dreharbeiten in Weimar lernte er seine Frau kennen, seitdem sind Weimar und Thüringen nicht nur sein Zuhause, sondern auch seine Kulisse. 2012 inszenierte er den 'Freischütz' an der Oper in Erfurt, zuletzt war er als Schillers 'Wallenstein' am Nationaltheater in Weimar zu sehen. 'Tod in Weimar' ist sein erster Roman.

KAPITEL 1

Es war einer dieser klaren, hellen Oktobertage, an denen der Winter schon den Herbst umarmt. Über Nacht war es bitterkalt geworden. Ein Firnis aus Raureif lag über der Stadt, ein feiner, weißer Schleier, der die Dächer bedeckte und die Straße in eine Leinwand verwandelte, auf der Autos und frühe Passanten erste Spuren hinterlassen hatten.

Tja, so könnte ein Roman über Weimar beginnen, dachte Kaminski, vielleicht sogar meine Memoiren – falls ich sie jemals zu Papier bringe. Temperaturschwankungen und andere klimatische Irritationen sind nicht der schlechteste Auftakt, wenn man schreibend versucht, mit sich ins Reine zu kommen.

Und das versuchte Kaminski wahrlich seit Langem. Doch Firnis, Schleier, Leinwände und Jahreszeiten, die einander umarmten? Nein, sein Leben eignete sich nicht für solch hochfeine Metaphern. Zu viele Widersprüche, zu viele Enttäuschungen. Da passte Goethe schon besser: Zur Resignation gehört Charakter.

Dampfend stieg der Atem aus den Nüstern der Pferde, als Kaminski die Kutsche bestieg. Obwohl er seinen schweren, wollenen Kutschermantel trug, fror er bis auf die Knochen. Es war saukalt, um genau zu sein. Mehrmals hauchte er in seine erstarrten Hände, bevor er zu den Zügeln griff und mit der Zunge schnalzte. Ein leises Wiehern antwortete ihm. Mit einem Ruck setzte sich die Kutsche in Bewegung.

Es dauerte keine zwanzig Minuten, bis er die Stadt erreichte. Während er dem Pochen der Hufe auf dem Asphalt zuhörte, sah er die pastellfarbenen Häuserfassaden wie Kulissen an sich vorübergleiten. Und waren es nicht auch Kulissen? Immer aufs Neue bemalt für die Zuschauerströme, die selbst jetzt, im Herbst, nicht abrissen?

Weimar hatte durchgehend geöffnet. Jeden Tag Vorstellung, und er, Kaminski, als Komparse mittendrin. Vorsichtig lenkte er die Kutsche auf den Theaterplatz. Hier war der Boden eisglatt, viel zu glatt für Pferdehufe. Andererseits hing in seinem Metier eine Menge davon ab, dass er sich zeigte, und zwar genau dort, wo touristische Begehrlichkeiten entstanden. Der Theaterplatz galt als das unbestrittene Highlight für Weimarpilger: Deutsches Nationaltheater, Bauhausmuseum, Denkmal der Dichterfürsten, gleich um die Ecke Schillers Wohnhaus und das Wittumspalais.

Ja, Weimar machte es selbst dem eiligen Reisenden leicht. Wo finden Sie auf einem so engen Fleck noch so viel Gutes, hatte schon Goethe angemerkt. Es war eines jener Zitate, die Kaminski bei seinen Rundfahrten zum Besten gab. Kaminski, das lebende Lexikon. Manchmal ertappte er sich dabei, dass er sogar ohne Kundschaft in Zitaten dachte. Déformation professionelle. Goethe hätte vermutlich gelächelt, Wieland, der alte Spötter, gelacht.

Während er die Pferde im Schritt gehen ließ, sah Kaminski sich um. Tatsächlich stand trotz der frühen Uhrzeit und der lausigen Kälte bereits eine Gruppe bunt gekleideter Touristen vor dem Denkmal, das Goethe und Schiller in einem bronzenen Doppelstandbild vereinigte.

Auch so ein Kulissenschwindel. Im wahren Leben war Goethe gut zwanzig Zentimeter kleiner gewesen als der Dichterfreund. Und ob er Schiller wirklich einen Lorbeerkranz gereicht hätte … Na ja, ohnehin sah es so aus, als würde Goethe ihm den Kranz entreißen und nicht im Traum dran denken, das Ding wieder herzugeben.

Doch was auch immer im wahren Leben passiert wäre, hier standen die Dichter gleich groß und einträchtig nebeneinander, der Geheimrat im Hoffrack, der jüngere Schiller im Gehrock. In Bronze gegossene Geistesgeschichte.

In diesem Augenblick entdeckten die Touristen die Kutsche. Showtime. Sofort kam Bewegung in die Gruppe. Jemand rief etwas, und schon zielten Handys und Tablets wie Waffen auf Kaminski. Ein pittoreskes Motiv mehr, dieser Kutscher in seinem operettenhaften blaugrauen Mantel mit der nachtblauen Pelerine.

»Look at that coach! Isn’t it cute?«, kreischte eine Frau mit einer übergroßen Sonnenbrille. »Do you have time to spare for a ride?«

Ob er Zeit hatte? Wir haben genug Zeit, wenn wir sie nur richtig verwenden. Er hielt die Kutsche an. Nachdem er mit der Engländerin eine Fahrt für den Nachmittag ausgehandelt hatte, kehrte er Goethe und Schiller den Rücken. Jetzt war erst mal Dr. Trixi Muffinger an der Reihe. Eine wichtige Kundin, keine Frage. Als Leiterin der legendären Villa Gründgens, dem Weimarer Altersheim für ehemalige Bühnenkünstler, spielte sie eine tragende Rolle in der Stadt. Für neun Uhr hatte sie Kaminski zur Wilhelm-Meister-Schänke bestellt, und die Dame war eine von der überpünktlichen Sorte.

Von der nahen Herder-Kirche schlug es Viertel vor neun. Kaminski trieb seine Pferde zur Eile an.

Ja, ja, die Muffinger, dachte er, präzise wie ein Uhrwerk, korrekt wie ein amtliches Register und eine Betriebsnudel reinsten Wassers. Vorsitzende der Herder-Stiftung, bestens vernetzt mit allen ortsansässigen Größen aus Politik und Kultur. In Weimar war sie weltberühmt. Kaminski war früher mal in Bruchsal weltberühmt gewesen. Alles eine Frage der Perspektive.

Plötzlich geriet die Kutsche ins Schlingern. Der Theaterplatz war schon eine gefährliche Eisbahn gewesen, aber hier, auf dem gefrorenen Kopfsteinpflaster, war es noch weit schwieriger, das Gefährt in der Spur zu halten. Die Hufe der Pferde rutschten auf dem unebenen Untergrund, kamen aus dem Rhythmus, suchten vergeblich Halt. Kaminski zog die Leinen an. Beschwörend rief er ein paar beruhigende Kommandos. Doch die Pferde scheuten und tänzelten noch eine Weile laut wiehernd über das vereiste Pflaster, bis sie endlich schlitternd zum Stehen kamen.

Wie peinlich, durchzuckte es ihn. Klarer Fall von Konzentrationsmangel. Normalerweise achtete er auf jeden verdammten Gullideckel. War er etwa nervös wegen dieser Muffinger?

Wütend auf sich selbst, sprang er vom Kutschbock und umrundete einen weißen Lieferwagen, der vor der Wilhelm-Meister-Schänke stand. Ein Mann im blauen Overall sprach wild gestikulierend mit der Wirtin des Lokals. Abrupt blieb Kaminski stehen.

Laura. Er schluckte. An diesem frostigen Morgen trug sie nur Jeans, Sweatshirt und einen lässig gebundenen Schal. War er der Einzige, der hier fror?

»Nee, nee, Sie Komiker, der Kilopreis für Rinderfilet ist seit letzter Woche um zwei Euro gefallen«, sagte sie gerade. Ihr blondes Haar hatte sie zu einem strengen Pferdeschwanz frisiert, in der Hand hielt sie einen Klemmblock. »Und ich hatte keine Schweineschnitzel bestellt, sondern Kalbsrücken.«

Der Mann im blauen Overall kratzte sich am Kopf.

»Also, so läuft das nicht. Ich finde …«

»Ende der Diskussion«, schnitt sie ihm das Wort ab. »Das Rinderfilet kommt in die Küche, die Schweineschnitzel können Sie gleich wieder mitnehmen. Alles andere kläre ich mit Ihrem Chef.«

Die ließ sich nichts gefallen. Kaminski bewunderte Laura für ihre resolute Art. Sie war durch und durch Geschäftsfrau, stand mit beiden Beinen im Leben. Wenn sie kämpfte, dann mit dem Florett, falls nötig, auch mit Boxhandschuhen. Baaam, baaam, baaam. Unwillkürlich ballte er die Fäuste. Einige Jahre lang hatte er selbst geboxt, da erkannte man sofort, wer Chef im Ring war.

Ihre Züge glätteten sich, als sie ihn entdeckte. Ein feines Lächeln umspielte ihren Mund. Den Lieferanten, der fluchend eine schwere, rote Plastikwanne in den Lieferwagen zurückwuchtete, würdigte sie keines Blickes mehr.

»Ah, mein kleiner Philosoph. Schon so früh unterwegs?«

Mein kleiner Philosoph. So nannte sie ihn immer. Und nie konnte Kaminski ganz sicher sein, ob das ironisch oder anerkennend gemeint war. Vermutlich beides. Sicher war nur, dass sie zu den wenigen Menschen gehörte, die seine Vorliebe für Zitate genossen. Außerdem war Laura der einzige Mensch, der sich für seine Gedanken über das Leben im Allgemeinen und das Scheitern im Besonderen interessierte.

»Kaffee, Kaminski?«

Er räusperte sich. Obwohl er seit Jahren zu den Stammgästen der Wilhelm-Meister-Schänke zählte und mit Laura über den üblichen Small Talk längst hinaus war, spürte er immer eine gewisse Befangenheit in ihrer Gegenwart. Und Zärtlichkeit für mich – ihr Götter! Ich hofft’ es, ich verdient’ es nicht!

»Nein – oder ja, doch«, stammelte er, »einen doppelten Ristretto, vielleicht. Müsste aber schnell gehen, für neun hat Frau Doktor Muffinger eine Tour bestellt.«

»Die Muffinger, aha.« Laura runzelte die Stirn. »Hast du es schon gehört? Die Sache mit ihrem Hausmeister?«

Kaminski zuckte die Achseln.

»Tot«, sagte Laura schlicht. »Einfach umgefallen.«

Der Hausmeister der Villa Gründgens, dieser Baum von einem Mann? Kaminski stutzte. Das war doch keiner, der einfach umkippte und den Löffel abgab.

Währenddessen war Laura schon ins Lokal gegangen.

»Doppelter Ristretto für Kaminski, schnell, er hat es eilig!«

Offenbar hatte sie es einer Angestellten zugerufen. Sehen konnte Kaminski die Kellnerin nicht, aber hören konnte er sie, laut und deutlich.

»Der Typ sieht doch ganz gut aus, wieso hat der eigentlich keine Frau?«

Er verzog den Mund. Für sonderlich gut aussehend hielt er sich nicht. Wenn er sich morgens rasierte, sah er einen kräftigen, muskulösen Mann mittlerer Größe, einen, der zupacken konnte. Sein Beruf brachte es mit sich, dass sein kantiges Gesicht gebräunt und vom Wetter gegerbt war. Die abstehenden Ohren und das kurz geschorene Haar machten ihn allerdings nicht gerade zu einem George Clooney.

Und was den zweiten Teil betraf – er und die Frauen,...

Erscheint lt. Verlag 17.8.2015
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte eBooks • Heimatkrimi • Krimi • Kriminalromane • Krimis • spiegel bestseller • SPIEGEL-Bestseller • spiegel bestseller 2015 • spiegel-bestseller 2015 • Weimar Tatort
ISBN-10 3-641-16346-3 / 3641163463
ISBN-13 978-3-641-16346-4 / 9783641163464
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