Denn Liebe ist stärker als Hass (eBook)

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2015 | 1. Auflage
400 Seiten
Riverfield Verlag
978-3-9524463-5-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Denn Liebe ist stärker als Hass -  Shlomo Graber,  Adrian Suter
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Während des Zweiten Weltkrieges wurden Shlomos Familie und er selbst zweimal deportiert. In Auschwitz ermordeten die Nazis fast seine ganze Familie. Doch wie durch ein Wunder und mit einem unglaublichen Lebenswillen, überlebte er nicht nur die unfassbaren Qualen von drei Konzentrationslagern, sondern auch den berüchtigten Görlitzer Todesmarsch. Bei seiner Befreiung, am 8. Mai 1945, war Shlomo 18 Jahre alt und begann ein neues Leben: Er wanderte nach Israel aus, wo er eine Familie gründete. Vor über 25 Jahren lernte er seine jetzige Frau kennen. Seither lebt und arbeitet er in Basel. Shlomo Graber blickt weder im Zorn noch mit Verbitterung auf sein Leben zurück. Gewalt und Fanatismus lehnt der Holocaust-Überlebende kategorisch ab und verurteilt sie entschieden. Trotz seines hohen Alters hält er regelmäßig Vorträge an Schulen und in Gemeinden, um der Jugend Werte wie Toleranz, Respekt und Liebe zu vermitteln. Seine Motivation, seine Lebensfreude und sein einzigartiger Humor - sie überzeugen und beeindrucken.

Shlomo Graber wurde 1926 in Majdan, in den Karpaten der Tschechoslowakei geboren. 1931 siedelte er nach Ungarn, in das Städtchen Nyírbátor um, wo er aufwuchs. Während des zweiten Weltkrieges wurde er zweimal deportiert und überlebte drei Konzentrationslager. Am 8. Mai 1945 wurde er befreit und siedelte 1948 nach Israel über, wo er 40 Jahre lang lebte. Seit 1989 wohnt Shlomo Graber mit seiner zweiten Frau Myrtha in Basel, wo er als Kunstmaler und Referent tätig ist.

Shlomo Graber wurde 1926 in Majdan, in den Karpaten der Tschechoslowakei geboren. 1931 siedelte er nach Ungarn, in das Städtchen Nyírbátor um, wo er aufwuchs. Während des zweiten Weltkrieges wurde er zweimal deportiert und überlebte drei Konzentrationslager. Am 8. Mai 1945 wurde er befreit und siedelte 1948 nach Israel über, wo er 40 Jahre lang lebte. Seit 1989 wohnt Shlomo Graber mit seiner zweiten Frau Myrtha in Basel, wo er als Kunstmaler und Referent tätig ist.

Wie ich meinen Vater kennenlernte 


Im Jahr 1931 wurde die Wirtschaftskrise in Deutschland immer schlimmer. Die Arbeitslosigkeit betraf im Januar schon knapp 4,5 Millionen Menschen. Die Mitgliederzahl der NSDAP lag bereits bei über 390000. Bei den Landtagswahlen in Oldenburg im Mai wurde die NSDAP erstmalig die stärkste Fraktion in einem Landtag. Ende des Jahres lag die Arbeitslosenzahl schon über 5 Millionen Menschen.


*


Ich war fünf Jahre alt und hatte von all dem, was in Deutschland geschah, nicht die leiseste Ahnung. Was ich jedoch wusste, war, dass Malka, Mutters hübsche jüngere Schwester, kurz vor der Hochzeit mit ihrem Auserkorenen stand. Dieser stammte aus dem Städtchen Volová bei Majdan.

Die Hochzeit fand in der kalten, verschneiten Jahreszeit am Wohnort des Bräutigams statt. Ich erinnere mich noch an jene Hochzeit, vor allem an die Kälte, die damals herrschte.

Man suchte einen Festsaal, der eine Trennung der beiden Geschlechter zuließ, aber doch alle Hochzeitsgäste aufnehmen konnte, und löste das Problem dadurch, dass man für die Frauen ein Zelt neben dem Gemeindehaus aufstellte.

Aus Majdan reiste fast die ganze Gemeinde zur Hochzeit an. Es war ganz natürlich, dass alle mitfeiern wollten, wenn Herrn Itzes Tochter heiratete. Auch aus Volová waren viele Leute gekommen. Die Feiern dauerten sieben Tage, entsprechend den sieben Segenssprüchen. Meine Mutter half viel bei der Bewirtung, und ich hielt ihr einen Platz im Zelt frei. Wegen des Mangels an Stühlen war jeder einzelne sehr begehrt. Ich klammerte mich an Mutters Stuhl wie ein Ertrinkender an einen Rettungsring und ließ ihn selbst dann nicht los, als man ihn mir mit Gewalt entringen wollte, sondern kämpfte wie ein Löwe darum.


Aber aus einem ganz anderen Grund wurde diese Hochzeit für mich ein Wendepunkt im Leben. Bis zu jenem Fest hatte ich nichts von der Existenz meines Vaters gewusst. Und nun war er mit Mutters beiden Brüdern gekommen! Er hatte wohl Mutters Brüder davon überzeugt, ihm bei seinem Vorhaben zu helfen, sich mit meiner Mutter zu versöhnen.

Was ich jedoch erst sehr viel später erfuhr, war die Tatsache, dass es just diese zwei Brüder, also meine Onkel, gewesen waren, die meinen Vater zu dieser Hochzeit eingeladen hatten – ja, noch viel mehr: Sie waren es gewesen, die meinem Vater überhaupt erst mitgeteilt hatten, er habe einen Sohn! Denn wie ich auch erst später von einem der beiden Onkel erfuhr, hatten meine Eltern sich bald nach ihrer Hochzeit getrennt. Den Grund dafür nannte er mir damals allerdings nicht. Wohl weil ich noch ein Kind war und zu jung in seinen Augen, um die ganze Wahrheit zu erfahren. Erst sehr viel später und nach unsäglichem Drängen meinerseits erzählte mir Vater, was sich damals zwischen ihm und meiner Mutter zugetragen hatte: dass meine Mutter es gewesen sei, die ihn verlassen habe. Und dass er, mein Vater, keine Ahnung hatte, dass Mutter mit mir schwanger gewesen war. Und dass er auch später, als ich geboren war, nichts von meiner Existenz erfahren hatte, denn die Familie habe es ihm jahrelang verheimlicht.

Was er mir allerdings damals nicht beichtete und ich erst noch später aus ganz anderer Quelle erfuhr, war, dass er, mein Vater also, Mutter kurz nach der Hochzeit mit einer anderen Frau betrogen hatte! Und es sollte nicht das einzige Mal bleiben.

Dies war also der Grund dafür gewesen, dass Mutter sich von meinem Vater trennte und in ihr Vaterhaus zurückkehrte, und nur deshalb wurde ich in Majdan geboren und wuchs die ersten fünf Jahre meines Lebens bei meinem Großvater auf. Wenn ich auf diesen Umstand, der mir damals als eine Tragödie erschien, zurückblicke, dann will ich heute dem Schicksal danken, dass es sich so zugetragen hat. Denn hätte Mutter damals Vater nicht verlassen – ich hätte meine Kindheit wohl kaum mit Großvater verbringen dürfen und … wer weiß; vielleicht wäre ich ein ganz anderer Mensch geworden.

Zurück zu besagter Hochzeit von Mutters jüngerer Schwester: Es gelang Vater, meine Mutter umzustimmen. Wie er das geschafft hat, weiß ich bis zum heutigen Tag nicht so genau, aber sie versöhnten sich. Und so kam es, dass wir nach dieser Hochzeit alle zusammen nach Ungarn in das Städtchen Nyírbátor, wo Vaters Familie wohnte, zogen.


*


Die nächsten zehn Jahre meines Lebens sollten fast normal verlaufen. So, wie man sich eine Kindheit eben vorstellt – beinahe zumindest.

Das Städtchen Nyírbátor liegt im Nordosten Ungarns, rund 30 Kilometer von der rumänischen Grenze entfernt. Die erste jüdische Gemeinde wurde 1816 von Schimon Mandel gegründet, der einer Adelsfamilie entstammte. Die Mandels setzten Maßstäbe für den wirtschaftlichen Fortschritt von Stadt und Umgebung, als sie dort das erste Industrieunternehmen gründeten. Das Werk sollte den Ertrag der örtlichen Bauern aufnehmen und zu Brot, Spirituosen, Tabakwaren und weiteren Produkten verarbeiten. Die jüdische Gemeinde wuchs zusehends und gewann erheblichen Einfluss auf die Wirtschaft Nyírbátors.

In der ersten Zeit nach unserer Übersiedlung nach Nyírbátor litt ich stark an Heimweh, konnte mich nur schwer eingewöhnen. Ich konnte kein Ungarisch, und selbst das dortige Jiddisch verstand ich nur mit Mühe, weil es von dem in Majdan gesprochenen abwich.

Zuerst bezogen wir eine Mietwohnung bei einem assimilierten Juden namens Fon, der eine Druckerei betrieb. Die Fons wohnten am Eingang des Hofs. Daran reihten sich die Wohnungen der vier weiteren jüdischen Familien wie Eisenbahnwagen. Wir waren die Letzten in der Reihe. Die Nachbarfamilien hießen Kraus, Ellenbogen und Reich.

Unmittelbar neben uns wohnten die Reichs. Sie hatten eine hübsche, junge Tochter namens Leah. Später erfuhr ich, dass mein Vater und Leah intime Beziehungen unterhielten. Sie fuhr mit ihm nach Budapest, um den Augen und Ohren der Umgebung fern zu sein. In Nyírbátor kamen Gerüchte auf, Leah habe meinem Vater einen Sohn geboren, und in der Schule ärgerten mich die Kinder und spotteten: »Du hast einen Bastard zum Bruder!« Die Geschichte machte im gesamten Städtchen die Runde. Meine Mutter litt sehr darunter. Sie schloss sich im Haus ein und weinte dauernd. Aus dem Schlafzimmer drangen lautes Schreien und Schluchzen, wenn meine Mutter von meinem Vater Erklärung forderte.


Schließlich zogen wir in eine andere Straße, um nicht mehr neben den Reichs zu leben.

Wir zogen bei einem Bauern namens Hathäzi ein. Zunächst in eine kleine Wohnung im Hof, neben dem Schafspferch und dem Kuhstall und mit einem Abort draußen. Die Wohnung hatte zwei Zimmer, und wir waren mittlerweile fünf Personen. Mein jüngerer Bruder und ich schliefen in einem Bett in der Küche, ins Elternschlafzimmer wurde das Bett fürs Baby gestellt. Die Küche war nicht gefliest. Vor dem Schabbat glätteten wir den Boden mit Lehm. Wir hatten keinen elektrischen Strom. Als Beleuchtung diente eine Petroleumlampe, die von der Decke hing. Der Küchenherd wurde mit Holz beheizt und diente zum Kochen und als Wärmofen. Das Feuerholz lagerte in einem Schuppen im Hof, der uns auch als »Laubhütte« für das Laubhüttenfest, eine Art jüdisches Erntedankfest, diente.

Meine Mutter wurde jetzt, da wir in Nyírbátor lebten und ich Großvater fast nie mehr sah, der wichtigste Mensch in meinem noch jungen Leben.


*


Mit vollem Namen hieß meine Mutter Anna Silber und wurde am 15. Dezember 1898 in Majdan in Ruthenien, auch Karpatenukraine genannt, geboren. Sie war eine große, schlanke Frau mit blauen Augen. Während des Ersten Weltkriegs lebte sie in Majdan. Mit 17 Jahren verlor sie, wie schon berichtet, ihre Mutter durch das erwähnte Zugunglück. Daher fiel die Last der Haushaltsführung auf ihre Schultern.


Als sie nach Nyírbátor übersiedelte, hatte sie wegen der unterschiedlichen Mentalität zunächst Eingewöhnungsschwierigkeiten. Ihr Jiddisch unterschied sich – wie auch bei mir – von dem, das in Ungarn gesprochen wurde. Nur wenige verstanden ihren galizischen Tonfall.

Aber sie akklimatisierte sich schnell. Mutter war eine gebildete Frau und sprach Russisch, Ukrainisch, Jiddisch, Deutsch, Tschechisch, Bulgarisch und Ungarisch. Gelegentlich bat man sie, beim Übersetzen zu helfen. In Nyírbátor wohnten ein paar bulgarische Gärtner, die Grüngärten angelegt hatten und darin andere als die ortsüblichen Gemüsesorten zogen. Donnerstags verkauften diese ihre Produkte auf dem Markt. Da sie kein Ungarisch verstanden, freuten sie sich sehr, wenn Mutter auftauchte und ihnen beim Dolmetschen half. Als Gegenleistung füllten sie ihr ihren Gemüsekorb gratis.

Genau wie ihr Vater, mein geliebter Großvater, war Mutter künstlerisch sehr begabt. Einige ihrer Handarbeiten schmückten unser Haus. Im Schlafzimmer z. B. hing ein gerahmtes Bild: Auf schwarz gelacktes Glas hatte sie zwei Tauben auf einem Zweig gemalt und die Umrisse mit glänzenden Schokoladenpapierchen in passenden Farben ausgefüllt. In Blumentöpfen prangten Kunstblumen von ihrer Hand. Stickbilder an den Wänden trugen jeweils einen Spruch in tschechischer Sprache. Ich habe noch einige dieser Sprichwörter in Erinnerung: »Roka ruku myje« (»Eine Hand wäscht die andere«), »Komu se neleni, tomu se zelení« (»Faulheit macht dein Feld nicht grün«). Für das Laubhüttenfest bastelte sie bunte Papiersterne als Wandschmuck für die Laubhütte, und an deren Decke hängte sie Vögel aus Eierschalen mit Flügeln und Schwänzen aus farbenfrohen Buntpapierstreifen.

Obwohl Mutter eine religiöse Frau war, setzte sie der religiösen Bevormundung gewisse Grenzen und ließ sich von...

Erscheint lt. Verlag 20.4.2015
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Biografie, Holocaust, Lebenswille, Liebe, Konzentrationslager
ISBN-10 3-9524463-5-1 / 3952446351
ISBN-13 978-3-9524463-5-5 / 9783952446355
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