Hommage an mein Bauchgefühl (eBook)

Oder: Die Würde des Menschen ist doch antastbar
eBook Download: EPUB
2014 | 1. Auflage
414 Seiten
Lehmanns Media GmbH (Verlag)
978-3-86541-759-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Hommage an mein Bauchgefühl -  Martha Maschke
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Samuel Shems 'House of God' scheint zu existieren. Samt Patienten - eine davon meldet sich hier zu Wort: Heute ist der 14.641. Tag in meinem Leben. Und der 17. Krankenhausaufenthalt in vier Jahren. Gerade habe ich erfahren, dass Leichenhaut auf meinem Fuß transplantiert werden soll. Man steht morgens auf, guckt auf seinen Fuß und sieht die Haut eines anderen Menschen: Leichenhaut! War es ein Mann? Wachsen mir jetzt Haare auf dem Fuß? Habe schon ein richtig schlechtes Gewissen der Leiche gegenüber. Ich mache mich auf die Suche nach Mitgefühl bei Ärzten, beim Pflegepersonal und bei Mitpatienten.

026 – Retro|Perspektive – Zwei Tage später, der 01. April 2009 und der 13920. Tag in meinem Leben


Ich wache morgens auf.

Bewege mich ganz vorsichtig. Ich hatte eine Horrornacht. Durch die Bettdecke konnte ich beobachten, wie meine Beinnerven so dermaßen unter Stress standen, dass sie selbst und auch meine Beinmuskeln ständig kontrahierten.

Unglaublich. Ich wusste nicht, ob ich staunen oder einfach nur heulen sollte. Verdammt! Das waren Schmerzen.

Und ich dachte in den letzten Tagen schon … mehr geht einfach nicht. Doch ging. Ich konnte es sehen und fühlen … Umso erstaunter bin ich, dass ich jetzt plötzlich auf meinen beiden Beinen im Badezimmer stehe. Einfach so. Und auch ganz ohne Schmerzen.

Mein Bein fühlt sich zwar schlapp an und schlurft hinter mir her. Muss es immer etwas nachziehen.

NNNNAAA UUUNNNNDDD?

Spontan Heilung nach dem absoluten Schmerzhöhepunkt?

Super!

Ich werde dann allerdings etwas misstrauisch, weil mir das Buch von Oliver Sacks plötzlich wieder einfällt:

„Der Tag, an dem mein Bein fort ging“. Es handelt sich um ein biografisches Buch, in dem der Herr Sacks von der langen, nicht endenwollenden Krankheitsgeschichte seines Beines erzählt.

Ich behaupte jetzt mal, dass es das rechte Bein war. Er hatte immer Schmerzen, konnte es nicht richtig bewegen, nicht auftreten. Eines Morgens fiel er so ungünstig aus dem Bett, dass er sich das linke Bein brach. Er versuchte aufzustehen, um sich Hilfe zu holen. Als er dann begriff, dass er sich auf dem vorher nicht belastbaren rechten Fuß ganz normal zum Telefon geschleppt hatte … war es schon passiert. Und er konnte sich zunächst kaum erklären, was passiert war. Der rechte Fuß war von diesem Zeitpunkt an wieder gesund und belastbar. Das beschreibt er dann ein ganzes Buch lang. Aus neurologischer und psychiatrischer Sicht. Die genaue Erklärung weiß ich jetzt gar nicht mehr. Ist ja egal, ich kann mich nur noch an den Anfang der Geschichte erinnern und genau das macht mich so skeptisch, dass ich im Badezimmer erst mal die Funktionen meiner übrig gebliebenen Gliedmaßen kontrolliere.

Geht ganz gut.

Das freut mich sehr.

Juhu! Es ist also nicht nur Mittwoch und damit Lasse-Martha-Tag, sondern zusätzlich noch ein „Glücksschmerzfreier Tag“!

Voller Übermut gehe ich in den Garten und pflanze ein paar Blumenzwiebeln ein.

Im Nachhinein muss ich sagen, dass meine Körperhaltung mir vielleicht selber mal ein bisschen zu denken hätte geben müssen.

Na, ja. War halt einfach nur froh.

Während ich da so buddelte, kam meine liebe Nachbarin Anke, von Beruf Physiotherapeutin, und fragte mich etwas erstaunt, ob ich schon operiert worden sei. Ob sie irgendwas verpasst hätte? Ich verneinte und erklärte ihr noch, dass ich den OP-Termin für morgen hätte, aber schon überlegt habe, ihn wieder abzusagen.

Bin wieder heile!

Der Kommentar von Anke war eigentlich ziemlich klar und ich hätte da auch mal über meine „Spontanheilung“ selber nachgrübeln können:

„AHA!“, sagte sie zunächst und offensichtlich erstaunt.

„Tu mir doch einen Gefallen und gehe persönlich ins Krankenhaus, um den OP-Termin abzusagen. Dann können die Kollegen auch gleich mal Anteil an deiner Spontanheilung haben.“ Und sie lachte. Etwas verschmitzt.

Ich fand die Idee gut. Schließlich waren die Damen und Herren im „Bombast von Hohenheim-Hospital“ ja sehr um einen schnellen Operationstermin bemüht gewesen ...

Am nächsten Tag fuhr ich Lasse zur Schule und dann gleich weiter zum Krankenhaus ... und irgendwie, warum weiß ich nicht mehr, landete ich direkt in der Anästhesie. In der befand sich auch zeitgleich der Arzt, der mich aufnehmen wollte. Ich erklärte die Situation und entschuldigte mich für den ganzen Aufstand. Er lachte und sagte auch: „Aha!“

Freuten sich jetzt alle mit mir oder was war um mich herum los?

„Bevor Sie gehen, kommen Sie doch mal bitte mit!“

Also!? Das war anscheinend normal hier, im „Bombast von Hohenheim-Hospital“ ... Von Prof. Jericho war ich auch schon zweimal zum Spazierengehen durch die Klinik eingeladen worden.

Allerdings mit dem Hintergedanken, meine Atmung beim Treppensteigen zu testen, und zu sehen, ob ich mit dem mir zur Verfügung stehenden Lungenvolumen die Qualifizierung zur Olympiade 2012 noch hinbekommen könnte …

Was für eine sportliche Geschichte das jetzt hier werden sollte, war mir zunächst nicht bewusst, bis Dr. R. sich vor einen Schrank stellte und mich raten ließ, was da wohl drin sein könnte??? „Kleiner Tipp“, sagte er und zeigte auf das Schild, auf dem dick „ Operationsbereich“ stand, und lachte dabei … „Ist schon ein lustiges Völkchen hier im Hospital“, dachte ich noch, da hatte der Arzt schon den geheimnisvollen Schrank geöffnet und überreichte mir feierlich ein OP-Hemd, Antithrombosestrümpfe und die passende grüne Mütze.

Haben Sie heute schon gefrühstückt?

Das ist ja eine nette Frage.

Sollte ich jetzt auch noch zum Frühstück eingeladen werden? Jetzt wurde ich aber doch etwas misstrauisch. Das war mir alles ein bisschen zu viel der Blödelei.

Der Arzt kannte mich eigentlich gar nicht und das Wartezimmer vorhin war auch nicht gerade leer gewesen.

Also Langeweile konnte er auch nicht haben, oder?

Nein.

Hatte er tatsächlich nicht ...

„Wir müssen Sie gleich notoperieren. Die Schmerzen haben nachgelassen, weil die Nerven eingeklemmt sind. Es geht jetzt um Stunden, damit der ‚Schaden‘ nicht zu groß ist.“

 

Und plötzlich verstand ich die vielen AHA´s!

027 – Retro|Perspektive – der 02.April 2009 Bombast von Hohenheim-Hospital


Wegen meiner zahlreichen Medikamenten-Unverträglichkeiten, besonders von Schmerzmitteln, lande ich nach einem traumlosen Schlaf zur Beobachtung auf der Intensivstation. Werde aber kurze Zeit später auf die neurochirurgische Station verlegt.

Dort lerne ich Karin kennen.

Eine sehr liebe und, wie sich schnell herausstellen wird, eine absolut verlässliche, immer freundlich bleibende, geduldige und tröstende Bettnachbarin.

Ich habe Schmerzen, aber nicht vergleichbar mit denen der letzten Wochen.

Irgendwie anders.

Noch mache ich mir keine Sorgen.

Erst am nächsten Tag werde ich das erste Mal etwas argwöhnisch. Aber wie so oft versuche ich, das Ganze humoristisch zu sehen ...

„Ist die Karin doch süchtig nach Zigaretten und sind Raucher nicht immer schneller wieder fit als Nichtraucher?“

Ich gebe mir einen Tag länger zur Genesung. Schließlich bekomme ich ja auch keine Schmerzmittel.

Zunächst nicht.

Vielleicht bin ich dadurch einfach etwas wehleidiger!?

In der Nacht werden die Schmerzen intensiver.

Irgendwann kommt der diensthabende Klinikarzt und weiß eigentlich auch nicht, was er machen soll.

Wir einigen uns auf ein weiteres „der Dinge harren, die da kommen“ (beziehungsweise: die da bitte gehen!).

Die dann entstehende Situation habe ich nicht erwartet.

Niemals.

Ich kann mich irgendwann kaum noch bewegen.

Der Arzt kommt erneut und verabreicht mir Morphium i.v.

Die einzige, angeblich auch für Allergiker gut verträgliche Medikation, die er mir anbieten kann.

Ohje.

 

„Keine Macht den Drogen!“, ulken wir noch rum.

 

Karin hat mich am Nachmittag etwas gefoppt, weil ich als Nichtraucher doch statistisch gesehen die Gesündere sein müsste, aber leider immer noch wie „der sterbende Schwan“ im Bett lag.

Inzwischen ist aus dem Schwan aber ein auf dem Rücken liegender, nicht mehr zu bewegender Käfer (– huhu, Herr Kafka!) geworden.

Leider bleibt es nicht bei dieser lethargischen Haltung.

Das Morphium zeigt seine Wirkung. Allerdings nicht auf die schmerzstillende Art und Weise, sondern in Form von Übelkeit.

Ich kann mich nicht daran erinnern, jemals in meinem Leben so gekotzt zu haben, wie in dieser Nacht.

Die metallenen Nierenschalen reichten von Anfang an nicht aus.

Ich habe keine Ahnung wieso. Ich habe an diesem Tag so gut wie nichts gegessen, brauche aber für den immer wiederkehrenden, nicht aufhörenden, nach außen drängenden Mageninhalt dann irgendwann: Waschschüsseln!

Echt wahr.

Das kann auch nicht der Inhalt meines Magens allein sein. Ich glaube, das war mein gesamtes Körpervolumen.

Die arme Karin.

Das zieht sich über viele Stunden hin.

Und ich befürchte, in dieser Nacht bin ich für ihren nicht mehr zu stoppenden Zigarettenkonsum vor dem Hospital verantwortlich.

Ich glaube, ich habe ihr nie die Zigaretten zurückgegeben beziehungsweise bezahlt.

Vielleicht sollte ich das mal machen???

Vielleicht habe ich ihr so aber auch zu ein paar „Mitternachts-schnell-wieder-mobil-Physiotherapie-Einheiten“ verholfen!?

Ich bin auf jeden Fall immer sehr erleichtert, wenn sie von ihren Gespensterexkursionen wiederkehrt.

Die Situation wird immer prekärer.

Nicht nur, weil ich immer erschöpfter bin und sich trotz des Morphiums meine Schmerzlage nicht verändert, sondern weil sich die Stimmung der diensthabenden Krankenschwester mit jeder K-Attacke verschlechtert.

Irgendwann platzt sie.

Ist richtig sauer und mault mich an, dass es noch andere Patienten auf der Station geben würde, und sie nicht bereit sei, die ganze...

Erscheint lt. Verlag 1.12.2014
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Krankenhaus • Lebensgeschichte • Patient • Patient, Krankenhaus, Lebensgeschichte
ISBN-10 3-86541-759-0 / 3865417590
ISBN-13 978-3-86541-759-6 / 9783865417596
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