Tausendundein Tag (eBook)

Roman nach einer wahren Geschichte

(Autor)

eBook Download: EPUB
2014
416 Seiten
Diana (Verlag)
978-3-641-14520-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Tausendundein Tag - Hera Lind
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Eine junge Frau, ein fremdes Land, eine unheilvolle Liebe: Hera Lind schreibt Romane, die fesseln!
Nach einem hervorragenden Abitur könnte Katharina von Schenck studieren, stattdessen heiratet sie ihre große Liebe Falk. Der viel ältere Pilot nimmt sie mit auf Reisen und legt ihr den Himmel zu Füßen, bis er mutwillig alles zerstört. Umso mehr stürzt sich Katharina später in ihre Liebe zu Bernd und folgt ihm bedingungslos in den Iran, wo er als Bauingenieur arbeitet. Aber Chomeinis Glaubenswächtern ist sie ein Dorn im Auge: Als die couragierte Katharina sich für eine Dreizehnjährige einsetzt, die zwangsverheiratet werden soll, hat das für sie folgenschwere Konsequenzen ...

Hera Lind studierte Germanistik, Musik und Theologie und war Sängerin, bevor sie mit zahlreichen Romanen sensationellen Erfolg hatte. Seit einigen Jahren schreibt sie ausschließlich Tatsachenromane, ein Genre, das zu ihrem Markenzeichen geworden ist. Mit diesen Romanen erobert sie immer wieder die SPIEGEL-Bestsellerliste. Hera Lind lebt mit ihrem Mann in Salzburg, wo sie auch gemeinsam Schreibseminare geben.

 

Mai 1974

Nebenan checkte die Crew ein. Lauter gut aussehende junge Leute in schicken Uniformen schlängelten sich lächelnd an uns Passagieren vorbei. Ich fing den Blick des Piloten auf, der mich amüsiert musterte. Ja, ich gebe es zu: Ich war schrecklich aufgeregt und schrecklich glücklich. Voller Reisefieber lief ich in meinen lässigen neuen Turnschuhen und meinen angesagten Schlaghosen vor dem Schalter auf und ab, während mein Vater sich noch um ein Upgrade in die erste Klasse bemühte. Von nun an würde sich mein ganzes Leben ändern. Besser gesagt: Es würde überhaupt erst richtig anfangen!

»Unsere Tochter hat ihr Abitur mit Auszeichnung bestanden, obwohl sie eine ganze Klasse übersprungen hat!«, musste meine Mutter laut herausposaunen. »Und da schenken wir ihr einen unvergesslichen Kalifor­nien-Aufenthalt!«

Ich spürte, wie ich bis zu den Haarspitzen errötete. Verlegen nestelte ich an den Zipfeln meiner vor dem Bauch gebundenen Bluse. Das hatte dieser schicke Pilot doch mit Sicherheit gehört! Und wie ich meine Mutter kannte, wollte sie sogar, dass er das hörte! Sie brachte es noch fertig, ihn aufzufordern, dass er mich zu sich ins Cockpit einlud! Ich sah, wie der schöne Pilot die Brauen hochzog. Er sah mir direkt in die Augen, und ich wollte den Blick nicht senken, also grinste ich schief zurück. Ach, dass Mütter so peinlich sein können! Was musste dieser Halbgott in Uniform denn von mir denken? Ich schob energisch das Kinn vor und beachtete ihn einfach nicht weiter.

Mit gönnerhafter Geste schob uns die Bodenstewardess die neuen Bordkarten herüber: »Na dann viel Spaß in Kalifornien, junge Dame! Wo geht es denn hin?«

»Santa Barbara«, platzte meine Mutter vor Mitteilungsdrang. »Da wohnt nämlich Thaddäus, unser Sohn! Er ist Banker, mit einer entzückenden Amerikanerin verheiratet und hat zwei hinreißende Kinder!«

»Mama!« Nun reichte es aber! Als wenn das hier eine Sau interessierte! Der Name Thaddäus war schon peinlich genug. Im Vergleich dazu konnte ich dankbar sein, dass ich Katharina hieß!

Um die Mundwinkel des schönen Piloten zuckte es, als er in seinem blütenweißen Hemd unterm tadellos sitzenden Jackett mit den vier goldenen Streifen auf der Schulter an mir vorbeiging, um seiner Berufung nachzugehen: nämlich uns, die Familie von Schenck, ins Land der unbegrenzten Möglichkeiten zu fliegen!

Und genau die wollte ich ausnutzen. Ich war siebzehn, und die Welt stand mir offen! Oh, ich freute mich so ­unbändig! Mindestens ein Jahr wollte ich bleiben. Nicht, dass ich was gegen meine Eltern hatte. Beileibe nicht. Aber ein Jahr Auszeit von ihnen – speziell von meiner Mutter – würde mir guttun. Ich meine, welche Siebzehnjährige braucht nicht ein Jahr Auszeit von ihrer Mutter? Ich würde richtig toll Englisch lernen. Und mich um Joey und Charly kümmern, meine süßen kleinen Neffen.

Meine Eltern würden mich fürs Erste begleiten und natürlich auch ein paar Tage bei Ted, Pam und den Kleinen bleiben, bevor sie zu Tante Agnes und Onkel Bruno nach Argentinien weiterreisten. Tante Agnes war Papas ältere Schwester und hatte dort direkt nach dem Krieg mit Onkel Bruno lukrative Geschäfte gemacht. Die beiden besaßen riesige Plantagen und hatten Mama und Papa so lange in den Ohren gelegen, bis diese beschlossen hatten, ebenfalls dorthin auszuwandern. Sie hatten nur noch mein Abitur abgewartet, und das war jetzt bestanden.

Mit Auszeichnung.

Ich atmete tief ein und aus. Das war einer der Höhepunkte meines Lebens! Ich durfte frei bestimmen, ob und wann ich nachkommen würde. Aber im Moment lockte mich Argentinien nicht besonders. Was sollte ich mit ­Mama und Papa bei Onkel Bruno und Tante Agnes auf der Kaffeeplantage herumhocken! Kalifornien war das Ziel meiner Träume! Die Rolling Stones, Creedence Clear­water Revival – ich würde abtanzen bis zum Gehtnichtmehr! Und tagsüber wellenreiten, Cabrio fahren, windsurfen und Tennis spielen! Zum Glück hatte Papa immer viel Wert darauf gelegt, dass ich Sport trieb, und das Ergebnis war eine blendende Figur. Sollte der Pilot doch ruhig grinsen! Ich fuhr mir durch die langen blonden Haare und warf sie über die Schulter. Ich würde Hamburger essen, bis ich platzte und diese wundervollen, in Sirup schwimmenden Pancakes, die Pam zubereiten konnte wie keine andere. Konnte ich mir doch alles leisten. Und bauchfrei würde ich natürlich auch gehen wie alle kalifornischen Strandschönheiten. Und einen gepunkteten Bikini würde ich mir kaufen. Oder vielleicht sogar einen von diesen gehäkelten, die hauptsächlich aus Luftmaschen bestanden und gerade schwer in Mode ­waren.

»Los, Schätzchen, jetzt sind wir dran!«

Meine Mutter scheuchte mich herrisch durch die Sicherheitskontrolle, bewaffnet mit diversen Hutschachteln und anderem Handgepäck.

»Die erste Klasse darf jetzt einsteigen!«

»Ja, Mama, wir haben’s alle gehört …«

Verschämt senkte ich den Blick. Musste denn die ganze Welt mitkriegen, dass wir jetzt auswanderten und dass heute ein besonderer Tag für uns war? Fehlte nur noch, dass sie sagte: »Man gönnt sich ja sonst nichts.«

Papa grinste nur. Wie ein Gentleman schlenderte er nur mit seinem Stockschirm über das Rollfeld. Unsere zahlreichen riesigen Koffer lagen schon verschnürt im Bauch der Maschine. Auf den Stufen der Flugzeugtreppe drehte sich Papa noch einmal um: »Auf Wiedersehen, Deutschland! Es war eine schöne Zeit.«

»Aber jetzt fängt ein ganz neuer Lebensabschnitt an!« Mama zupfte an ihrem weißen Hosenanzug und klapperte nervös mit den Augendeckeln, sodass ihr grüner Lidschatten voll zur Geltung kam. »Ach, Karl, ich brauche jetzt sofort einen Gin Tonic!«

Auch ich hielt auf der obersten Stufe der Flugzeugtreppe inne. Instinktiv sog ich noch einmal tief die Luft ein und ließ meinen Blick über den Frankfurter Flughafen schweifen. Alles grau in grau, trist und düster. Danke für das schlechte Wetter!, dachte ich. Das macht mir den Abschied von meiner Kindheit und meiner Heimat leicht. Eigentlich wollte ich ein Dankesgebet murmeln, aber mir fiel nichts ein. Da war ich neun Jahre lang auf einer Klosterschule gewesen, doch ein passendes Gebet hatte ich nicht im Repertoire. Ich schloss die Augen. Na gut: Lieber Gott, mach, dass wir heil ankommen. Und dass Mutter mich nicht weiter blamiert. Amen. Und mach, dass ich bald einen ganz tollen Mann treffe! Noch mal Amen.

Als ich die Augen wieder öffnete, blickte ich in das grinsende Gesicht des Piloten. Oje. Was musste der von mir denken? Aufgekratztes kleines Huhn, das mit seiner noch viel aufgekratzteren, flatternden, schnatternden Hühnermutter und dem stolzen Hahnenvater zum ersten Mal im Leben fliegt. Und dann gleich so weit weg! Schon wieder schoss mir die Röte ins Gesicht. Trotzdem betrat ich betont lässig das Flugzeug, um es mir in der ersten Klasse bequem zu machen, als würde ich das ständig tun. Der tolle Pilot sollte bloß nicht denken, er hätte es mit einem kleinen dummen Schulmädchen zu tun!

Dabei war ich tatsächlich aufgeregt wie noch nie im Leben! Morgen würde ich meinen ersten Sonnenuntergang über dem Pazifik sehen! Ich zwickte mich in den Arm, um mich davon zu überzeugen, dass das nicht alles nur ein Traum war. Mama blätterte bereits in einem Mode­magazin und schlürfte ihren Drink.

»Guck mal hier, Liebes, die Farah Diba!«

Auf dem Hochglanzmagazin prangte die persische Kaiserin mit ihrem berühmten Lidstrich, die man in diesem Frühling in jedem Klatschblatt sah. Sie trug ein weißes tief ausgeschnittenes Kleid mit feinsten Stickereien am Dekolleté und an den weiten Flatterärmeln und blickte majestätisch in die Ferne. Mutter seufzte. »So eine wunderschöne Frau!«

Wir vertieften uns beide in die Illustrierte, die über ­einen Frankreichbesuch des persischen Kaiserpaars berichtete. Auch der Schah sah toll aus in seiner kaiserlichen Uniform. Auf seinen Schultern prangten glitzernde Bordüren, und er trug eine goldene Schärpe.

»So ein faszinierendes Paar«, sagte Mutter beeindruckt.

»Na ja, die einen sagen so, die anderen sagen so«, murmelte Vater, der seine Zeitung aufschlug. »Sie sind nicht überall so beliebt wie bei den deutschen Klatschblattleserinnen.«

»Ach, Karl! Lies du deinen Politikkram!«

»Eben«, sagte Vater. »Eben drum.« Das sagte er oft, wenn er das Gefühl hatte, gegen Mutter nicht anzukommen. Obwohl er zehnmal klüger und gebildeter war.

Dafür war Mutter schön. Also bestimmt mal gewesen.

»Farah Diba bricht ja unter ihrem Diadem fast zusammen«, witzelte ich, um elterlichen Ehekrach schon im Keim zu ersticken.

»Das ist ja bereits seine dritte Frau«, seufzte Mutter. »Die erste hat er schon in den Fünfzigerjahren verstoßen, weil sie nur eine Tochter geboren hat. Und die zweite konnte ihm überhaupt keine Kinder gebären.«

Ich verdrehte die Augen.

»Ach, Edith«, ließ mein Vater sich hinter seiner Frank­furter Allgemeinen vernehmen. »Solange du uns die Weltpolitik erklärst, ist alles gut.«

Mutter ignorierte wie immer seine leise Ironie und tippte mit ihrem lackierten Finger auf die Illustrierte: »Ein MÄNNLICHER Thronfolger ist in solchen Kreisen erwünscht.«

»Aha«, machte Vater und zog genüsslich an seiner dicken Zigarre. Dabei zwinkerte er mir verschwörerisch zu.

»Cyrus Reza Pahlavi! Süß, der Kleine! Hach, diese dunklen Augen … Diese kulleräugigen Kinder, die könnte ich alle knuddeln.«

»Ja, ja, Edith. Bald knuddelst du ja deine Enkelkinder.«

»Ob die mich überhaupt verstehen?« Mutter zupfte an ihrem Ohrring. »Oder...

Erscheint lt. Verlag 10.11.2014
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte eBooks • Frauen im Iran • Frauenschicksal • Iran • Shiraz • Tatsachenroman • Tatsachenroman, Frauen im Iran, Frauenschicksal, unheilvolle Liebe, Vergewaltigung, Shiraz • unheilvolle Liebe • Vergewaltigung
ISBN-10 3-641-14520-1 / 3641145201
ISBN-13 978-3-641-14520-0 / 9783641145200
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