Und dann kam Billy (eBook)
304 Seiten
Verlagsgruppe Droemer Knaur
978-3-426-42603-6 (ISBN)
Louise Booth ist die Mutter des autistischen Jungen Frazer, dessen Geschichte in diesem Memoir thematisiert wird. Da ihr Ehemann als Elektriker auf Balmoral Estate (die Sommerresidenz der englischen Königin) arbeitet, lebt die Familie in einem Cottage auf dem Gelände des königlichen Schlosses.
Louise Booth ist die Mutter des autistischen Jungen Frazer, dessen Geschichte in diesem Memoir thematisiert wird. Da ihr Ehemann als Elektriker auf Balmoral Estate (die Sommerresidenz der englischen Königin) arbeitet, lebt die Familie in einem Cottage auf dem Gelände des königlichen Schlosses.
Kapitel 1
Billy und Bear
Es war ein strahlender früher Sommerabend im Jahr 2011. Wir fuhren am River Dee entlang durch die Highlands, und die Landschaft wirkte wie ein Postkartenbild. In der Ferne war der höchste Gipfel dieser Gegend, der Lochnagar, in goldenes Abendrot getaucht, während um uns die untergehende Sonne auf dem dunklen Wasser des Flusses einen überwältigenden Farbentanz vollführte.
Hier und da sahen wir Angler, knietief im Wasser stehend warfen sie geduldig ihre Leinen aus, auf der Jagd nach Meerforellen und Lachsen, die gerade Saison hatten. Damals war es mir nicht bewusst, aber wenn ich zurückblicke, wird mir klar, dass auch ich mich auf einer Art Angelausflug befand. Wie heißt noch das alte Sprichwort? Man muss eine Fliege opfern, um eine Forelle zu fangen.
Mein Mann Chris saß am Steuer, und unsere beiden Kinder waren auf dem Rücksitz. Unsere Tochter Pippa war erst gut sechs Monate alt und schlief in ihrer Babyschale tief und fest. Es war unser dreijähriger Sohn Fraser, über den wir uns, wie immer, Gedanken machten. Er saß ganz still, sagte kaum etwas, sondern starrte hoch konzentriert auf zwei kleine Fotos, die er mitgenommen hatte. Wir wussten nicht, womit wir an diesem Abend bei ihm rechnen mussten. Aber bei Fraser wussten wir das nie.
Knapp zwei Jahre zuvor hatten die Ärzte bei ihm Autismus diagnostiziert. Das war im August 2009, und Fraser war gerade einmal 18 Monate alt. Wie vielen Jungen mit Autismus fiel es auch ihm schwer, sich mitzuteilen, und er zog sich oft in seine eigene Welt zurück. Andererseits war er zu heftigen Gefühlsausbrüchen fähig, zumeist wegen für uns unbedeutender Kleinigkeiten. Darüber hinaus litt er unter Muskelhypotonie, einer seltenen Muskelschwäche. Seine Bewegungen wirkten deshalb unkoordiniert und schlaff. Selbst einfache Aufgaben, wie etwas mit den Händen zu greifen, fielen ihm schwer. Für ihn war es eine Herausforderung, zu stehen oder gar zu laufen. Tatsächlich war er erst im letzten Jahr mobiler geworden, vor allem dank der stützenden Schienen an Unterschenkeln und Knöcheln.
Seit anderthalb Jahren wurde Fraser von einem kleinen Expertenteam behandelt, einschließlich eines Logopäden und eines Verhaltenstherapeuten. Man hatte uns unmissverständlich mitgeteilt, dass er nie eine normale Schule würde besuchen können. Zum Glück wurde er zweimal wöchentlich in einer privaten Kindertagesstätte betreut – das war vor allem für mich eine große Erleichterung. Die weniger gute Nachricht war, dass seine Gefühlslage und sein Verhalten weiterhin völlig unberechenbar und schwankend blieben. Fraser ist ein reizender, liebevoller Junge, mit einer Persönlichkeit, die jeden dahinschmelzen lässt. Aber ich müsste lügen, wenn ich behaupten würde, dass unser Leben mit ihm ein Zuckerschlecken ist. Wir hatten harte Zeiten hinter uns. Wir wussten nie, womit wir bei ihm rechnen mussten oder was wir tun sollten, vor allem wenn wir so wie an jenem Abend seinen normalen Tagesablauf änderten. Wir konnten nur unseren Instinkten folgen. Und genau deshalb fuhren Chris und ich damals durch Dee Valley in Richtung des Städtchens Aboyne, um uns mit der örtlichen Leiterin des Katzenschutzvereins Cats Protection zu treffen.
Schon seit meiner Kindheit liebe ich Tiere. Als kleines Mädchen spielte ich mit Kaninchen, Hunden, Katzen und Pferden – ganz gleich, Hauptsache ein Tier. Nun blickte ich neidisch auf die Anlagen des beeindruckenden Royal-Deeside-Guts. Ich wusste, dass man dort reiten konnte. Wie gern hatte ich das früher getan, und seit ich Vollzeitmutter war, vermisste ich es schrecklich.
Zu dieser Zeit war das einzige Haustier unserer Familie ein grau getigerter Kater, behäbig und in die Jahre gekommen. Er hörte auf den Namen Toby und lebte schon über zehn Jahre bei uns, viel länger, als Fraser und Pippa auf der Welt waren. Es war der gute alte Toby gewesen, der mich auf die Idee zu dieser Reise ins Unbekannte gebracht hatte.
Toby gehörte sprichwörtlich zum Inventar. Die meiste Zeit des Tages lag er scheinbar leblos irgendwo im Haus herum und konzentrierte sich ansonsten auf die einzigen beiden Interessen in seinem Leben: essen und schlafen.
Bisher hatte sich Fraser in seinem jungen Leben wenig mit seiner Umgebung oder Toby beschäftigt. Dafür war er schier besessen von allem, was Räder hatte oder sich drehte. Er konnte stundenlang vor einer laufenden Waschmaschine sitzen, mit einem alten DVD-Player spielen oder die Räder seines auf den Kopf gestellten Buggys oder eines Spielzeugautos drehen. Aber darüber hinaus schien ihn nichts zu interessieren. Vor kurzem war mir jedoch aufgefallen, dass ihn Toby plötzlich faszinierte. Während der Kater döste, legte er sich neben ihn, streichelte ihn und versuchte, mit ihm zu kommunizieren.
Toby erwiderte dieses Interesse nicht. Eine Zeitlang duldete er das Eindringen in seinen Bereich, wurde jedoch immer misstrauischer gegenüber Fraser, vor allem wenn dieser aufgebracht war. Ein paarmal hatte Fraser wegen minimaler Veränderungen in unserer Alltagsroutine angefangen, so laut zu schreien, dass Toby fluchtartig nach oben verschwunden war. Seither fürchtete er sich vor Fraser und machte einen weiten Bogen um ihn. Manchmal flitzte er davon, wenn er Fraser nur näher kommen sah.
All das überraschte mich nicht. Toby war kein Kater zum Spielen für ein kleines Kind, aber Frasers Verhalten hatte mich auf eine Idee gebracht.
Als Mutter eines autistischen Kindes wusste ich, dass ich nach jeder Chance, die sich mir bot, greifen musste. Und die waren dünn gesät, vor allem wenn man wie wir in einem abgelegenen Haus wohnte. Unser Haus gehörte zu Schloss Balmoral, der Sommerresidenz der englischen Königin, wo Chris arbeitete. Wir hatten keine unmittelbaren Nachbarn, und es dauerte lange, bis ich mit Fraser zu einer Krabbelgruppe gehen konnte, da er mit Umgebungen dieser Art nicht sonderlich gut zurechtkam. Sein Mangel an sozialen Fähigkeiten beunruhigte mich schon immer. Aber als ich Fraser zusammen mit Toby sah, fragte ich mich, ob nicht vielleicht ein anderes Haustier einen positiven Einfluss auf ihn würde ausüben können. Interaktion war Interaktion, auch wenn diese mit einer Katze und nicht mit einem Menschen stattfand.
»Vielleicht würde es ihm gefallen, einen kleinen Freund zu haben. Möglicherweise kommt er dann ein bisschen mehr aus sich heraus«, sagte ich eines Abends beim Essen zu Chris. »Lass uns eine kleine Katze für ihn suchen, mit der er sich anfreunden kann.«
Wir hatten mit Fraser schon so viel durchgemacht, dass Chris, ein logisch denkender und bodenständiger Mensch, sofort den Haken an meiner Idee erkannte.
»Bist du dir sicher?«, fragte er. »Würde sich eine Katze nicht vor Fraser fürchten, so wie Toby?«
»Was haben wir zu verlieren?«, erwiderte ich. »Wenn wir eine Katze aus dem Tierheim oder von einer Hilfsorganisation holen, können wir denen unsere Situation schildern. Und falls es nicht funktioniert, nehmen sie die Katze bestimmt wieder zurück.«
»Kann sein«, antwortete Chris, aber ich sah ihm an, dass er nicht überzeugt war.
Am folgenden Tag schickte ich eine E-Mail an die Organisation Cats Protection. Ich erklärte, dass Fraser mit Autismus und Muskelschwäche lebt, wodurch er in seiner Bewegungsfähigkeit eingeschränkt ist, und dass wir nach einem »besonderen« Haustier suchten, das sein Freund werden könne. So habe ich es wirklich genannt, einen »besonderen« Freund. Meine Erwartungen, dass es ein solches Wesen tatsächlich gab, waren nicht sehr hoch.
Zuerst bekam ich keine Antwort. Ich fragte mich natürlich, ob mein Schreiben nicht sofort als Anfrage einer überdrehten Mutter, die einen »besonderen« Freund für ihren »besonderen« Jungen wollte, gelöscht worden war. Aber wie sich herausstellte, war meine E-Mail zunächst in der falschen Zweigstelle gelandet. Eines Morgens erhielt ich einen Anruf, bei dem mir geraten wurde, mich an die Deeside-Zweigstelle für Katzenschutz zu wenden, die zufälligerweise erst ein halbes Jahr zuvor eröffnet worden war.
Ich schickte also eine E-Mail dorthin und wurde sofort von einer Dame namens Liz angerufen, die gerade einmal zwanzig Minuten Autofahrt von uns entfernt lebte, in der Nähe von Aboyne.
Ich merkte auf Anhieb, dass sie genau verstand, wonach ich suchte.
»Ich habe ein paar Katzen, die in Frage kämen. Aber mein Gefühl sagt mir jetzt schon, welche Sie nehmen werden«, sagte sie. »Ich schicke Ihnen ein Foto und ein paar Details.«
Kurz darauf erhielt ich eine E-Mail mit einem Foto von zwei identisch aussehenden Katzen. Beide waren grau, hatten einen Einschlag von Orientalisch Kurzhaar und weiße Zeichnungen im Gesicht und an den Bäuchen. Die beiden wirkten ziemlich jung und waren sehr dünn, beinahe dürr, was auch Sinn ergab, als ich die Zeilen las, die Liz beigefügt hatte.
Sie schrieb, dass die Katzen in einer Sozialwohnung in einer nahe gelegenen Stadt gefunden worden waren. Die Bewohner waren bei Nacht und Nebel verschwunden. Die Verwaltung hatte angeordnet, die Wohnung zusperren zu lassen, aber einer der Nachbarn sagte dem Hausmeister, dass dort Katzen lebten. Ein Glück für die Tiere – denn als der Hausmeister die Tür aufbrach, fand er vier abgemagerte Katzen, die sich von Müll ernährten.
Cats Protection wurde angerufen und holte alle vier Katzen ab. Eine von ihnen, ein schwarzer Kater, fand schnell ein neues Zuhause, aber ein weiterer Kater und die Geschwister auf dem Foto, Bear und Billy, waren schwer zu vermitteln.
Auf den ersten Blick konnte ich nicht erkennen, warum Liz so fest davon überzeugt war, dass eine dieser Katzen die richtige für...
Erscheint lt. Verlag | 26.9.2014 |
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Übersetzer | Silvia Kinkel |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Schlagworte | Autismus • Autismus Buch • Autismus Kinder • Autismus, Kinder, Schicksal, Katze, Freundschaft • Autismus Roman • autistischer Junge • besondere Freundschaft • Bob der Streuner • Erfahrungen und Schicksale • Erfahrungen und wahre Geschichten • Freundschaft mit Katze • Haustier • Heilung durch Katze • Kater • Kater Billy • Katze • Krankheitsgeschichte • Lebensgeschichten Schicksal Bücher • Memoir • Roman Autismus • Schicksale Bücher • Schicksale und Erfahrungen • wahre Begebenheit Buch • Wahre GEschichte • wahre geschichten bücher • wahre Geschichten Tiere • wahre Katzengeschichten • wahre Tiergeschichten |
ISBN-10 | 3-426-42603-X / 342642603X |
ISBN-13 | 978-3-426-42603-6 / 9783426426036 |
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