Draußen vor der Tür (eBook)

Ein Stück, das kein Theater spielen und kein Publikum sehen will
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2014 | 1. Auflage
51 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-53231-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Draußen vor der Tür -  Wolfgang Borchert
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Rowohlt E-Book Theater Die Geschichte des jungen Kriegsheimkehrers Beckmann, der im zerbombten Deutschland keine Heimat mehr findet und an sich und der Welt verzweifelt, ist einer der Klassiker des Theaters nach 1945. Eindringlich und authentisch rechnet das Stück mit den Nachwirkungen von Krieg und Faschismus ab und untersucht eine Gesellschaft, in der der Schrecken nie zu Ende geht. Borchert, 1921 geboren, starb schwer krank einen Tag vor der Uraufführung seines Dramas, das im Untertitel heißt: «Ein Stück, das kein Theater spielen und kein Publikum sehen will». Seither wurde es in aller Welt in weit über 300 Inszenierungen gezeigt. In einem Nachwort erläutert Michael Töteberg die Entstehung des Stückes und die Editionsgeschichte der verschiedenen Fassungen des Stoffes.

Geboren am 20.5.1921. Borchert war zunächst Buchhändler und Schauspieler. 1941 wurde er als Soldat an die Ostfront verlegt; zwei Mal wurde er wegen 'Zersetzung' zu Haftstrafen verurteilt. Als er 1945 nach Hamburg zurückkam, war er bereits schwerkrank. Am 20. 11. 1947 starb er, gerade 26 Jahre alt, in Basel. Wie kein anderer artikulierte er in seinen von Melancholie durchzogenen Gedichten und Erzählungen die Bitterkeit und Trauer einer 'verratenen Generation'. Die Erzählung 'Die Hundeblume' machte ihn mit einem Schlag berühmt: In ihr ist das traumatische Erlebnis der Gefangenschaft auf eine immer neu variierte Situation reduziert: den täglichen Hofgang der Gefangenen. Seinen größten Erfolg erzielte er mit seinem in ungeheurer Intensität gehaltenen Drama 'Draußen vor der Tür', das, zunächst als Hörspiel gesendet, einen Tag nach seinem Tod in den Hamburger Kammerspielen uraufgeführt wurde. Wolfgang Borchert gilt als Repräsentant der sog. 'Trümmerliteratur' und Wegbereiter der Nachkriegsliteratur.

Geboren am 20.5.1921. Borchert war zunächst Buchhändler und Schauspieler. 1941 wurde er als Soldat an die Ostfront verlegt; zwei Mal wurde er wegen "Zersetzung" zu Haftstrafen verurteilt. Als er 1945 nach Hamburg zurückkam, war er bereits schwerkrank. Am 20. 11. 1947 starb er, gerade 26 Jahre alt, in Basel. Wie kein anderer artikulierte er in seinen von Melancholie durchzogenen Gedichten und Erzählungen die Bitterkeit und Trauer einer "verratenen Generation". Die Erzählung "Die Hundeblume" machte ihn mit einem Schlag berühmt: In ihr ist das traumatische Erlebnis der Gefangenschaft auf eine immer neu variierte Situation reduziert: den täglichen Hofgang der Gefangenen. Seinen größten Erfolg erzielte er mit seinem in ungeheurer Intensität gehaltenen Drama "Draußen vor der Tür", das, zunächst als Hörspiel gesendet, einen Tag nach seinem Tod in den Hamburger Kammerspielen uraufgeführt wurde. Wolfgang Borchert gilt als Repräsentant der sog. "Trümmerliteratur" und Wegbereiter der Nachkriegsliteratur. Michael Töteberg, geboren 1951 in Hamburg, war langjähriger Leiter der Medienagentur im Rowohlt Verlag. 

3. Szene


Eine Stube. Abend. Eine Tür kreischt und schlägt zu. Der Oberst und seine Familie. Beckmann.

BECKMANN

Guten Appetit, Herr Oberst.

DER OBERST

(kaut) Wie bitte?

BECKMANN

Guten Appetit, Herr Oberst.

OBERST

Sie stören beim Abendessen! Ist Ihre Angelegenheit so wichtig?

BECKMANN

Nein. Ich wollte nur feststellen, ob ich mich heute nacht ersaufe oder am Leben bleibe. Und wenn ich am Leben bleibe, dann weiß ich noch nicht, wie. Und dann möchte ich am Tage manchmal vielleicht etwas essen. Und nachts, nachts möchte ich schlafen. Weiter nichts.

OBERST

Na na na! Reden Sie mal nicht so unmännliches Zeug. Waren doch Soldat, wie?

BECKMANN

Nein, Herr Oberst.

SCHWIEGERSOHN

Wieso nein? Sie haben doch Uniform an.

BECKMANN

(eintönig) Ja. Sechs Jahre. Aber ich dachte immer, wenn ich zehn Jahre lang die Uniform eines Briefträgers anhabe, deswegen bin ich noch lange kein Briefträger.

TOCHTER

Pappi, frag ihn doch mal, was er eigentlich will. Er kuckt fortwährend auf meinen Teller.

BECKMANN

Ihre Fenster sehen von draußen so warm aus. Ich wollte mal wieder merken, wie das ist, durch solche Fenster zu sehen. Von innen aber, von innen. Wissen Sie, wie das ist, wenn nachts so helle warme Fenster da sind und man steht draußen?

MUTTER

(nicht gehässig, aber voll Grauen) Vater, sag ihm doch, er soll die Brille abnehmen. Mich friert, wenn ich das sehe.

OBERST

Das ist eine sogenannte Gasmaskenbrille, meine Liebe. Wurde bei der Wehrmacht 1934 als Brille unter der Gasmaske für augenbehinderte Soldaten eingeführt. Warum werfen sie den Zimt nicht weg? Der Krieg ist aus.

BECKMANN

Ja, ja. Der ist aus. Das sagen sie alle. Aber die Brille brauche ich noch. Ich bin kurzsichtig, ich sehe ohne Brille alles verschwommen. Aber so kann ich alles erkennen. Ich sehe ganz genau von hier, was Sie auf dem Tisch haben.

OBERST

(unterbricht): Sagen Sie mal, was haben Sie für eine merkwürdige Frisur? Haben Sie gesessen? Was ausgefressen, wie? Na, raus mit der Sprache, sind irgendwo eingestiegen, was? Und geschnappt, was?

BECKMANN

Jawohl, Herr Oberst. Bin irgendwo mit eingestiegen. In Stalingrad, Herr Oberst. Aber die Tour ging schief, und sie haben uns gegriffen. Drei Jahre haben wir gekriegt, alle hunderttausend Mann. Und unser Häuptling zog sich Zivil an und aß Kaviar. Drei Jahre Kaviar. Und die anderen lagen unterm Schnee und hatten Steppensand im Mund. Und wir löffelten heißes Wasser. Aber der Chef mußte Kaviar essen. Drei Jahre lang. Und uns haben sie die Köpfe abrasiert. Bis zum Hals – oder bis zu den Haaren, das kam nicht so genau darauf an. Die Kopfamputierten waren noch die Glücklichsten. Die brauchten wenigstens nicht ewig Kaviar zu löffeln.

SCHWIEGERSOHN

(aufgebracht) Wie findest du das, Schwiegervater? Na? Wie findest du das?

OBERST

Lieber junger Freund, Sie stellen die ganze Sache doch wohl reichlich verzerrt dar. Wir sind doch Deutsche. Wir wollen doch lieber bei unserer guten deutschen Wahrheit bleiben. Wer die Wahrheit hochhält, der marschiert immer noch am besten, sagt Clausewitz.

BECKMANN

Jawohl, Herr Oberst. Schön ist das, Herr Oberst. Ich mache mit, mit der Wahrheit. Wir essen uns schön satt, Herr Oberst, richtig satt, Herr Oberst. Wir ziehen uns ein neues Hemd an und einen Anzug mit Knöpfen und ohne Löcher. Und dann machen wir den Ofen an, Herr Oberst, denn wir haben ja einen Ofen, Herr Oberst, und setzen den Teekessel auf für einen kleinen Grog. Und dann ziehen wir die Jalousien runter und lassen uns in einen Sessel fallen, denn einen Sessel haben wir ja. Wir riechen das feine Parfüm unserer Gattin und kein Blut, nicht wahr, Herr Oberst, kein Blut, und wir freuen uns auf das saubere Bett, das wir ja haben, wir beide, Herr Oberst, das im Schlafzimmer schon auf uns wartet, weich, weiß und warm. Und dann halten wir die Wahrheit hoch, Herr Oberst, unsere gute deutsche Wahrheit.

TOCHTER

Er ist verrückt.

SCHWIEGERSOHN

Ach wo, betrunken.

MUTTER

Vater, beende das. Mich friert von dem Menschen.

OBERST

(ohne Schärfe) Ich habe aber doch stark den Eindruck, daß Sie einer von denen sind, denen das bißchen Krieg die Begriffe und den Verstand verwirrt hat. Warum sind Sie nicht Offizier geworden? Sie hätten zu ganz anderen Kreisen Eingang gehabt. Hätten ’ne anständige Frau gehabt, und dann hätten Sie jetzt auch ’n anständiges Haus. Wär’n ja ein ganz anderer Mensch. Warum sind Sie kein Offizier geworden?

BECKMANN

Meine Stimme war zu leise, Herr Oberst, meine Stimme war zu leise.

OBERST

Sehen Sie, Sie sind zu leise. Mal ehrlich, einer von denen, die ein bißchen müde sind, ein bißchen weich, wie?

BECKMANN

Jawohl, Herr Oberst. So ist es. Ein bißchen leise. Ein bißchen weich. Und müde, Herr Oberst, müde, müde, müde! Ich kann nämlich nicht schlafen, Herr Oberst, keine Nacht, Herr Oberst. Und deswegen komme ich her, darum komme ich zu Ihnen, Herr Oberst, denn ich weiß, Sie können mir helfen. Ich will endlich mal wieder pennen! Mehr will ich ja gar nicht. Nur pennen. Tief, tief pennen.

MUTTER

Vater, bleib bei uns. Ich habe Angst. Ich friere von diesem Menschen.

TOCHTER

Unsinn, Mutter. Das ist einer von denen, die mit einem kleinen Knax nach Hause kommen. Die tun nichts.

SCHWIEGERSOHN

Ich finde ihn ziemlich arrogant, den Herrn.

OBERST

(überlegen) Laßt mich nur machen, Kinder, ich kenne diese Typen von der Truppe.

MUTTER

Mein Gott, der schläft ja im Stehen.

OBERST

(fast väterlich) Müssen ein bißchen hart angefaßt werden, das ist alles. Laßt mich, ich mache das schon.

BECKMANN

(ganz weit weg) Herr Oberst?

OBERST

Also, was wollen Sie nun?

BECKMANN

Herr Oberst?

OBERST

Ich höre, ich höre.

BECKMANN

(schlaftrunken, traumhaft) Hören Sie, Herr Oberst? Dann ist es gut. Wenn sie hören, Herr Oberst. Ich will Ihnen nämlich meinen Traum erzählen, Herr Oberst. Den Traum träume ich jede Nacht. Dann wache ich auf, weil jemand so grauenhaft schreit. Und wissen Sie, wer das ist, der da schreit? Ich selbst, Herr Oberst, ich selbst. Ulkig, nicht, Herr Oberst? Und dann kann ich nicht wieder einschlafen. Keine Nacht, Herr Oberst. Denken Sie mal, Herr Oberst, jede Nacht wachliegen. Deswegen bin ich müde, Herr Oberst, ganz furchtbar müde.

MUTTER

Vater, bleib bei uns. Mich friert.

OBERST

(interessiert) Aber von Ihrem Traum wachen Sie auf, sagen Sie?

BECKMANN

Nein, von meinem Schrei. Nicht von dem Traum. Von dem Schrei.

OBERST

(interessiert) Aber der Traum, der veranlaßt Sie zu diesem Schrei, ja?

BECKMANN

Denken Sie mal an, ja. Er veranlaßt mich. Der Traum ist nämlich ganz seltsam, müssen Sie wissen. Ich will ihn mal erzählen. Sie hören doch, Herr Oberst, ja? Da steht ein Mann und spielt Xylophon. Er spielt einen rasenden Rhythmus. Und dabei schwitzt er, der Mann, denn er ist außergewöhnlich fett. Und er spielt auf einem Riesenxylophon. Und weil es so groß ist, muß er bei jedem Schlag vor dem Xylophon hin und her sausen. Und dabei schwitzt er, denn er ist tatsächlich sehr fett. Aber er schwitzt gar keinen Schweiß, das ist das Sonderbare. Er schwitzt Blut, dampfendes, dunkles Blut. Und das Blut läuft in zwei breiten roten Streifen an seiner Hose runter, daß er von weitem aussieht wie ein General. Wie ein General! Ein fetter, blutiger General. Es muß ein alter schlachtenerprobter General sein, denn er hat beide Arme verloren. Ja, er spielt mit langen dünnen Prothesen, die wie Handgranatenstiele aussehen, hölzern und mit einem Metallring. Es muß ein ganz fremdartiger Musiker sein, der General, denn die Hölzer seines riesigen Xylophons sind gar nicht aus Holz. Nein, glauben Sie mir, Herr Oberst, glauben Sie mir, sie sind aus Knochen. Glauben Sie mir das, Herr Oberst, aus Knochen!

OBERST

(leise) Ja, ich glaube. Aus Knochen.

BECKMANN

(immer noch tranceähnlich, spukhaft) Ja, nicht aus Holz, aus Knochen. Wunderbare weiße Knochen. Schädeldecken hat er da, Schulterblätter, Beckenknochen. Und für die höheren Töne Armknochen und Beinknochen. Dann kommen die Rippen – viele tausend Rippen. Und zum Schluß, ganz am Ende des Xylophons, wo die ganz hohen Töne liegen, da sind Fingerknöchelchen, Zehen, Zähne. Ja, als Letztes kommen die Zähne. Das ist das Xylophon, auf dem der fette Mann mit den Generalsstreifen spielt. Ist das nicht ein komischer Musiker, dieser General?

OBERST

(unsicher) Ja, sehr komisch. Sehr, sehr komisch!

BECKMANN

Ja, und nun geht es erst los. Nun fängt der Traum erst an. Also, der General steht vor dem Riesenxylophon aus Menschenknochen und trommelt mit seinen Prothesen einen Marsch. Preußens Gloria oder den Badenweiler. Aber meistens spielt er den Einzug der Gladiatoren und die Alten Kameraden. Meistens spielt er...

Erscheint lt. Verlag 1.10.2014
Nachwort Michael Töteberg
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Lyrik / Dramatik Dramatik / Theater
Schlagworte Ausdruckskraft • Drama • Erzählungen • Hamburg • Klassiker • Krieg • Kriegsfolgen • Kriegsheimkehrer • Menschenleben • Nachkriegsdeutschland • Zerstörung • Zweiter Weltkrieg
ISBN-10 3-644-53231-1 / 3644532311
ISBN-13 978-3-644-53231-1 / 9783644532311
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