Weit weg und ganz nah (eBook)
512 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-49831-0 (ISBN)
Jojo Moyes, geboren 1969, hat Journalistik studiert und für die Sunday Morning Post in Hongkong und den Independent in London gearbeitet. Ihr Roman «Ein ganzes halbes Jahr» war ein internationaler Bestseller und eroberte weltweit die Herzen von über 16 Millionen Leser:innen. Zahlreiche weitere Nr.-1-Romane folgten. Jojo Moyes hat drei erwachsene Kinder und lebt in London.
Jojo Moyes, geboren 1969, hat Journalistik studiert und für die Sunday Morning Post in Hongkong und den Independent in London gearbeitet. Ihr Roman «Ein ganzes halbes Jahr» war ein internationaler Bestseller und eroberte weltweit die Herzen von über 16 Millionen Leser:innen. Zahlreiche weitere Nr.-1-Romane folgten. Jojo Moyes hat drei erwachsene Kinder und lebt in London. Karolina Fell hat schon viele große Autorinnen und Autoren ins Deutsche übertragen, u.a. Jojo Moyes, Bernard Cornwell und Kristin Hannah.
Kapitel 1
Jess
Jess Thomas und Nathalie Benson saßen tief versunken in den Sitzen ihres Reinigungstransporters, der in sicherer Entfernung von Nathalies Haus stand, sodass sie von dort aus nicht gesehen werden konnten. Nathalie rauchte. Sie hatte eigentlich vor sechs Wochen damit aufgehört. Zum vierten Mal.
«Sichere achtzig Pfund die Woche waren das. Plus Urlaubsgeld.» Nathalie stieß einen Schrei aus. «Verdammt. Ich hab richtig Lust, die Schlampe zu suchen, der dieser verfluchte Ohrring gehört, und ihr eine zu knallen. Ihretwegen haben wir unseren besten Auftrag verloren.»
«Vielleicht wusste sie nicht, dass er verheiratet ist.»
«O doch, das wusste sie.» Bevor sie Dean kennengelernt hatte, war Nathalie zwei Jahre mit einem Mann zusammen gewesen, der, wie sich herausstellte, auf der anderen Seite von Southampton nicht nur eine, sondern gleich zwei Familien hatte. «Kein Single-Mann legt sich farblich abgestimmte Zierkissen aufs Bett.»
«Neil Brewster schon», sagte Jess.
«Neil Brewsters CD-Sammlung besteht ja auch aus siebenundsechzig Prozent Judy Garland und dreiunddreißig Prozent Pet Shop Boys.»
Jess und Nathalie gingen seit beinahe vier Jahren zusammen putzen, seit der Zeit, als der Ferienpark Beachfront noch teils unberührtes Paradies, teils Baugelände gewesen war. Damals hatten die Investoren den Einwohnern des benachbarten Küstenstädtchens versprochen, dass sie den Swimmingpool des Ferienparks nutzen dürften, und ihnen hoch und heilig versichert, so ein exklusives Bauprojekt würde ihrer Kleinstadt viele Vorteile bringen und ihr keineswegs die letzte Lebensenergie absaugen.
Auf ihrem kleinen weißen Transporter stand der etwas langweilige Firmenname «Benson & Thomas Reinigungsservice». Nathalie hatte mit einer Schablone daruntergeschrieben: «Geht’s bei Ihnen dreckig zu? Dann nehmen Sie unsere Dienste in Anspruch!» Nach zwei Monaten hatte Jess sie allerdings darauf hinweisen müssen, dass die Hälfte der Anrufe, die sie erhielten, nicht das Geringste mit Putzaufträgen zu tun hatte.
Inzwischen arbeiteten sie fast nur noch in Beachfront. Kaum jemand in der Stadt hatte das Geld – oder wäre überhaupt auf die Idee gekommen, eine Putzfrau anzustellen, abgesehen von einigen Ärzten, Anwälten oder vereinzelten Kunden wie Mrs. Humphrey, die mit ihrer Arthritis nicht mehr selbst putzen konnte.
Einerseits war es ein guter Job. Man konnte selbständig arbeiten, sich die Arbeitszeit einteilen und sich meistens die Kundschaft aussuchen. Die Kehrseite der Medaille waren seltsamerweise nicht die nervigen Kunden (und einen davon gab es immer) oder dass einen beim Schrubben von fremden Toiletten manchmal das Gefühl überkam, man habe es auf der Karriereleiter vielleicht nicht ganz so weit nach oben geschafft, wie man es sich erträumt hatte. Jess störte es nicht, anderer Leute Haarbüschel aus dem Abfluss zu ziehen. Jess störte es nicht einmal, dass sich die meisten Mieter von Ferienhäusern anscheinend dazu verpflichtet fühlten, sich eine Woche lang wie die Schweine aufzuführen.
Die Kehrseite war, dass man viel mehr über das Leben anderer Leute erfuhr, als man jemals hatte wissen wollen.
Jess hätte ein Lied von Mrs. Eldridges heimlicher Shoppingsucht singen können; von den Designerschuh-Bons, die sie im Badezimmer in den Mülleimer warf, von ihrem Schrank voll ungetragener Kleidung, an der noch die Preisschilder hingen. Sie hätte erzählen können, dass Lena Thompson vier Jahre lang versucht hatte schwanger zu werden und pro Monat zwei Schwangerschaftstests verbrauchte (gerüchteweise machte sie sich kaum noch die Mühe, ihre Strumpfhose dabei auszuziehen). Sie hätte erzählen können, dass Mr. Mitchell, der in dem großen Haus hinter der Kirche lebte, ein sechsstelliges Jahresgehalt bezog (er ließ seine Lohnabrechnungen auf dem Tisch in der Diele liegen; Nathalie schwor, dass er das absichtlich tat) und dass seine Tochter heimlich im Bad rauchte.
Wenn sie eine Klatschbase gewesen wäre, hätte sie die Frauen entlarven können, die in blendender Aufmachung aus dem Haus gingen – mit perfekter Frisur, lackierten Fingernägeln, dezent parfümiert – und die nichts dabei fanden, zu Hause ihre schmutzigen Unterhosen mitten auf dem Boden liegen zu lassen. Oder die pubertierenden Jungs, deren steifgetrocknete Handtücher sie am liebsten nur mit der Zange aufgesammelt hätte. Da waren die Paare, die jede Nacht in getrennten Betten schliefen, auch wenn die Frauen strahlend betonten, die Bettwäsche im Gästezimmer müsse deshalb so oft gewechselt werden, weil sie zurzeit «unheimlich viel Besuch» hätten. Es gab Toiletten, in denen eine Gasmaske und eine Warnplakette vor gefährlichen Chemikalien nötig gewesen wären.
Und hin und wieder hatte man eine nette Kundin wie Lisa Ritter, bei der man nur kurz zum Staubsaugen vorbeikommen musste. Und dann konnte es passieren, dass man einen Diamantohrring entdeckte und dadurch plötzlich von Dingen erfuhr, von denen man lieber nie erfahren hätte.
«Den hat vermutlich meine Tochter verloren, als sie das letzte Mal da war», hatte Lisa Ritter gesagt, und ihre Stimme hatte vor angestrengter Selbstbeherrschung geschwankt, als sie den Ohrring in der Hand hielt. «Sie hat genau so ein Paar.»
«Da haben Sie sicher recht», sagte Jess. «Er ist vermutlich irgendwie auf den Boden gefallen und versehentlich ins Schlafzimmer gekickt worden. Oder er ist an einem Schuh hängen geblieben. Wir haben uns schon gedacht, dass es so etwas sein muss. Es tut mir leid. Wenn ich gewusst hätte, dass er nicht Ihnen gehört, hätten wir Sie gar nicht damit belästigt.» Und als sich Mrs. Ritter von ihr abwandte, hatte Jess gleich gewusst: Das war’s jetzt. Niemand dankte es einem, wenn man mit schlechten Nachrichten kam.
Am Ende der Straße fiel ein dick vermummtes Kleinkind um wie ein gefällter Baum und brach nach einer kurzen Schrecksekunde in klägliches Heulen aus. Seine Mutter, die zahlreichen Einkaufstüten in beiden Händen perfekt ausbalanciert, blieb stehen und sah das Kind bestürzt an.
«Aber denk doch mal an das, was sie letzte Woche gesagt hat – Lisa Ritter würde sich eher von ihrer Friseurin trennen als von uns.»
Nathalie setzte ein Gesicht auf, das wohl ausdrücken sollte, dass Jess selbst einer atomaren Apokalypse noch etwas Gutes abgewinnen würde.
«Sie hat gesagt, sie würde sich eher von ihrer Friseurin trennen als von ‹ihren Reinigungskräften›. Das ist ein Unterschied. Ob das jetzt wir sind oder Speedicleanz oder die Putzfeen spielt keine Rolle.» Nathalie schüttelte den Kopf. «Keine Chance. Von jetzt an sind wir für sie die Putzfrauen, die über ihren Mann Bescheid wissen. Das macht Frauen wie ihr etwas aus. Sie wollen um jeden Preis den Schein wahren.»
Die Mutter setzte ihre Tüten ab und bückte sich, um das Kind hochzuheben. Ein paar Häuser weiter tauchte Terry Blackstone unter der Motorhaube seines Ford Focus auf, einem Auto, das er seit achtzehn Monaten nicht zum Laufen gebracht hatte, und sah sich nach dem Grund für das Kindergeschrei um.
Jess stützte ihre bloßen Füße am Armaturenbrett ab und schlug ihre Hände vors Gesicht. «Verdammter Mist. Wie sollen wir das fehlende Geld ausgleichen, Nat? Das war unser bester Auftrag.»
«Das Haus war immer sauber. Wir mussten zweimal die Woche praktisch nichts weiter tun, als kurz zu saugen und abzustauben.» Nathalie starrte aus dem Fenster.
«Und sie hat immer pünktlich bezahlt.» Jess hatte immer noch den Diamantohrring vor Augen. Warum hatten sie ihn nicht einfach ignoriert? Es wäre sogar besser gewesen, wenn sie ihn gestohlen hätten. «Okay, sie wird uns kündigen. Reden wir von etwas anderem, Nat. Ich kann mir vor meiner Schicht im Pub keinen Heulanfall leisten.»
«Und? Hat Marty diese Woche angerufen?»
«Ich meinte nicht, dass wir davon reden sollen.»
«Und, hat er?»
Jess seufzte. «Ja.»
«Hat er gesagt, warum er letzte Woche nicht angerufen hat?» Nathalie schob Jess’ Füße vom Armaturenbrett.
«Nein.» Jess fühlte Nathalies bohrenden Blick. «Und nein, er hat auch kein Geld geschickt.»
«Also ehrlich. Du musst ihm das Jugendamt auf den Hals hetzen. Du kannst nicht ewig so weitermachen. Er sollte sich wenigstens am Unterhalt seiner eigenen Kinder beteiligen.»
Darüber hatten sie schon oft gestritten. «Er … es geht ihm immer noch nicht so gut», sagte Jess. «Ich kann ihn nicht noch mehr unter Druck setzen. Er hat noch keinen neuen Job.»
«Tja, aber jetzt wirst du das Geld brauchen. Bis wir wieder einen Auftrag wie den von Lisa Ritter bekommen. Wie geht es Nicky?»
«Ich bin bei den Fishers vorbeigegangen, um mit Jasons Mutter zu reden.»
«Ist das dein Ernst? Vor dieser Frau habe ich richtig Angst. Hat sie versprochen, Jason dazu zu bringen, Nicky in Ruhe zu lassen?»
«So in etwa.»
Ohne den Blick von Jess abzuwenden, senkte Nathalie ihr Kinn ein paar Zentimeter.
«Sie meinte, wenn ich noch mal meinen Fuß auf ihre Türschwelle setze, schlägt sie mich grün und blau. Mich und meine … wie war das noch? … mich und meine ‹gestörten Kinder›.» Jess klappte die Sonnenblende auf der Beifahrerseite herunter, begutachtete ihr Haar im Spiegel und band es zu einem Pferdeschwanz zusammen. «Oh, und dann hat sie mir noch erklärt, ihr Jason würde keiner Fliege was zuleide tun.»
«Typisch.»
«Ist schon okay. Ich hatte Norman dabei. Und der Gute hat einen Riesenhaufen neben ihren Toyota gesetzt, und irgendwie habe ich ganz vergessen, dass ich eine...
Erscheint lt. Verlag | 23.5.2014 |
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Übersetzer | Karolina Fell |
Verlagsort | Hamburg |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Schlagworte | alleinerziehend • bücher für frauen • Eine Handvoll Worte • Ein ganzes halbes Jahr • Familie • Frauenromane • Geschenke für Frauen • Hund • kleine geschenke für frauen • Liebe • liebesbücher • Liebesgeschichte • Liebesgeschichten • Liebesromane • Liebesromane Bestseller • Liebesromane deutsch • liebesromane für erwachsene • Mathegenie • Reise • Roadnovel • Roman Drama • romane bestseller frauen • Romane für Frauen • Romane Liebe • Roman Frauen • Roman Liebe • Romantik • Romantische Bücher • romantischer Liebesroman • Roman Urlaub • Schottland • Spiegel Bestseller-Autorin • The One Plus One deutsch |
ISBN-10 | 3-644-49831-8 / 3644498318 |
ISBN-13 | 978-3-644-49831-0 / 9783644498310 |
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