Americanah (eBook)
608 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-402049-5 (ISBN)
Chimamanda Ngozi Adichie ist eine der großen Stimmen der Weltliteratur. Ihr Werk wird in 55 Sprachen übertragen. Für »Americanah« erhielt sie 2013 den Heartland Prize for Fiction und den National Book Critics Circle Award. Ihr Roman »Blauer Hibiskus« war für den Booker Prize nominiert, »Die Hälfte der Sonne« erhielt den Orange Prize for Fiction 2007. Mit ihrem TED-Talk »We should all be Feminists« verankerte die Nigerianerin den Feminismus fest in der Popkultur. Auf Deutsch liegt der Text im FISCHER Taschenbuch vor: »Mehr Feminismus! Ein Manifest und vier Stories«. Zuletzt erschienen im FISCHER Taschenbuch »Liebe Ijeawele. Wie unsere Töchter selbstbestimmte Frauen werden« (2017) und bei S. FISCHER »Trauer ist das Glück, geliebt zu haben« (2021). 2018 wurde Chimamanda Ngozi Adichie mit dem PEN Pinter Prize und dem Everett M. Rogers Award ausgezeichnet. 2019 wurde ihr der Kasseler Bürgerpreis »Das Glas der Vernunft« verliehen. 2020 erhielt sie den Internationalen Hermann-Hesse-Preis für »Blauer Hibiskus«. Chimamanda Ngozi Adichie wurde 1977 in Nigeria geboren und lebt heute in Lagos und in den USA.
Chimamanda Ngozi Adichie ist eine der großen Stimmen der Weltliteratur. Ihr Werk wird in 55 Sprachen übertragen. Für »Americanah« erhielt sie 2013 den Heartland Prize for Fiction und den National Book Critics Circle Award. Ihr Roman »Blauer Hibiskus« war für den Booker Prize nominiert, »Die Hälfte der Sonne« erhielt den Orange Prize for Fiction 2007. Mit ihrem TED-Talk »We should all be Feminists« verankerte die Nigerianerin den Feminismus fest in der Popkultur. Auf Deutsch liegt der Text im FISCHER Taschenbuch vor: »Mehr Feminismus! Ein Manifest und vier Stories«. Zuletzt erschienen im FISCHER Taschenbuch »Liebe Ijeawele. Wie unsere Töchter selbstbestimmte Frauen werden« (2017) und bei S. FISCHER »Trauer ist das Glück, geliebt zu haben« (2021). 2018 wurde Chimamanda Ngozi Adichie mit dem PEN Pinter Prize und dem Everett M. Rogers Award ausgezeichnet. 2019 wurde ihr der Kasseler Bürgerpreis »Das Glas der Vernunft« verliehen. 2020 erhielt sie den Internationalen Hermann-Hesse-Preis für »Blauer Hibiskus«. Chimamanda Ngozi Adichie wurde 1977 in Nigeria geboren und lebt heute in Lagos und in den USA. Anette Grube, geboren 1954, lebt in Berlin. Sie ist die Übersetzerin von Arundhati Roy, Vikram Seth, Chimamanda Ngozi Adichie, Mordecai Richler, Kate Atkinson, Monica Ali, Manil Suri, Richard Yates u.a.
So kämpferisch er auftritt, so komplex ist auch dieser große Roman
Seine Kraft bezieht es aus der analytischen Schärfe, mit der Adichie die Rituale von Diskriminierung und betonter Liberalität gegenüber den Schwarzen in den USA beschreibt.
Klug, humorvoll, politisch: Chimamanda Ngozi Adichies preisgekrönter Roman ›Americanah‹ über eine junge Nigerianerin, die in den USA fast das Glück findet, ist ein literarischer Triumph.
Adichie hat einen umwerfenden Roman geschrieben. […], weil das Buch […] etwas erklärt über die Welt von heute, das man so noch nicht gesehen hat.
Adichie hat wahrhaft einen Weltroman geschrieben, der uns Begriffe einer Menschenkenntnis an die Hand gibt, die überall funktioniert, ohne je schablonenhaft zu sein.
Das hier ist ein fantastisches Buch, das seine Leser bestens unterhält. […] ein Meisterwerk eines Genres […], das gerade erst geboren wird – des globalen Romans.
Die ›Americanah‹ ist eine Heldin, die mir beim Lesen wirklich ans Herz gewachsen ist. […] Liest sich dank der großartigen Dialoge […] im Nu weg.
gänzlich kitschfreie, schmerzhaft schöne Liebesgeschichte […] macht ›Americanah‹ zu einem nicht nur intellektuell sondern auch sinnlich-emotional überaus lesenswerten Lesegenuss.
›Americanah‹ ist also zugleich Sozialsatire und Thesenroman mit einem brisanten gesellschaftspolitischen Anliegen, darüber hinaus aber auch eine große Liebesgeschichte.
Teil 1
1
Princeton im Sommer roch nach gar nichts, und obwohl Ifemelu das friedliche Grün der vielen Bäume, die sauberen Straßen und stattlichen Häuser, die maßvoll überteuerten Geschäfte und die ruhige unwandelbare Atmosphäre wohlverdienter Eleganz mochte, war es das Fehlen eines Geruchs, das ihr am besten gefiel, vielleicht weil alle anderen amerikanischen Städte, die sie kannte, unverwechselbar rochen. Philadelphia roch modrig nach Geschichte. New Haven roch nach Verwahrlosung. Baltimore roch nach Salzlake und Brooklyn nach sonnenwarmem Abfall. Aber Princeton roch nach gar nichts. Hier liebte sie es, tief durchzuatmen. Sie liebte es, den Ortsansässigen dabei zuzuschauen, wie sie ausgesprochen höflich Auto fuhren und ihre neuesten Modelle vor dem Biosupermarkt in der Nassau Street oder vor den Sushi-Restaurants oder der Eisdiele, in der es Eis in fünfzig Geschmacksrichtungen gab, darunter Roter Pfeffer, oder vor dem Postamt abstellten, an dessen Eingang sie von überschwänglichen Mitarbeitern begrüßt wurden. Sie mochte den Campus, gravitätisch vor Gelehrtheit, die neugotischen Gebäude mit ihren weinbewachsenen Mauern und die Art und Weise, wie sich im Halbdunkel des Abends alles in eine gespenstische Szenerie verwandelte. Am meisten mochte sie es, dass sie an diesem Ort wohlhabender Ungezwungenheit so tun konnte, als wäre sie jemand anders, jemand, der speziell in diesen heiligen amerikanischen Club aufgenommen worden war, jemand, der Sicherheit ausstrahlte.
Aber sie mochte es nicht, dass sie nach Trenton fahren musste, um sich Zöpfe flechten zu lassen. Es war unvernünftig, in Princeton einen Friseursalon zu erwarten, in dem Zöpfe geflochten wurden – die wenigen Schwarzen, die sie hier gesehen hatte, waren so hellhäutig und hatten so glatte Haare, dass sie sie sich nicht mit Zöpfen vorstellen konnte –, doch als sie an einem sengend heißen Nachmittag im Bahnhof von Princeton auf den Zug wartete, fragte sie sich, warum sie sich nicht hier die Haare machen lassen konnte. Der Schokoriegel in ihrer Handtasche war geschmolzen. Ein paar andere Leute warteten auf dem Bahnsteig, alle weiß und schlank und dünn bekleidet. Der Mann, der ihr am nächsten stand, aß ein Eis in der Waffel; sie hatte es immer als ein wenig unverantwortlich gefunden, dass erwachsene amerikanische Männer Eis in der Waffel aßen, insbesondere dass erwachsene amerikanische Männer in der Öffentlichkeit Eis in der Waffel aßen. Als der Zug endlich kreischend einfuhr, wandte er sich an sie und sagte »Wird aber auch Zeit« mit der Vertrautheit, die Fremde nach einer gemeinsam erlittenen Enttäuschung über eine öffentliche Dienstleistung verbindet. Sie lächelte ihn an. Das ergrauende Haar auf seinem Hinterkopf, das auf komische Weise eine kahle Stelle verbergen sollte, wurde nach vorn geweht. Er musste Akademiker sein, aber kein Geisteswissenschaftler, sonst wäre er verlegen. Eine harte Wissenschaft wie Chemie vielleicht. Früher hätte sie »Ich weiß« entgegnet, diese typisch amerikanische Floskel, die auf Zustimmung und nicht unbedingt auf Wissen schließen ließ, und dann hätte sie ein Gespräch mit ihm angefangen, um zu sehen, ob er etwas sagen würde, was sie für ihren Blog verwenden könnte. Die Leute fühlten sich geschmeichelt, wenn man ihnen Fragen zu ihrer Person stellte, und wenn sie nichts erwiderte, nachdem sie sie angesprochen hatte, erzählten sie noch mehr. Sie waren dazu konditioniert, Pausen zu füllen. Wenn sie sie fragten, was sie machte, sagte sie vage »Ich schreibe einen Lifestyle-Blog«, denn es behagte ihnen nicht, wenn sie antwortete: »Ich schreibe einen anonymen Blog mit dem Titel Raceteenth oder Ein paar Beobachtungen über schwarze Amerikaner (früher als Neger bekannt) von einer nichtamerikanischen Schwarzen.« Ein paarmal hatte sie genau das gesagt. Einmal zu einem weißen Mann mit Dreadlocks, der neben ihr im Zug saß, sein blondes Haar wie ausgefranste alte Seile, das zerschlissene Hemd trug er mit genügend Pietät, um sie davon zu überzeugen, dass er ein Kämpfer für soziale Gerechtigkeit war und einen guten Gastblogger abgeben würde. »Rasse wird heutzutage total überschätzt, Schwarze müssen sich selbst überwinden, jetzt geht es nur noch um Klassen, um die Besitzenden und die Habenichtse«, erklärte er ihr gleichmütig, und sie begann mit diesem Satz einen Beitrag mit der Überschrift »Nicht alle weißen Amerikaner mit Dreadlocks sind schlecht drauf«. Auf einem Flug saß ein Mann aus Ohio neben ihr. Seinen gepolsterten Schultern und dem kontrastfarbenen Hemdkragen nach zu urteilen eindeutig mittleres Management. Er wollte wissen, was sie mit »Lifestyle-Blog« meinte, und sie erklärte es ihm und rechnete damit, dass er zurückhaltend reagieren oder das Gespräch beenden würde mit etwas defensiv Belanglosem wie »Die einzige Rasse, die zählt, ist die menschliche Rasse«. Aber er sagte: »Haben Sie schon mal über Adoptionen geschrieben? Niemand in diesem Land will schwarze Babys, und ich meine keine Mischlingskinder, sondern schwarze. Nicht einmal schwarze Familien wollen schwarze Babys.«
Er erzählte ihr, dass er und seine Frau ein schwarzes Kind adoptiert hätten und sie dafür von ihren Nachbarn wie Märtyrer für eine zweifelhafte Sache angesehen würden. Und ihr Posting über ihn »Schlechtgekleidete weiße Manager aus Ohio sind nicht immer so, wie wir glauben« hatte in jenem Monat die meisten Kommentare erhalten. Sie fragte sich noch immer, ob er den Beitrag gelesen hatte. Sie hoffte es. Sie saß oft in Cafés oder Restaurants oder Flughäfen oder Bahnhöfen, beobachtete Fremde, stellte sich ihr Leben vor und überlegte, wer von ihnen eventuell ihren Blog gelesen hatte. Ihren Exblog. Erst vor ein paar Tagen hatte sie ihren letzten Beitrag geschrieben, der bislang zweihundertvierundsiebzigmal kommentiert worden war. Alle diese Leser, die jeden Monat mehr geworden waren, die sich untereinander vernetzt hatten und so viel mehr wussten als sie; sie hatten ihr immer Angst eingejagt und sie erheitert. SapphicDerrida, eine der aktivsten Bloggerinnen, schrieb: Ich bin ein bisschen überrascht, wie persönlich ich es nehme. Viel Glück bei der nicht weiterbeschriebenen »Veränderung deines Lebens«, aber komm bitte bald wieder zurück in die Blogosphäre. Du hast mit deiner respektlosen, furchteinflößenden, komischen und zum Nachdenken anregenden Stimme einen Raum für echte Gespräche über ein wichtiges Thema geschaffen. Leser wie SapphicDerrida, die Statistiken herunterspulten und in ihren Kommentaren Wörter wie »reifizieren« benutzten, machten Ifemelu nervös und bestrebt danach, originell zu sein und zu beeindrucken, so dass sie sich im Lauf der Zeit wie ein Geier gefühlt hatte, der an dem Gerippe der Geschichten anderer Leuten herumpickte, um etwas Brauchbares zu finden. Manchmal deutete sie das Thema Rasse behutsam an. Manchmal glaubte sie sich selbst nicht. Je mehr sie schrieb, umso unsicherer wurde sie. Jedes Posting kratzte immer noch eine Schuppe ihres Selbst ab, bis sie sich nackt und verlogen vorkam.
Der Mann mit dem Eis setzte sich im Zug neben sie, und um eine Unterhaltung zu unterbinden, starrte sie konzentriert auf einen braunen Fleck neben ihren Füßen, verschütteten Frappuccino, bis sie in Trenton einfuhren. Auf dem Bahnsteig drängten sich Schwarze, viele von ihnen dick, in dünner kurzer Kleidung. Sie staunte noch immer, wie sehr eine Zugfahrt von ein paar wenigen Minuten alles verändern konnte. Wann immer sie während ihres ersten Jahres in Amerika mit dem Zug von New Jersey zur Penn Station und dann mit der U-Bahn zu Tante Uju nach Flatlands gefahren war, hatte sie sich gewundert, dass in den Bahnhöfen in Manhattan überwiegend schlanke weiße Menschen ausstiegen und überwiegend schwarze dicke Leute, je weiter sie nach Brooklyn hineinfuhren. Sie hatte in Gedanken jedoch nicht das Wort »dick« benutzt. Sie hatte sie als »kräftig« betrachtet, denn ihre Freundin Ginika hatte sie schon ganz früh darauf hingewiesen, dass in Amerika »dick« als Schimpfwort galt, befrachtet mit einem moralischen Urteil wie die Wörter »dumm« oder »Scheißkerl«, und nicht einfach eine Beschreibung war wie »groß« oder »klein«. Sie hatte »dick« aus ihrem Vokabular gestrichen. Aber sie hatte »dick« letzten Winter nach fast dreizehn Jahren wieder in ihren Wortschatz aufgenommen, als sie im Supermarkt die riesige Tüte mit Tostitos bezahlte und ein Mann in der Schlange hinter ihr murmelte: »Dicke Leute sollten so einen Dreck nicht essen.« Sie schaute sich zu ihm um, überrascht und ein wenig gekränkt, und dachte, dass es ein perfekter Beitrag für ihren Blog wäre, wie dieser Fremde entschieden hatte, dass sie dick war. Sie würde das Posting unter den Schlagwörtern »Rasse, Geschlecht, Körpergröße« speichern. Doch als sie zu Hause die Wahrheit im Spiegel betrachtete, begriff sie, dass sie zu lange das Spannen ihrer Kleidung, das Aneinanderreiben der Innenseiten ihrer Oberschenkel, die weicheren, runderen Teile ihres Körpers ignoriert hatte, die schwabbelten, wenn sie sich bewegte. Sie war wirklich dick.
Sie sprach sich das Wort »dick« mehrmals langsam vor und dachte an all die anderen Dinge, die nicht zu sagen sie in Amerika gelernt hatte. Sie war dick. Sie hatte keine Kurven oder schweren Knochen; sie war dick, es war das einzige Wort, das sich richtig anfühlte. Und sie hatte auch den Beton in ihrer Seele ignoriert. Ihr Blog lief gut, hatte jeden Monat Tausende einzelne Besucher, sie verdiente gutes Geld mit ihren Reden, hatte ein Stipendium für Princeton und eine Beziehung mit Blaine – »Du bist die große Liebe meines Lebens« hatte er auf die Karte zu ihrem letzten Geburtstag...
Erscheint lt. Verlag | 24.4.2014 |
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Übersetzer | Anette Grube |
Verlagsort | Frankfurt am Main |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Schlagworte | Adichie • Affäre • Afrika • Anspruchsvolle Literatur • Beziehung • Erinnerung • Gesellschaft • Ifemelu • Liebe • Nigeria • Obinze • Roman • USA • Valentinstag • Verlust |
ISBN-10 | 3-10-402049-3 / 3104020493 |
ISBN-13 | 978-3-10-402049-5 / 9783104020495 |
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