Basta, Amore! (eBook)

Vom alltäglichen Irrsinn in Bella Italia

(Autor)

eBook Download: EPUB
2014
256 Seiten
Heyne (Verlag)
978-3-641-13426-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Basta, Amore! - Sabine Thiesler
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Warum quasseln alle Italiener unentwegt am Handy - gehen aber nie ran, wenn man sie wirklich braucht? Warum muss man dort gefühlt die Hälfte seines Lebens in Wartezimmern, auf Banken und Postämtern verbringen? Und wieso teilt die Telecom Italia einem per Brief mit, dass man keine existente Adresse habe? Lange Jahre hat die Bestsellerautorin Sabine Thiesler den italienischen Wahnsinn in der Toskana live erlebt - nun berichtet sie urkomisch und frappierend zugleich über die Absurditäten im deutschen Sehnsuchtsland Nummer 1.

Sabine Thiesler, geboren und aufgewachsen in Berlin, studierte Germanistik und Theaterwissenschaften. Sie arbeitete einige Jahre als Schauspielerin im Fernsehen und auf der Bühne und schrieb außerdem erfolgreich Theaterstücke und zahlreiche Drehbücher fürs Fernsehen (u.a. Das Haus am Watt, Der Mörder und sein Kind, Stich ins Herz und mehrere Folgen für die Reihen Tatort und Polizeiruf 110). Ihr Debütroman »Der Kindersammler« war ein sensationeller Erfolg, und auch all ihre weiteren Thriller standen auf der Bestsellerliste.

Ciao

Es ist heiß. Beinah unerträglich heiß. Wir sitzen auf der Terrasse und schweigen. Sind viel zu kaputt, um noch irgendwas sagen zu können. Klaus hat seit mehreren Nächten nicht mehr richtig geschlafen, denn auch nachts fällt das Thermometer nicht unter dreißig Grad. Mir macht das nichts aus. Ich bin froh, wenn es schön warm ist. Auch nachts.

Wir sind beide überarbeitet, gestresst, genervt und mit unseren Gefühlen völlig durch den Wind.

Arrivederci, Italia. Ciao, Toscana.

Wir sind dabei, Abschied zu nehmen. Wir gehen. Wir hauen ab. Mit mehr als einer Träne im Knopfloch. Vierzehn faszinierende und aufregende Jahre unseres Lebens haben wir hier verbracht, und nun ist Schluss. Jetzt wartet Neues auf uns, ein ganz anderes Leben, das wir noch nicht kennen.

Im Moment warten wir auf den Umzugslaster.

Da ich in Italien immer alles organisiert habe, fragt mich Klaus: »Kommt eine deutsche oder eine italienische Umzugsfirma?«

»Eine italienische.«

»Ah ja.« Klaus grinst schief. »Dann könnte es natürlich auch sein, dass sie erst nächste Woche oder nächsten Monat kommen.«

Ich sage nichts dazu. Er hat ja völlig recht.

»Bist du traurig?«, frage ich Klaus nach einer Weile.

Er braucht lange, um zu antworten. »Ja, doch«, sagt er schließlich. »Ein bisschen schon. Und du?«

»Ich glaube nicht. Oder doch? Vielleicht. Ach, ich weiß nicht.«

Es war eine tolle Zeit in Italien. Eine aufregende und anstrengende Zeit, eine, die ich nicht missen, die ich aber dennoch unbedingt beenden möchte.

Toskana. Du wirst ewig in meinem Herzen sein. Wir haben dich geliebt, und wir haben dich in Gedanken oft zum Teufel gejagt.

Und wir werden uns ein Leben lang an »Bella Italia« erinnern.

Jetzt zum Beispiel.

Während wir hier sitzen und darauf warten, dass dieser Abschnitt unseres Lebens zu Ende geht.

Ich weiß noch, wie alles anfing. Unser fünfzehnter Hochzeitstag stand bevor. Seit wir verheiratet waren, waren wir viel gereist, aber niemals nach Italien. Klaus wollte einfach nicht. Er sagte, dass man ihm in Italien nicht nur die Brieftasche, sondern auch das Auto samt Oma auf dem Rücksitz unterm Hintern wegklauen würde, und darum würde er seinen Fuß niemals in dieses Land setzen. Nur über seine Leiche.

Aber ich kenne doch meinen Klaus. Vorurteile sind dazu da, widerlegt zu werden, und Italien reizte mich. Also diskutierte ich nicht lange und buchte zu unserem Hochzeitstag heimlich eine einwöchige Reise.

Am Tag der Abreise sagte ich ihm, er solle seinen Koffer packen. Klaus stellte sich stur. Er hatte keine Lust und nicht die beste Laune, denn Überraschungen kann er grundsätzlich nicht leiden, und wenn er nicht weiß, wo’s hingeht, kann er auch nicht packen.

Das hatte ich erwartet, und es schreckte mich nicht. Denn auch wenn er weiß, wo’s hingeht, kann er seinen Koffer nicht packen.

Also suchte ich seine Siebensachen zusammen, und wir fuhren zum Flugplatz.

Er staunte nicht schlecht: Wir würden nach Venedig fliegen.

Begeistert war er nicht, aber er spielte mit. Hatte auch keine andere Wahl.

Wir wohnten in einem schönen Hotel direkt am Canale Grande mit sensationellem Blick aus dem Fenster, den wir aber gar nicht genießen konnten, weil wir von morgens bis abends unterwegs waren. Wir liefen durch die Stadt, bis wir wirklich nicht mehr krauchen konnten.

Nachts standen unsere Schuhe zum Ausdampfen auf der steinernen Fensterbank.

Wir besichtigten Museen, Kirchen und Paläste und fuhren mit öffentlichen Verkehrsmitteln oder privaten Gondeln durch die großen und kleinen Kanäle.

Was uns am meisten faszinierte, waren heruntergekommene Fassaden, die an Abbruchhäuser erinnerten. Aber ging irgendwo eine Balkontür oder ein Fenster auf, sah man in prunkvolle Räume mit stuckverzierten und vergoldeten Decken, mit pompösen Gemälden an den Wänden und funkelnden Kronleuchtern. Hinter verrotteten Fensterläden eröffneten sich teilweise schlossähnliche, herrliche Räume, die einen augenblicklich in eine andere Zeit versetzten.

Venedig war ein einziges, verschwiegenes Geheimnis.

Und bereits nach achtundvierzig Stunden war für Klaus klar: Das ist mein Land! Ein Wahnsinn! Diese Kultur! Ein einziges ästhetisches Fest! Das Essen! Der Wein! Die Menschen! Einfach alles! Für ihn gab es nichts Schöneres mehr als Italien, es mutierte bei ihm zum Sehnsuchtsziel Nummer eins.

Kaum wieder zu Hause, begann er zu suchen. Nach einer winzigen Hütte in den toskanischen Bergen. Ein anesso, eine capanna, ein rustico, irgendwas Kleines, Niedliches. Nichts Besonderes. Irgendetwas für die Ferien, denn das Leben ist so viel einfacher, wenn man weiß, dass man eine kleine Fluchtburg in Italien hat.

Wir fanden ein verwunschenes Tal mit zwei Gebäuden. Wildromantisch, einsam, dunkel und feucht. Eins der beiden Häuser war eine ehemalige Wassermühle, direkt hineingebaut in die zerklüftete Schlucht. Früher schoss das Wasser durch die untere Etage, und in den beiden oberen Stockwerken befanden sich die Mühlentechnik und das zu lagernde Getreide. Jetzt waren die beiden oberen Etagen bewohnbar, und da der Mühlenteich durch eine teilweise schon eingestürzte Mauer gestaut war, rauschte der Bach nur noch bei Hochwasser nach starken Regenfällen durch den Mühlenturm.

Ich richtete mir mein Schreibzimmer im oberen Mühlenraum ein und hatte einen herrlichen Blick über das wilde Tal und den Bach.

Seitlich neben der Mühle lag das Hauptgebäude, ein in den Fels gebautes Langhaus, mit mehreren Zimmern, Küche, Bad und zwei Terrassen.

Unsere Mühle war kein kleines Ferienhäuschen, sondern etwas ganz Besonderes.

Ein Paradies. Unser Paradies.

Von nun an verbrachten wir dort unsere Ferien, und es war mehr als abenteuerlich. Einsamkeit pur, nur in Gesellschaft von Skorpionen, Vipern, Wildschweinen, Stachelschweinen, Füchsen, Rehen und Wölfen, die zum Bach kamen, um dort zu trinken. Außer dem Zirpen der Grillen war es in diesem Tal absolut still, nur nachts schreckte man auf, wenn sich dicke Riesenkröten über den Kies schoben und es sich anhörte, als ginge da ein erwachsener Mann.

Aber selbst im Hochsommer bei durchschnittlichen fünfunddreißig Grad zogen wir abends um sechs unsere Jacken an, weil die Sonne hinter den Bergen verschwand und es kühl wurde. Wenn ich dann um sieben mit dem Hund zum Abendspaziergang aufbrach und das nächste Dorf erreichte, saßen die Männer im grellen Sonnenschein hemdsärmelig auf der Piazza. Noch bis neun oder zehn Uhr abends.

Während ich in mein kühles, dunkles Tal zurückwanderte, begriff ich allmählich, dass an unserem Leben in Italien etwas nicht stimmte: Wir waren nicht in der Toskana – wir waren eher im Fichtelgebirge.

Und von diesem Tag an wollte ich nach oben. Auf den Berg und in die Sonne. Dem Himmel ganz nah sein.

Wir begannen erneut zu suchen. Nach einem Haus, in dem wir nicht nur Ferien machen, sondern für immer wohnen konnten.

Ich bin Schriftstellerin. Schreiben kann ich überall. Und die Toskana erschien mir nicht nur als der geeignetste, sondern auch als der schönste und erstrebenswerteste Ort schlechthin.

Ein halbes Jahr später fanden wir durch den Tipp eines Nachbarn ganz in der Nähe unseres Tales eine Ruine. Einen bewachsenen Steinhaufen, der einmal ein Haus gewesen war. Hoch oben auf einem Berg, umgeben von jeder Menge Land, zugewuchert mit meterhohem Gestrüpp. Erreichbar nur, indem man sich mit einer penata, einer Machete, einen Pfad durch die dornigen Büsche schlug.

Der Besitzer war ein ungemein sympathischer, gemütlicher Knuddelbär, der im kleinen Dörfchen gegenüber wohnte, vom Steinhaufen nur durch ein weitläufiges Tal getrennt. Er half uns, den Weg zur Ruine freizuschlagen, und konnte sein Glück nicht fassen, dass wir uns vor Entzücken und Begeisterung gar nicht mehr einkriegten, weil wir endlich das Ende der Welt und den einsamsten und abgelegensten Ort dieser Erde entdeckt hatten.

Denn hier gab es wirklich nichts: Kein Haus, keine Straße, keinen Strom, kein Wasser – niente.

Über den Preis für dieses vierundzwanzig Hektar umfassende Fleckchen Nichts mit dem herrlichen Panorama-Blick wurden wir uns schnell einig, wir vertrauten dem Knuddelbär völlig und ließen uns blind und ohne die geringsten Sprachkenntnisse auf das merkwürdige System ein, wie man in Italien ein Haus kaufte.

Man machte einen Vorvertrag, den compromesso, schrieb dort den wirklichen, den reellen und zu zahlenden Preis hinein und zahlte einen Teil der Kaufsumme an. In der Regel dreißig Prozent, aber das war Verhandlungssache.

Wenn jetzt der Käufer vom Kauf zurücktrat, weil er kalte Füße bekommen hatte, war das Geld futsch, der Verkäufer konnte es verjubeln und sich einen neuen Käufer suchen.

Wenn der Verkäufer vom Verkauf Abstand nahm, weil er sein Haus doch lieber seinem Sohn oder seiner Tochter überlassen wollte, musste er die Anzahlung zurück- und dieselbe Summe noch einmal dazuzahlen.

So riskierten sowohl Käufer als auch Verkäufer, dass die Summe der Anzahlung verloren war, wenn man nicht zu seinem Wort stand.

Gleichzeitig gewann man als Verkäufer aber auch die Zeit, sich eine neue Bleibe zu suchen und mit dem Geld des compromesso als Anzahlung die Finanzierung auf die Beine zu stellen.

Beim Notar wurde dann der compromesso feierlich zerrissen – der Notar ging höflichkeitshalber für ein paar...

Erscheint lt. Verlag 14.4.2014
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Auswandern • Berlusconi • Deutsche in Italien • eBooks • Erlebnisbericht • Haus in der Toskana • Italienfans • Italienischer Alltag • Krimiautorin • Reisen • Toskana • Toskana, Erlebnisbericht, Italienfans, Berlusconi, Italienischer Alltag, Deutsche in Italien, Haus in der Toskana, Krimiautorin, Auswandern
ISBN-10 3-641-13426-9 / 3641134269
ISBN-13 978-3-641-13426-6 / 9783641134266
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