Tödliche Liebe (eBook)
720 Seiten
Heyne (Verlag)
978-3-641-11151-9 (ISBN)
Nora Roberts wurde 1950 in Maryland geboren. Ihren ersten Roman veröffentlichte sie 1981. Inzwischen zählt sie zu den meistgelesenen Autorinnen der Welt: Ihre Bücher haben eine weltweite Gesamtauflage von über 500 Millionen Exemplaren. Auch in Deutschland erobern ihre Bücher und Hörbücher regelmäßig die Bestsellerlisten. Nora Roberts hat zwei erwachsene Söhne und lebt mit ihrem Ehemann in Maryland.Unter dem Namen J. D. Robb veröffentlicht Nora Roberts seit Jahren ebenso erfolgreich Kriminalromane.
Chicago, 1994
Es war Mitternacht in Chicago, eine Nacht ohne Mond. Deanna kam sich in diesem Augenblick allerdings vor wie in dem Film Zwölf Uhr mittags. Ohne Schwierigkeiten konnte sie sich in die Rolle des ruhigen, würdevollen, beherzten Gary Cooper hineinversetzen, der sich gerade darauf vorbereitete, den verschlagenen, rachsüchtigen Revolverhelden zur Strecke zu bringen.
Verdammt! dachte Deanna. Chicago war doch ihre Stadt und Angela die Außenstehende!
Vermutlich entsprach es Angelas Sinn für Dramatik, sie genau in dem Studio zur entscheidenden Kraftprobe herauszufordern, in dem sie beide die schlüpfrige Leiter ihrer ehrgeizigen Bestrebungen erklommen hatten, dachte Deanna. Mittlerweile jedoch war das hier ihr Studio und ihre Talkshow – Deannas Stunde –, die den Löwenanteil an Einschaltquoten einbrachte, und daran würde auch Angela nichts ändern können, es sei denn, sie ließ Elvis von den Toten auferstehen und bat ihn, dem Studiopublikum »Heartbreak Hotel« vorzusingen.
Ein flüchtiges Lächeln huschte über Deannas Lippen, doch war ihr keineswegs zum Scherzen zumute. Angela – eine würdige Gegnerin! Die ganzen Jahre hindurch hatte sie mit einer abscheulichen Taktik dafür gesorgt, dass ihre tägliche Talkshow auf dem ersten Platz blieb.
Doch was immer Angela dieses Mal auch im Schilde führen mochte, ihre Strategie würde nicht aufgehen. Sie hatte Deanna Reynolds unterschätzt. Sollte sie doch nur von Geheimnissen munkeln und mit Skandalen drohen, so viel sie wollte! Sie konnte unmöglich irgendetwas vorbringen, das Deanna veranlassen würde, ihre Pläne zu ändern.
Jedenfalls werde ich Angela ausreden lassen, dachte Deanna. Vielleicht werde ich sogar ein letztes Mal versuchen, mich auf einen Kompromiss einzulassen, und ihr zwar nicht gerade meine Freundschaft, aber doch zumindest einen einstweiligen Waffenstillstand anzubieten. Es gab zwar nur wenig Grund zu der Hoffnung, dass nach dieser ganzen Zeit und all diesen Feindseligkeiten die Kluft zwischen ihnen überbrückt werden konnte, doch war Deanna der Ansicht, dass man die Hoffnung nie aufgeben sollte.
Zumindest, solange es noch ein Fünkchen Hoffnung gab.
Die junge Frau lenkte ihre Gedanken wieder auf das, was sie gerade tat, und fuhr auf den Parkplatz des CBC-Gebäudes. Tagsüber war dieser Parkplatz völlig überfüllt; Leute von der Technik und aus den Redaktionen, Produzenten und Regisseure, Sekretärinnen, Künstler, Schauspieler, Moderatoren und die vielen anderen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – alle stellten hier ihren Wagen ab. Sie selbst ließ sich immer von ihrem Fahrer absetzen und wieder abholen und vermied so das lärmende Durcheinander. Im Innern des großen weißen Gebäudes hasteten normalerweise die Menschen hin und her, um die Nachrichten auf die Beine zu stellen, die um sieben Uhr morgens, zwölf Uhr mittags, fünf Uhr nachmittags und zehn Uhr abends ausgestrahlt wurden. Auch die Sendungen Das Kochstudio mit Bobby Marks, das allwöchentliche Magazin Nachgefragt mit Finn Riley und die landesweit beste Talkshow, Deannas Stunde, wurden hier produziert.
Jetzt jedoch, kurz nach Mitternacht, war der Parkplatz nahezu leer. Nur ein halbes Dutzend Autos war zu sehen. Sie gehörten dem Stammpersonal, das sich in der Nachrichtenredaktion die Zeit um die Ohren schlug und darauf wartete, dass irgendwo in der Welt etwas passierte. Wahrscheinlich hofften sie darauf, dass der Ausbruch neuer Kriege bis zum Ende der einsamen Nachtschicht auf sich warten ließ.
Während Deanna ihren Wagen einparkte und den Motor abschaltete, wünschte sie sich, woanders zu sein, ganz egal wo. Für einen Moment blieb sie einfach sitzen und lauschte in die Nacht hinein, hörte das Brausen des Straßenverkehrs und das Dröhnen der gewaltigen Klimaanlage, die das Gebäude und die teuren Gerätschaften darin kühl hielt. Bevor sie Angela gegenübertrat, musste sie unbedingt ihre widersprüchlichen Gefühle in den Griff bekommen und ihre seelische Stärke wiedergewinnen.
Seelenstärke und Selbstbeherrschung waren in dem Beruf, den sie sich ausgesucht hatte, zu ihrer zweiten Natur geworden; erst diese Eigenschaften befähigten sie zu ihrer Arbeit. Eigentlich hatte sie ihr Temperament unter Kontrolle, denn es führte zu nichts, die Fassung zu verlieren. Bei den starken und sich widersprechenden Gefühlen, die momentan mit ihr durchzugehen drohten, war das jedoch anders. Auch nach der ganzen Zeit, die mittlerweile verstrichen war, fiel es schwer zu vergessen, dass die Frau, der sie gleich gegenüberstehen würde, eine Person war, die sie einmal bewundert und respektiert und der sie vertraut hatte.
Aus bitterer Erfahrung wusste Deanna, dass Angela eine Expertin im Manipulieren von Gefühlen war. Deannas Problem – und nach den Äußerungen vieler auch ihre besondere Stärke – bestand darin, dass sie unfähig war, ihre Gefühle zu verbergen. Sie standen ihr einfach ins Gesicht geschrieben und sprachen für jeden, der darauf achtete, eine deutliche Sprache. Was immer sie gerade fühlte, spiegelte sich in ihren grauen Augen, wurde durch die Neigung des Kopfes oder den Ausdruck ihres Mundes offenbar. Einige meinten, genau dadurch würde sie unwiderstehlich und gefährlich. Mit einer schnellen Bewegung des Handgelenks drehte Deanna den Rückspiegel auf sich zu. Ja, dachte sie versonnen, sie konnte sehen, dass ihre Augen vor Wut funkelten, konnte den verhaltenen Groll und den Schmerz, der auf ihrer Seele lastete, erkennen. Immerhin waren sie und Angela einmal Freundinnen gewesen oder hatten zumindest kurz davor gestanden, welche zu werden.
Doch Deanna verspürte auch eine gewisse Vorfreude. Es ging um ihren Stolz, und das anstehende Wortgefecht war schon lange überfällig gewesen.
Mit einem dünnen Lächeln brachte sie einen Lippenstift zum Vorschein und bemalte sorgfältig ihren Mund. Ohne diesen elementarsten Schutz sollte sie nicht in den Schlagabtausch mit ihrer Erzrivalin gehen. Erfreut über ihre völlig ruhige Hand ließ sie den Lippenstift wieder in die Handtasche fallen und stieg aus dem Wagen. Einen Augenblick lang stand sie da, atmete die milde Nachtluft ein und stellte sich die eine Frage.
Bist du ruhig, Deanna?
Nein, dachte sie, innerlich rotiere ich. Solange das jedoch ihrer Kraft zugutekam, war das nicht weiter schlimm. Deanna schlug die Autotür zu und ging mit energischen Schritten über den Parkplatz. Sie zog den Plastikausweis aus der Tasche und steckte ihn in den Sicherheitsschlitz neben dem Hintereingang. Sekunden später leuchtete ein kleines grünes Licht auf, und ein Klicken zeigte an, dass sie die Türklinke nach unten drücken und die schwere Tür aufziehen konnte.
Sie knipste die Treppenbeleuchtung an und ließ die Tür hinter sich sanft ins Schloss fallen.
Interessant, dass Angela nicht schon vor mir da ist, dachte sie. Wahrscheinlich wird sie den Fahrdienst genommen haben. Seit Angela sich in New York niedergelassen hatte, stand ihr in Chicago nicht mehr rund um die Uhr ein Fahrer zur Verfügung. Überrascht stellte Deanna fest, dass sie auf dem Parkplatz gar keine Limousine gesehen hatte, die auf Angela wartete.
Angela war sonst wirklich immer sehr pünktlich, und das war eines der vielen Dinge, die Deanna an ihr schätzte.
Während sie ein Stockwerk nach unten ging, wurde das Klicken ihrer Absätze auf den Treppenstufen mit einem hohlen Echo von den Wänden zurückgeworfen. Als sie ihren Ausweis in den nächsten Sicherheitsschlitz gleiten ließ, fragte sie sich kurz, wen Angela wohl geschmiert, bedroht oder verführt haben mochte, um Einlass in dieses Studio zu bekommen.
Vor gar nicht so vielen Jahren war Deanna genau diesen Weg noch mit weit aufgerissenen Augen und voller Enthusiasmus entlanggeeilt, wenn Angela sie mit einem fordernden Fingerschnippen gebeten hatte, irgendwelche Aufträge für sie auszuführen. Wie ein kleines Hündchen hatte sie jedem Zeichen der Anerkennung entgegengefiebert. Doch wie jeder kluge kleine Hund hatte auch sie dazugelernt.
Als es dann zum Verrat und ihrer abrupten und schmerzhaften Desillusionierung gekommen war, hätte sie – um bei dem Vergleich mit dem kleinen Hund zu bleiben – herumwinseln können. Stattdessen hatte sie ihre Wunden geleckt und sich alles nutzbar gemacht, was sie gelernt hatte – bis die Schülerin zur Meisterin geworden war.
Eigentlich hätte sie die Entdeckung, wie schnell alte Ressentiments und seit Langem verflogener Groll wieder aufflammen können, nicht weiter überraschen sollen. Dieses Mal würde sie Angela in ihrem eigenen Revier gegenüberstehen, dachte Deanna, und das Treffen würde nach ihren Regeln ablaufen. Das naive Mädchen aus Kansas brannte inzwischen darauf, ihrer Kontrahentin zu beweisen, dass ihre Ambitionen Wirklichkeit geworden waren.
Und hatte Deanna das erst einmal getan, würde es ja vielleicht die Atmosphäre zwischen ihnen bereinigen, sodass sie sich beide auf der gleichen Ebene begegnen konnten. Sollte es nicht gelingen zu vergessen, was in der Vergangenheit zwischen ihnen vorgefallen war, konnten sie das immer noch akzeptieren und ihrer Wege gehen.
Deanna ließ ihren Ausweis in den Schlitz neben den Türen zum Studio gleiten. Das Licht blinkte grün auf. Sie schob sich nach innen, in die Dunkelheit hinein.
Das Studio war leer, was sie freute.
Als Erste hier anzukommen verschaffte ihr einen weiteren Vorteil, denn sie würde dann als Talkmasterin den unwillkommenen Gast an...
Erscheint lt. Verlag | 10.5.2013 |
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Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Schlagworte | eBooks • Frauenromane • Gefahr • Gefährliche Liebe • Krimi • Kriminalromane • Krimis • Liebesromane • Romane für Frauen • Romantik • wahre Liebe • Weltbestseller |
ISBN-10 | 3-641-11151-X / 364111151X |
ISBN-13 | 978-3-641-11151-9 / 9783641111519 |
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Größe: 2,3 MB
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