Das lebendige Theorem (eBook)

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2013 | 1. Auflage
304 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-402566-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Das lebendige Theorem -  Cédric Villani
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Im Kopf eines Genies - der Bericht von einem mathematischen Abenteuer und der Roman eines sehr erfolgreichen Forschers Cédric Villani gilt als Kandidat für die begehrte Fields-Medaille, eine Art Nobelpreis für Mathematiker. Sie wird aber nur alle vier Jahre vergeben, und man muss unter 40 sein. Er hat also nur eine Chance. Unmöglich! Unmöglich? Fieberhaft macht er sich an die Arbeit. Jetzt erzählt er seine Geschichte, und ihm gelingt das Unglaubliche: Wir werden direkte Zeugen der Denkprozesse eines Mathematikers, und das, ohne die dazugehörigen Formeln verstehen zu müssen. Ein Buch, so einzigartig wie sein Autor.

Cédric Villani, geboren 1973, gehört zu den weltweit führenden und innovativsten Mathematikern. Für seine Forschung erhielt er mehrere Preise, u.a. 2010 die renommierte Fields-Medaille, das Äquivalent zum Nobelpreis. Villani ist Professor für Mathematik an der Universität in Lyon und Direktor des Institut Henri Poincaré in Paris.

Cédric Villani, geboren 1973, gehört zu den weltweit führenden und innovativsten Mathematikern. Für seine Forschung erhielt er mehrere Preise, u.a. 2010 die renommierte Fields-Medaille, das Äquivalent zum Nobelpreis. Villani ist Professor für Mathematik an der Universität in Lyon und Direktor des Institut Henri Poincaré in Paris.

Jünger, exzentrischer und begabter als die meisten Kollegen ist [Villani] der André Agassi der Mathematik. […] ein amüsantes Buch über seine Arbeit

Komplexe Zahlen in verständliche Buchstaben zu verwandeln, das beherrschen nur wenige – Villani kann es.

Cédric Villani hat ein faszinierendes Buch geschrieben […] Ein höchst empfehlenswerter Einblick in einen authentischen Forschungskreislauf.

Spannend wie ein Roman – auch für Nicht-Mathematiker.

Mathematische Beweisführung als Heldenreise […]. Ob man die theoretischen Details versteht, ist dabei völlig egal – man versteht das Fieber.

Ein plastisches, erfrischendes und unerwartetes Buch über Mathematik.

Kapitel 1


Lyon, 23. März 2008

Ein Sonntag um 13 Uhr; das Labor wäre menschenleer, wenn es nicht zwei geschäftige Mathematiker gäbe. Eine vertrauliche Verabredung für eine ungestörte Arbeitssitzung in dem Büro, das ich seit acht Jahren im dritten Stock der École Normale Supérieure von Lyon innehabe.

Auf einem bequemen Sessel sitzend, klopfe ich energisch auf den großen Schreibtisch, wobei ich die Finger wie Spinnenbeine auseinanderspreize, wie es mir mein Klavierlehrer einst beigebracht hat.

Zu meiner Linken befindet sich auf einem extra Tisch ein Computer. Zu meiner Rechten steht ein Schrank, der ein paar hundert Bücher über Mathematik und Physik beherbergt. Hinter mir befinden sich, sorgfältig auf langen Regalen aufgereiht, Abertausende von Aufsatzseiten, die in einer altehrwürdigen Zeit raubkopiert wurden, in der die wissenschaftlichen Zeitschriften noch kein elektronisches Format hatten; außerdem Reproduktionen zahlreicher Forschungsarbeiten, die in einer Zeit raubkopiert wurden, in der mein Gehalt es mir nicht gestattete, meinen Durst nach Büchern zu stillen. Es gibt auch einen guten Meter Entwürfe, die während vieler Jahre akribisch archiviert wurden; und ebenso viele handschriftliche Notizen, Zeugen unzähliger Stunden, die ich mit dem Anhören von Forschungsberichten verbracht habe. Auf dem Schreibtisch vor mir steht Gaspard, mein Notebook, benannt zu Ehren von Gaspard Monge, dem großen Mathematiker der Revolutionszeit; und ein Stapel Blätter, die mit mathematischen Symbolen bedeckt sind, welche in allen acht Winkeln der Welt hingekritzelt und für diese Gelegenheit zusammengestellt wurden.

Mein Mitstreiter, Clément Mouhot, steht mit funkelnden Augen und einem Stift in der Hand neben der großen weißen Tafel, die die gesamte Wand vor mir bedeckt.

– Nun sag’ schon, warum ich kommen sollte, worum geht es bei deinem Projekt? In deiner Mail hast du ja nicht allzu viele Einzelheiten erwähnt …

– Ich fange wieder mit meinem alten Dämon an, natürlich ist das sehr ehrgeizig, nämlich die Regularität für die inhomogene Boltzmann-Gleichung.

– Bedingte Regularität? Du meinst, modulo minimaler Regularitätsschranken?

– Nein, unbedingte.

– Sapperlot! Nicht in einem störungstheoretischen Rahmen? Glaubst du, dass wir dafür schon bereit sind?

– Ja, ich habe wieder damit angefangen, ich habe recht gute Fortschritte gemacht, ich habe zwar einige Ideen, aber hier komme ich nicht weiter. Ich habe die Schwierigkeit anhand mehrerer vereinfachter Modelle analysiert, aber selbst das einfachste funktioniert nicht so richtig. Ich habe geglaubt, die Sache mit einer Art Maximumprinzip in den Griff zu bekommen, aber nein, alles brach zusammen. Ich muss darüber reden.

– Also los, ich höre dir zu.

Meine Ausführungen ziehen sich in die Länge: das Ergebnis, das mir vorschwebt, meine Ansätze, die verschiedenen Teile, die ich nicht miteinander verknüpfen kann, und das logische Rätsel, das sich nicht auflöst, die Boltzmann-Gleichung, die widerspenstig bleibt.

Die Boltzmann-Gleichung, die schönste Gleichung der Welt, wie ich zu einem Journalisten gesagt habe! Ich bin in sie hineingestürzt, als ich noch klein war, d.h. während meiner Dissertation, und ich habe sämtliche Aspekte von ihr untersucht. In der Boltzmann-Gleichung findet man alles: die statistische Physik, den Zeitpfeil, die Mechanik der Fluiden, die Wahrscheinlichkeitstheorie, die Informationstheorie, die Fourieranalyse … Manche sagen, dass niemand auf der Welt besser als ich die mathematische Welt kennt, die von dieser Gleichung erzeugt wird.

Vor sieben Jahren habe ich Clément in dieses geheimnisvolle Universum eingeführt, als er unter meiner Betreuung seine Dissertation begonnen hat. Clément hat wissbegierig gelernt, er ist gewiss der Einzige, der alle meine Arbeiten zur Boltzmann-Gleichung gelesen hat; jetzt ist er ein angesehener, selbständiger, brillanter und begeisterter Forscher.

Vor sieben Jahren habe ich ihm in den Sattel geholfen, heute brauche ich seine Hilfe. Ich habe mit einem überaus schwierigen Problem zu tun, und ganz alleine schaffe ich es nicht; zumindest muss ich meine Anstrengungen jemandem erzählen können, der die Theorie durch und durch kennt.

– Nehmen wir an, dass streifende Kollisionen vorhanden sind. Einverstanden? Ein Modell ohne Cut-off. Dann verhält sich die Gleichung wie eine fraktionäre Diffusion, die zwar degeneriert ist, aber doch eine Diffusion, und sobald wir Schranken für die Dichte und Temperatur haben, kann man es mit einem Moser-Schema versuchen, das angepasst werden muss, um der Nichtlokalität Rechung zu tragen.

– Moser-Schema? Hmmm … Warte mal, ich werde mir Notizen machen.

– Ja, ein moserähnliches Schema. Der Schlüssel ist, dass der Boltzmannoperator … es stimmt, dieser Operator ist bilinear, er ist nichtlokal, aber trotzdem hat er die Form einer Divergenz. Und das ist es, was das Moser-Schema in Gang setzt. Du nimmst eine Änderung an der nichtlinearen Funktion vor, du erhöhst die Potenz … Und tatsächlich brauchen wir etwas mehr als die Temperatur, man muss die Matrix der Momente 2. Ordnung kontrollieren. Aber trotzdem ist das Wesentliche die Positivität.

– Warte, nicht so schnell, warum genügt die Temperatur nicht?

Ich gebe eine lange Erklärung; wir diskutieren, wir werfen Zweifel auf. Die Tafel wird übersät mit mathematischen Symbolen, Clément will mehr über die Positivität wissen. Wie kann man die strenge Positivität ohne Regularitätsschranke beweisen? Ist das überhaupt möglich?

– Wenn Du es genau betrachtest, ist es gar nicht so krass. Die Kollisionen führen zu unteren Schranken, der Transport in einem beschränkenden Bereich ebenfalls, das geht in die richtige Richtung; die beiden Effekte sollten sich verstärken, es sei denn, man hätte wirklich Pech. Zeitweise hatte Bernt es versucht und sich festgefahren. Nun, eine ganze Reihe von Leuten hat es versucht, zwar ohne Erfolg, aber es bleibt plausibel.

– Bist du sicher, dass die Fortpflanzung ohne Regularität zur Positivität führt? Ohne Kollisionen transportierst du doch den Dichtewert, dann wird das nicht noch mehr positiv …

– Ja, aber wenn man über die Geschwindigkeit mittelt, verstärkt das die Positivität … etwa so wie die Lemmata der kinetischen Mittelwerte, aber da ist es keine Regularität, da ist es Positivität. Es stimmt zwar, dass niemand es unter diesem Blickwinkel intensiv untersucht hat. Da fällt mir ein … schau mal, vor zwei Jahren hat mir ein chinesischer Postdoktorand in Princeton eine Frage von ungefähr dieser Art gestellt. Du nimmst eine Transportgleichung, sagen wir auf dem Torus, du setzt null Regularität voraus, du willst beweisen, dass die räumliche Dichte streng positiv wird. Ohne Regularität! Er konnte es für den freien Transport beweisen oder für etwas Allgemeineres in einem kleinen Zeitintervall, aber bei einem größeren Zeitintervall war er aufgeschmissen … Damals habe ich seine Frage an andere Leute weitergegeben, aber keine überzeugende Antwort bekommen.

– Aber warte mal, was machst du mit dem blöden freien Transport?

Freier Transport, das ist der Fachbegriff zur Bezeichnung eines idealen Gases, in dem die Teilchen nicht miteinander interagieren. Ein so sehr vereinfachtes Modell, dass es kaum noch realistisch ist. Dennoch ist es oft sehr lehrreich.

– Na ja, mit der expliziten Lösung müsste es klappen, warte, wir versuchen mal, es zu finden.

Jeder von uns macht sich auf die Suche, Dong Lis Gedankengang wiederzufinden. Es ist kein großes Ergebnis, sondern eher eine kleine Übung. Aber vielleicht wird uns das Verständnis der Lösung dieser kleinen Übung auf den Weg bringen, um das große Rätsel zu lösen. Und dann ist es ja auch ein Spiel! Nach einigen Minuten stillen Gekritzels bin ich der Gewinner.

– Ich glaube, ich hab’s.

Ich gehe zur Tafel, um die Lösung anzuschreiben, wie in einer Stunde, in der die Übungen korrigiert werden.

– Man zerlegt die Lösung nach Torusrepliken … in jedem Teil ändert man Variablen … heraus kommt eine Jacobi-Matrix, du nimmst die Lipschitz-Regularität … und schließlich findest du eine Konvergenz gemäß 1/t (»eins über t«). Das ist zwar langsam, klingt aber gut.

– Wie, dann hast du aber keine Regularisierung … die Konvergenz wird im Mittel erreicht … im Mittel …

Clément denkt angesichts meiner Rechnung laut nach. Plötzlich verklärt sich sein Gesicht, er ist ganz erregt und deutet mit dem Zeigefinger in Richtung Tafel:

– Aber dann sollte man untersuchen, ob das nicht für die Landau-Dämpfung nützlich sein könnte!

Ich bin verblüfft. Drei Sekunden Schweigen. Ein undeutliches Gefühl von etwas Bedeutendem.

Ich verlange Erklärungen. Clément wird unsicher, gibt sich Mühe, erklärt mir, dass dieser Beweis ihn an eine Diskussion erinnert, die er vor drei Jahren über diese Dinge mit einem anderen chinesischen Forscher namens Yan Guo in Providence an der Ostküste der Vereinigten Staaten hatte.

– Bei der Landau-Dämpfung sucht man nach einer Relaxation für eine reversible Gleichung …

– Ja, ja, ich weiß, aber spielt denn die Interaktion keine Rolle? Man sollte nicht an Wlassow denken, hier geht es nur um den freien Transport!

– Vielleicht sollte die Interaktion doch eine Rolle spielen, ja, und dann … müsste die Konvergenz exponentiell sein. Glaubst du,...

Erscheint lt. Verlag 25.4.2013
Übersetzer Jürgen Schröder
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Beweis • Boltzmann • Carlo Cercignani • Clement Mouhot • Denken • Edmund Landau • Elliott Lieb • Fields-Medaille • Frankreich • Genie • Henri Poincaré • Joel Lebowitz • Kreativität • Landau-Dämpfung • Ludwig Boltzmann • Lyon • Mathematik • Paris • Rechnen • Regularität • Sachbuch • Schönheit • Theorem
ISBN-10 3-10-402566-5 / 3104025665
ISBN-13 978-3-10-402566-7 / 9783104025667
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