Gefangen in Afrika (eBook)

Roman nach einer wahren Geschichte

(Autor)

eBook Download: EPUB
2012 | 1. Auflage
400 Seiten
Diana Verlag
978-3-641-08605-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Gefangen in Afrika -  Hera Lind
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Die Geschichte einer Frau, die in Afrika durch die Hölle geht
Ihre Kindheit ist die Hölle - die Nachkriegszeit prägt Gerti Bruns, die kaum Chancen auf Bildung hat. Mit dreizehn flieht sie aus ihrem Elternhaus, wird jedoch als unbezahltes Dienstmädchen wieder ausgenutzt. Eine erneute Flucht führt sie scheinbar ins Paradies: Der gut aussehende Leo Wolf bietet ihr endlich ein Leben in Sicherheit und Wohlstand. Doch dann geht Leo ins politisch brisante Südwestafrika, wo Apartheid herrscht und Bürgerkrieg droht. Und er gibt keine Ruhe, bis Gerti endlich bereit ist, ihm mit den beiden Söhnen zu folgen. So gerät sie in die größte Falle ihres Lebens, der Gerti wieder nur durch Flucht entkommen kann - aber nicht ohne ihre Söhne! Wird die Familie je nach Deutschland zurückkehren?

Hera Lind studierte Germanistik, Musik und Theologie und war Sängerin, bevor sie mit zahlreichen Romanen sensationellen Erfolg hatte. Seit einigen Jahren schreibt sie ausschließlich Tatsachenromane, ein Genre, das zu ihrem Markenzeichen geworden ist. Mit diesen Romanen erobert sie immer wieder die SPIEGEL-Bestsellerliste. Hera Lind lebt mit ihrem Mann in Salzburg, wo sie auch gemeinsam Schreibseminare geben.

2

Als ich im Sommer 1939 geboren wurde, brach gerade der Zweite Weltkrieg aus. Das vorletzte armselige Gehöft kurz vor dem Steinbruch war mein Elternhaus. Es war ein winziges, windschiefes Häuschen in einem vergessenen Schwarzwaldtal, das mein Großvater noch selbst gebaut hatte. Es maß fünfundfünfzig Quadratmeter, besaß kein fließend Wasser, und die verwinkelte Wohnküche war so klein, dass ich keinen Platz am Tisch hatte und auf einer Kiste unter der Stiege sitzen musste. Über eine Hühnerleiter kletterte man in die zwei Kammern im Obergeschoss. Hier hauste meine Tante, die Schwester meines Vaters. Sie war eine alte Jungfer, nichts wert und darum eine Schande für uns. Wir Kinder durften nicht mit ihr sprechen, und wenn wir es heimlich doch taten, gab es Schläge.

Die ärmliche Ortschaft hieß Glatten und lag am Flüsschen Glatt, das mal plätschernd, mal rauschend unsere Einöde durchzog. Sie hatte achthundertfünfzig Einwohner, die mehr schlecht als recht ihr Dasein fristeten. Sommers wie winters schufteten sie, ohne nach rechts und links zu schauen. Es gab keine Alternative: entweder überleben oder verhungern. Man kann sich heute gar nicht mehr vorstellen, in welch bitterer Armut und Kälte ich aufgewachsen bin. Und mit Kälte meine ich nicht nur die frostigen Temperaturen innerhalb unserer unbeheizten, feuchten Mauern. Mit Kälte meine ich Lieblosigkeit, Schläge, Hunger und Angst. Angst vor meinen eigenen Eltern. Mein Gitterbett stand in ihrem düsteren Schlafzimmer, in dem sie sich nicht mehr berührten. Meine Eltern stritten und schrien sich an, manchmal schlug mein Vater meine Mutter, während die Gitterstäbe unheimliche Schatten auf die grauen Wände warfen und draußen der Sturm heulte.

Mein Großvater, ein einfacher Straßenwart, hatte nach dem Ersten Weltkrieg alle verwertbaren Steine und Balken zusammengetragen und daraus mithilfe von Lehm und Stroh mein Elternhaus zusammengeschustert. Die kalten Steinfußböden waren mit Sand ausgestreut; erst als mein Vater heiratete, legte er Linoleum und Fliesen in die kargen Räume. Gegen einen Stromanschluss hatte sich mein Vater immer vehement gewehrt. Das sei ihm zu teuer, doch schließlich konnte ihn die Angestellte vom Elektrizitätswerk doch überzeugen: »Sonst lebst du ja wie im Mittelalter, Gottlieb! Deine Karoline wird bestimmt lieber mit einem elektrischen Bügeleisen arbeiten als mit dem mit glühenden Kohlen gefüllten Ding hier! Schau, du hast schon wieder einen schwarzen Fleck auf dem Hemd!«

Verärgert hatte sich Gottlieb den durchgeschwitzten Hemdkragen, der schon zweimal gewendet und hundertmal geflickt worden war, vom Hals gerissen und ihn seiner Frau hingeworfen. Karoline war froh, dass sie dafür keine Kopfnuss von ihm bekam.

Wie oft war ein mühsam gewaschenes Hemd, ein von Hand gestärkter Kragen, ein bretthartes kaltes Bettlaken, das tagelang in der Stube zum Trocknen gehangen hatte, im letzten Moment durch die Kohle verdorben worden! Dann brach meine Mutter in bittere Tränen aus und musste mit der schweren körperlichen Arbeit von vorn beginnen. Wäschewaschen bedeutete, die Wäsche in Trog oder Sack zum Waschhaus ins Dorf zu schleppen, sich auf der Holztrommel die Finger wund zu scheuern, sich die Schrunden und Blasen an den Händen entweder mit heißem Wasser zu verbrühen oder mit eiskaltem Schwemmwasser blau zu frieren, die nasse Wäsche die vier Kilometer zu uns ins Tal zurückzuschleppen und sie dann dort in der winzigen Wohnstube aufzuhängen. Sobald wir Kinder laufen konnten, mussten wir mit zum Waschhaus. Ich sehe uns drei noch den Handkarren mit Schmutzwäsche ins Dorf hinunterziehen. Die zusammengeknoteten, ausgebeulten Bettlaken sahen aus wie dicke Eisbären mit Ohren. Sie thronten im Handwagen, sie durften fahren, aber ich musste barfuß nebenher laufen. Als Erstes musste der große Waschkessel beheizt werden. Wir hatten auf dem Hinweg bereits Brennholz gesammelt, so viel unsere kleinen Hände tragen konnten. Die Mutter steckte es in die Ofenklappe und stocherte mit dem Schürhaken, bis endlich die Flamme unter dem Kessel züngelte. In der Zwischenzeit musste die fleckige, stark verschmutzte Wäsche eingeweicht werden. Träge schwamm sie in der kalten Brühe und wurde dann auf einem großen Brett mit Kernseife geschrubbt. Die Hände meiner Mutter waren keine zärtlichen Hände mit gepflegten Fingern, die nach Mami und Handcreme, nach Wärme und Trost dufteten. Sondern grobknochig und schmutzverkrustet Hände, die nur zum Arbeiten und Schlagen da waren. Die nötigen zwei Mark für das Waschmittel hatte meine Mutter oft nicht dabei. Dann versuchten wir, die Wäsche mit kalter Asche zu waschen, ein Unterfangen, das die Wäsche oft mehr verschmutzte, als sie zu säubern. In solchen Momenten schlug Mutters Hand noch schneller zu als sonst, und wir hüteten uns, sie zu reizen.

Kochte das Wasser im Kessel, wuchteten wir mithilfe von langen Stöcken die Wäsche hinein. Der beißende Geruch nach Seifenlauge schießt mir noch heute in die Nase. Die Mutter trug einen dunkelblauen Kittel mit lila Blümchen, ihr stand der Schweiß auf der Stirn, während sie mit aller Kraft mit dem Holzstampfer im kochend heißen Bottich herumrührte und sich Schweißgestank unter den Laugengestank mischte. Die Wände des Waschhauses waren feucht, die Fenster beschlagen, sodass wir durch den heißen Dunst bald völlig durchnässt waren. Wie Walfischfänger zogen wir die Wäsche schließlich an langen Stöcken aus dem Kochwasser, ließen sie in eine bereitstehende Zinkwanne mit kaltem Wasser fallen und spülten die Seifenlauge so gut wie möglich aus. Dann hievten wir die tropfnasse, schwere Wäsche mit vereinten Kräften in eine Wringe, wo wir Kinder dann den einen Hebel drehten, während Mutter auf der anderen Seite in die Gegenrichtung drehte. Die kleinen blauen Äderchen an der Schläfe meiner Schwester Sieglinde schwollen an, so sehr drückten und pressten wir. War der letzte Tropfen Wasser aus der Wäsche gewrungen, begann das Wäscherecken. Mutter stand auf der einen Seite des Lakens, wir auf der anderen. Unsere Hände umklammerten je einen Zipfel, und dann hieß es ziehen, bis die Mutter zufriedengestellt war und wir die Wäsche falteten. Wir gingen ein paar Schritte aufeinander zu, sie nahm unsere Zipfel, wir bückten uns rasch und griffen nach dem Lakenschnitt, damit das frisch gewaschene Leinen nicht auf den schmutzigen nassen Lehmboden hing. Dann begann die Prozedur wieder von vorn, bis alle Wäschestücke zusammengefaltet auf einem Haufen lagen. Wir trugen sie zum Handkarren und zogen ihn wieder den kilometerlangen Waldweg hinauf zu unserem Häuschen. Dort wurde die Wäsche in der Stube ausgebreitet, oder, wenn das Wetter günstig war, über eine Stange vor das Haus gehängt. Und wehe, wenn uns Kindern einmal etwas aus der Hand fiel! Wehe, wenn der Wind eines der Teile wieder von der Stange wehte! Wehe, wenn etwas auf den lehmigen Boden fiel! Dann sauste der Teppichklopfer auf unseren nackten Po, der für uns Kinder stets sichtbar in Reichweite stand.

Spätabends wurde dann im Schein der Küchenlampe, die wir erst seit Kurzem hatten, Wäsche geflickt. Das Stopfen der großen Löcher in den Socken war das Schlimmste. Wehe, wenn unsere kleinen Hände nicht das gewünschte Muster über dem Stopfpilz zustande brachten und sich ein Garnknubbel über der Ferse bildete! Schließlich musste Vater in diesen Socken zwölf Stunden am Tag arbeiten. Wenn uns die Kunst des Stopfens nicht gelang, gab es von der Mutter Kopfnüsse, harte Schläge mit der flachen Hand auf den Hinterkopf und in den Nacken. Fielen uns Kindern bei der mühsamen Arbeit die Augen zu, wurden wir davon auf unsanfte Weise wieder geweckt.

Meine Mutter Karoline war vom Leben enttäuscht. Die Geburten ihrer beiden Töchter waren die Hölle gewesen, es hatte ihr beide Male fast den Leib zerrissen. Ich weiß noch, wie ich im Gitterbett stand, an einem nassen Zuckertuch lutschte und zusah, wie sie morgens ihre inneren Organe, die keinen Halt mehr in ihrem ausgeleierten Bauch fanden, mithilfe enger kratziger Bandagen fest zusammenzurrte, mit schmerzverzerrtem Gesicht und voller Selbstverachtung. Ich wagte es schon als Kleinkind nicht, Bedürfnisse anzumelden. Ich hatte keine. Auf der Welt sein bedeutete schuften, hungern, leiden und dulden. Stillhalten und bloß nicht aufmucken. Am besten, man erregte keinerlei Aufmerksamkeit.

Meine Geburt war die zweite große Enttäuschung für Gottlieb gewesen: wieder nur ein Mädchen. Und dann auch noch so ein winziger, dunkeläugiger, dürrer Wurm, über und über mit schwarzen Haaren bedeckt! Ein Kind, mit dem man als einfacher Arbeiter keinen Staat machen konnte. Bettelleute waren wir, die von der Hand in den Mund lebten. Im Tal der Ausgestoßenen in der Steinbruchsiedlung.

Mein Vater, Gottlieb Franz, war das jüngste von sechzehn Kindern. Die Geschwister empfanden ihn als überflüssigen Esser. Solange er die Mutterbrust bekam, war er ihnen egal, aber als er groß genug war, mit am Tisch zu sitzen, versteckten sie seinen Holzlöffel. Tagelang bekam der kleine Gottlieb nichts zu essen. Seine Eltern vermissten ihn irgendwann und befahlen den Geschwistern, den Anderthalbjährigen zu suchen. Sie fanden ihn in einem Winkel des Heuschobers, ausgetrocknet und kraftlos im Stroh. Sie hielten ihn für tot, aber als er sich regte, wurde er an den Tisch getragen und gefüttert. Die Geschwister mussten hungern, bis der Kleine wieder zu Kräften gekommen war.

Er hatte das Haus, das sein Vater zusammengeschustert hatte, geerbt. Dafür musste er seine fünfzehn Geschwister auszahlen. Für sechs Pfennige die Stunde verdingte er sich in der ortsansässigen Rasierklingenfabrik. Auch meine Mutter hatte sich dort bis zur Geburt von...

Erscheint lt. Verlag 12.11.2012
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte eBooks • Flucht • Liebe • Schicksale • Südwestafrika • Wahre GEschichte
ISBN-10 3-641-08605-1 / 3641086051
ISBN-13 978-3-641-08605-3 / 9783641086053
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