Der Krieg des Achill (eBook)
320 Seiten
Berlin Verlag
978-3-8270-7040-1 (ISBN)
Caroline Alexander studierte in Oxford und an der Columbia University. Sie schrieb u.a. Beiträge für den New Yorker, Condé Nast Traveller, Smithsonian und ist Autorin mehrerer Bücher. Außerdem betreut sie als Kuratorin eine Shackleton-Ausstellung. Sie lebt in New York und New Hampshire.
Kapitel 2
DIE BEFEHLSKETTE
Den Zorn singe, Göttin, des Peleus-Sohns Achilleus,
Den verderblichen, der zehntausend Schmerzen über die Achaier brachte
Und viele kraftvolle Seelen dem Hades vorwarf
Von Helden, sie selbst aber zur Beute schuf den Hunden
Und den Vögeln zum Mahl, und es erfüllte sich des Zeus Ratschluß –
Von da beginnend, wo sich zuerst im Streit entzweiten
Der Atreus-Sohn, der Herr der Männer, und der göttliche Achilleus.
Im zehnten Jahr des Krieges gegen Troja stecken die beiden Armeen, Achäer und Trojaner, in einer langwierigen Belagerung fest. Statt Troja zu plündern, gehen die Achäer dazu über, in altbewährter mykenischer Manier auf dem Land- oder Seeweg Städte und Siedlungen der Region zu überfallen.
Das Opfer eines solchen Überfalls wendet sich nun mit inständigen Bitten an die Plünderer. Zur Kriegsbeute, die die Achäer mitgenommen haben, gehört auch Chryseis, die Tochter des Apollopriesters Chryses. Mutig begibt sich der alte Mann mit seinem goldenen Priesterstab in das achäische Lager, bringt »unermeßliche Lösung« mit und fleht zu den Achäern, zu den »beiden Atreus-Söhnen am meisten, den Ordnern der Völker«, also zu Menelaos und Agamemnon.
In seinem kurzen Auftritt gibt Chryses eine sympathische Figur ab, was sich an der Reaktion der achäischen Armee zeigt, die sein Flehen mit Zustimmungsrufen beantwortet. Der bescheidenen, respektvollen Bitte des Priesters nachzukommen brächte unzählige Geschenke als Lösegeld, die Unterstützung der Achäer und ohne Zweifel auch das Wohlwollen des Gottes Apollo, dem Chryses dient. Wie sich herausstellt, gibt es in der weiten Troas nur einen, für den dieser ebenso mitfühlende wie eigennützige Akt inakzeptabel ist, und das ist der Feldherr der achäischen Armee, der bei der Verteilung der Kriegsbeute die Tochter des Priesters bekommen hat:
Doch dem Atreus-Sohn Agamemnon behagte das nicht im Mute,
Sondern er schickte ihn übel fort und legte ihm das harte Wort auf:
»Daß ich dich, Alter! nicht hier bei den hohlen Schiffen treffe:
Nicht daß du jetzt verweilst noch auch später wiederkehrst!
Kaum werden dir sonst Stab und Binde des Gottes helfen!
Die aber gebe ich nicht frei: erst soll über sie noch das Alter kommen
In unserem Haus in Argos, fern dem väterlichen Lande,
Am Webstuhl einhergehend und mein Lager teilend.
Doch geh! reize mich nicht! damit du heil nach Haus kommst!«
So tritt Agamemnon, der Sohn des Atreus und König Mykenes, des reichsten Staates im Bunde, in der Ilias erstmals in Erscheinung, ein Auftreten, das zu allen Zeiten als beleidigend empfunden wurde. Der antike Kommentator Aristarchos schrieb im 2. Jahrhundert v. Chr., er würde diese Äußerungen gern streichen, weil es »unpassend ist, dass Agamemnon solche Dinge sagt«. Ein moderner Kommentator findet sie dagegen »typisch für Agamemnon von seiner schlimmsten Seite«.1 Die arrogante Abfuhr, die Agamemnon dem Priester erteilt, erregt unmittelbar den Zorn des Phöbus Apollo, des Gottes der Heilkunst, des Bogenschützen, der von ferne trifft, und, wie sich herausstellt, des Bringers von Seuchen: »Smintheus«, »Mauseschlächter«, nennt der Priester Chryses Apollo mit einem Wort, das im Mysischen, einer der Sprachen der Troas, Seuchenbringer heißt und von smínthos, »Maus«, abgeleitet ist.2
Oben auf dem Olymp hört Apollo die Gebete seines bekümmerten Priesters und eilt erbost von seinen Bergeshöhen herab, dass die Pfeile in seinem Köcher klirren. Zuerst zielt er auf die Tiere der Armee, die Maultiere und Hunde, anschließend richtet er seinen Pfeil gegen die Männer:
… und immer brannten in Mengen die Scheiterhaufen mit den Toten.
Neun Tage gingen durch das Heer die Geschosse des Gottes,
Am zehnten jedoch berief das Volk zur Versammlung Achilleus.
Von dieser ersten Aktion an erklärt Achill sich zum Helden der achäischen Armee und zum Helden dieses Epos. Der Sohn des thessalischen Königs Peleus und einer unsterblichen Göttin steht keineswegs auf einer Stufe mit Agamemnon. Dennoch nimmt er sich mit gebieterischem Selbstbewusstsein der Krise an und legt die Führungsstärke an den Tag, die sein Feldherr vermissen lässt. Vor den versammelten Männern verlangt er: »›Doch auf! befragen wir irgendeinen Seher oder Priester oder auch einen Traumdeuter …, der sagen mag, warum so sehr erzürnt ist Phoibos Apollon.‹« Daraufhin meldet sich beklommen Kalchas zu Wort, »der weit beste unter den Vogelschauern«, die zu jeder guten Armee gehören. Der alte Mann weiß, dass seine Worte Agamemnons Zorn erregen werden, und spricht erst, nachdem Achill sich persönlich für seine Sicherheit verbürgt hat.
Kalchas erklärt, dass Apollos Zorn und die Epidemie so lange wüten werden, bis Chryseis ihrem Vater »›ohne Kaufpreis, ohne Lösung‹« zurückgegeben wird. Agamemnon reagiert umgehend und ungestüm auf diese Erklärung, die einer öffentlichen Zurechtweisung gleichkommt. Er beschimpft Kalchas, willigt aber dennoch widerstrebend ein, seine Beute unter der Bedingung herzugeben, dass er zum Ausgleich ein anderes Geschenk erhält. Wieder ist es Achill, der die Initiative ergreift und mit seinem Feldherrn diskutiert:
»Atreus-Sohn, Ruhmvollster! Du Habgierigster unter allen!
Wie sollen dir denn ein Ehrgeschenk geben die hochgemuten Achaier?
Wissen wir doch nicht, daß irgendwo viel Gemeingut liegt,
Sondern was wir von den Städten erbeuteten: aufgeteilt ist es,
Und nicht gehört sichs, daß die Männer dies wieder herbringen und zusammenwerfen.
Darum gib du jetzt diese dem Gott hin, und wir Achaier
Werden es dreifach und vierfach zurückerstatten, wenn Zeus denn einmal
Gibt, die Stadt Troja, die gutummauerte, zu zerstören.«
Aufgebracht und entsetzt antwortet Agamemnon: »›Oder willst du, daß du selber ein Ehrgeschenk hast, ich aber nur so sitze und darbe, und von mir verlangst du, jene zurückzugeben?‹« Ungehalten stößt er die Drohung gegen Achill aus, die ihn und die gesamte Armee der Achäer für den Rest des Epos verfolgen wird: »›Ja, wenn mir ein Ehrgeschenk geben die hochgemuten Achaier … Geben sie es aber nicht, so werde ich es mir selber nehmen. Entweder deines oder des Aias Ehrgeschenk oder des Odysseus.‹« Und damit entfesselt Agamemnon den Zorn des Achill.
»Den Zorn singe, Göttin, des Peleus-Sohns Achilleus«: Achills Zorn ist die treibende Kraft des Epos. Von entscheidender Bedeutung ist allerdings, was diesen Zorn erregt und dass Achills Gegenspieler Agamemnon ist, nicht einer seiner anderen Gefährten.
Die Zusammenfassungen der verloren gegangenen Dichtungen des Epischen Zyklus lassen erkennen, dass Streitigkeiten zwischen verbündeten Helden ein beliebtes Thema antiker Epen waren.3 So streitet in dem verlorenen Epos Kypria »Achill mit Agamemnon, weil er eine verspätete Einladung« zu einem Festmahl erhielt. In der Aithiopis tötet Achill »Thersites, nachdem dieser ihn beschimpft und wegen seiner angeblichen Liebe« zur Amazonenkönigin beleidigt hat. Ebenfalls in der Aithiopis kommt es zum »Streit zwischen Odysseus und Ajax über die Rüstung des Achilles«, die nach dessen Tod der beste der Achäer erhalten sollte.4 Und die Odyssee schildert ausführlich einen Streit zwischen Achill und Odysseus. Dieses Beispiel ist besonders bemerkenswert, weil ein dem Homer ähnlicher Sänger die Geschichte erzählt:
Doch als sie sich das Verlangen nach Trank und Speise vertrieben hatten, da regte die Muse den Sänger auf, daß er die Rühme der Männer sänge aus einem Liedergange, dessen Ruhm damals zum breiten Himmel reichte: den Streit des Odysseus und des Peleus-Sohns Achilleus, wie sie einstmals bei einem blühenden Götterschmaus mit gewaltigen Worten miteinander gehadert …
Odyssee 8.72 ff.
Da Achill als Protagonist in den meisten hier angeführten Streitigkeiten zwischen Helden auftaucht, war er offensichtlich ein Charakter, der éris oder Zwietracht anlockte: »›Denn immer ist Streit dir lieb‹«, wirft Agamemnon Achill in der Hitze des Gefechts vor, ein Wink, der auf Achills allgemeinen Ruf hinweist. Die Anfangszeilen der Ilias dürften sich daher für das Publikum zu Homers Zeit nicht unbedingt von selbst erklärt haben, da der »Zorn des Peleus-Sohns« sich auf mehrere mögliche Heldenerzählungen beziehen konnte.
Die epische Tradition bot also offenbar viele Möglichkeiten, den dramaturgisch notwendigen Zorn des Achill zu erregen. Die Ilias verwirft jedoch die vorhandenen Überlieferungen über Zwistigkeiten zwischen Achill und einem Kampfgefährten, lässt ihn stattdessen gegen seinen Kommandeur aufbegehren und entwirft damit sofort ein weitaus gefährlicheres und...
Erscheint lt. Verlag | 9.10.2010 |
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Übersetzer | Ulrike Bischoff |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Vor- und Frühgeschichte / Antike | |
Geschichte ► Allgemeine Geschichte ► Vor- und Frühgeschichte | |
Schlagworte | Achill • Achilles • Antike • Epos • Hebamme • Helden • Homer • Ilias • Illias • Krieg • Troja |
ISBN-10 | 3-8270-7040-6 / 3827070406 |
ISBN-13 | 978-3-8270-7040-1 / 9783827070401 |
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