Geisterreise (eBook)

(Autor)

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2012 | 1. Auflage
336 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-401387-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Geisterreise -  Marie Pohl
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»Für mich ist ein Geist eine Geschichte, die erzählt werden will.« Durch Kuba fährt Marie Pohl der Liebe wegen. Aber am Ende der Reise steht das unheimliche Ritual einer Santería-Priesterin - erscheint da wirklich ein Geist? Danach lassen die höheren Wesen Marie nicht mehr los. Sie reist nach Bali, wo die stärksten Hexer leben sollen, um »sehen zu lernen«, und nach Irland, um ein verfluchtes Haus zu hüten. In Ghana führt sie der berühmteste Fetischpriester des Landes in den Wald, wo seine Zwerge leben, in Mexiko verbringt sie eine Nacht auf einem Vulkangipfel, in Deutschland interviewed sie den Zauberer mit den stärksten Kräften und in New York begleitet sie ein Team von ehrenamtlichen Geisterjägern. Ausgestattet mit einer erstaunlichen Sensibilität und Erlebnisbereitschaft, bewegt sie sich auf ihren Reisen wie durch Träume. Sie überschreitet Grenzen, begegnet Gefahren und in Momenten höchster Intensität immer wieder sich selbst. Es ist die atemberaubende Reise einer jungen Frau, die das Jenseits sucht und das Diesseits findet: alle Schrecken und Schönheiten dieser Welt. »Geister sind scheue Wesen. Sie sollen mich rufen. Ich werde dorthin fahren, wo man mich einlädt. Mein Reisebüro soll von Geisterhand geführt sein.« Marie Pohl

Marie Pohl ist Schriftstellerin, Journalistin, Sängerin und Schauspielerin. Sie wurde in Hamburg geboren, wuchs in New York auf, studierte in Madrid, lebte in Zürich und Köln und wohnt heute in Berlin und New York. Für eine große deutsche Tageszeitung schrieb sie Porträttexte und führte zahlreiche Interviews. Ihr Buch »Maries Reise«, das sie mit Anfang zwanzig schrieb, erregte großes Aufsehen. Es führte sie unter anderem in die Harald-Schmidt-Show und wurde auch ins Chinesische übersetzt. Zuletzt erschien »Geisterreise«, eine Suche nach Gespenstern, Zauberern und magischen Orten auf der ganzen Welt.

Marie Pohl ist Schriftstellerin, Journalistin, Sängerin und Schauspielerin. Sie wurde in Hamburg geboren, wuchs in New York auf, studierte in Madrid, lebte in Zürich und Köln und wohnt heute in Berlin und New York. Für eine große deutsche Tageszeitung schrieb sie Porträttexte und führte zahlreiche Interviews. Ihr Buch »Maries Reise«, das sie mit Anfang zwanzig schrieb, erregte großes Aufsehen. Es führte sie unter anderem in die Harald-Schmidt-Show und wurde auch ins Chinesische übersetzt. Zuletzt erschien »Geisterreise«, eine Suche nach Gespenstern, Zauberern und magischen Orten auf der ganzen Welt.

Die Afrikanische Königin


Ein Geist muss sich auch mal hinsetzen.

Pina Bausch, Vollmond

 

Meine Reise beginnt mit einem Sturz.

Ich war nach Kuba gefahren, um Pablo zu sehen. Ai!

So vieles in meinem Leben habe ich für die Männer getan!

Oder war es doch nur für mich, auf der Suche nach der großen Liebe?

Der Jäger Ochosi. Vielleicht mag ich deshalb den Tanz dieser Santería-Gottheit so sehr. Ochosi, der Jäger, der auf dem Berg lebt, und wenn er tanzt, dann nimmt er aus dem Köcher, den er auf dem Rücken trägt, einen Pfeil und schießt.

Pablo hatte ich in Havanna kennengelernt, mich stürmisch verliebt, war weggefahren und hatte ihm versprochen, bald zurückzukehren. Vier Jahre schrieben wir uns. Lange Briefe.

Wenn die Leute fragten: Was macht Marie? – hieß es immer: Sie reserviert grad ein Flugticket nach Kuba.

Aber ich flog nicht.

Ich lebte in Berlin. In einer Wohnung mit Kohleofen in Kreuzberg. Erster Hinterhof, linker Seitenflügel. Das Haus hatte eine schwere Holztür mit eisernem Schloss und keine Klingel. Sechster Stock. Über mir war nur der Dachboden.

Ich saß in meiner Dachkammer und dachte an Kuba.

An Pablo.

Es ist eine Droge, die Einsamkeits-Droge, die unerfüllte Liebe, die Liebe in Gedanken.

Eines Nachts sagte ich mir, ich brauche ein Zeichen, ich brauche ein klares Zeichen – wenn ich ein Zeichen habe, fliege ich nach Kuba.

Am nächsten Tag lag vor meiner Wohnungstür – sechster Stock, Seitenflügel, eisernes Schloss, keine Klingel – eine Packung Popular con Filtro.

Kubanische Zigaretten.

Mein Nachbar war zwei Tage zuvor nach Kuba geflogen. Ich hatte ihn gebeten, mir eine Schachtel Popular con Filtro mitzubringen. Er wollte eigentlich einen Monat dort bleiben. Aber in der Nacht vor seinem Abflug küsste er das Mädchen, in das er jahrelang verliebt gewesen war. In Havanna angekommen, wurde er fast wahnsinnig vor Sehnsucht und stieg am nächsten Tag in den Flieger zurück nach Berlin. Die Packung Zigaretten war das Einzige, was er aus Kuba mitgebracht hatte.

Drei Tage später saß ich dann selbst im Flugzeug nach Havanna. Ochosi. Auf der Jagd nach dem Mann. Ich trug das weiße Kleid. Seit vier Jahren, seit meiner letzten Kubareise hing es bei mir im Schrank. Das Pablo-Kleid. Er wollte immer, dass ich Weiß trage. Nur für ihn hatte ich es mir gekauft.

»Estoy aquí – ich bin hier.«

»Pasate – komm vorbei«, er klang gar nicht euphorisch.

Pablo stand kurz vor seiner Hochzeit.

Ich fuhr hin. Das Haus, sein Haus, die Straße, seine Straße.

Wir setzten uns auf sein Sofa.

»Morgen heirate ich«, sagte er. Die Nacht war dunkelblau, dunkelblau wie die kubanischen Nächte sind, dick und voll saftiger Farbe wie Fruchtfleisch. Ich wollte hineinbeißen in diese Nacht. Aber Pablo saß ganz weit weg am anderen Ende des Sofas.

»Warum sitzt du so weit weg von mir?«, fragte ich ihn.

Das Mondlicht. Er zeigte auf das Mondlicht. Als man ihm seinen Santo gegeben hatte, seinen Santería-Schutzgott, da musste er schwören, dass er für den Rest seines Lebens nie mehr im Mondlicht baden, sitzen oder schlafen werde. Er hatte das Mondlicht den Göttern geopfert, damit sie ihn beschützten.

Pablo. Er war so hin und her gerissen in seinem Glauben. Heute glaubte er, morgen zweifelte er. Er war überhaupt ein sehr hin und her gerissener Mensch. Und sein Gesicht war wie ein zerrissenes Hemd mit zwei dunkelroten Weinflecken als Augen.

Es war vorbei.

Ich ging tanzen.

Ich wollte weinen und ging tanzen.

Ich lernte Son Cubano, den »Vater des Salsa«. Ein eleganter Tanz, den heute kaum noch einer kennt. Ich lernte ihn von einem Paar in der Altstadt. Er trug Weste und Hut, sie immer knielange Röcke. Meine Vermieterin, die fragile Dichterin Caridad, nannte die beiden das Postkarten-Paar. Weil sie immer für die Touristen tanzten. Ich lernte die Acht von ihnen … meine Hüften in der Form einer Acht zu wiegen, mich tanzend an die Unendlichkeit zu schmiegen … Und ich drehte und drehte meine Achten, bis die Leute in der Bar laut lachten und über die kleine Weiße Witze machten …

Alles war anders.

 

Caridad, die Schriftstellerin, bei der ich wohnte, mochte keinen Besuch. Sie hatte Angst vor Menschen, und ohne es zu wollen und zu meinem großen Bedauern, hatte ich ihr gleich bei meiner Ankunft einen Schrecken eingejagt.

Ich stieg aus dem Taxi aus, und ein Mann auf der Straße bot mir an, meinen Koffer hinaufzutragen. Er sagte, er wohne auch in diesem Haus und kenne Caridad, er wolle sie um Bohnen und Reis bitten. Sie öffnete die Tür, eine dünne Frau mit einer noch dünneren Stimme. Der Mann kam herein, setzte sich auf das Sofa im Wohnzimmer und schwieg. Nach einer Weile wandte sich Caridad an mich: »Me lo presentas? Willst du ihn mir nicht vorstellen?«

Er grinste. Ich bezahlte ihm zwei Dollar, und er ging.  

Danach hielt mir Caridad einen langen Vortrag über Kuba, über die Nachbarn, die hier alles sehen und hören und weitererzählen. Sie hatte keine Lizenz, mir ein Zimmer zu vermieten, und hatte große Angst. Wenn man sie erwischte, konnte es passieren, dass man ihr die Wohnung wegnahm. Ich sollte leise sein, sollte niemanden mit hinaufbringen, sollte »keinen Wind in die Gardinen blasen«.

Meine Freundin Yusa, die Sängerin, die ich von meiner ersten Kubareise kannte, hatte mir dieses Zimmer vermittelt. Aber auch Yusa war hier nicht wirklich willkommen mit ihrer lauten Stimme. Ich sah sie sowieso kaum. Sie hatte eine neue Band und war ständig auf Tour.

Ich war allein. Viel allein. Und nahm Tanzstunden.

 

An einem warmen Abend spazierte ich nach dem Tanzunterricht über den kleinen Platz, wo neben einem Baum und einer Bank die Statue des Freiheitskämpfers Simón Bolívar stand. Ich aß ein Eis. Das Licht der Laternen lag wie Honig hingeschmiert auf dem Kopfsteinpflaster.

»Willst du tanzen gehen?«, fragte eine Stimme hinter mir.

»Nein.« Ich drehte mich um und erblickte vor mir eine ausgestreckte Hand.

»Warum nicht? Tanzt du keinen Salsa?« Die Hand kam näher.

»Doch.«

 

So traf ich Ronal. Es war eine jener schicksalhaften Begegnungen, die einen in eine neue Richtung lenken. Aber das weiß man erst viel später.

Ronal und ich begegneten einander, wie sich zwei Menschen auf der Straße eben begegnen. Wir liefen zur gleichen Zeit über den gleichen Platz. Er rief mir nach. Preciosura. Dulcura. Schmuckstück. Süßigkeit. Wie all die Rastas und jineteros, die den weißen Frauen nachrufen, weil sie eine Freundin suchen, die ihnen das Essen und die Drinks bezahlt, und, wenn sie etwas Glück haben, ihnen später Geld aus dem Ausland schickt, und, wenn sie ganz großes Glück haben, sie heiratet und aus Kuba herausholt.

Ich kannte diese Art von hussle, diese Art von Geschäft. Aber ich mochte Ronals Hand. Er hatte wunderschöne Hände. Nur wegen seiner Hände blieb ich stehen.

Ronal.

The crazy rasta. Der allen immer erzählte, wie gerne er Vegetarier wäre, aber dass er sich das auf Kuba nicht leisten könne. Ein Rasta, der die Bibel zitierte und Bob Marley, und nicht verstand, warum mir Céline Dion nicht gefiel. Ein Rasta, der Rum trank. Er nannte sich la vibracion! Oder auch San Lázaro, der heilige Lazarus. Er war San Lázaro.

 

Ronal war nicht hin und her gerissen wie Pablo.

»Ich liebe dich«, sagte er gleich am ersten Abend, »liebst du mich denn nicht?«

»Ich habe dich doch gerade erst kennengelernt.«

»Wie lange brauchst du denn, um zu wissen, ob du jemanden liebst?«

In jener Nacht bin ich oft hingefallen. Ich stolperte über Pflastersteine, über Unebenheiten der aufgebrochenen Straßen, ich stieß mich an Bordsteinkanten, war vollkommen aus dem Gleichgewicht.

»Das ist San Lázaro«, sagte Ronal. »Das macht er, weil du mir nicht sagst, dass du mich liebst.«

 

San Lázaro ist auch Babalu Ayé. Viele der Sklaven, die aus Westafrika nach Kuba verschleppt wurden, gehörten dem Yoruba-Volk an. Man nahm ihnen alles, ihre Besitztümer und ihre Unabhängigkeit, und schiffte sie nackt – nur mit Eisenketten bekleidet – auf die ferne, fremde Insel. Aber ihre Gesänge, ihre Rhythmen, ihre Götter, ihre Geschichten und ihren Glauben schmuggelten sie nach Kuba wie ein unsichtbares Gepäck.

Doch die spanischen Kolonialherren wollten ihnen auch dieses letzte Eigentum nehmen. Wen sie beim Singen oder Beten oder gar einer Opferzeremonie erwischten, dem drohte die Folter. Die Afrikaner sollten ihre Vergangenheit vergessen und katholisch werden.

Aber was einer in sich trägt, was er denkt, was er fühlt, was er glaubt und vor allem, was er erinnert, das kann einem niemand nehmen. Die Sklaven fanden viele Ähnlichkeiten zwischen den katholischen Heiligen und ihren Orishas, ihren Göttern und Geisterwesen. Babalu Ayé, der Gott, der Krankheiten heilt, war dem heiligen Lazarus verblüffend ähnlich. Und wenn einer krank wurde und Babalu Ayés Hilfe brauchte, rief er nun nach San Lázaro.

 

Ronal trug seinen San Lázaro immer bei sich in der Hosentasche, in einem kleinen Säckchen aus grobem Stoff, vielleicht aus einem alten Getreidesack genäht. Ronal wusste nicht, was es genau enthielt. Niemand wusste das. Nur die Santería-Priesterin aus seinem Dorf. Sie hatte es Ronal zu seiner Geburt geschenkt und zu der Mutter gesagt: »Dieses Kind ist aus dem Grab des San Lázaro auferstanden.«

Jedes Mal, wenn Ronal Rum trank, spuckte er den ersten Schluck auf die Straße – für seinen Schutzgott. Und...

Erscheint lt. Verlag 25.7.2012
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Anspruchsvolle Literatur • Bali • Berlin • Geister • Ghana • Indonesien • Irland • Kuba • Liebe • Mexiko • New York • Reisen • Religion • Reportage • Rituale • Santería
ISBN-10 3-10-401387-X / 310401387X
ISBN-13 978-3-10-401387-9 / 9783104013879
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