Auf der Seite des Bösen (eBook)
272 Seiten
Verlagsgruppe Droemer Knaur
978-3-426-41459-0 (ISBN)
Stephan Lucas, geboren 1972 in Frankfurt am Main, verhilft seit vielen Jahren als Fachanwalt für Strafrecht Menschen, die schwere Verbrechen begangen haben sollen, zu ihrem Recht. 2006 gründete er seine eigene Kanzlei in München. Seither wirkte er in zahlreichen medienpräsenten Strafprozessen mit. Das Fernsehpublikum kennt ihn als strengen 'Staatsanwalt' aus der TV-Show 'Richter Alexander Hold'. Auch meldet sich Stephan Lucas regelmäßig als Rechtsexperte zu Wort (u.a. 'Maischberger', 'Phoenix-Runde'). 2012 veröffentlichte der Knaur-Verlag sein erstes Buch 'Auf der Seite des Bösen'. 2017 erschien - ebenfalls bei Knaur - sein Bestseller 'Garantiert nicht strafbar'. So lautet auch der Titel seines Bühnenprogramms, mit dem Stephan Lucas ab Januar 2018 auf Deutschlandtour ging. Als Nächstes möchte er das Thema 'Opfer' auf die Kleinkunstbühne bringen - Grundlage wird sein Buch sein.
Stephan Lucas, geboren 1972 in Frankfurt am Main, verhilft seit vielen Jahren als Fachanwalt für Strafrecht Menschen, die schwere Verbrechen begangen haben sollen, zu ihrem Recht. 2006 gründete er seine eigene Kanzlei in München. Seither wirkte er in zahlreichen medienpräsenten Strafprozessen mit. Das Fernsehpublikum kennt ihn als strengen "Staatsanwalt" aus der TV-Show "Richter Alexander Hold". Auch meldet sich Stephan Lucas regelmäßig als Rechtsexperte zu Wort (u.a. "Maischberger", "Phoenix-Runde"). 2012 veröffentlichte der Knaur-Verlag sein erstes Buch "Auf der Seite des Bösen". 2017 erschien - ebenfalls bei Knaur - sein Bestseller "Garantiert nicht strafbar". So lautet auch der Titel seines Bühnenprogramms, mit dem Stephan Lucas ab Januar 2018 auf Deutschlandtour ging. Als Nächstes möchte er das Thema "Opfer" auf die Kleinkunstbühne bringen - Grundlage wird sein Buch sein.
Die Hand des Mörders
Kathleen wurde nur 16 Jahre alt.
Sie war hübsch, hatte lange blonde Haare und ein bezauberndes Lächeln. Kathleen wollte viel erleben und war anderen gegenüber sehr aufgeschlossen. Und da war es auch völlig egal, ob sie es nun mit einem coolen Draufgänger oder einem schüchternen Außenseiter zu tun hatte. Interessant konnte jeder irgendwie sein.
Kathleen freundete sich mit Kai an. Kai war 17 und ging in dieselbe Klasse. Er war ein stiller und zurückhaltender Typ. Bei seinen Mitschülern war er nicht sonderlich beliebt, oder vielleicht schlimmer noch: Er war den meisten ganz einfach egal. Aber das spielte für Kathleen keine Rolle, denn mit Kai verband sie eine gemeinsame Leidenschaft: ihre Liebe zu Katzen. Und Kais Katze Lissy hatte gerade Junge bekommen. Sechs kleine Kätzchen tollten bei ihm zu Hause herum und stellten alles auf den Kopf. Das konnte Kathleen sich auf keinen Fall entgehen lassen.
An jenem 22. Juni 1994 hatte Kathleen sich mit Kai für 16 Uhr verabredet. Pünktlich stand sie bei ihm vor der Haustür. Er war an diesem Nachmittag allein zu Hause.
»Na, wo sind denn die kleinen Racker?«, fragte Kathleen lächelnd, als Kai ihr öffnete.
»Überall und nirgends«, sagte er grinsend. »Vom Vorhang bis zum Wäschekorb ist vor den kleinen Mäuschen nichts sicher.«
Dass er die Katzenbabys Mäuschen nannte, fand Kathleen putzig. Sie folgte Kai erwartungsfroh ins Wohnzimmer, wo die Katzenjungen wild herumtobten und nicht zu bremsen waren. Kathleen und Kai hatten jede Menge Spaß, und die Zeit verging wie im Flug.
Wie kann es auf einmal schon halb sieben sein?, dachte Kathleen bei sich, als sie das erste Mal wieder auf die Uhr schaute. Sie hatte heute noch überhaupt nichts für die Schule getan, und für morgen standen noch Matheaufgaben an. Kurz entschlossen fragte sie Kai, ob er ihr nicht dabei helfen könne. In Mathematik war er sehr gut, das wusste sie.
Wenige Minuten später saßen beide in Kais Zimmer auf der Bettcouch, um sich herum die Mathebücher und -hefte ausgebreitet. Sinus, Cosinus, Tangens – Kai erklärte Kathleen alles mit viel Geduld. Er war richtig nett.
Plötzlich jedoch zuckte Kathleen erschrocken zurück. Aus heiterem Himmel hatte Kai nach ihrer Hand gegriffen und sie gestreichelt. Sie machte sich los und fuhr ihn entgeistert an: »Sag mal spinnst du jetzt total? Nimm sofort die Pfoten weg!«
Da wurde Kai sehr ernst: »Sag mir gefälligst nicht, was ich zu tun oder zu lassen habe!« Und mit ruhiger Stimme fuhr er fort: »Du hörst mir jetzt ganz genau zu. Ich will, dass du dich für mich ausziehst.«
Kathleen spürte, wie Panik in ihr aufkam. Was war bloß auf einmal in ihn gefahren? Kein Zweifel, Kai meinte es ernst. Sie versuchte aufzustehen, doch Kai ließ das nicht zu. Er packte Kathleen an beiden Handgelenken, warf sie zurück auf die Couch und kniete sich über sie. Dann schob er ihren Pulli hoch und versuchte, den BH zu öffnen. Das wollte nicht so recht gelingen, weil Kathleen die ganze Zeit wild um sich schlug. Dabei schrie sie immer lauter um Hilfe. Und das konnte Kai nicht lange ertragen.
Tausende Gedanken kreisten in seinem Kopf herum: Warum wehrte sich Kathleen bloß so? Hatte sie denn gar keine Lust auf ihn? Warum musste sie ihn nur so derartig demütigen? Kai hielt Kathleens Zurückweisung nicht mehr aus. Plötzlich empfand er ihr gegenüber nicht mehr Lust und Leidenschaft, sondern nichts anderes als puren Hass. Er griff mit beiden Händen an ihren Hals und drückte Kathleen so lange die Kehle zu, bis sie aufhörte zu atmen.
Noch im selben Jahr verurteilte die Jugendkammer des Landgerichts Stuttgart Kai wegen Mordes zu einer Jugendstrafe von neun Jahren.
Gut fünf Jahre später sollte ich Kai persönlich kennenlernen. Seit zwei Wochen durfte ich mich Rechtsanwalt nennen. Drei Tage war es her, dass ich meine Heimatstadt Frankfurt verlassen und in einer Heidelberger Strafrechtskanzlei meinen ersten Arbeitstag begonnen hatte.
Mein Kollege, der Kai damals in dem Mordverfahren verteidigt hatte, legte mir Kais Akte auf den Schreibtisch: »Lesen Sie sich das mal eben durch. Morgen besuchen Sie den Jungen im Jugendknast. Der will nun langsam mal raus.«
Nachdem der Kollege den Fall grob umrissen hatte, war ich auf die Akte gespannt. Und ich war gespannt auf meinen ersten Besuch als Verteidiger in einer Justizvollzugsanstalt. Endlich ging es los.
Ich lehnte mich zurück und fing an, Kais Akte zu lesen. Doch je mehr ich erfuhr, desto unwohler fühlte ich mich.
Schon ziemlich am Anfang der Verfahrensakte stieß ich auf Kais Beschuldigtenvernehmung. Kai war noch am Tattag festgenommen worden und hatte bei der Polizei ausgesagt. Man hatte ihn belehrt, dass er als Beschuldigter eines Mordes das Recht hatte zu schweigen; aber das hatte ihn nicht interessiert. Er hatte auch nicht nach einem Anwalt verlangt. Er gab sofort zu, Kathleen getötet zu haben.
Was dann jedoch folgte, war ein Rattenschwanz an Erklärungen, wieso, weshalb, warum es denn überhaupt zu der Tat hatte kommen können. In einer Tour folgten Rechtfertigungen über Rechtfertigungen. Die Polizei solle auch mal seine Seite verstehen. Das Ganze sei im Affekt passiert. Und so musste man beinahe den Eindruck bekommen, Kathleen trage an ihrem Schicksal eine nicht ganz unerhebliche Mitschuld. So jedenfalls klang es, wenn man Kais Worte für bare Münze nehmen wollte.
Auch Kathleens Eltern kamen in der Akte zu Wort. Sie berichteten bei der Polizei von der tiefen Trauer, die sie empfanden. Es muss schrecklich sein, wenn Eltern von ihrem Kind für immer Abschied nehmen müssen. Ich konnte ihre Verzweiflung und die Hilflosigkeit beim Lesen kaum ertragen. Sie waren so unendlich traurig. Sie beschrieben anschaulich, was für ein lebensfrohes und hilfsbereites Mädchen Kathleen gewesen war, wie interessiert und offen sie sich den Dingen zugewandt hatte. Kathleen habe ihnen an diesem Nachmittag gesagt, dass sie ihren Mitschüler Kai besuchen werde. Sie hätten sich nichts dabei gedacht, obwohl sie Kai gar nicht gekannt hatten. Aber ihre Tochter Kathleen habe immer so nett von ihm gesprochen. Und sie habe sich so sehr auf die kleinen Katzen gefreut.
Einige Seiten weiter stieß ich in der Akte auf ein Passbild von Kathleen, das sie als strahlende 15-Jährige zeigte. Ich blätterte weiter. Was folgte, waren Fotos von Kathleens Leiche, eine ganze Fotostrecke mit Aufnahmen des toten Mädchens am Tatort und vielen Bildern von der anschließenden Obduktion.
Ich hatte irgendwann nur noch einen einzigen Gedanken im Kopf: »Wenn ich morgen auf Kai treffe, dann werde ich ihm zur Begrüßung wohl die Hand schütteln müssen. Die Hand, mit der er Kathleen erwürgt hat.« Ich stellte mir abwechselnd vor, wie Kai mir seine Hand gibt, und dann wieder, wie Kai mit derselben Hand Kathleen die Kehle zudrückte.
Am nächsten Tag düste ich in meiner alten Studentenkarre über die Autobahn in Richtung JVA Hohenasperg. Das alte Auto, ein bordeauxroter Kleinwagen mit großem Stoffschiebedach, hatte mir in meiner Studentenzeit viele Jahre treue Dienste geleistet. Ich hatte es immer liebevoll als »Cabrio für Einsteiger« bezeichnet. Und so fühlte ich mich auf meiner Fahrt zum Knast eigentlich nicht anders als zu Studentenzeiten. Auch mein Anzug vermochte an diesem Gefühl nichts zu ändern, denn der stammte ebenfalls noch aus meiner Zeit an der Uni. In ihm hatte ich meine mündliche Examensprüfung bestanden.
Und doch war irgendetwas anders. Studentenauto hin, Examensanzug her, ich war nicht mehr Student. Ich war jetzt Anwalt – Strafverteidiger. Ich arbeitete von nun an nicht mehr für einen Ausbilder. Ich arbeitete in Eigenregie, und das ausschließlich für den Mandanten.
»Rechtsanwalt Lucas. Ich hätte gerne meinen Mandanten gesprochen.« Das war das »Sesam, öffne dich!«, um auf die andere Seite der Gefängnismauern zu gelangen. In einem kahlen Besucherraum ohne Fenster durfte ich warten, bis Kai aus der Zelle vorgeführt wurde. Und dann stand er vor mir. Er sah sehr freundlich aus, ein sympathischer Typ. Er lächelte mich an, sagte »Guten Tag« und – gab mir seine Hand.
Noch morgens beim Frühstück hatte ich mir nicht vorstellen können, dass mir das Gespräch mit Kai so leichtfallen würde und dass mir auch sein späterer Auftrag so wenig Sorge bereiten sollte. Kai wollte raus, und das so schnell wie möglich. Und ohne mit der Wimper zu zucken, versprach ich ihm, dem Mörder von Kathleen, dass ich alles in meiner Macht Stehende dafür tun würde.
Wahrscheinlich hatte ich da bereits kapiert: Es ging nicht darum, Kais abscheuliche Straftat auch nur annähernd gutzuheißen oder irgendwie zu verharmlosen. Sondern es ging einzig und alleine darum, ihn in seiner Strafsache optimal zu verteidigen. Und als Verteidiger habe ich schlicht und ergreifend die Verpflichtung, für die Wahrung der Rechte des Mandanten zu sorgen und mich für diese Rechte entschieden und nachhaltig einzusetzen. Das gilt selbstverständlich auch für einen Mandanten wie Kai, der einen widerlichen, grausamen Mord begangen hatte. Denn auch ein Mörder hat Rechte, und zwar die gleichen wie ein Dieb, ein Betrüger oder ein Steuerhinterzieher.
Kai durfte ernsthaft darauf hoffen, bald freizukommen, obwohl er von der gegen ihn verhängten Freiheitsstrafe von neun Jahren demnächst erst zwei Drittel verbüßt hatte.
Weil Kai, als er die Tat beging, erst 17 Jahre alt gewesen war, galt für ihn das Jugendstrafrecht. Er hatte deshalb von vornherein eine Jugendstrafe von höchstens zehn Jahren zu erwarten gehabt. Wäre er bei...
Erscheint lt. Verlag | 1.6.2012 |
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Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Schlagworte | Anwalt • Anwalt Strafverteidiger Richter Gericht Mord Mörder Vergewaltiger Recht Prozess Verteidigung Alex... • Echte Kriminalfälle • Erfahrungen und wahre Geschichten • Erfahrungsberichte • Fälle • Justiz • Körperverletzung • Mord • Mörder • Polizei • Prozess • Rechtsanwalt • Rechtsstaat • Richter • Richter Alexander Hold • Staatsanwalt • Strafe • Strafrecht • Strafverteidiger • Täter-Opfer-Ausgleich • Totschlag • True Crime Bücher • True Crime Bücher deutsch • Untersuchungshaft • Vergewaltigung • Verteidiger • wahre Begebenheit Buch • wahre Fälle • Wahre GEschichte • Wahre Geschichten • wahre geschichten bücher |
ISBN-10 | 3-426-41459-7 / 3426414597 |
ISBN-13 | 978-3-426-41459-0 / 9783426414590 |
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