Die Radiofamilie (eBook)

(Autor)

Joseph McVeigh (Herausgeber)

eBook Download: EPUB
2011 | 2. Auflage
411 Seiten
Suhrkamp (Verlag)
978-3-518-74550-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Radiofamilie - Ingeborg Bachmann
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Im Herbst des Jahres 1951 tritt eine »kettenrauchende Meerfrau mit Engelhaar, die mehr flüsterte als sprach« in die Hörspielabteilung des amerikanischen Besatzungssenders Rot-Weiß-Rot in Wien ein. Ingeborg Bachmann, so der Name der jungen Frau, wird für die nächsten beiden Jahre das Unterhaltungsprogramm des Senders prägen und die Radiofamilie Floriani zur bekanntesten und beliebtesten Sendung der Nachkriegszeit machen. Sie sind bürgerlich, und sie sind verschroben, die Florianis: Da ist Hans, der Paterfamilias, Oberlandesgerichtsrat und ehrenhaft bis in die Knochen. Von den rotzfrechen Kindern wird er um den Finger gewickelt: »Ich bin eine komische Figur in meiner Familie«, beklagt er sich bei seiner Frau Vilma, Generalstochter aus dem Ersten Weltkrieg, »also ein bisserl etwas Höheres«, und in dieser Frage nicht gewillt, dem Herrn Gemahl zu widersprechen. Strenger geht sie da schon mit dem Onkel Guido ins Gericht, dem Halbbruder des Oberlandesgerichtsrats. Er war ein Nazi, aber ein kleiner, der sonst nichts angestellt hat. »Nur ein Trottel, der auf den Hitler hereingefallen ist.« Woche für Woche kommen sie zusammen und verhandeln mit viel Witz und Ironie den Kalten Krieg, die Entnazifizierung, den beginnenden Wiederaufbau - und neben dem großen auch das kleine Geschehen im Nachkriegsösterreich. Lange galten die von Ingeborg Bachmann verfaßten Skripte als verloren. In diesem Band sind sie nun, zusammen mit einem ausführlichen editorischen Nachwort des Herausgebers, erstmals publiziert.

Ingeborg Bachmann, geboren am 25. Juni 1926 in Klagenfurt, wurde durch einen Auftritt vor der Gruppe 47 als Lyrikerin bekannt. Nach den Gedichtb&auml;nden<em> Die gestundete Zeit</em> (1953) und <em>Anrufung des Gro&szlig;en B&auml;ren</em> (1956) publizierte sie H&ouml;rspiele, Essays und zwei Erz&auml;hlungsb&auml;nde. <em>Malina</em> (1971) ist ihr einziger vollendeter Roman. Bachmann starb am 17. Oktober 1973 in Rom.

Cover 1
Informationen zum Buch/Inhalt 2
Impressum 4
Die Radiofamilie 5
Folge 2: Geldborgen, Guido 7
Folge 4: Geburtstag, Wolferl, Liesl 29
Folge 9: Ferienpläne 51
Folge 10: Hexenschuss 73
Folge 15: Schulanfang 95
Folge 18: Horoskop 117
Folge 20: Der D.P. 139
Folge 21: Erzherzog Guido 161
Folge 24: Unliebsamer Panigl 181
Folge 29: Goldener Sonntag 205
Folge 32: Die Florianis gehen ins Theater 227
Folge 41: Geburtstagsüberraschung – ein Kind kommt aus Holland 247
Folge 45: Psychologie in Purkersdorf 269
Folge 54: Kunstausstellung 289
Folge 63: Puppenspiele II 311
Anhang 335
Nachwort 337
Editorischer Bericht 389
»Es wirkten mit ...« 399
Verzeichnis der Folgen 402
Literatur 405
Primäre Quellen 405
Weitere Literatur 406
Zeitungsartikel und Archivdokumente 409
Bildnachweise 410
Danksagung 411
Inhalt 413

(langes Ratschen des Telefons; dann energisches Abheben des Hörers, sofort sprechend)

HANNI: Hier bei Floriani, ja Flo-ri-a … oh, grüß dich, Anni, also, ich finde das einfach phantastisch, daß du mich ausgerechnet jetzt anrufst, stell dir vor, wie wir gestern von der Schule nach Hause sind und auf die Landesgerichtsstraße einbiegen, wer kommt uns entgegen … aber nein, geh, mach mich nicht nervös, wieso, die Gisela, die war doch krank … du, das ist ja zum Verrücktwerden, du hast sie gesehen, wie sie mit einem älteren Herrn … ich werd hin … Aber das ist doch ihr Onkel gewesen, der Juwelier wahrscheinlich, von dem sie damals die goldene Brosche bekommen hat, du weißt schon, die mit den Roserln … Roserln, sag ich, und einer kleinen weißen Perle drin …

PETER: Jetzt hör schon auf mit deinem Geschnatter, gestern hast mir doch versprochen, daß du mir bei der Lateinaufgabe hilfst, gleich wird der Vater da sein, und der soll dich nur telefonieren sehen, dann staubt’s aber.

HANNI: Sei schon still, zupf mich nicht – nein, Anni, das hab ich zum Peter gesagt, der gibt mir keine Ruh … Du, Anni, sei nicht bös, ich hör grad den Vater nach Haus kommen, nein, jetzt nicht, morgen, gell, komm halt um zehn Minuten früher, pünktlich vor der Schule, ja! (hängt das Telefon krachend auf) Daß du nichts sagst, Peter, verstanden.

PETER: Bäh.

(Tür auf, Schritte näher kommend)

HANS: Grüß euch Gott …

VILMA: (kommt hinter ihm herein; erst fern vom Mikro, dann näher) Geh, bitt dich, Lieber, du kommst da mit den nassen Schuhen herein, kannst du nicht draußen wenigstens …

MARIE: Jesus, der Herr Rat, ich habe mir ja gleich gedacht … und wo doch die Flecken von die Parketten ewig nicht aussagehn … Gnä’ Frau, ich hab’s mir ja gleich gedacht …

VILMA: Ja regnet’s denn noch so stark … Hans, daß du auch gar nicht … was denkst du dir eigentlich dabei.

HANS: Also vor allem denke ich mir, daß meine liebwerten Kinder grüßen könnten, wenn ich abends … todmüde … also ich muß schon sagen …

VILMA: Hanni, Peter … der Papa hat ganz recht …

PETER: Natürlich, wenn ich mitten in der Lateinaufgabe bin … ich muß mich doch konzentrieren … sagt ihr immer …

HANNI: (gedehnt) Grüß dich Gott, Papa … ich helf doch dem Peter.

PETER: Ha, die hat ja keine Ahnung von Latein … Sie liest ja nur heimlich einen Liebesroman.

(Ein Buch wird auf den Tisch geschmettert; langsam laut und deutlich: Gib mich frei …)

HANNI: Gib das sofort her … au, du, so ein frecher Bengel … du drückst mir ja den Arm ab, gib mir augenblicklich das Buch …

(Die beiden raufen hörbar miteinander.)

PETER: (triumphierend) Gib mich freiGib mich frei … Nein, ich geb dich nicht frei … Und das Buch geb ich auch nicht frei. Der Papa sagt immer, du sollst lieber die Klassiker lesen …

HANS: Also ich muß schon sagen … eine Begrüßung ist das. Besser hättet ihr euch das nicht ausdenken können. Eins nach dem andern.

HELLI: Der Peter soll lieber dem Papa die Hausschuhe hereinbringen, sonst gibt’s eine Überschwemmung …

PETER: Ooch, immer ich! Das soll die Marie tun …

VILMA: Die Marie hat genug Arbeit. Ihr müßt ihr das Leben nicht noch schwerer machen. Ihr führt euch ja traurig auf; und ausgerechnet jetzt am Abend, wenn der Papa …

HANS: (leicht ironisch) Nur keine Rücksichten bitte, nur keine … Bevor ich demonstrativ ein Familienidyll vorgesetzt bekomme, ist’s mir schon lieber, ihr benehmt euch so wie immer, auch wenn ihr euch schlecht benehmt.

PETER: (schmeichelnd) Papalein, ich hol dir gleich die Hausschuhe, aber du sagst mir dann, wie die Sätze gehen … So was Blödes, ein ganzes Lesestück sollen wir übersetzen. Ein Besuch in Rom: »Roma urbs pulchrissima est … quando, magister, Pompeii proficisceremur? Discipulus rogavit.«

HANS: Vor allem versteh ich nicht, warum du jetzt noch … es ist halb sieben Uhr … Was hast du eigentlich am Nachmittag gemacht, daß du jetzt erst zu einem Rom-Besuch aufbrichst?

PETER: Nachmittag war Turnen.

HANS: Den ganzen Nachmittag?

PETER: Mmm.

VILMA: Die Herren haben dann noch Fußball gespielt. Bis zum Einbruch der Dämmerung.

PETER: (schreiend) Um fünf Uhr war ich zu Hause.

VILMA: Um dreiviertelsechs.

PETER: (steckt um) Der Papa versteht mich viel besser als du, du hast ja keine Ahnung – aber er hat auch einmal Fußball gespielt.

HANS: (räuspert sich) Aber ich habe eben zuerst meine Aufgaben gemacht und dann erst Fußball, oder was immer, gespielt. (dozierend) Überhaupt sollte das Spiel, das Vergnügen, eine Belohnung sein, die aus einer richtigen Arbeitseinteilung entspringt. Du kannst ja kein gutes Gewissen und keine ganze Freude an deiner Fußballschlacht haben, wenn dir dabei konstant durch den Kopf geht, daß du noch dieses und jenes zu tun hast.

PETER: No, ja schon, aber eigentlich denk ich beim Spielen gar nicht so an die Aufgaben. (ein Versuch, altklug zu sein) Das ist es eben, daß das Gewissen nicht immer funktioniert – so wie bei Landesgerichtsräten.

HANNI: (schallend herauslachend) Hahahaha … wie bei Landesgerichtsräten.

VILMA: Ich weiß nicht, Kinder, ich finde das gar nicht so lustig.

HANNI: (schluckt noch weiter vor Lachen)

VILMA: Ja, denn es scheint mir sehr wichtig, daß einmal etwas Ordnung in unsere freie Zeit gebracht wird. Von heute ab werdet ihr gleich nach dem Essen die Aufgaben machen – dann erst dürft ihr Freunde anrufen und davonlaufen.

HANS: Meine Liebe, natürlich hast du ganz recht. Was mich betrifft, so wollte ich dich eigentlich auch längst ersuchen, über die guten Vorsätze hinaus, die bei uns ab und zu, in jedem Herbst vorm Schulanfang und zu Neujahr, gefaßt werden, auch einmal auf die Verwirklichung dieser löblichen Vorsätze zu dringen. Ich kann mich ja nicht um alles kümmern.

VILMA: »Ich kann mich ja nicht um alles kümmern« … Ich find, du machst es dir wirklich manchmal etwas zu leicht …

HANS: Nun sag schon!

VILMA: Einmal muß ich es ja sagen. Du hast bestimmt den Kopf mit allem möglichen voll und ich will nicht haben, daß du ihn nicht damit voll hast, aber diese Bemerkung geht doch zu weit. Wer kümmert sich hier zu Hause um alles?

PETER: (halblaut) Gehen wir, Hanni?

HANS: Beruhig dich, so war es nicht gemeint … die Kinder (Er ist offensichtlich verlegen.) Wo ist denn die Zeitung? Ah! (Blättern von Papier) Peter, wenn du die Zeitung liest, leg sie gefälligst auch wieder zusammen. Es ist kein Vergnügen für mich, dieses zerknüllte Gebilde jeden Abend zu entwirren.

VILMA: Natürlich, jetzt lenkst du wieder ab. Bitte, hör mir zu, wenn ich zu dir spreche.

PETER: (beiseite) Au weh, dicke Luft.

HANS: Halt den Mund, mein Junge.

VILMA: (leise, spöttisch) Auch eine Erziehungsmethode! (laut) Aber wenn du meinst, lassen wir’s.

HANS: Kinder, geht einmal hinaus, ja.

HANNI: (gedehnt) Mit Vergnügen!

PETER: (affektiert) Aber, bitte.

VILMA: (unsicher) Was hast du denn?

HANS: (lachend) Nichts. Einen Kuß möchte ich dir geben.

VILMA: Das kommt aber plötzlich …

HANS: Ich möchte uns dran hindern, dumm zu sein.

VILMA: Ja? Das ist aber auch dumm.

HANS: Aber schön dumm.

VILMA: Weißt du noch, in den ersten Jahren …

HANS: Ja, in den ersten Jahren … aber sind’s denn nicht immer noch die ersten Jahre?

VILMA: Wie du mich anschaust …

HANS: Es wär gut, wenn du auch manchmal so zurückschauen würdest … »aber ich kann mich ja nicht um alles kümmern« …

VILMA: (lacht sehr lieb) Werd ich mich halt kümmern … Du, was ich übrigens sagen wollte. Der Guido hat angerufen und will heute noch kommen. Ich hab so ein untrügliches Gefühl, daß er sich wieder Geld ausborgen will.

HANS: Alle Achtung vor deinem untrüglichen Gefühl!

VILMA: Geh, bitt dich! Ich frag mich nur manchmal, ob es unmoralisch ist, ihm etwas zu geben oder ihm nichts zu geben.

HANS: Mein lieber Halbbruder ist nun einmal ein trauriges Kapitel.

VILMA: Aber es hat auch seine amüsanten Seiten. Zudem kommen die Guidos in den besten Familien vor. Was mich aber wirklich brennend bewegt, ist, weißt, ganz prinzipiell sozusagen, ob das richtig ist, was wir tun: dem armen Guido ab und zu seine Hirngespinste finanzieren und ein anderes Mal dann wieder ablehnen. Glaubst du nicht, daß es für ihn beschämend ist?

HANS: Ja und nein. Schau, das ist so kompliziert, Liebe, daß ich selbst oft nicht weiß, was zu tun ist. Wir haben uns doch selbst schon ein-, zweimal etwas ausborgen müssen –...

Erscheint lt. Verlag 28.5.2011
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Alltag • Belletristische Darstellung • Familie • Geschichte 1950 • ST 4361 • ST4361 • suhrkamp taschenbuch 4361 • Wien
ISBN-10 3-518-74550-6 / 3518745506
ISBN-13 978-3-518-74550-2 / 9783518745502
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