MC Rene: Alles auf eine Karte (eBook)

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2012 | 1. Auflage
272 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-46341-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

MC Rene: Alles auf eine Karte -  René El Khazraje
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Im April 2010 kündigt René El Khazraje seine Wohnung und verschenkt sein Hab und Gut. Er kauft sich eine Bahncard 100 und begibt sich auf eine zwölfmonatige Bahnreise - mit dem Ziel, auf die Bühne zurückzukehren. Hier erzählt er, was aus dem Urlaubsgefühl wird, wenn man kein Zuhause mehr hat. Wieso man nach einer Woche im ICE anfängt, mit seinem Koffer zu sprechen. Warum es sich auf drei nebeneinandergestellten Stühlen besser schlafen lässt als auf einer Designer-Couch - und wie man feststellt, wo man ist, wenn man nicht mal mehr weiß, wo man überhaupt hinwollte.

René El Khazraje, Jahrgang 1976, galt in den 90er Jahren als einer der talentiertesten HipHoper des Landes, er hatte einen Plattenvertrag, tausende Fans, eine Show beim Musiksender Viva und später ein eigenes Musiklabel. Nach einem Ausflug ins bürgerliche Leben setzte er alles auf eine Karte, kaufte sich eine Bahncard 100, verschenkte Hab und Gut, kündigte seine Wohnung - und reist seitdem durch Deutschland mit dem Ziel, wieder auf die Bühne zurückzukehren.

René El Khazraje, Jahrgang 1976, galt in den 90er Jahren als einer der talentiertesten HipHoper des Landes, er hatte einen Plattenvertrag, tausende Fans, eine Show beim Musiksender Viva und später ein eigenes Musiklabel. Nach einem Ausflug ins bürgerliche Leben setzte er alles auf eine Karte, kaufte sich eine Bahncard 100, verschenkte Hab und Gut, kündigte seine Wohnung - und reist seitdem durch Deutschland mit dem Ziel, wieder auf die Bühne zurückzukehren.

Kapitel 02 Berlin-Mitte


... Like a Hobo

Meine Wohnung ist leer, besenrein. Sie wirkt geräumiger als vorher, wie der Vorraum eines Palastes. Schritte und Stimme hallen von den Wänden wider. Es riecht nach frischer Farbe.

Ich stehe in der Küche, an der Tür der brechend volle Koffer, und vor mir auf dem Tisch liegt ein schwarzer Umschlag.

Es ist April. Neun Uhr morgens. Letzte Nacht war ich so aufgeregt, dass ich kaum geschlafen habe. Wie ein kleines Kind. Heute geht es los. Heute mache ich mich auf den Weg. Das Schnitzel mit Eric ist jetzt knapp ein halbes Jahr her.

In Berlin ist es nach einem Winter zum Zähneklappern endlich wärmer geworden. Der Himmel ist kobaltblau und die Luft frisch wie im Frühling. Der perfekte Tag für den Beginn meiner Reise.

Malte ist auch gleich ausgezogen, er wohnt jetzt allein. Nur ein paar Straßen weiter. Er kannte grad keinen, mit dem er eine neue WG gründen wollte, und hatte auch nicht die Nerven, sich «zwischen den ganzen Touristen und Erstsemestern» in mühsamen Einzelcastings einen neuen Mitbewohner herauszusuchen.

Mit der Kaution habe ich zwei Handwerker bezahlt, die unsere Wohnung in drei Tagen renoviert haben. Jetzt ist alles nahezu streifenfrei weiß gestrichen, die Löcher sind zugespachtelt und die Bodenleisten sauber lackiert.

Neben meinem gigantischen Koffer steht ein roter Eimer, darin ein noch feuchter Wischmopp; in der Küche befinden sich nur noch der Herd, die alte Spüle und ein zerkratzter weißer Tisch, den der Nachmieter übernehmen will. Darauf liegt der besagte schwarze Umschlag. Darin ist sie. Meine Bahncard 100. Meine Eintrittskarte in ein neues Leben. Mein zukünftiger Wohnungsschlüssel. Mein Ticket nach Hause. Denn «zu Hause» bedeutet für mich ab jetzt: «unterwegs». Der Fahrplan der Deutschen Bahn wird ab jetzt der rote Faden sein, der sich durch mein Leben zieht.

Ich habe mir die Karte zum ersten April bestellt. Kann sein, dass ich innerlich nicht ganz sicher war, ob es nicht doch ein Scherz ist, den ich mir da mit mir selbst erlaube.

Was ich machen will, ist wahrscheinlich Wahnsinn. Mindestens ein Riesenquatsch. Eine ungeheure Dummheit. Aber genau deshalb bin ich so euphorisch. Ich habe endlich wieder dieses Gefühl, genau das zu machen, was ich machen will. Kompromisslos und haargenau. Es fühlt sich an, als ob eine Ladehemmung endlich beseitigt ist. Ein Gefühl, das mir ungeheuer viel Energie gibt.

Mein Ziel: Ich will in diesem Jahr mindestens einen Auftritt als Stand-up-Comedian auf einer renommierten Bühne bekommen, zum Beispiel im Quatsch Comedy Club. Und der soll gut laufen. Mindestens einen. Das ist das Ziel. Das ist alles. Mehr weiß ich noch nicht.

Der Rest ist Abenteuer, und darauf freue ich mich wie ein rappender Schneekönig. Komme, was wolle. Und wenn mich mal jemand nicht lustig findet, dann wird mich das auch nicht gleich von meinem Plan abbringen, nehme ich mir vor.

Wenn ich keinen einzigen Auftritt hinkriege, tja, dann … Dann bedeutet es vielleicht, dass die Leute im Publikum allesamt humorlos sind. Oder es bedeutet, dass ich nicht zum Comedian geboren bin. Aber solange dieser Beweis nicht erbracht ist, so lange werde ich weitermachen und an mich glauben.

Meine Wohnungseinrichtung habe ich komplett verschenkt. Ein bisschen Startkapital hätte ich zwar ganz gut gebrauchen können, aber ich habe noch nie viel Wert auf Möbel gelegt, und für das alte Zeug hätte mir wahrscheinlich weder ein Freund noch sonstwer mehr als zehn Euro gegeben. Umsonst hat es dann aber doch seine Abnehmer gefunden.

«Ey, Flo, siehst du den Fernseher dort in der Ecke?», habe ich zum Beispiel meinen alten Kumpel Florian gefragt.

Er: «Na klar sehe ich den. Bin ja nicht blind.»

Ich: «Und, wie findest du den?»

Er: «Ganz geil.»

Ich: «Ja, find ich auch.»

Er: «Und?»

Ich: «Schenk ich dir.»

Er: «Was?»

Ich: «Echt.»

Er: «Hä? Einfach so?»

Ich: «Pack ein!»

Er: «Alter, das kann ich nicht annehmen. Nee.»

Ich: «Doch, doch. Kannst du haben.»

 

Als sie merkten, dass ich es ernst meine, sind die meisten ziemlich schnell auf den Geschmack gekommen.

«Ey, Alter», hieß es plötzlich, «du weißt doch, dass meine Kaffeemaschine gerade kaputtgegangen ist, kann ich vielleicht deine haben?»

Oder: «Boah, ich hab immer solche Rückenschmerzen, du hast doch diese super Matratze, meinste vielleicht, ich kann die eventuell …? Und dein Bett gleich mit?»

Oder: «Was machst du jetzt eigentlich mit dem DVD-Player? Ist zwar kein Blu-ray, aber ich würde den trotzdem nehmen. Den kannst du in der Bahn ja eh nicht mehr gebrauchen.»

Ich habe immer nur «Okay» gesagt und gedacht: Wenn ich dann bei denen pennen will, heißt es hoffentlich nicht: «Also, ich fänd’s voll in Ordnung, aber meine neue Freundin, weißt du, die findet das wahrscheinlich nicht so lustig. Sorry.»

 

Jedenfalls war ich den ganzen Kram ziemlich schnell los.

Mein grünes Lieblingssofa steht jetzt bei Flo, mein kleines, altes Holzregal habe ich nach Neukölln gebracht, wo Sebi noch einen alten Kachelofen besitzt und immer «Feuerholz» brauchen kann. Die Stereoanlage inklusive Boxen ist jetzt in Hajos Besitz, er hat sich riesig gefreut. Mein Schreibtisch ist bei Mona untergekommen. Und wo habe ich noch mal den Kleiderschrank hingebracht? Kann ich mich gerade nicht dran erinnern. Meine Sachen sind jedenfalls komplett irgendwo über die Stadt verteilt. Weg mit dem ganzen Plunder! Nur meine alte, geliebte Plattensammlung und ein bisschen Papierkram habe ich in Braunschweig bei meiner Schwester untergestellt.

Vor ein paar Tagen habe ich meinen alten, riesigen Fünf-Wochen-Tour-Koffer von früher aus dem Keller geholt. Ein schwarzer Koffer mit Rollen.

Darin habe ich das Nötigste verstaut. Genug Musik auf meinem Laptop, dass ich Deutschland mehrmals durchfahren könnte, ohne ein einziges Mal das gleiche Lied zu hören. «Like a Hobo» von Charlie Winston darf dabei natürlich nicht fehlen. Das Pfeifen am Anfang ist voller Energie und Sehnsucht nach dem Aufbruch. «Hobos» nannte man die amerikanischen Wanderarbeiter, die heimatlos auf Güterzügen durchs Land reisten und sich hier und da mit kleinen Tätigkeiten etwas dazuverdienten. Das ideale Lied zum Losfahren also, besonders für mich.

Meine Klamotten reichen wahrscheinlich ungefähr für vier Wochen, bei heruntergeschalteter Geruchstoleranzschwelle vielleicht auch für acht. Außerdem zwei zusätzliche Paar Schuhe, eine dicke Jacke, drei Hosen, eine ausgebeulte Kulturtasche und zwei Aufladegeräte für mein Handy, falls ich während der Fahrt irgendwo eins verliere.

Schlafsack oder Isomatte habe ich nicht dabei. Kein einziges Handtuch. Auch kein Zelt oder Gaskocher oder Stirnlampe oder regendichte Thermounterwäsche. Ich bin schließlich kein Jack-Wolfskin-Typ, der für jede Wetterlage und Überraschung gerüstet ist. Ich bin Guerilla-Couchsurfer.

Das Wichtigste ist sowieso: mein Kopf voller Ideen, mein Willen und das Vertrauen darauf, dass es schon klappen wird. Schätze ich mal. Die Bahncard ist mein Glücksdrache.

Ich laufe in den leeren Räumen auf und ab. In meinem Kopf höre ich Thomas D: Ich verschenk meine Sachen und bin raus, mein Kind, MC Rene ist auf der Reise und hat Rückenwind.

Nachdenklich streiche ich mit einem Finger an der Wand entlang. Ist es schwer, allen Kram, in und mit dem man Jahre gelebt hat, einfach hinter sich zu lassen? Wie leicht kann man Wohnung und Eigentum vergessen? Ich war mir da nicht so sicher. Aber jetzt weiß ich: Es ist erschreckend einfach.

Je weniger man hat, desto weniger Stress. Das klingt wie eine Platitude, aber hier und jetzt in der leeren Wohnung merke ich: Es stimmt. Man braucht eigentlich nur einige wenige Dinge. Wieso habe ich in den letzten Jahren eigentlich solche Massen an Sachen angehäuft? Unglaublich, wie viele Ladungen nutzloser Unrat da plötzlich zum Vorschein gekommen sind. Allein die Klamotten! Säckeweise Hosen, Shirts und Schuhe, die ich jahrelang nicht mehr angezogen hatte. Achtmal bin ich wie der Weihnachtsmann mit einem riesigen Sack auf dem Buckel zur Altkleidersammlung gezuckelt. Falls die das Zeug wirklich weitergeben, dann lässt sich damit wahrscheinlich eine halbe Schulklasse in Afrika als Rapper einkleiden. Vielleicht sehe ich meine Shirts dann ja beim nächsten Bericht über Afrika in der Tagesschau wieder.

Die Sachen wegzugeben, habe ich als Befreiung empfunden. Ich fühle mich wie ein Heißluftballon: Erst muss ich den ganzen Ballast abwerfen, dann kann ich höher und immer höher steigen. Hinauf in den Comedy-Himmel.

Wenn ich in den Jahren zuvor eine Wohnung gekündigt habe, wusste ich, wohin es geht, bin immer nur von einer in eine andere Wohnung gezogen. Die Anzahl der Kartons wurden von Mal zu Mal größer. Diesmal nicht. Ich ziehe nicht um, sondern aus. Mit nur einem Koffer ins Nirgendwo. In die Bahn.

Diesmal stehe ich am Anfang einer Ochsentour. Ich weiß nicht, was mich erwartet, und ich hoffe, dass der Ochse mich ein paar Monate lang trägt. Die ersten Auftritte zu bekommen, war einfacher, als ich dachte. Mit Google kommt man ziemlich weit. Auf einer Website sind Anschriften und E-Mail-Adressen von allen möglichen Locations aufgelistet, die für einen angehenden Comedian in Frage kommen.

Ich habe einfach eine kurze Ansage geschrieben («Hallo, ich bin MC Rene … Ich habe meine Wohnung gekündigt, mir eine Bahncard 100 gekauft und habe sieben Minuten Programm, die ich gerne bei Ihnen aufführen möchte») und über den Verteiler...

Erscheint lt. Verlag 2.5.2012
Zusatzinfo Mit 19 s/w Abb.
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Comic / Humor / Manga Humor / Satire
Schlagworte Anekdoten • Bahn • Bahncard 100 • Bühne • Deutschland • Eigenmotivation • Erinnerungen • Humor • Rapper • Stand-Up-Comedian
ISBN-10 3-644-46341-7 / 3644463417
ISBN-13 978-3-644-46341-7 / 9783644463417
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