Wanja und die wilden Hunde (eBook)

Mein Leben in fünf Jahreszeiten
eBook Download: EPUB
2012 | 1. Auflage
352 Seiten
Mosaik bei Goldmann (Verlag)
978-3-641-06900-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Wanja und die wilden Hunde -  Maike Maja Nowak
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Außergewöhnliche Lektüre für alle, die mehr verstehen wollen von Hunden und Menschen
Das russische Dorf Lipowka, benannt nach den Linden, die hier überall stehen, kann man nur auf dem Wasser erreichen - auf einer Bootsfahrt durch den Wald. Abgeschnitten von der Welt lebt Maja dort mit den Bauern ein einfaches Leben - an ihrer Seite der wilde Hund Wanja. In wunderbaren Bildern und Geschichten erzählt sie vom Leben in einer Welt, in der die Zeit stillzustehen scheint, in der Mensch und Tier sich gegenseitig helfen zu überleben. Nach und nach kommen weitere Hunde dazu, Wanja führt das Rudel - und Maja beobachtet und beginnt immer mehr, sich einzufühlen. Die 'Natur des Hundes' wird dabei ganz anders und neu definiert. Ein spannendes Buch, das die Einfachheit und Natürlichkeit einer anderen Lebenswelt erfahrbar macht.

Maike Maja Nowak, geboren 1961 in Leipzig, ist Autorin zahlreicher SPIEGEL-Bestseller zur Mensch-Hund-Kommunikation sowie zahlreicher Fachartikel und arbeitet als Trauma-Expertin, ist staatlich zugelassene Heilpraktikerin für Psychotherapie und zertifizierte Tiertherapeutin. Sie ist einem breiten Publikum durch die ZDF-Serie »Die Hundeflüsterin« bekannt. Maike Maja Nowak lebt in der Prignitz und in Schweden.
Weitere Infos auf: www.maike-maja-nowak.de

Prolog – Wie ich nach Lipowka kam

Für viele Menschen in Ostdeutschland und Russland diente das Genre des Liedermachens dem emotionalen und geistigen Überleben. Die Säle waren voll, und oft musste ich Doppelvorstellungen geben, weil niemand ohne Karten nach Hause ging.

Meine Zeit als Liedermacherin begann 1981 mit den »Kieselsteinen«, meiner ersten Gruppe, setzte sich fort in einem Duoprogramm mit Norbert Bischoff und dann in Soloprogrammen, bei denen ich von dem Pianisten Rolf Hammermüller begleitet wurde oder mich selbst auf der Gitarre begleitete. Nach der Wende gab es ein letztes Aufleben mit meiner Gruppe »Herzsprünge«. Als wir darüber zu sprechen begannen, was dem Publikum gefallen könnte (in der Hoffnung, wir könnten so dem einsetzenden Publikumsschwund entgegenwirken), wusste ich, dass es vorbei war. In diesem Beruf war es für mich immer darum gegangen, Menschen einen ganz neuen Blickwinkel auf bekannte Dinge anzubieten, und nicht darum, mir zu überlegen, was ihnen gefallen könnte.

Durch die Belanglosigkeit des Überflusses, der plötzlich herrschte, und das Ausbleiben neuer Herausforderungen gelangte ich 1990 schließlich an einen emotionalen Tiefpunkt.

In dieser Phase meines Lebens erzählte mir eine Bekannte von zwei Russinnen, die ein außergewöhnliches Konzert geben sollten. So beschloss ich, zu diesem Konzert zu gehen, nicht ahnend, dass dieser Abend mein Leben verändern würde.

Die Namen der Dichter, deren Texte die Künstlerinnen Vera Ewuschkina und Lena Frolowa vertont hatten, waren mir allesamt bekannt: Anna Achmatowa, Ossip Mandelstam und Boris Pasternak. Allein einen Namen, der an diesem Abend immer wieder gefallen war, konnte ich nicht zuordnen: Marina Zwetajewa.

Später sollte ich erfahren, dass auch Vera und Lena erst einige Jahre zuvor in Berührung mit dieser Dichterin gekommen waren, die sowohl unter Stalin als auch unter dem kommunistischen Regime »nicht erwünscht« gewesen war. Erst mit Gorbatschow hatte Zwetajewa die Würdigung und Anerkennung erfahren, die ihr für ihre große sprachliche Begabung und ihre mutig gewählten Themen zustanden.

Seitdem lieben die Russen Zwetajewa mit einer Hingabe, die ich in Deutschland im Zusammenhang mit einem Dichter so nicht kenne. Zu Beginn meines Aufenthaltes in Moskau stand einmal im Bus ein russischer Arbeiter in blauem Overall auf und rezitierte ein Gedicht von ihr, woraufhin die Mitfahrenden begeistert applaudierten. Um fünf Uhr morgens wurden in Moskauer Radiosendern Gedichte rezitiert, abends im Fernsehen ebenso. Man stelle sich so etwas in der deutschen Medienlandschaft vor! Auch bei Zusammenkünften unter Freunden durfte das Rezitieren von Gedichten nie fehlen. Gedichte waren zu dieser Zeit in Russland noch »Brot für die Seele«.

In der Nacht nach dem Konzert der beiden russischen Künstlerinnen entdeckte ich zu Hause in meinem Fach für ungelesene Bücher einen Gedichtband von Marina Zwetajewa – in der deutschen Übersetzung von Elke Erb. Dunkel erinnerte ich mich, dass mir Ende der Achtzigerjahre mein damaliger Lebensgefährte dieses Buch mit den Worten geschenkt hatte: »Ich glaube, ihr seid euch ähnlich.« Nun stand ich auf meiner kleinen Lesetreppe und begann in den deutschen Nachdichtungen zu blättern.

Ich weiß nicht, wann ich mich auf die Treppe setzte. Morgens um 4:30 Uhr hörte ich die Vögel zwitschern. Ich hatte das Buch ausgelesen und ein emotionales Zuhause gefunden.

Zwetajewa gab mir die Worte, die ich in meiner damaligen Lebenssituation niemals gefunden hätte. Das künstlerische Wort unterscheidet sich von Tagebucheinträgen ja gerade durch seine besondere Reflexion. Dazu braucht es Abstand.

Mit der westdeutschen Mentalität verband mich bis zu diesem Zeitpunkt nichts, einfach deswegen, weil ich im Osten aufgewachsen war und immer dort gelebt hatte. Während meine neue Westberliner Freundin Anna ihre Ansichten und ihre Art zu leben behalten konnte, musste ich – wie jeder Ostdeutsche – erst ein Gefühl für das Neue, mir Unvertraute entwickeln und mein altes Leben irgendwie mit diesem vereinen. Eine künstlerische Sicht auf das Neue wäre mir deshalb in keiner Weise möglich gewesen, mir mangelte es einfach an der dazu nötigen Distanz. Ich war eine Liedermacherin, der plötzlich die Worte fehlten. Zwetajewa jedoch hatte sie. Ihre nuancierte Form der Trauer, die nie ins Selbstmitleid abgleitet, ihre Kraft zu lieben, ihr Ausdruck von Schmerz, ihr Aufbegehren, ihr Mut und ihre Unbestechlichkeit halfen mir.

Noch am selben Morgen setzte ich mich mit meiner Gitarre vor ein kleines Aufnahmegerät und vertonte eines ihrer Gedichte, das mir sofort nahegegangen war:

Du kannst die Glut der Sonne schwächen,

Lässt mich in deiner Hand Sterne sehn!

Ach, plötzlich bei dir einzubrechen,

Ein Windstoß, wenn die Türen offen stehn!

Um stammelnd meine Scheu zu zeigen,

Um hilfesuchend zu erröten: sieh!

Um aufzuschluchzen und zu schweigen,

Wie in der Kindheit, als man mir verzieh.1

(2. Juli 1916)

Um 6:30 Uhr stand ich mit meinem fertigen Lied vor der Tür des Mannes, der mir das Buch geschenkt hatte und mit dem mich noch immer eine tiefe Freundschaft verband. Als Nachtmensch und Langschläfer augenscheinlich nicht sehr glücklich über die frühe Störung, öffnete er mir die Tür.

»Ich habe Zwetajewa entdeckt!«, rief ich voll Adrenalin.

Er wuschelte sich durch die Haare und sagte gähnend: »Das wird ja auch Zeit.«

Einen Tag später beschloss ich, Russisch zu lernen, um Zwetajewa im Original vertonen zu können. Mein Schulrussisch lag zu diesem Zeitpunkt bereits sechzehn Jahre zurück, und ich konnte mich an gerade einmal fünf Vokabeln erinnern – »Guten Tag«, »Auf Wiedersehen«, »Ferien«, »Bitte«, »Danke«. Es blieben drei Wege: Theorie-Russisch an der Volkshochschule, Theorie-Intensivkurs in einer Sprachenschule oder Praxis-Russisch in Russland.

Eine Woche später ging ich nach Russland.

Der Mann, der mir das Buch einst schenkte, hatte mir den Kontakt zu seinen besten Freunden in Moskau gegeben. Diese besorgten mir eine Neubauwohnung zur Miete (in Dollar) am Prjeobrazhenskaja plostshad’. Wie ich später erfuhr, heißt dies übersetzt »Platz der Verklärung«. Ich bin noch heute erstaunt, wie gut mein damaliger Zustand zum Namen dieses Ortes passte. So blickte ich nach meiner Ankunft im Winter 1990 auf einen tiefverschneiten Platz vor meinem Fenster im zwölften Stock und sah Kindern beim Rodeln von einem kleinen Hügel zu. Mich durchfuhr ein seltsam erregendes Gefühl des Fremdseins. Vielleicht fühlen Kinder so, wenn ihnen die Bezeichnung für etwas noch fehlt.

Stellen Sie sich vor, Sie sehen einen Gegenstand, können ihn aber nicht benennen. Sie werden ihn genau betrachten. Seine Farbe. Seine Form. Sein Material. Seine Besonderheit. Sobald Sie aber seinen Namen und seine Funktion erfahren, ist dieser unverbrauchte Blick verschwunden.

Da auch mir die russischen Begriffe für »Kinder«, »Schnee«, »Straße«, »Bäume«, »Hügel«, »Schlitten«, »Freudenschreie« fehlten, hatte ich das Gefühl, etwas ganz Neues zu erleben.

Ich traf Vera wieder, die Künstlerin, auf deren Konzert ich in Berlin gewesen war. Sie sollte in Russland der wichtigste Mensch für mich werden. Nach kurzer Zeit stellte Vera mich ihrer Freundin Elena (Lena) Kamburowa vor, der damals beliebtesten Sängerin Russlands. Lena wiederum war befreundet mit Bulat Okudschawa (gest. 1997), zu diesem Zeitpunkt der bekannteste Liedermacher Russlands. Über diese Künstler – Vera, Lena und Bulat – fand ich nun schnell Zugang zur Bühne.

Sie unterstützten meine ersten Vertonungen der Originalgedichte Zwetajewas. Ein Dolmetscher übersetzte sie mir nicht nur Wort für Wort, sondern klärte mich auch über die poetische Bedeutung der Begriffe auf, die im Russischen häufig eine andere ist als im Deutschen. So verwendet Zwetajewa das Wort Schnee sehr oft, um Unberührtheit oder einen Neuanfang zu kennzeichnen, während es im Deutschen eher mit (Gefühls-)Kälte assoziiert wird.

Ich begann, Zwetajewas Poesie in Musik zu kleiden wie eine Architektin, die Statik, Schönheit, Verwendung, Zusammenhänge und Lebensgefühl vereinen muss. Zwetajewa war selbst bereits eine Musikerin mit Worten gewesen. Der Klang ihrer Gedichte ist so selbstverständlich vorgegeben, dass ich die Harmonien auf der Gitarre und meinen Gesang nur noch darüberlegen musste wie einen Mantel.

In ihrem Gedicht »Rasluka« (»Abschied«) zum Beispiel, in dem der Abschied wie eine Person vor ihr auftaucht, beginnt sie mit langsamen, ruhigen Versen und Tönen. Von Strophe zu Strophe schleichen sich kürzere, dumpfere, schärfere Laute ein, zum Schluss eskaliert das Ganze in einem Dauerzischen von Worten und geht in einem Schluchzen unter, als Zwetajewa begreift, dass dieser Abschied nicht vor ihr steht, sondern in ihr selbst ist. Der Begriff Rasluka hämmert zwischen den Worten einen Rhythmus, der sich immer mehr verdichtet. Dieses Gedicht lässt mir bis heute das Mark gefrieren und das Herz brennen.

Ich begann auch, Zwetajewas Leben zu studieren. Ich reiste an Orte, an denen sie einmal gewohnt hatte, besuchte immer wieder das Zwetajewa-Museum in Moskau und verschlang Literatur über sie.

Vor meinem ersten Konzert in Russland hatte ich einen Traum: Während ich singe, entdecke ich plötzlich Zwetajewa mit verschränkten Armen im Publikum. Ich starre sie an wie das Kaninchen die Schlange und rechne mit dem Schlimmsten. Zwetajewa senkt mit sehr ernstem Blick den Kopf und nickt dreimal...

Erscheint lt. Verlag 27.2.2012
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Biografie • Biographien • Cesar Millan • eBooks • Hunde • Hundeerziehung • Hundeflüsterin • Hundeführung • Hundeführung, Russland, Hundeerziehung, Hundeflüsterin, Hundegeschichten • Hundegeschichten • Hundetraining • hund hört nicht • Russland • Welpen • Welpenerziehung • Welpen Erziehung
ISBN-10 3-641-06900-9 / 3641069009
ISBN-13 978-3-641-06900-1 / 9783641069001
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