Das Bildnis des Dorian Gray (eBook)
275 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-401804-1 (ISBN)
Oscar Wilde (1854-1900) prägte als Figur des öffentlichen Lebens und scharfzüngiger Dandy den Stil seiner Zeit. Seine Theaterstücke, Erzählungen und der Roman 'Das Bildnis des Dorian Gray' machten ihn bereits zu Lebzeiten zu einem der bekanntesten und beliebtesten britischen Autoren, dessen Ruhm bis heute ungebrochen ist.
Oscar Wilde (1854-1900) prägte als Figur des öffentlichen Lebens und scharfzüngiger Dandy den Stil seiner Zeit. Seine Theaterstücke, Erzählungen und der Roman "Das Bildnis des Dorian Gray" machten ihn bereits zu Lebzeiten zu einem der bekanntesten und beliebtesten britischen Autoren, dessen Ruhm bis heute ungebrochen ist.
Erstes Kapitel
Starker Rosenduft durchströmte das Atelier, und als ein leichter Sommerwind die Bäume im Garten hin und her wiegte, kam durch die offene Tür der schwere Geruch des Flieders oder der feinere Duft des Rotdorns.
Von dem Perserdiwan, auf dem er lag und nach seiner Gewohnheit unzählige Zigaretten rauchte, konnte Lord Henry Wotton gerade die süßduftenden und honigfarbenen Blüten eines Goldregenstrauchs gewahren, dessen zitternde Zweige die Last einer so flammenden Schönheit kaum tragen zu können schienen; und hie und da flitzten die phantastischen Schatten vorbeifliegender Vögel über die langen bastseidenen Vorhänge, die an dem großen Fenster hingen, und brachten eine Art japanische Augenblickswirkung hervor, sodass ihm die blassen, nephritfarbenen Maler Tokios einfielen, die vermittelst einer Kunst, die nicht anders als unbeweglich sein kann, das Gefühl der Raschheit und Bewegung hervorzurufen suchen. Das summende Murren der Bienen, die in dem langen ungemähten Gras hin und her taumelten oder mit eintöniger Hartnäckigkeit die staubiggoldenen Blütentrichter des wuchernden Geißblatts umkreisten, schienen die Stille noch drückender zu machen. Das dumpfe Getöse Londons klang wie das Schnarrwerk einer entfernten Orgel.
In der Mitte des Gemaches stand auf einer hoch aufgerichteten Staffelei das lebensgroße Porträt eines ungewöhnlich schönen jungen Mannes, und ihm gegenüber, etwas entfernt davon, saß der Künstler, der es gemalt hatte, Basil Hallward, dessen plötzliches Verschwinden vor einigen Jahren das Publikum erregt und so viele seltsame Vermutungen erweckt hat.
Wie der Maler auf die anmutige Gestalt blickte, die er so schön in seiner Kunst gespiegelt hatte, überflog ein Lächeln der Freude seine Züge und schien auf ihnen verweilen zu wollen. Aber er fuhr plötzlich auf, schloss die Augen und drückte die Lider mit den Fingern zu, wie wenn er einen absonderlichen Traum, dessen Erwachen er fürchtete, im Hirne gefangen halten wollte.
»Es ist deine beste Arbeit, Basil, das Beste, was du je gemacht hast«, sagte Lord Henry mit müder Stimme. »Du musst es bestimmt nächstes Jahr ins Grosvenor schicken. Die Akademie-Ausstellung ist zu groß und zu gewöhnlich. Jedesmal, wenn ich hinging, waren entweder so viele Menschen da, dass ich die Bilder nicht sehen konnte, und das war schrecklich, oder so viele Bilder, dass ich die Menschen nicht sehen konnte, und das war noch schlimmer. Das Grosvenor ist wirklich der einzige Ort, der in Frage kommt.«
»Ich denke nicht daran, es überhaupt auszustellen«, antwortete er und warf den Kopf in der besonderen Art zurück, über die seine Freunde in Oxford so oft gelacht hatten. »Nein, ich stelle es nirgends aus.«
Lord Henry zog die Brauen hoch und blickte ihn durch die dünnen blauen Rauchgirlanden, die sich in phantastischen Windungen aus seiner schweren opiumgetränkten Zigarette emporkräuselten, erstaunt an. »Nirgends ausstellen? Mein Lieber, warum? Hast du einen Grund? Was ihr Maler für kuriose Kerle seid! Ihr tut alles in der Welt, um berühmt zu werden. Sowie ihr es seid, scheint ihr des Ruhms überdrüssig. Das ist dumm von dir, denn es gibt nur ein Ding in der Welt, das schlimmer ist, als dass über einen geredet wird, nämlich, dass nicht über einen geredet wird. Ein Porträt wie dieses muss dich weit über alle jungen Leute in England heben und die Alten ganz neidisch machen – wenn alte Leute überhaupt einer Gemütsbewegung fähig sind.«
»Ich weiß, du wirst mich auslachen«, erwiderte er, »aber ich kann es wirklich nicht ausstellen. Ich habe zu viel von mir selbst hineingebracht.«
Lord Henry streckte sich auf dem Diwan aus und lachte. »Ja, ja, das wusste ich, aber es ist völlig wahr, trotzdem.« »Zu viel von dir soll darin sein! Auf mein Wort, Basil, ich wusste nicht, dass du so eitel bist; ich kann wahrhaftig nicht die geringste Ähnlichkeit zwischen dir mit deinem eckigen strengen Gesicht und deinen kohlschwarzen Haaren und diesem jungen Adonis finden, der aussieht, als sei er aus Elfenbein und Rosenblättern gemacht. Nein, lieber Basil, er ist ein Narcissus und du – nun, natürlich hast du geistigen Ausdruck und so weiter. Aber Schönheit, wahre Schönheit hört auf, wo geistiger Ausdruck anfängt. Geist ist an sich eine Art Übertriebenheit und zerstört das Ebenmaß jedes Gesichts. Sowie man sich ans Denken macht, wird man ganz Nase oder ganz Stirn oder etwas Grässliches derart. Betrachte die Männer, die in irgendeinem gelehrten Beruf Erfolg hatten. Wie vollendet hässlich sind sie! Ausgenommen natürlich die Männer der Kirche. Aber in der Kirche denken sie eben nicht. Ein Bischof bleibt dabei, mit achtzig Jahren dasselbe zu sagen, was man ihm als achtzehnjährigem Jungen beigebracht hat, und die natürliche Folge ist, dass er immer ganz wonnig aussieht. Dein geheimnisvoller junger Freund, dessen Namen du mir nie gesagt hast, dessen Bild mich jedoch wahrhaft bezaubert, denkt niemals. Das ist mir ganz sicher. Er ist so ein hirnloses, schönes Geschöpf, das wir im Winter immer haben sollten, wenn es keine Blumen gibt, auf die wir blicken können, und immer im Sommer, wenn wir etwas zur Abkühlung unseres Geistes brauchen. Schmeichle dir nicht, Basil: du hast nicht die mindeste Ähnlichkeit mit ihm.«
»Du verstehst mich nicht, Harry«, antwortete der Künstler. »Natürlich habe ich keine Ähnlichkeit mit ihm. Das weiß ich sehr wohl. Ich wäre sogar traurig, wenn ich so aussähe wie er. Du zuckst die Achseln? Ich sage dir die Wahrheit. Es schwebt ein Verhängnis um alle körperliche und geistige Auszeichnung; die Art Verhängnis, die in der ganzen Geschichte den schwankenden Schritten der Könige auf dem Fuße zu folgen scheint. Es ist besser, sich nicht von seinen Genossen zu unterscheiden. Die Hässlichen und die Dummen sind in dieser Welt am besten dran. Sie können behaglich dasitzen und sorglos dem Spiel zuschauen. Wenn sie nichts von Siegen wissen, so ist ihnen dafür auch erspart, Niederlagen kennenzulernen. Sie leben, wie wir alle leben sollten: sorglos, gleichgültig und ohne Unruhe. Sie bringen über andere kein Verderben und empfangen es auch nicht aus fremden Händen. Dein Rang und dein Reichtum, Harry; mein Hirn, wie es nun schon ist – meine Kunst, sie mag wert sein, was sie will; Dorian Grays schönes Äußere – wir werden alle drei unter dem leiden, was uns die Götter gegeben haben, schrecklich leiden.«
»Dorian Gray? So heißt er?«, fragte Lord Henry und ging durch das Atelier auf Basil Hallward zu.
»Ja, so heißt er. Ich wollte dir den Namen nicht nennen.«
»Aber warum nicht?«
»Oh! ich kann das nicht erklären. Wenn ich einen Menschen unmäßig lieb habe, sage ich nie jemandem seinen Namen. Es ist, als übergäbe man damit einen Teil von ihm. Ich bin dazu gekommen, das Geheimnis zu lieben. Das scheint allein imstande zu sein, das Leben unserer Zeit für uns zum Mysterium oder zum Wunder zu machen. Das gemeinste Ding ist voller Schönheit, wenn man es nur versteckt. Wenn ich die Stadt verlasse, sage ich den Menschen nie mehr, wohin ich gehe. Täte ich es, so büßte ich all meinen Genuss ein. Es ist eine törichte Gewohnheit, ich gebe es zu, aber irgendwie scheint dadurch viel Romantik ins Leben zu kommen. Vermutlich hältst du mich darum für schrecklich verrückt?«
»Nicht im Geringsten«, erwiderte Lord Henry, »nicht im Geringsten, lieber Basil. Du scheinst zu vergessen, dass ich verheiratet bin, und die Ehe hat den einen Reiz, dass sie beiden Teilen ein Leben der Täuschung völlig zur Notwendigkeit macht. Ich weiß nie, wo meine Frau ist, und meine Frau weiß nie, was ich treibe. Wenn wir zusammen sind – wir sind manchmal zusammen, wenn wir miteinander eingeladen sind oder zum Herzog aufs Land fahren –, erzählen wir uns die verrücktesten Geschichten mit der ernsthaftesten Miene. Meine Frau versteht sich trefflich darauf – eigentlich besser als ich. Sie bringt ihre Daten nie durcheinander; und ich immer. Aber wenn sie mich ertappt, macht sie keinen Lärm darüber. Ich wünschte manchmal, sie täte es; aber sie lacht mich bloß aus.«
»Die Art, wie du über dein Eheleben sprichst, ist mir verhasst, Harry«, sagte Basil Hallward und ging langsam zu der Tür, die in den Garten führte. »Ich glaube, du bist in Wahrheit ein sehr guter Ehemann, schämst dich jedoch heftig über deine eigene Tugendhaftigkeit. Du bist ein absonderlicher Bursche. Du sagst nie etwas Moralisches, und du tust nie etwas Schlechtes. Dein Zynismus ist lediglich Pose.«
»Natürlichsein ist lediglich eine Pose, und die ärgerlichste, die ich kenne«, rief Lord Henry und lachte; und die zwei jungen Leute gingen miteinander in den Garten und setzten sich in den Schatten eines großen Lorbeerbusches auf ein langes Bambussofa. Das Sonnenlicht glitt über die glänzenden Blätter. Im Grase zitterten weiße Gänseblümchen. Nach einer Pause zog Lord Henry seine Uhr. »Ich fürchte, ich muss gleich gehen, Basil«, brummte er, »und ehe ich gehe, bestehe ich darauf, dass du mir die Frage beantwortest, die ich vorhin an dich richtete.«
»Was denn?«, fragte der Maler, ohne aufzublicken.
»Du weißt schon.«
»Nein, Harry.«
»Nun, dann will ich dir’s sagen. Du sollst mir erklären, warum du Dorian Grays Bildnis nicht ausstellen willst. Ich verlange den wirklichen Grund zu wissen.«
»Ich sagte dir den wirklichen Grund.«
»Nein, das tatest du nicht. Du sagtest, der Grund sei, weil zu viel von dir in dem Bilde sei. Nun, das ist kindisch.«
»Harry«, sagte Basil Hallward und schaute ihm gerade ins Gesicht, »jedes Porträt, das mit Empfindung gemalt ist, ist ein Porträt des Künstlers, nicht dessen, der ihm sitzt. Der ist bloß der Anlass,...
Erscheint lt. Verlag | 22.12.2011 |
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Reihe/Serie | Fischer Klassik Plus | Fischer Klassik Plus |
Übersetzer | Hedwig Lachmann, Gustav Landauer |
Verlagsort | Frankfurt am Main |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Klassiker / Moderne Klassiker |
Literatur ► Romane / Erzählungen | |
Schlagworte | 19. Jahrhundert • Aufschneider • Dandy • Dekadenz • Dorian Gray • England • Fin de siécle • Fin de siècle • Henry Wotton • London • Paranoia • Paris • Roman • Schönheit • Sibyl Vane • Zerfall |
ISBN-10 | 3-10-401804-9 / 3104018049 |
ISBN-13 | 978-3-10-401804-1 / 9783104018041 |
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