Unendlicher Spaß (eBook)
1552 Seiten
Verlag Kiepenheuer & Witsch GmbH
978-3-462-30537-1 (ISBN)
David Foster Wallace, 1962 geboren, gilt als einer der wichtigsten Vertreter der amerikanischen Literatur. Zahlreiche Veröffentlichungen, u.a. »Unendlicher Spaß«, »Kurze Interviews mit fiesen Männern«, »Der Besen im System« und »Der bleiche König«. David Foster Wallace starb am 12. September 2008.
David Foster Wallace, 1962 geboren, gilt als einer der wichtigsten Vertreter der amerikanischen Literatur. Zahlreiche Veröffentlichungen, u.a. »Unendlicher Spaß«, »Kurze Interviews mit fiesen Männern«, »Der Besen im System« und »Der bleiche König«. David Foster Wallace starb am 12. September 2008. Ulrich Blumenbach, geboren 1964 in Hannover und aufgewachsen in Lüneburg, hat Anglistik und Germanistik in Münster, Sheffield und Berlin studiert und arbeitet seit 1993 als literarischer Übersetzer aus dem Englischen und Amerikanischen sowie als Gelegenheitslektor und -kritiker.
Jahr des Glad-Müllsacks
Ich befinde mich in einem Büro, umgeben von Körpern und Köpfen. Meine Haltung kongruiert bewusst der Form des harten Stuhls, auf dem ich sitze. Es ist ein kaltes Zimmer, das zur Universitätsverwaltung gehört, holzgetäfelt, remingtonbehängt und doppelverglast gegen die Novemberhitze, durch das Empfangsareal draußen von Verwaltungsgeräuschen abgeschirmt. Dort wurden Onkel Charles, Mr deLint und ich vorhin empfangen.
Ich bin hier drin.
Auf der anderen Seite des Konferenztischs aus poliertem Kiefernholz, der im spinnfädigen Mittagslicht von Arizona glänzt, schälen sich über leichten Sommersakkos und halben Windsors drei Gesichter heraus. Sie gehören den drei Kommissionsleitern – Zulassung, Studiendekanat und Hochschulsport. Welches wem gehört, weiß ich nicht.
Ich glaube, ich wirke neutral, vielleicht sogar liebenswürdig, dabei wurde mir eingebläut, neutral zu bleiben und nicht zu versuchen, eine mir liebenswürdig erscheinende Miene aufzusetzen oder gar zu lächeln.
Ich schlage sorgfältig, so hoffe ich, die Beine übereinander, Knöchel auf Knie, Hände im Schoß der Hose. Meine verschränkten Finger sehen aus wie eine Serie des Buchstaben X im Spiegelkabinett. Im Sitzungszimmer sind außerdem: der Literarische Gutachter der Fakultät, der Universitäts-Tennistrainer und der Prorektor Mr A. deLint. C.T. sitzt neben mir; die anderen sitzen bzw. stehen und stehen am Rand meines Gesichtsfeldes. Der Tennistrainer klimpert mit Kleingeld in der Tasche. Ein leicht digestiver Geruch liegt im Zimmer. Die Profilsohle meines von Nike gesponserten Turnschuhs ist parallel ausgerichtet zum ausgelatschten Loafer des Halbbruders meiner Mutter, anwesend in seiner Eigenschaft als Rektor. Er sitzt auf dem Stuhl, so hoffe ich, gleich rechts neben mir und sieht ebenfalls die Kommissionsleiter an.
Der Kommissionsleiter zur Linken, ein schmaler, gelblicher Mann, dessen eingefrorenes Lächeln gleichwohl vergänglich ist wie eine Prägung in unnachgiebigem Material, gehört einem Menschentyp an, den ich in letzter Zeit zu schätzen gelernt habe, dem Typ, der seine Neugier auf meine Meinung ungestillt lässt, indem er mir meine Sicht der Dinge darlegt. Der zottelige Löwe von Kommissionsleiter in der Mitte hat ihm einen Stapel Computerausdrucke zugeschoben, und er wendet sich mehr oder weniger an diese Blätter, lächelt auf sie hinab.
»Sie sind Harold Incandenza, achtzehn, Schulabschluss in schätzungsweise einem Monat, Sie besuchen die Enfield Tennis Academy in Enfield, Massachusetts, in deren Internat Sie auch wohnhaft sind.« Seine Lesebrille ist rechteckig, tennisplatzförmig, oberer und unterer Rand bilden die Seitenlinien. »Trainer White und Kommissionsleiter [unverständlich] zufolge sind Sie ein regional, national und kontinental gesetzter Tennisspieler, ein äußerst vielversprechender potenzieller O.N.A.N.C.A.A.-Sportler, der von Trainer White in einem im … Februar dieses Jahres aufgenommenen Schriftwechsel mit Dr. Tavis hier angeworben wurde.« Das jeweils oberste Blatt wird in regelmäßigen Abständen abgehoben und unter den anderen säuberlich auf Stoß gebracht. »Seit Ihrem siebten Lebensjahr sind Sie wohnhaft in der Enfield Tennis Academy.«
Ich frage mich, ob ich es wagen soll, mir den Grützbeutel rechts am Kiefer zu kratzen.
»Trainer White setzt unsere Verwaltung darüber in Kenntnis, dass er dem Programm und den Erfolgen der Enfield Tennis Academy großen Respekt zollt, dass der Tenniskader der University of Arizona schon mehrfach von der Immatrikulation E.T.A-Ehemaliger profitiert hat, zu denen ein gewisser Mr Aubrey F. deLint zählte, der heute an Ihrer Seite hier erschienen ist. Trainer White und seine Leute geben uns Grund –«
Die Diktion des gelben Verwaltungsbeamten ist alles in allem mittelmäßig, aber ich muss zugeben, dass er sich verständlich gemacht hat. Der Literarische Gutachter scheint über mehr als die übliche Anzahl Augenbrauen zu verfügen. Der Kommissionsleiter zur Rechten sieht mich etwas seltsam an.
Onkel Charles sagt, es sei zwar nicht auszuschließen, dass die Kommissionsleitung geneigt sein könnte, seine Behauptungen darauf zurückzuführen, dass er eine Art Cheerleader der E.T.A. sei, er dürfe der versammelten Kommissionsleitung indes versichern, dass das alles der Wahrheit entspreche und dass in der Academy gegenwärtig sage und schreibe ein Drittel der dreißig besten Junioren des Kontinents wohnhaft sei, in nachgerade sämtlichen Altersgruppen, und dass ich hier, der meist »Hal« genannt werde, »sozusagen eines der Sahnehäubchen auf der Crème de la Crème« sei. Rechter und mittlerer Kommissionsleiter lächeln routiniert; deLint und der Trainer neigen die Köpfe, als sich der linke Leiter räuspert:
»– zu der Annahme, dass Sie sogar als Studienanfänger durchaus einen substanziellen Beitrag zum Tennisprogramm dieser Universität leisten könnten. Wir sind erfreut«, sagt oder liest er und hebt ein Blatt ab, »dass ein größerer Wettkampf Sie zu uns geführt hat und uns die Möglichkeit gibt, uns über Ihren Immatrikulationsantrag sowie Ihre potenzielle Anwerbung, Einschreibung und Studienbeihilfe zu unterhalten.«
»Man hat mich gebeten, darauf hinzuweisen, dass Hal im angesehenen WhataBurger-Southwest-Junior-Gastturnier drüben im Randolph Tennis Center an Nummer 3 im Einzel der Junioren gesetzt ist –«, sagt der mutmaßliche Hochschulsportleiter, und sein schräggelegter Kopf zeigt sommersprossige Kopfhaut.
»Drüben in Randolph Park, in der Nähe des unvergleichlichen El Con Marriott«, wirft C.T. ein, »einem Austragungsort, den die ganze Gruppe erklärtermaßen bislang absolut picobello fand, was –«
»Ganz recht, Chuck, und unserem Chuck zufolge ist Hal seinem Listenplatz bereits gerecht geworden und hat mit einem, wie es scheint, beeindruckenden Sieg heute Vormittag das Halbfinale erreicht. Morgen wird er wieder drüben im Center spielen, und zwar gegen den Sieger des Viertelfinalspiels von heute Abend. Wenn mich nicht alles täuscht, tritt er also morgen Abend um 20.30 an –«
»Versuch alles klarzumachen, bevor da draußen diese Affenhitze herrscht. Auch wenn’s natürlich eine trockene Hitze ist.«
»– und hat sich offenbar auch schon für das Kontinental-Hallenturnier im kommenden Winter oben in Edmonton qualifiziert, wie Kirk mir sagte –«, bringt den Kopf noch mehr in Schräglage, schaut hoch und nach links zum Tennistrainer rüber, dessen permagrinsende Zähne sich strahlend von einem deftigen Sonnenbrand abheben – »Was echt für ihn spricht.« Er lächelt und sieht mich an. »War das so weit alles richtig, Hal?«
C.T. hat lässig die Arme gekreuzt; im klimatisierten Sonnenlicht erscheinen seine Trizepse wie marmoriert. »Das will ich meinen, Bill.« Er lächelt. Die beiden Hälften seines Schnurrbarts harmonieren nie ganz. »Ich würde gern noch hinzufügen, dass Hal aufgeregt ist, aufgeregt darüber, das dritte Jahr in Folge zum Gastturnier eingeladen zu werden, wieder in einer Gemeinschaft zu sein, der er tiefe Zuneigung entgegenbringt, ihre Ehemaligen und Trainer wiederzusehen, seine hohe Setzung im ja nicht unschwierigen Wettbewerb dieser Woche schon gerechtfertigt zu haben, immer noch, wie es so schön heißt, dabei zu sein, auch wenn man den Tag nicht loben soll, ehe die Vesperglocken verklungen sind, wenn ich mal so sagen darf, am meisten aber natürlich, weil es ihm die Gelegenheit gibt, Sie, meine Herren, kennenzulernen und die hiesigen Anlagen in Augenschein zu nehmen. Alles ist hier absolut vom Feinsten, soweit er gesehen hat.«
Schweigen. DeLint schubbert die Wandtäfelung entlang und verlagert sein Gewicht wieder auf die Körpermitte. Mein Onkel strahlt und strafft sein straffes Uhrarmband. 62,5 % der Gesichter im Raum sehen mich freundlich gespannt an. Mein Herz rumpelt wie ein Wäschetrockner mit Schuhen drin. Ich setze eine Miene auf, die als Lächeln verstanden werden will. Ich wende mich hierhin und dorthin, ganz leicht, um alle Anwesenden an dieser Miene teilhaben zu lassen.
Ein neues Schweigen. Die Augenbrauen des gelben Kommissionsleiters werden zu Zirkumflexen. Die beiden anderen Leiter schauen den für Literarische Gutachten an. Der Tennistrainer ist vor das große Fenster getreten und fährt sich am Hinterkopf über den Bürstenschnitt. Onkel Charles’ Hand streicht über den Unterarm oberhalb der Armbanduhr. Scharfgeschwungene Palmenschatten gleiten über den glänzenden Kieferntisch, der Schatten des einen Kopfs ein schwarzer Mond.
»Ist mit Hal alles in Ordnung, Chuck?«, fragt Hochschulsport. »Er schien gerade eine … na ja, Grimasse zu ziehen. Hat er Schmerzen? Hast du Schmerzen, mein Sohn?«
»Hal ist voll auf dem Posten«, lächelt mein Onkel mit einer besänftigenden, saloppen Geste. »Bloß ein kleines, sagen wir, vielleicht nervöses Zucken, weiter nichts, durch all das Adrenalin, weil er hier auf diesem beeindruckenden Campus ist und bewiesen hat, dass seine Setzung richtig war, ohne einen einzigen Satz abzugeben, weil er das offizielle schriftliche Angebot mit einem PAC-10-Briefkopf erhalten hat, in dem ihm Trainer White nicht nur eine Verzichtserklärung zusagt, sondern auch eine Studienbeihilfe, weil er, wie er mir gegenüber angedeutet hat, höchstwahrscheinlich bereit ist, hier und heute und auf der Stelle eine Nationale Absichtserklärung zu unterzeichnen.« C.T. sieht mich mit furchterregender Milde an. Ich gehe auf Nummer sicher, entspanne jeden einzelnen Muskel im Gesicht, nehme ihm jeden Ausdruck und starre intensiv auf den Kekuléknoten der Krawatte des mittleren Kommissionsleiters.
Meine stumme Reaktion auf das erwartungsvolle Schweigen...
Erscheint lt. Verlag | 15.12.2011 |
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Übersetzer | Ulrich Blumenbach |
Verlagsort | Köln |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Schlagworte | Alles ist grün • Am Beispiel des Hummers • Das hier ist Wasser • David Foster Wallace • Der Besen im System • Der bleiche König • Infinite Jest • Kult-Roman • Schrecklich amüsant • Welt-Literatur |
ISBN-10 | 3-462-30537-9 / 3462305379 |
ISBN-13 | 978-3-462-30537-1 / 9783462305371 |
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