DJ Dionysos (eBook)

Geschichten aus der Diskowelt
eBook Download: EPUB
2010 | 1. Auflage
192 Seiten
Verlag Kiepenheuer & Witsch GmbH
978-3-462-30218-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

DJ Dionysos -  Hans Nieswandt
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Im Namen des Beat, des Break und der Bassline Schon zu Zeiten des Gottes Dionysos gab es ravende Nymphen, in Madagaskar ergreift ein Hip-Hop-DJ die Macht, und der schreibende DJ Hans Nieswandt ist überall dabei! Seit über zwanzig Jahren produziert er elektronische Beats und gehört zu Deutschlands renommiertesten House-DJs. Nun hat Hans Nieswandt einen ehrgeizigen Plan: Nach zwei erfolgreichen Büchern über das DJ-Dasein sieht er die Zeit reif für den großen Wurf - den »Moby Dick« der Diskowelt. Schnell hat das Ding einen Helden, einen fantastischen Überbau und einen Namen: »DJ Dionysos« - denn ohne den Gott der rauschhaften Ekstase geht in den modernen elektronischen Disko-Tempeln sowieso gar nichts. Doch kaum ist das Romanpersonal versammelt und der Bleistift gespitzt, kommt die Realität dazwischen und alles ganz anders als geplant ... Statt brav an seinem Schreibtisch zu kleben, führt Hans Nieswandt das Plattenauflegen um die halbe Welt: von Hanoi und Kuala Lumpur bis auf transsibirische Tracks und nach Nowosibirsk. Und auch an Orte, an denen DJs eher selten zu sehen sind: als Filmkomparse ans Set von Wim Wenders, als Shakespeare-Remixer ans Theater oder als Prinz zum Ballett! Verstärkt merkt Hans Nieswandt bei seinen Auftritten, wie viel sich in den Clubs verändert - und das nicht zum Vorteil. Vor allem jüngere Kollegen frönen den federleichten Files auf Laptops und vernachlässigen den Zauber des heiligen Vinyls ... Bei all diesen Zwischenfällen, bizarren Begegnungen, kulturellen Kuriositäten und skurrilen Abenteuern, die er sich so nie hätte ausdenken können, bleibt kaum Zeit zum Schreiben seines Romans - doch Hans Nieswandt gibt nicht auf, und für ein paar Kapitel reicht es glücklicherweise ... Voller Esprit, gewohnt kenntnisreich und herrlich selbstironisch erzählt Hans Nieswandt von grandiosen Gigs und ungewöhnlichen Musik-Erlebnissen rund um den Globus - und schreibt wie nebenbei eine kleine Geschichte über die neue DJ-Generation und den Clash der Techniken.

Hans Nieswandt, geboren 1964 in einer mittelgroßen Industriestadt namens Mannheim, ist seit über 15 Jahren ein respektierter wie aktiver Charakter in der Welt der DJ- und Clubkultur, der elektronischen Musikproduktion und des gehobenen Popjournalismus. Ausgedehnte DJ- und Vortragsreisen führten ihn rund um die Welt. Allein und im Team mit Whirlpool Productions erschienen bis heute sechs Alben und unzählige Remixe. Seit Frühling 2003 macht Hans Nieswandt mit Elektronische Melodien auch eine eigene Radiosendung bei 1Live. Zuletzt erschien von ihm sein Album The True Sound Center.

Hans Nieswandt, geboren 1964 in einer mittelgroßen Industriestadt namens Mannheim, ist seit über 15 Jahren ein respektierter wie aktiver Charakter in der Welt der DJ- und Clubkultur, der elektronischen Musikproduktion und des gehobenen Popjournalismus. Ausgedehnte DJ- und Vortragsreisen führten ihn rund um die Welt. Allein und im Team mit Whirlpool Productions erschienen bis heute sechs Alben und unzählige Remixe. Seit Frühling 2003 macht Hans Nieswandt mit Elektronische Melodien auch eine eigene Radiosendung bei 1Live. Zuletzt erschien von ihm sein Album The True Sound Center.

Big In Vietnam

Der Konferenztisch hatte eine Platte aus schwerem Rauchglas und besaß vergoldete Beine. Ich hatte schon in ärmlicheren Disko-Hinterzimmern gesessen. Man hatte mir den Ehrenplatz am Kopfende zukommen lassen, zum einen, weil ich der Gast war, zum anderen, weil von mir sowieso kein Diskussionsbeitrag zu erwarten war. Außer mir saßen noch der Manager des Klubs und seine vier Assistenzmanager am Tisch, die er mir der Reihe nach vorgestellt hatte: den Musik-Manager, den Sound-Manager, den DJ-Manager und den Manager-Manager. Ich war in Begleitung meines lokalen Gewährsmannes und Freundes Tri-Minh erschienen, der hier kurzerhand, weil es die Umstände und Gebräuche nun mal erforderten, als mein Manager auftrat. Die Stimmung war ernst. Es ging um mich.

Ein Page in Liftboy-Uniform, eine Art vietnamesischer Spirou, kam mit einem großen, ebenfalls goldenen Tablett herein und stellte eine Flasche Remy Martin zwischen uns auf den Rauchglastisch, einen Eiskübel dazu und ein paar schwere Whiskeygläser. Alle Manager schwiegen für einen Augenblick, machten Pokerfaces und sahen ihm beim Abstellen zu, dann tauschten sie wieder ihre Argumente aus, in scharfen, abgehackt wirkenden Wortwechseln. Es war sehr einsilbig, was in der vietnamesischen Sprache aber ganz normal ist. Dort gibt es praktisch nur einsilbige Wörter: Vang Kong Toi Khong Hieu! Also »Ja nein ich verstehe nicht«, deshalb sagte ich auch nichts, legte nur den Kopf schief, lächelte freundlich in die Runde und führte meine Fingerspitzen zusammen, als wenn ich einen kleinen Ball drücken wollte oder, wie man es Angela Merkel zugeschrieben hat, den Kopf eines kleinen Kindes.

Schließlich wendete sich der Klub-Manager zu mir und sagte:

»You know, we had a lot of problem here with western DJ.«

Ich nickte mehrmals, nicht nur, weil ich verstanden hatte. Ich nickte auch, als ob ich für dieses Problem eine Lösung hätte, weil ich ja schließlich überhaupt kein Problem sein würde, was sich dann aber später doch als Irrtum herausstellen sollte. DJ Dennis, der zukünftige Held meines sich seit Kurzem unter Konstruktion befindlichen Romans, ja, der wäre vermutlich wirklich kein Problem gewesen. Für ihn hatte ich mir schon eigens ein digitales DJ-System ausgedacht, das sogenannte Scratchato. Dennis würde natürlich, genau wie alle vietnamesischen DJs, auf die neuen Techniken schwören, ich dagegen würde bald ein wenig alt aussehen mit meinen schönen Schallplatten.

Breakdancer hätte man werden sollen! Wie gerne hätte ich jetzt mit dem großen Berliner Breakdancer Storm getauscht, der ebenfalls für die »Deutschen Kulturwochen Hanoi« eingeflogen worden war und zur Stunde mit ein paar fantastischen vietnamesischen Kollegen von der Gruppe »Big Toe« eine Choreografie für Samstag einstudierte. Die große »HipHop Dance and DJ Night« sollte der informelle Abschluss der Kulturwochen werden. In den Tagen davor hatte es Theaterinszenierungen von Friedrich Dürrenmatt und Filmvorführungen von Detlev Buck gegeben. Jetzt war Jugendkultur angesagt. Storm und die Big-Toe-Boys übten schon die ganze Woche, ich dagegen hatte Promotionauftritte für unsere gemeinsame Veranstaltung zu absolvieren. Einen davon im größten Klub von Hanoi, dem »New Century«, in dessen Hinterzimmer ich jetzt saß, der gespenstischen Manager-Debatte lauschte und meine Finger einen nach dem anderen zählte. Noch waren sie alle dran.

»New Century« war ein glänzendes Beispiel für eine in Asien weit verbreitete Vorstellung von der optimalen Beschaffenheit eines Klubs. Das Publikum bestand zum größten Teil aus Männern mittleren Alters in gestreiften Büro-Hemden, mit glasigen Augen und Goldkettchen und einer Flasche Remy Martin auf dem reservierten Tisch. Die einzigen Frauen hier waren entweder wuchtige australische Touristinnen oder winzige lokale Go-go-Girls, die blasiert-gelangweilt in Ultraminis auf der Bühne tanzten und dabei Kaugummiblasen machten. Fürchterlicher Hongkong-Techno ballerte aus gigantischen Lautsprechertürmen. Abgefeuert wurde er von einer DJane im Bustier, die in einer spektakulären DJ-Festung mitten im Raum thronte. Diese Festung allerdings sollte sich anderntags als alles andere als uneinnehmbar erweisen.

Ins »New Century« konnte man nicht einfach mit ein paar Platten im Rucksack reinmarschieren wie in eine x-beliebige deutsche Underground-Disko, in die man im Übrigen auch nicht einfach mit ein paar Platten reinmarschieren kann. Deswegen war es notwendig, sich schon am Vorabend zu einer Art politischem Gespräch zu verabreden, damit mein Auftritt keine Schande über das Haus bringen würde und niemand das Gesicht verlöre. Nach zähem Verhandeln und unter dem fadenscheinigen Vorwand eines Soundchecks wurde schließlich für den kommenden Nachmittag ein Vorspielen angesetzt.

Mit den erwähnten paar Platten im Rucksack fuhren wir also tags darauf mit dem Motorroller wieder ins »New Century«. Auf dem Dancefloor kauerten jetzt einige Dutzend Mitarbeiter des Klubs und bastelten Dekorationen für die großen Feierlichkeiten zum baldigen Revolutions-Jubiläum. »Wir geben ihnen Nummern«, erklärte mir der Personal-Manager, »das ist für uns einfacher. Sie arbeiten hier sowieso nicht lange, weil sie so faul sind.« Er lachte und freute sich sehr über die billigen Arbeitskräfte, die man heutzutage für die Revolutionsfeierlichkeiten in Hanoi bekommen konnte.

Aus dem Keller hatte man die Plattenspieler hochgebracht und abgestaubt, sie waren schon sehr lange nicht mehr im Einsatz gewesen. Ich legte »Hi Freaks« von Jens Zimmermann auf, weil ich mir das für später in der Nacht ganz gut vorstellen konnte. Die Nadeln waren noch brauchbar, es klang eigentlich gar nicht so übel. Latente Zustimmung und Mitwippen vonseiten des Musikmanagers, aber Skepsis bei seinem Sound-Genossen. Er zeigte auf das Mischpult und gab meinem Manager ein paar einsilbige Hinweise, die dieser mir so übersetzte:

»Er sagt, dass du sorgfältig darauf achten musst, dass die Pegelanzeige immer im roten Bereich ist. Optimal ist es, wenn sich der Pegel überhaupt nicht mehr bewegt. Außerdem hat er gesehen, dass du unter 130 Bpm gespielt hast – besser ist 135, am besten 140.«

Ich runzelte die Stirn, schob den Masterfader langsam in den Maximalbereich, alles leuchtete und pulsierte rot– jetzt war es wirklich laut, als wenn ein Düsenjäger durch die Disko fliegen würde, als wäre ich ein Galeerenpauker, den die Dekorations-Sklaven jedoch in bewundernswert stoischer Weise ignorierten. Nach meinem Soundcheck zeigten sich dann doch alle ziemlich erleichtert, die einen, weil ich laut genug war, die anderen, weil heute Abend kein DJ mehr einen Finger verlieren würde. Als Showtime wurde 23 Uhr 35 bis 00 Uhr 20 festgelegt – ungewöhnlich kurz, okay, es war ja auch nur Promo, vor allem aber auch eine ungewöhnlich präzise Zeitansage. Dass es absolut ernst gemeint war, sollte ich wenige Stunden später feststellen können. Wir überbrückten die Zeit bis zu meinem Auftritt mit Essen, womit sonst. Jeder, der schon mal in diesem wunderbaren Land war, weiß, dass das vietnamesische Essen einfach unschlagbar ist, besonders, wenn man es in einem Garküchenrestaurant am Straßenrand mit den Knien am Ohr auf einem Mini-Kinderplastikschemel kauernd kaut und dabei Fett, Knochen und Knorpel einfach auf den Boden spuckt wie jeder andere auch.

Als wir gegen 23 Uhr erneut im »New Century« ankamen, war der Laden schon gut gefüllt. In der DJ-Box war der Resident-DJ mit seinen CDs zugange, die Pegel leuchteten ordnungsgemäß in ihrem Dauer-Rot, total bekloppt bollerte der Hongkong-Tech-House. Obwohl die Kabine eigentlich groß und geräumig war, fand ich keinen Platz, um meine paar Platten abzustellen. Ich hatte die große Kiste extra im Hotel gelassen und wieder nur einen Rucksack mitgenommen, damit wir mit dem Moped fahren konnten. Aber selbst für diese zwanzig, dreißig Platten fand sich kein anderer Fleck als der Boden. Hier war man wirklich schon seit langer Zeit nicht mehr auf Scheiben eingestellt.

Der Resident-DJ warf eine CD aus, ich reichte ihm die Hand. Er sah mich irritiert an und schüttelte sie schlaff. Der DJ-Manager sagte eine paar Worte zu ihm, er zuckte mit den Schultern und räumte den Platz. Das war mir unangenehm, aber ich konnte doch nichts dafür, dass ihm offenbar keiner Bescheid gesagt hatte, dass heute Abend noch ein problematischer Western-DJ auflegen würde. Er nahm die CD-Player von den Plattenspielern herunter, dabei entstand ein bißchen Kabelsalat, den er leise fluchend entwirrte. Peinlich berührt übernahm ich.

Das Mischpult zeigte stolze 139 Beats pro Minute. Disko Gessner sollte hier mal spielen, dachte ich, der berühmte Resident-DJ des Kölner Funky Chicken Clubs, berühmt-berüchtigt dafür, selbst legendäre amerikanische Gast-DJs strengstens zurechtzuweisen, wenn sie es wagen, schneller als 128 bpm zu werden. Am besten 126. 126,5 wäre ideal.

Was das Abkanzeln großer Amerikaner betrifft, konnte man in Hanoi aber ganz gut mithalten. Der Höchstgagen erzielende New Yorker DJ Danny Tenaglia soll im »New Century« eine schreckliche Bauchlandung erlebt haben und wegen seines Schleichens von der Tanzfläche aus mit Feuerzeugen beworfen worden sein, die lahme Ente. Von meinen mir an diesem Abend zur Verfügung stehenden Platten blieben vielleicht zehn übrig, die ich überhaupt auf dieses irre Tempo beschleunigen konnte. Das ist ein großer Nachteil der...

Erscheint lt. Verlag 15.11.2010
Verlagsort Köln
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Kunst / Musik / Theater Musik
Schlagworte Disko-Geschichten • Erzählungen • Hans Nieswandt • House-Musik • illustriert • Jugend • Kultur-Wandel • Reise-Episoden • Vinyl
ISBN-10 3-462-30218-3 / 3462302183
ISBN-13 978-3-462-30218-9 / 9783462302189
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