Die Nacht des Schierlings (eBook)

Ein historischer Hamburg-Krimi

(Autor)

eBook Download: EPUB
2010 | 1. Auflage
480 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-43271-0 (ISBN)

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Die Nacht des Schierlings -  Petra Oelker
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Die erfolgreiche Hamburg-Reihe feiert Jubiläum: Komödiantin Rosina ermittelt zum zehnten Mal. An einem sonnigen Herbstmorgen 1773 liegt ein Toter im morastigen Fleet. War der honorige Bürger ein Mitgiftjäger und Betrüger? Viele Hamburger hatten gute Gründe, Konditormeister Hofmann zu hassen: vom Apotheker im Opernhof über den jungen Grafen mit fragwürdiger Vergangenheit bis hin zum stummen Akrobaten Muto. Selbst die Beziehung zu Stieftochter Molly war nicht ungetrübt. Verdächtigt wird jedoch ausgerechnet Claes Herrmanns. Während der Großkaufmann erfährt, wie zerbrechlich Ansehen und Freundschaft sind, machen sich Komödiantin Rosina und Weddemeister Wagner auf die Suche nach dem Mörder. Nicht schnell genug, wie sich bald zeigt ...

Petra Oelker arbeitete als Journalistin und Autorin von Sachbüchern und Biographien. Mit «Tod am Zollhaus» schrieb sie den ersten ihrer erfolgreichen historischen Kriminalromane um die Komödiantin Rosina, zehn weitere folgten. Zu ihren in der Gegenwart angesiedelten Romanen gehören «Der Klosterwald», «Die kleine Madonna» und «Tod auf dem Jakobsweg». Zuletzt begeisterte sie mit «Das klare Sommerlicht des Nordens», «Emmas Reise» sowie dem in Konstantinopel angesiedelten Roman «Die Brücke zwischen den Welten».

Petra Oelker arbeitete als Journalistin und Autorin von Sachbüchern und Biographien. Mit «Tod am Zollhaus» schrieb sie den ersten ihrer erfolgreichen historischen Kriminalromane um die Komödiantin Rosina, zehn weitere folgten. Zu ihren in der Gegenwart angesiedelten Romanen gehören «Der Klosterwald», «Die kleine Madonna» und «Tod auf dem Jakobsweg». Zuletzt begeisterte sie mit «Das klare Sommerlicht des Nordens», «Emmas Reise» sowie dem in Konstantinopel angesiedelten Roman «Die Brücke zwischen den Welten».

KAPITEL 2


Obwohl es auf Mittag ging, war die Luft in der Stadt noch frisch, die Sonne schickte, wo immer sich zwischen den Mauern eine Lücke öffnete, wärmende Strahlen in die engen Gassen, und von der Elbe flatterte ein beharrlicher kleiner Wind herein, der Molly an Schmetterlinge denken ließ. Den Schiffern und Schiffseignern, die auf guten Wind zum Auslaufen, den Händlern und Kaufleuten, die auf endlich einlaufende Schiffe warteten, wäre eine die Segel tüchtig blähende Brise natürlich lieber gewesen. Daran dachte Molly nicht, es hätte sie auch wenig gekümmert. Wenn nur jeder seine Arbeit tat, seine persönlichen Aufgaben und Pflichten sorgsam erfüllte, stand es um ein Gemeinwesen aufs Beste. Molly erinnerte sich nicht, wo sie das zuletzt gehört hatte, wahrscheinlich unter der Kanzel. Oder von ihrem Vater? Das war gut möglich, es passte zu seinen Überzeugungen. Meister Runge hatte seine Arbeit stets aufs Beste getan und als ein guter Hausvater für Frau und Tochter, Gesinde, Gesellen und Lehrjungen gesorgt.

Das tat der neue Meister auch, aber auf andere Weise. Er schuf nicht diese Geborgenheit, die früher im Haus am Rödingsmarkt so selbstverständlich gewesen war, dass sie niemand als etwas Besonderes betrachtet hatte.

Molly blieb an eine Hauswand gedrückt stehen, um einen mit Stroh und Feuerholz beladenen, von zwei barfüßigen Jungen geschobenen Karren vorbeizulassen. Hätten diese beiden für Meister Runge gearbeitet, hätte er dafür gesorgt, dass sie Holzschuhe bekamen, zumindest gebrauchte, in jedem Fall groß genug, um sie in Frostzeiten mit wärmendem Stroh zu polstern. Molly vermisste ihren Vater, und so würde es bleiben. Selbst wenn ihre Mutter sich für einen anderen Mann entschieden hätte, einen älteren, väterlicheren, wäre es so. Mit dem Tod ihres Vaters hatte Molly zum ersten Mal wirklich erfahren, dass kein Mensch ersetzbar ist. Jemand anders konnte seine Arbeit verrichten, seine Pflichten übernehmen oder für ihn die Stimme erheben, dieses leere Fleckchen jedoch, das er in ihrer Seele hinterlassen hatte, konnte niemand füllen. Manchmal wurde die Sehnsucht, er möge wieder da sein und mit ihm auch das alte Leben, zum bohrenden körperlichen Schmerz. Mit dem Tod ihres Vaters war sie endgültig erwachsen geworden. Was sie als Mädchen nie hatte erwarten können, gefiel ihr nun nicht mehr.

Sie eilte weiter, ihr gutgefüllter Korb schien ihr heute leicht. Viel Volk war unterwegs, wie gewöhnlich um diese Zeit, und in der Neuen Wallstraße, der elegantesten der ganzen Stadt, rollten besonders viele Kutschen zwischen den Fuhrwerken und Karren. Molly liebte es, an den vornehmen, erst in den letzten Jahrzehnten erbauten Häusern mit den großen und lichten Etagen entlangzugehen. Hier wirkte nichts alt, schmutzig und eng. Am liebsten wäre sie der breiten Straße bis zu ihrem Ende an der Binnenalster gefolgt und über den Jungfernstieg zum Opernhof gegangen, aber sie kannte sich. Auf jenem Weg gab es unterwegs immer so viel zu sehen, die Menschen, die Straßenverkäufer, der wunderbare Blick über den See, die anlegenden Boote – all das lud zum Staunen und Träumen ein, aber dafür waren ihre Vormittage nicht gemacht.

Also nahm sie den direkteren Weg, passierte zwei schmale Durchgänge und bog in die Straße ein, die man Hinter den Bleichen nannte. Die Wiesen der Bleicher waren schon lange auf das freie Feld außerhalb der Stadtbefestigung verlegt worden, sogar zu lange, als dass Molly noch eine in der Stadt gesehen hätte. Hier verbarg sich zwischen den großen Häusern nur noch der uralte, schon seit Jahren vernachlässigt aussehende Garten der Ratsapotheke. Sonst war hier längst jedes Grundstück eng bebaut. Auch in Straße und Hof, die noch nach den Gerbern benannt waren, fanden sich die Gruben und Werkstätten nicht mehr. Das erbarmungslos stinkende und die Fleete verschmutzende Gewerbe war in die Vorstadt St. Georg und auf den wenig besiedelten Hamburger Berg verbannt worden, einige hatten sich in dem unter dänischer Herrschaft stehenden Dorf Wandsbek angesiedelt.

Schon klapperten ihre Pantinen munter auf dem zur Neustadt hinüberführenden Holzsteg über das Bleichenfleet. Die kleine, von der Zeit, von Sonne, Wind und Regen verwitterte Madonna, die mit ihrem Kind von einer Nische im Giebel des Eckhauses Neue Gerberstraße auf sie heruntersah, lächelte. Molly war ungezählte Male vorbeigegangen, ohne sie zu bemerken oder ihr gar Aufmerksamkeit zu schenken. Vor einigen Wochen hatte irgendetwas sie stehen, den Kopf in den Nacken legen und hinaufsehen lassen. Just in jenen Tagen, als sie zum ersten Mal darüber nachgedacht hatte, dass sie nicht mehr Molly heißen wollte.

Als an jenem Morgen in der vergangenen Woche alle anderen nach dem Frühstück die Küche verlassen hatten, hatte Elwa sie mit dieser strengen Falte über der Nasenwurzel angesehen, die Molly als Kind gefürchtet hatte. Dann hatte die Magd Schalen und Löffel vom Tisch geräumt, die restlichen Brotstücke in einen Tontopf gelegt und Molly noch einmal angesehen. Milder diesmal. «Was wolltest du vorhin wirklich erzählen?», hatte sie endlich gefragt. «Die anderen haben die Sache mit deinen neuen Rezepten vielleicht geglaubt – ich nicht.»

Sie hatte ein bisschen herumgedruckst, aber dann, als Elwa sich aufseufzend einfach wieder über ihren Topf beugte, hatte sie es gesagt.

Wieder hatte Elwa sie angesehen, diesmal prüfend, ohne die strenge Falte über der Nasenwurzel. «Das ist dummes Zeug», ihre Stimme hatte ungewöhnlich milde geklungen, «das weißt du. Man nennt sich nicht plötzlich anders.»

«Warum nicht? Es ist mein richtiger Name, Molly ist falsch. Und jede Frau heißt plötzlich anders, wenn sie heiratet.»

«Das ist was anderes. Warum überhaupt Maria?»

«Mein erster Name geht nicht. Mutter heißt auch Magdalena. Für alle ist es ihr Name. Ich habe eigentlich gar keinen. Bisher heiße ich nur Molly, weil ich immer schon so rund war.»

«Nicht immer. Zuerst warst du verdammt dünn, ich hab schon gedacht …» Elwa unterbrach sich und wischte mit dem Handrücken über den Mund, vielleicht weil dort noch eine Brotkrume hing. «Egal, hat ja nicht lange gedauert. Ich denk mir, deswegen haben wir dich dann Molly genannt, wenn so ’n Würmchen erst ganz dünn ist und dann hübsch rund wird, ist der Name genau richtig.»

«Stimmt, Elwa, aber nun bin ich schon lange kein Würmchen mehr. Nun bin ich Maria.»

Die Magd beugte sich tief über den Breikessel und begann mit dem Holzlöffel die Reste der Grütze zusammenzukratzen. «Und warum nicht Antonia?»

«Mein dritter Name? Der ist auch schön, ja. Aber was glaubst du, was sie daraus machen würden? Tony. Oder Anni. Dann kann ich gleich bei Molly bleiben. Nein, ich will Maria heißen. Und irgendwann», sie hob achselzuckend die ausgebreiteten Hände, «irgendwann ist es so weit. Ich kann warten.»

«Des Menschen Wille ist sein Himmelreich», grummelte Elwa, ihre Stimme kam aus dem Topf wie ein dumpfes Echo zurück, und Molly lachte.

«Das klingt wie direkt aus der Unterwelt. Wie wenn in der Komödie der Teufel ins Spiel kommt.»

«Dann pass mal gut auf.» Elwa hob den Kopf und drohte mit dem Löffel, aber in ihren Augen blitze es so wie früher, als sie das juchzende Kind, das Molly einmal gewesen war, über den Hof oder rund um den Tisch gejagt hatte, um sie am Ende zu fangen, durch die Luft zu wirbeln und ihr eine kleine Leckerei in den Mund zu stecken. «Nicht jeder Teufel spielt Komödie.»

Seither war fast eine Woche vergangen, und Molly war vorerst Molly geblieben.

Als sich nun die schmale Straße zum Gänsemarkt öffnete, blieb sie bei dem hölzernen Glockentürmchen stehen, einem von mehreren in der Neustadt, die die Glocken von St. Michaelis ersetzten, solange die große, neuerbaute Kirche noch keinen Turm hatte. Sie griff ihren Korb fester und blickte auf das für einen ganz normalen Montag ungewöhnliche Gedränge in der Nähe des Durchgangs zum Opernhof. Sonst hätten die vielen Menschen ihre Neugier geweckt, heute hatte sie anderes im Sinn. Der weite, dreieckige Platz mit dem Wach- und Spritzenhaus war einer der größten in der längst zu eng gewordenen Stadt. Die meisten Verkaufsbuden standen auf dem älteren Hopfenmarkt um die St. Nikolaikirche, ziemlich genau in der Mitte der Stadt. Aber überall, wo es die Breite der Straßen erlaubte, gab es Verkaufsbuden von Hökern, Töpfern, Drechslern oder Wachsziehern, riefen Straßenhändler ihre Ware aus. Auf dem Gänsemarkt roch es zudem stets nach Zimtwaffeln, oft nach köchelnder fetter Suppe. Ganz Hamburg, hatte neulich jemand gesagt, sei ein großes Kaufhaus.

Molly kümmerte sich nicht um die verlockenden Buden, ignorierte tapfer eine Händlerin, die einen besonders hübschen, angeblich mit feinsten Schwanenfedern besetzten Fächer anbot, und ging am Wachhaus vorbei über den Platz. Da wich die Menge plötzlich einer Welle gleich zurück, es wurde geraunt, geklatscht, gelacht, und nun erkannte Molly, wer die Leute angelockt oder im Vorübergehen festgehalten hatte: ein Akrobat und eine Tänzerin. Jedenfalls sah die junge Frau wie eine Tänzerin aus, der zierlich vorgeschobene rechte Fuß unter dem die Knöchel freigebenden und in allen Regenbogenfarben schillernden Rock, die graziös erhobenen Arme, die ganze überaus schlanke und biegsame Figur.

Der Akrobat sprang vor, trotz seiner Größe und seines kraftvollen Körpers federnd und leicht, selbst wie ein Tänzer. Er griff die Hände seiner Partnerin, erst die linke, dann die rechte, und schon wirbelte sie hinauf, ihre Röcke flogen einer sommerblütenbunten Wolke...

Erscheint lt. Verlag 1.10.2010
Reihe/Serie Rosina-Zyklus
Rosina-Zyklus
Zusatzinfo Mit 5 s/w Abb.
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Historische Romane
Literatur Krimi / Thriller / Horror Historische Kriminalromane
Schlagworte Fleet • Großkaufmann Claes Herrmanns • Hamburg • Komödiantin Rosina Hardenstein • Kriminalfall • Mord • Regionalkrimi • Rosina
ISBN-10 3-644-43271-6 / 3644432716
ISBN-13 978-3-644-43271-0 / 9783644432710
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