1 SCHWARZGLÄNZENDE FBI-SCHUHE
Das ist gar nicht mal so dumm, Cool Breeze. Cool Breeze, ein junger Bursche mit drei oder vier Tagen Bart im Gesicht, hockt neben mir auf dem gemusterten Walzblech der offenen Ladefläche eines Pickup-Trucks. Und mit dem geht es hopsholpernd dahin. Wir tauchen ein, kommen wieder hoch und schaukeln auf der verrotteten Federung des Vehikels dahin wie auf einem schlingernden Boot. Nach hinten raus sehen wir San Francisco den Hügel hinunterhopsen, Spaliere endlos ineinander gestaffelter Fenstervorbauten, Elendsquartiere mit einem tollen Blick auf die Bucht: Alles hüpft und strömt den Hügel hinab. Die Leuchtschilder mit den Martinigläsern aus Neonröhren, die in San Francisco die Bars markieren, strömen hüpfend den Hügel hinunter, eines nach dem anderen, Tausende von purpurnen Martinigläsern, und unter diesen Martinigläsern wirbeln Hunderte, Tausende von Menschen auf dem Absatz herum, um diesen ausgefreakten, total außer Rand und Band geratenen Pickup-Truck zu begaffen, auf dem wir dahinpreschen; ihre weißen Lahmarschgesichter platzen ihnen wie Marshmellows aus dem Revers; und schon strömen auch sie hopsend den Hügel hinunter – aber weiß Gott, bei uns hier gibt’s aber auch wirklich was zu gaffen.
Und deshalb kommt es mir auch ziemlich komisch vor, als Cool Breeze allen Ernstes, das ganze Getöse übertönend, zu mir sagt: »Ich weiß nicht so recht – wenn Kesey rauskommt – soll ich nun mit zum Lagerhaus oder nicht?«
»Warum denn nicht?«
»Na, weil auch die Bullen da aufkreuzen werden, Mann, und so wie die drauf sind, also echt, ich bin auf Bewährung, verstehste, ich weiß echt nicht, ob ich das bringen soll.«
Na ja, so gesehen ist das gar nicht so dumm, Cool Breeze. Leg dich nicht unnötig mit dem Gesocks an. Besser du machst es wie jetzt gerade – und fällst erst gar nicht auf. Aber im Augenblick hat Cool Breeze solchen Schiss vor den Sheriffs, dass er einfach dahockt, vor den Augen tausender Bauklötzer staunender Bürgersleute, mit einer Art Sieben-Zwerge-Schwarzwälder-Gnomen-Hut-Mütze auf dem Kopf, über und über mit Federn gespickt und außerdem noch mit DayGlo bemalt. Uns gegenüber auf der Ladefläche kniet, ebenfalls weithin sichtbar, den Kopf weit zurückgeworfen und übers ganze Gesicht strahlend, ein Indianermädchen, ein Halbblut vom Stamme der Ottawa namens Lois Jennings, auf deren Stirn ein blitzendes rundes Silbermedaillon prangt, das abwechselnd in grellen Blitzen explodiert oder Regenbogenfarben verschießt – je nachdem, wie es gerade von der Sonne getroffen wird. Ja, und außerdem hat sie einen langläufigen 45er Colt-Revolver in der Hand, und kein Mensch da draußen auf der Straße weiß, dass das bloß ein Spielzeugrevolver ist, mit dem sie da drauflosballert – piuuuu-piuuuuu! -, immer auf die aus den Revers herausplatzenden Lahmarshmellowgesichter, wie Debra Paget in … in …
- Kesey kommt aus dem Knast!
Wir haben noch zwei weitere Sehenswürdigkeiten an Bord, wegen denen uns die da draußen so angaffen: das Schild mit »CUSTER STARB FÜR EURE SÜNDEN« auf der hinteren Stoßstange und unseren Fahrer, den Herzallerliebsten von Lois, Stewart Brand, einen hageren blonden Typen, der ebenfalls eine blitzende Silberscheibe auf der Stirn trägt und außerdem eine richtige Krawatte aus Indianerperlen um den Hals. Kein Hemd darunter, nur eine Krawatte aus Indianerperlen auf der nackten Haut und einen weißen Metzgerkittel, an dem eine Reihe Orden vom schwedischen König prangt.
Hier kommt ein besonders hübsches Exemplar, mit Diplomatenköfferchen und allen Schikanen, den geballten Groll eines so richtig erfüllten Tages auf dem Feierabendgesicht, und die … Schuhe – wie die glänzen! -, und was zum Teufel wollen denn diese schwachköpfigen Beatniks da – und Lois verpasst ihm eine in seinen guten alten lahmarschigen Marshmellow, und schon wischt auch er hopsend hinter uns den Hügel hinab.
Und unser Laster hebt und senkt sich wankend in einem Wetterleuchten rot-silberner DayGlo-Blitze, und ich bezweifle allen Ernstes, Cool Breeze, dass es heute in ganz San Francisco auch nur einen einzigen Bullen gibt, der dieses außer Rand und Band geratene Vehikel nicht vom Fleck weg als das identifizieren würde, was es ist – eine Guerillapatrouille des Bürgerschrecks LSD.
Die Bullen kennen die Szene mittlerweile in- und auswendig, wissen Bescheid über die Kostüme, die dope-strähnige Jesus-Mähne, die Indianerperlen, die indianischen Stirnbänder, die plumpen, bunten Eselsperlen, Tempelglöckchen, Amulette, Mandalas, Gottesaugen, fluoreszierenden Westen, Einhornhörner und die Duellhemden à la Errol Flynn; nur was die Schuhe anlangt, sind sie noch immer nicht auf den Trichter gekommen. In Sachen Schuhe kennen die Heads keine Gnade. Das Schlimmste, was man in ihren Augen anhaben kann, sind schwarzglänzende Schuhe mit Schnürsenkeln. Darüber erhebt sich eine ganze Hierarchie – obwohl praktisch jede Art von Halbschuh als unhip gilt – bis hinauf zu den Stiefeln, auf die alle Heads stehen: leichte, ausgefallene Stiefel, so bizarr wie nur möglich, oder, wenn sie nichts Besseres kriegen können, englische Stiefel, wie sie die Mods tragen, aber caliente sind natürlich handgearbeitete mexikanische Dandystiefel mit waffenscheinpflichtigen Spitzen und extra schmal. Und jetzt stellt euch mal die Szene vor, als es dem FBI endlich gelang, Kesey hoppzunehmen: schwarze! glänzende! FBI-Schuhe mit … Schnürsenkeln!
Wir haben noch ein Mädchen auf der Ladefläche, ein kleines dunkelhäutiges Ding mit vollem schwarzen Haar, das von allen Black Maria gerufen wird. Sie sieht wie eine Mexikanerin aus, aber sie spricht mich mit typisch sanftem kalifornischen Akzent an: »An welchem Tag bist du geboren?«
»Am zweiten März.«
»Ein Fisch«, sagt sie. Und dann: »Ich hätt’ dich nie für’n Fisch gehalten.«
»Warum nicht?«
»Du machst’n viel zu gesetzten Eindruck für’n Fisch.«
Ich versteh’ schon, was sie meint: In ihren Augen gehöre ich nicht unbedingt hierher – man sieht mir meine mangelnde Distanzlosigkeit an -, und ich fange selbst schon an zu merken, dass ich hier nicht dazugehöre. Drüben in New York, meine liebe Maria, ehrlich, da hält man mich für ganz cool, für einen Dandy sogar. Aber hier in der Welt der Heads von San Francisco scheint man wegen eines blauen Seidenblazers, einer überbreiten Krawatte voller Clowns und eines Paars … schwarzer … glänzender … Halbschuhe nicht gleich Beethovens Neunte anzustimmen. Lois mäht die Lahmarshmellows nieder, einen nach dem anderen; Cool Breeze verkriecht sich in die inneren Gefilde seines Gnomenfilzes; Black Maria, ihres Zeichens Skorpion, stöbert sich durch die Welt der Tierkreiszeichen; Stewart Brand fädelt den Wagen durch die gewundenen Straßen; Pailletten explodieren – und dabei passiert hier überhaupt nichts Besonderes, nur Alltagskram für die Welt der Heads von San Francisco; nichts weiter als eine Routinefahrt, um die Bürgersleute von San Francisco ein wenig in Rage zu bringen, nur so im Vorbeifahren, nichts weiter als Seelenfutter für die Leute aus der Szene, während man nebenbei noch irgendeinem Typen aus New York einen Lift zum LAGERHAUS spendiert, wo alle auf den Häuptling, den Boss, den Chief warten, auf Ken Kesey, der bald aus dem Gefängnis entlassen werden soll.
Zu diesem Zeitpunkt wusste ich über Kesey noch nicht viel mehr, als dass er ein hoch angesehener 31-jähriger Romanschriftsteller war, der bis über beide Ohren in Drogentrabbel steckte. Er hatte 1962 Einer flog über das Kuckucksnest herausgebracht (aus dem er dann 1963 ein Theaterstück gemacht hatte) und dann 1964 Manchmal ein großes Verlangen. Er wurde in einem Atemzug mit Joseph Heller, Philip Roth, Bruce Jay Friedman und einigen anderen jungen Romanciers genannt, von denen man sicher war, sie würden eines Tages zu den ganz Großen zählen. Dann war er zweimal wegen Drogenbesitz – Marihuana – verhaftet worden, im April 1965 und im Januar 1966, war dann nach Mexiko abgehauen, um der gesalzenen Strafe zu entgehen, die ihn womöglich erwartete. Bei ihm als Wiederholungstäter hatte das gut und gerne nach fünf Jahren ausgesehen. Eines Tages bekam ich zufällig einige Briefe in die Hand, die Kesey seinem Freund Larry McMurtry aus Mexiko geschrieben hatte – von dem stammt der Roman Der Wildeste unter Tausend, die Vorlage für den Paul-Newman-Film Hud. Die Briefe barsten vor Ironie und waren total überdreht; sie lasen sich wie eine Mischung aus George Ade und William Burroughs, erzählten von Verstecken, Verkleidungen, Paranoia, der Flucht vor der Polizei, von Marihuana und der Suche nach dem Satori, der Erleuchtung, in den Rattengebieten von Mexiko. Es gab da eine Passage im Stil von George Ade, in der dritten Person geschrieben, als Parodie auf das, was die normale Borniwelt daheim in den Vereinigten Staaten jetzt von ihm denken musste:
»Um es kurz zu machen, dieser junge, gut aussehende, erfolgreiche und...