… und Olkowitz liegt doch am Meer. Schönheit ist des Teufels

Die Autobiografie eines Dirigenten

(Autor)

Buch | Softcover
412 Seiten
2011
Acabus Verlag
978-3-86282-012-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

… und Olkowitz liegt doch am Meer. Schönheit ist des Teufels - Alois Springer
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Es ist die wahre gelebte Geschichte des großen Musikers und Dirigenten Alois Springer, von ihm selbst erzählt wie eine Symphonie.
Er geht mit seinem endlich wiedergefundenen Sohn auf die Suche nach den Ursachen seines dramatischen, zerrissenen wahnsinnigen, umjubelten Lebens - auf den Grund des Meeres, seines Ursprungs, zurück an seinen Geburtsort Olkowitz, einem kleinen Dorf in Böhmen-Mähren, dem heutigen Oleksovice in Tschechien, aus dem er und seine Familie 1945 vertrieben wurden.
Dabei durchlebt er noch einmal das Verlangen nach Schönheit, die Gewalten seines Meeres gleich der Macht der Gefühle im Kampf mit der Vernunft:
Gefühle wie Qual und Lust der Liebe, Sucht nach Schönheit, höchste Höhen des Erfolgs, Überforderung, Absturz, Verlassenwerden, Verrücktheit, Abhängigkeit, Alkohol bis an den Rand des Todes, Gefängnis, Psychiatrische Anstalten.
Das Erkennen der Schönheit als Teufelswerk, endlich die Begegnung mit Gott in der Musik und schließlich: Das Wunder seiner Auferstehung wie Phönix aus der Asche spiegelt sein Leben.

Ein Leben zwischen Ruhm und Wahn – höchste Höhen und höllische Abgründe: „Die Schönheit ist des Teufels.“ Der Dirigent Alois Springer hat seit seiner Geburt 1935 in Olkowitz in Böhmen-Mähren, im heutigen Tschechien gelegen, alles erlebt, was zwischen diesen beiden Polen liegt. Mit 21 Jahren war er gleichzeitig junger Familienvater von zwei Kindern und gefeierter Violinist und Diri-gent bis seine durch Überforderung und Trennung von Frau und Kindern entstandene Alkoholsucht ihn in einen Abgrund und in den Wahn stürzte. Was ihm blieb, war die Musik: Ob er als kleiner Junge mit einer böhmischen Zigeunerkapelle über’s Land zog, als Dirigent Weltruhm erlangte oder als alkoholkranker Unbekannter in der Oper Stühle rückte, sich im Delirium mit Beethoven, Mozart und Paganini traf, verrückt komponierte, schrieb und malte – immer machte er Musik und die Musik machte ihn. In seiner tiefsten Katastrophe, vom Bann seiner hochsensiblen, erup-tiven, künstlerischen Schaffenskraft und seiner Leidenschaft zu Schönheit angezogen, waren es nicht nur große Frauengestalten, die an ihn glaubten und durch ihre Liebe zu ihm und seiner Musik gro-ßen Einfluss nahmen. Der Jesuiten-Prediger Pater Leppich erkennt in ihm die Kraft, Menschen durch Musik zu Gott zu bewegen. „Du bist mit deiner Musik näher bei Gott als ich. Glaubst du?“ Ist Schön-heit des Teufels? Ein Zwiespalt. Und eine Frage, die ihm später Leo-nard Bernstein ebenfalls stellt: „Do you believe?“ In seiner schonungslos offenen Autobiografie begibt sich Alois Springer mit seinem Sohn auf Spurensuche. Er kehrt auf den tiefen Meeresgrund zurück – den Ursprung von Vertreibung, Aufstieg, Sturz und Erfolg – zurück an seinen Geburtstort und in seine Familiengeschichte, und forscht nach den Quellen der Zerrissenheit, die sein Leben bestimmte. Fazit seiner Reise auf den Grund seiner Vergangenheit ist das berauschende Glück der Heilung! Wie ein Phönix aus der Asche feiert Alois Springer – nach Jahrzehnten im Abseits – erneut als Dirigent Erfolge und wird für seine lebendigen und frischen Interpretationen von den Kritikern geliebt. Diese mitreißende Künstlerbiografie ist ein Wegweiser für unendliche viele Menschen in ähnlichen Gefahrenzonen.

Behutsam, als würden wir absinken in lang Vergessenes, näherten wir uns dem Dorf unten auf dem Grund. Der Motor schnurrte nur noch wie eine zufriedene Katze, aber die Sandkörner auf dem Weg schienen einzeln zu explodieren. Allmählich, im Diminuendo wi-chen die Akazien mit ihren weißen Blütenkerzen links und rechts respektvoll zurück, als hätten sie sich auf diesen Empfang lange vorbereitet. Vorsichtig wie Archäologen, die gerade im Begriff sind, einen Jahrtausende alten, unberührten Schatz zu heben, glitten wir den Sandweg hinab auf den Grund. Erste Häuser tauchten auf, grau, leblos, tot. Die lange Brunnsuttenstraße hinunter zum Glockenturm an der Kreuzung lag wie eine Schlange vor uns, eingerahmt von Häusern nach Art der Straßendörfer, dicht aneinandergedrängt nebeneinan-der, ihre Fronten der einzigen Straße zugewandt, mit dahinterliegenden Wirtschaftsgebäuden, Scheuern, Gärten und Feldern. Sollte ich mich an diese trostlose Straße erinnern, auf der damals Panzer siegessicher nach Osten zogen und einige Zeit später ganz andere Panzer siegreich heranrollten? Wie viele Völkerschaften mochten bereits diesen Weg gegangen sein, hin und zurück? Um 1250 herum, das hatte ich gelernt, sollen sie von Westen hergekommen sein, um in dieser Gegend sesshaft zu werden, denn es ist belegt, dass dieser Ort schon im Jahre 1192 eine Pfarre war. Die frühe Besiedlung ging der späteren Katastrophe von Unrecht und Vertrei-bung voraus. Immer wieder rücksichtslose Wechsel nationaler Machtansprüche, plündernde, brandstiftende Hunnen, Kelten, römische Legionen, Slawen, kaiserliche Truppen und ungarisches Kriegsvolk prägten diesen Landstrich, zerstörten und befruchteten es gleichzeitig. Mit diesen Gedanken beschäftigt erreichten wir den Glocken-turm, bogen scharf links in die Moßkowitzer Straße ein, gelangten zum Markplatz, dem Binderplatz, und ließen die Räder ausrollen. Der Wagen blieb mitten auf dem größten Platz der Welt einfach stehen. Aus. Stille. „Bis zur nächsten Stadt werdet ihr wohl kommen“, hatte der Unheimliche von der Tankstelle gesagt. Wir aber waren am Ziel ange-kommen. Es war später Vormittag und strahlender Sonnenschein. Nichts bewegte sich um uns herum, das Dorf schien verlassen worden zu sein, wirkte wie ausgestorben. Aber wir hatten das beklemmende Gefühl, beobachtet zu werden, misstrauisch, ängstlich, hinter zuge-zogenen Gardinen und mit gespitzten Ohren. Mein „größter Platz der Welt“, in der Form eines unregelmäßigen Vierecks, als Marktplatz das lebhafteste Zentrum meiner Kindheit, Ursprung all meiner grundlegenden, prägenden Kindheitserlebnisse, war geschrumpft auf 15 mal 15 m und lag ohne Leben vor uns. Erinnerungen an langhalsige Gänse und zweispännige Leiterwägen mit starken Rössern, an das Hüh und Hott von pfeifenrauchen-den Bauern auf dem Kutschbock, ihr Peitschen in der Luft, an Kühe und Ochsenfuhrwerke mit ihrer Last, an das Aroma der Maulbeer-bäume und an hochfliegende Schwalben wurden in mir lebendig. Nichts davon regte sich jetzt. Nur aus dem Schulgebäude kam, als wäre ich es selbst, ein etwa siebenjähriger Knabe, schaute kurz zum Lindenbaum hinauf – was suchte er da wohl? – lief dann verträumt, verspielt über die Straße zum Feuerwehrdepot hinüber, dann zur Milchgenossenschaft daneben, hinauf zum Kirchberg, dem abenteuerlichsten Hügel der Welt von mindestens zehn Meter Höhe, auf dem sich die altgotische Kirche von anno 1220, das massive, schlossähnliche Pfarrhaus von 1776 und der schon annähernd 700 Jahre alte, ummauerte Friedhof mit romanischem Beinhaus befanden. Hier, auf dem höchsten Berg der ganzen Gegend, setzten wir uns nieder und schauten auf den uns gegenüberliegenden Akazienhügel mit der darunterliegenden Müh-le, dem letzten Gebäude vor den beginnenden Weinkellern, auf das Haus Nr. 94. Ich hatte den Weg des Knaben mit heftigster Anteilnahme ver-folgt, und auch meine Blicke blieben an der Mühle haften. Mir war, als sei ich es selbst, der gerade aus der Schule käme, hätte sehnsüchtig zum Lindenbaum hinaufgeschaut nach meiner ersten Uhr, die Frau Lehrerin vor Zorn aus dem Fenster geworfen hatte mit den Worten: „Du träumst schon wieder, Alois. Damit ist jetzt Schluss!“ Die Uhr, mein kostbarster Besitz, war für ewig im Duft des Lindenbaum hängen geblieben. Eine solche Uhr hatte ich nie wieder be-kommen! „Lass uns zur Mühle hinübergehen“, unterbrach ich das Schwei-gen. Der Weg über den Platz war im Zeitraffer von 50 Jahren die Überquerung bis zu jener Tür, durch die ich zuletzt als Neunjähriger gegangen war, ehe wir vertrieben wurden. Hatte ich mir diesen geschichtsträchtigen, von vielen Völkern und Kulturen befruchteten Ort zwischen Ost und West ausgesucht, um hier geboren zu werden, um mich zu dem, was ich geworden war, entfalten zu können? War der sich verströmende Geruch dieser Erde in mein Musizieren eingeflossen und so die Faszination der Menschen zu erklären? Zu lange hatte ich gebraucht, um zum Grund des Meeres, von dem ich aufgetaucht war, zurückzufinden! In die-sem Haus war ich geboren, hier erlebte ich meine Kindheit zwischen Mehlsäcken, dem Geräusch der mahlenden Mühlsteine, Akazienblüten und meinen drei Ziegen, die ich auf dem Kirchberg täglich hütete, zusammen mit einem Freund, den ich nie mehr wieder sah und dennoch nicht vergessen konnte. Wir waren vor dem Haus stehengeblieben. Ich zögerte, an diese Tür zu klopfen. Sollte ich es überhaupt tun? Wer war hinter dieser Tür? Die Gardinen hatten sich schon länger bewegt. Ich klopfte an. Das ganze Dorf schien es zu hören. Welche Ungeheuerlichkeit war da im Gange? Es tat sich nichts. Dann hörte ich schlürfende Schritte. Die Tür öffnete sich. Eine missmutige Alte mit ängstlichem Ausdruck und geduckter Haltung stand vor uns. „Einen schönen guten Tag, ich komme aus …“, sagte ich. Weiter kam ich nicht. Die Alte schaute mich ungläubig an. Das auch für sie Unfassbare und doch zu lang Erwartete, Befürchtete, Unvermeidliche war nach 50 Jahren eingetreten. Als käme sie aus einem langen quälenden Alptraum, zeigte sie fassungslos mit ihrer Rechten auf den Boden, hielt inne, schaute mich an und deutete zweifelnd die Größe eines etwa neunjährigen Knaben an. Dann fragte sie zögernd: „Bist du der kleine Alois?“ Ich aber schaute über sie hinweg in den gekachelten, langen Flur und sah mich auf dem Flurboden spielen, draußen im geräumigen Hof herumtollen, hinübergehen zum Schweinestall mit meinen drei Schweinen und erinnerte mich an den beißenden Geruch. Nichts hatte sich verändert: der geschlossene Innenhof, vorne das Wohnhaus, auf der Rückseite die Ställe, mitten im Hof der Brunnen und hinten in die Ecke gedrückt, das Plumpsklo, und der Weg zur Küche und direkt in die Mühle. Hier, in diese Küche trat ich nun ein. Die Alte machte mir fast untertänig, heuchlerisch Platz. „Alles ist geblieben, wie es früher war …“, beeilte sich Maria, die Alte, ohne Aufforderung zu erklären. „Alles! Sogar dieselben Möbel stehen noch am gleichen Platz – wie damals! Hier, siehst du, die Kredenz, den Ofen mit den Ringen!“ Wie in Trance streiften meine Blicke durch den Raum. Meine Kindheit kam langsam auf mich zu, wurde gegenwärtig. Die dramatischen Ereignisse kurz vor der Vertreibung. „Wir mussten alles bezahlen, alles hier“, redete die Alte auf mich ein. „An den Staat, an diesen Staat!“ Sie meinte damit wohl, dass sie die Mühle, den Garten, die Felder nicht geraubt hätten, sondern erworben durch harte Arbeit und eigenes Geld. Ein weißhaariger Alter, Marias Mann, kam vom Hof her in den Flur. Wir sahen uns an, abtastend. Dieses hasserfüllte Gesicht, jetzt faltig und zermürbt, hatte ich schon einmal über mir gesehen, ja, die Mordlust und der stumme Schrei in diesen Augen – „Kreuzigt sie!“ Je länger ich die beiden Ergrauten ansah, desto deutlicher trat die Erinnerung hervor. Waren es nicht dieselben Menschen, inzwischen voller Angst gealtert, von denen meine Familie aus der Mühle in den hintersten Schweinestall zu den Schweinen gesperrt wurde, in den Kot der Schweine, während sie vorne als Herren lachend einzogen? „Wir sind bettelarm, Alois, schau dich um! So ist es uns ergangen. Inzwischen sind wir alt und schwach“, jammerte der Weißhaarige. „Unsere Rente reicht nicht einmal für das Grab.“ Und er fügte hinzu: „Wir mussten dem Staat alles bezahlen. Und ihr – ihr seid reich!“ Maria, die Alte, seine Frau, nickte. Sie stand an demselben Herd wie meine Mutter damals, schob ein Holzscheit in die Glut und rückte die Ringe auf der Herdplatte zurecht. Betroffen bemerkte ich, wie sich ihr Bild in mir veränderte und das besorgte Gesicht meiner Mutter auftauchte. Sie bot mir den Platz an, auf dem ich mit meinem größeren Bruder Hubert um die besten Happen auf dem Tisch ge-kämpft hatte – wie so oft in den glücklichen ahnungslosen Tagen meiner Kindheit zwischen dem Beginn des zweiten Weltkriegs 1939 und dem daraus folgenden lang anhaltenden Trauma der Vertreibung aus Olkowitz und Südmähren am 18. August 1945.

Erscheint lt. Verlag 25.3.2011
Reihe/Serie ACABUS Biografie
Sprache deutsch
Maße 140 x 205 mm
Gewicht 434 g
Einbandart Paperback
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Literatur Essays / Feuilleton
Schlagworte Absturz • Alkoholismus • Biografie • Biografisch • Böhmen-Mähren • Boston Symphony Orchestra • Dirigent • Dirigenten (Einz.) • Dirigenten (Einzelne Personen) • dramatisch • Gott • Hadamar • Krise • Leberversagen • Leonard Bernstein • Musiker • Musiker (Biografien/Erinnerungen); Springer, Alois • Philharmonia Hungarica • Psychiatrie • Springer, Alois • tragisch • Tschechien • Vertreibung • Wunder
ISBN-10 3-86282-012-2 / 3862820122
ISBN-13 978-3-86282-012-2 / 9783862820122
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