Gerhard Richter (eBook)

Der unbedingte Maler
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
234 Seiten
Verlag C.H.Beck
978-3-406-82150-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Gerhard Richter -  Uwe M. Schneede
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Gerhard Richter gilt weltweit als bedeutendster Gegenwartskünstler. Extrem wandlungsfähig, wechselte er im Laufe der Jahre wie kaum ein anderer Maler souverän Stile, Techniken und Motive - von der Figuration bis zur Abstraktion. Uwe M. Schneede legt mit dieser anschaulich geschriebenen Monographie eine kompakte und konzise Übersicht über das reiche OEuvre dieses unbedingten, bedingungslosen Malers vor. Als Gerhard Richter 1961 mit seinem Umzug nach Westdeutschland der DDR-Kunstszene den Rücken kehrte, entstanden bald die frühen Fotobilder wie «Tante Marianne», mit denen er bekannt wurde und die auf Richters brisante Familiengeschichte verweisen. Seit den 1970er Jahren stehen große, abstrakte Gemälde neben Werken mit direktem politischen Zeitbezug und öffentlichen Arbeiten. Nicht nur setzt sich Richter in seinen Arbeiten mit den klassischen Gattungen Landschaft, Stilleben und Porträt auseinander, sondern er spielt auch mit den verschiedensten Stilrichtungen der Moderne - von figürlich über monochrom und konzeptuell bis hin zu abstrakt. Uwe M. Schneede, seit langem vertraut mit dem Künstler und dessen Arbeit, erklärt Vielfalt und Widersprüchlichkeit des Werkes damit, dass sich Gerhard Richter je nach Bedarf der Mittel alter wie moderner Kunst bedient, um der Malerei neue formale und inhaltliche Wege zu eröffnen: als bewusster Traditionalist und radikaler Neuerer in einem.

Uwe M. Schneede war von 1991 bis 2006 Direktor der Hamburger Kunsthalle, zuvor Professor für die Kunstgeschichte der Moderne an der Ludwig- Maximilians-Universität in München. <br>

Einführung


«Die Methode wechseln, sooft es angebracht ist»

Der Maler Gerhard Richter nahm sich die Freiheit. Als er 1961 in den Westen übertrat, stieß er, der im Osten weitgehend abgeschottet in den staatlich geregelten Verhältnissen des Sozialistischen Realismus ausgebildet worden war, über Nacht auf eine Vielfalt von Handschriften der Klassischen Moderne sowie in der Gegenwart vor allem auf die Dominanz der Abstraktion. Eine generell eigensinnige künstlerische Haltung erlaubte ihm bald, seine Bilder wider alle kunstbetrieblichen und kunstpolitischen Usancen in mancherlei Gestalt auftreten zu lassen, sei es figürlich, sei es geometrisch, sei es gestisch-abstrakt. Das geschah paradoxerweise auf der Grundlage einer ausgeprägten Kunstskepsis. Er nahm sich einfach die dazu unerlässliche Freiheit.

So verweigerte er jegliches Festlegen auf eine durchgehende ästhetische Form, also auf einen bestimmten Stil (den er als Zwangsjacke empfunden hätte), und nutzte stattdessen eigenständig alle Gestaltungsmöglichkeiten. «Ich möchte», äußerte er bereits 1970, «die Methode wechseln, sooft es angebracht ist» (T. 56[1]). Wohl weil er diese Freiheit glaubhaft über Jahrzehnte unbeirrbar und mit seltener Konsequenz beispielhaft für die Moderne in seinem Werk realisierte, ist er für die Kunstöffentlichkeit seit den 1960er Jahren zu einer auffälligen und seit den 1980er Jahren zu einer herausragenden Gestalt geworden.

Die ganz unterschiedlichen Motive und Verfahren ließ er nicht wie in einer (etwa kunsthistorisch begründbaren) logischen Entwicklung strikt aufeinander folgen, er nutzte sie vielmehr alternierend, wenn nicht gar parallel. Die Werkgruppen, die er allein in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre – noch in seinen Anfängen – geschaffen hat, veranschaulichen exemplarisch die auf den ersten Blick verwirrende, auch später häufige Synchronität der heterogenen künstlerischen Ansätze. Richter selbst hängte in Ausstellungen gern große ungegenständliche und kleinere abbildende Werke nicht separat, sondern unvermittelt nebeneinander, um ihre gleiche Bedeutung über Stilgrenzen hinweg zu veranschaulichen, ihre Synchronität zu betonen und vor allem die innere Einheit des Werks aufzurufen.

Aber wie immer die Resultate aussehen, sie sind bewusst nicht herkömmlich vor dem Motiv und auch nicht ursächlich mit dem Pinsel auf der Leinwand entstanden. Stets gingen sie, zumeist gestützt auf fremde oder eigene Bildquellen, aus einem speziellen, stufenweise verlaufenden Werkprozess hervor. Die Fotobilder basieren auf vorgefundenen oder speziell gefertigten Aufnahmen, die systematisch verwischt wurden, die Farbtafeln beziehen sich auf Musterkarten vom Fachhändler, einige abstrakte Bilder sind immense Vergrößerungen von Details der Farbpalette, die Stadtbilder gehen auf professionelle Luftaufnahmen zurück, die Landschaften wurden nicht draußen in der Natur gemalt, sondern sie beruhen auf eigens gemachten Fotos. Die Hauptsache der abstrakten Werke aber entstand, ausgehend von freien Pinselsetzungen, in einem langwierigen Verfahren der Schichtung von Farben und ihrer Häutung mit Hilfe eigens gefertigter Rakel.

Damit sind bereits zwei wesentliche Charakteristika der Richterschen Malerei ausgemacht: die Bildfindung auf Umwegen und das Prozessuale der Bildentstehung mit Hilfe spezieller Techniken und Geräte. Beides hat mehrere Gründe: der Inhibition vor der leeren Leinwand beizukommen, rein subjektive Ausdrucksbekundungen, wie sie in der Malerei der Moderne gang und gäbe waren, zu vermeiden sowie jegliche Bildkonventionen zu umgehen.

Richter begann dergestalt mit der Malerei noch einmal neu, aber nicht von vorn, sondern im Bewusstsein ihrer Traditionen sowie auf der Höhe der Zeit. Dabei ergab sich, dass dem Zufall, genauer: dem überwachten, wenn nicht gar gelenkten Zufall besonders bei den abstrakten Bildern eine wichtige Funktion zukam: Er eröffnete ständig neue, überraschende Möglichkeiten der Findung von Farbformen.

*  *  *

Skeptisch gegenüber dem zeitgenössischen Kunstgeschehen, hielt Richter anspruchsvoll die in seinen Augen unausweichlichen Traditionen hoch: «Ich sehe mich als Erben einer ungeheuren, großen, reichen Kultur der Malerei, der Kunst überhaupt, die wir verloren haben, die uns aber verpflichtet» (T. 176). Er brach jedoch genauso gern mit Konventionen – und reagierte zugleich sehr diffizil auf die eigene Zeit. Komplexität, Widersprüche, Paradoxien durchziehen und prägen sein gesamtes Werk.

Dazu gehört auch, dass er, der Maler durch und durch, sich anfangs im Westen scheinbar widersinnig besonders von malereifernen Bewegungen zum Bildermachen legitimieren ließ, zunächst von den unbefangen-lakonischen Aktionen der gleichzeitigen Fluxus-Künstler, auch von Marcel Duchamp, der schon früh das Malen aufgegeben hatte, dann von den gerade in Form und Farbe enthaltsamen Konzeptkünstlern und zwischendurch, wie erwähnt, von außerkünstlerischen Gegenständen wie Musterkarten vom Händler und Farbrelikten auf der Palette. Ein Anachronist? Jedenfalls irritierte sein zeitwidriger Eigensinn im Umgang mit den Inspirationsquellen und den darauf beruhenden Macharten wieder und wieder die Kunstöffentlichkeit.

Um darin ein System ausfindig zu machen, hat man früh und vielfach wiederholt vom «Stilbruch» als Grundprinzip des Richterschen Werks gesprochen. Doch kann nunmehr im Blick auf das Gesamtwerk von Brüchen nicht die Rede sein. Vielmehr hat Richter experimentell aus der Erfahrung mit den vielfachen, auch konträren Ansätzen in der Moderne und dem Respekt vor der Kunstgeschichte souverän eine übergeordnete Praxis des permanenten Auslotens der unterschiedlichen Fähigkeiten der Malerei entwickelt. Eine stilistische Einheit des Werks konnte es für ihn nicht mehr geben, weil das Leben sich dauernd ändere, wohl aber eine durchgängig unabhängige Haltung, weil die Kunst danach verlangt.

*  *  *

Kunsthistorisch wurde die stilistische Vielstimmigkeit der Moderne bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts durch Wassily Kandinsky nach den ersten Erfahrungen mit den künstlerischen Experimenten der Neuerer behauptet und begründet sowie im weiteren Verlauf des Jahrhunderts von Pablo Picasso entschieden praktiziert, ganz abgesehen von dem ständig neue Register ziehenden Marcel Duchamp. Davon wird im dritten Kapitel die Rede sein.

Gerhard Richter steht jedenfalls in dieser Tradition der Moderne. Er realisiert deren frühe Versprechen einer Vielfalt der Darstellungsmodi aus Wahrhaftigkeit (was Kandinsky die «innere Notwendigkeit» nannte). Dass er jede normative Ästhetik ablehnt, ist auch eine Lehre aus der Nazizeit und aus seinen Erfahrungen in der DDR, aber ebenso eine Reaktion auf das Informel-Diktat im Westen. Das machte ihn zu einem permanenten Experimentierer mit den Malmitteln und zu einem Grenzgänger, zuweilen zum Grenzüberschreiter, etwa wenn er die Kategorie der Schönheit in der Kunst im Sinn behielt, während sie generell als verlogen und unzeitgemäß, allein der Begriff schon als abgedroschen empfunden wurde. Gerhard Richter praktiziert auf unabhängige Weise die Autonomie der Malerei im 20. und frühen 21. Jahrhundert.

*  *  *

Persönlich ist er – zumal im Verhältnis zu seinen Zeitgenossen in Westdeutschland, die sich den Topoi des Bohemien, des Dandy, des Malerfürsten oder des mythischen Sehers anglichen – sehr zurückhaltend, wenn nicht scheu, eher von solider und akkurater Bürgerlichkeit und schon gar kein Rebell. «Ich wollte zu keiner Zeit ein unverstandener Künstler sein, ein Außenseiter, ein Bürgerschreck» (T. 483). Aus der DDR in die Bundesrepublik kommend, reagierte er ablehnend auf die aufmüpfigen 68er. Das habe, erläuterte er 2011, durchaus mit diesem Hintergrund zu tun. Was die Protestierer im Westen eigentlich wollten, habe er nicht verstanden, denn hier erlebe er viel Freiheit. Staatliche Unterdrückung und Muff seien dagegen für die DDR kennzeichnend gewesen.[2] Im Übrigen sei der Zeitgeist, wie er selbstbewusst befand, immer an ihm vorbeigegangen.

In der Öffentlichkeit erscheint Richter kaum, allenfalls zu Eröffnungen seiner Ausstellungen. Nie tritt er im Fernsehen auf; den Medienstar verweigert er,...

Erscheint lt. Verlag 19.9.2024
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Kunst / Musik / Theater Malerei / Plastik
Schlagworte 20. Jahrhundert • 21. Jahrhundert • DDR • Deutschland • Dresden • Familiengeschichte • Fotobilder • Gegenwartskunst • Gerhard Richter • Glasfenster • Kunst • Landschaft • Maler • Malerei • Monografie • Porträt • RAF-Zyklus • Stillleben • Tante Marianne • Werkübersicht
ISBN-10 3-406-82150-2 / 3406821502
ISBN-13 978-3-406-82150-9 / 9783406821509
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