Richard Dünser: Komponist im Kontinuum -  Rainer Lepuschitz

Richard Dünser: Komponist im Kontinuum (eBook)

eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
212 Seiten
Leykam Buchverlag
978-3-7011-0563-2 (ISBN)
Systemvoraussetzungen
21,99 inkl. MwSt
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen
'Ta?glich geh ich heraus, und such ein Anderes immer, Habe la?ngst sie befragt, alle die Pfade des Lands; Droben die ku?hlenden Ho?hn, die Schatten alle besuch ich, Und die Quellen ...' Friedrich Hölderlins Worte aus der Dichtung 'Menons Klagen um Diotima', die Richard Dünser zu seinem ersten Streichquartett inspiriert haben, lesen sich wie ein poetisches, dichterisches Programm seines gesamten musikschöpferischen Schaffens: sein Streben, mit jedem Werk etwas Anderes, Neues auszudru?cken und auch neue kompositorische Pfade zu finden; seine harmonisch-melodischen Wanderungen aus gleichsam a?therischen Ho?hen in die Schattenreiche der Nacht, des Unbewussten und des Tragischen; seine intuitive musikalische und auch außermusikalische Suche nach Quellen in verschiedenen künstlerischen und geistigen Welten. In diesem Buch wird der Ton- und Klangsprache eines Komponisten nachgespürt, deren enorme expressive Kraft und ihre weitgespannte inhaltliche Fantasie bei einer gleichzeitig umfassenden kompositionstechnischen Qualität sich im Kontinuum der Musik und überhaupt der Künste der abendländischen Kultur entwickelt hat und in diese integriert ist. Interviews mit dem aus Vorarlberg gebürtigen, während seiner Studienzeit in Wien musikalisch stark geprägten Komponisten sowie weitgefasste allgemeine und werkspezifische Erörterungen zu seinem Schaffen, darüber hinaus Zeugnisse von Komponistenkollegen und Interpret*innen geben Auskunft über eine mit ihrer Ausdruckskraft stark berührenden und zutiefst menschlich-einfühlsamen Musik.

Rainer Lepuschitz geboren 1957 in Salzburg, Studium an der Hochschule Mozarteum, hat als Musik- und Kulturjournalist bei österreichischen Tageszeitungen und deutschsprachigen Fachmagazinen gearbeitet und als Musikdramatrug bei vielzähligen namhaften Festivals wie den Salzburger Festspielen, Musikfestival Grafenegg uvm.

Jede Note am richtigen Platz


Ein Gespräch über den kompositorischen Baukasten für Richard Dünsers Schaffen: Von der Reihe zur Melodik, von der Mathematik zur Musik, von katalogisierten Akkorden zur Harmonik, von der Form zur Dramaturgie, vom Klanglichen zum Gesanglichen, vom Werkaufbau zur Schönheit


Auf welchen kompositionstechnischen Fundamenten baust Du auf?

Auf allen, die es gibt. In der Aufzählung möchte ich mit der Reihe beginnen. Ich verwende sie keinesfalls orthodox, vielmehr harmonisch völlig frei und variabel. Sie stellt nur eine Art Ordnungsprinzip dar. In früheren Werken habe ich die Melodik und Harmonik vollständig aus Reihen abgeleitet. Bei der Oper „Radek“ verwendete ich dann aber zum ersten Mal auch Akkorde, die nicht aus der werkbestimmenden Reihe kamen. Da ich bei dieser Oper mehr Material brauchte, schöpfte ich aus den gesamten Harmonien, erfand neue dazu.

Wie ist Deine Harmonik generell aufgebaut?

Sie ist weit von der traditionellen Harmonik entfernt, komplett ausgehorcht und aus dem Grundmaterial jedes Werkes abgeleitet. Daraus entstand im Laufe der Schaffensjahre – ähnlich wie bei Messiaen – ein Fundus von Akkorden, ein „Akkordkatalog“.

Welche Akkorde enthält dieser „Katalog“?

Es sind Akkorde aus dem Schaffen von Jahrzehnten, also die Erarbeitung meiner eigenen typischen Klangsprache, systematisch geordnet, von 4- bis 7-Stimmigkeit. Manchen habe ich Namen gegeben, so wie es Messiaen bei seinen „accords speciaux“ gemacht hat. Unter anderem gibt es bei mir einen Janácek-Akkord, einen Erlösungsakkord, einen Trauerakkord, einen Nachttriptychonakkord, einen Tage- und Nachtbücherakkord, einen Radek-Akkord.

Stellt die Oper „Radek“ in Bezug auf Deine Akkordik und Harmonik eine Wende dar?

Seit „Radek“ schaue ich weniger im „Akkordkatalog“ nach, lasse mir vielmehr die Akkorde frei einfallen. Die Akkordsuche verläuft nicht mehr so stark mittels Materials. Vielmehr verwende ich alle Akkorde, die ich jemals gebaut habe, frei. Dazu kommen auch noch andere, neue Akkorde. Es sind handverlesene Akkorde. Es gibt ja den tollen Spruch von Debussy: „Manchmal brauche ich eine halbe Stunde, um mich zwischen zwei Akkorden zu entscheiden.“ Mitunter gehe ich auch gerne ans Klavier, um das, was ich in mir höre, in Akkorde zu übertragen. Die Finger finden es dann. Manchmal sind es sogar – horribile dictu – Dur- und Molldreiklänge. Bei der Verwendung dieser Akkorde muss man aber äußerst behutsam vorgehen, um nicht auf ausgetretene Pfade zu geraten. Ich erinnere mich daran, dass Leonard Bernstein einmal in Bezug auf Schönberg und die Zwölftontechnik gesagt hat, besonders jene Stellen seien interessant, die einen Anklang an Tonales hätten. Zum Beispiel in Schönbergs Liederzyklus „Das Buch der hängenden Gärten“ finden wir einen solchen Anklang, eine Erinnerung an die spätromantische Harmonik. Sie ist nicht mehr konkret da, aber als „ferner Klang“. Bartók wiederum sprach einmal von seinem kompositorischen Ideal, das gesamte Material von Clustern bis zu Dur-Akkorden zu verwenden.

Ergeben sich im Verlauf Deiner Harmonik Gesetzmäßigkeiten?

Die Harmonik wird bei mir unter anderem durch eine zugrundeliegende Linie gesteuert. Dazu möchte ich kurz auf ein Beispiel aus Bruckners Sinfonik verweisen: Durch seine neunte Sinfonie ziehen sich riesige Linien. Die verrückten Akkorde in diesem Werk werden erst daraus erklärbar, dass sie sich innerhalb einer Linie befinden. Die Abfolge der Akkorde unterliegt einer Gesetzmäßigkeit durch das zugrundeliegende vertikale Material wie zum Beispiel Reihen oder melodischen Verläufen. Deshalb entsteht keine zufällige Harmonik, weil alle Akkorde in der Linie verankert sind. Walter Gieseler hat übrigens in seinem Standardwerk „Harmonik in der Musik des 20. Jahrhunderts“ aus meinem Klavierstück „Monument“ zitiert und meine Akkord-Additionen neben Boulez’ Akkordmultiplikationen gestellt.

Ich baue die Akkorde auch aus Intervallen und leite davon das harmonische Material ab. Dazu möchte ich ein berühmtes Vorbild aus der Musik von Brahms anführen. Wenn man das Hauptthema seiner vierten Sinfonie nicht im komponierten melodischen Verlauf mit der Auf- und Abwärtsbewegung belässt, sondern die Töne ausschließlich abwärts führt, dann ergibt sich eine durchgängige Reihe von Terzen. Diese Kongruenz zwischen der Melodik, die aus Terzen besteht, und der Harmonik, die auch aus Terzen besteht, hat Schönberg herausgefunden – und es hat ihn dann in seiner Kammersinfonie dazu bewogen, aus einem Quartenthema auch Quartenakkorde zu bilden.

Die Harmonik also aus der Thematik abgeleitet.

Der Grundgedanke dabei ist, dass thematische und motivische Gestalten sich auf die Harmonik auswirken. Das entspricht dem Ideal: Alles ist aus einem gemacht.

Welche Ideale leiten Dich noch beim Komponieren?

Ich habe Vorstellungen von einem idealen Klang und eben von einer idealen Harmonik. Diesen Vorstellungen versuche ich in all meinen Kompositionen nahezukommen. Und ich bin immer auf der Suche nach einem Ideal von Schönheit, nach einer Utopie – sei es klanglich, sei es formal, sei es in der Komposition. Eine perfekt gebaute Komposition ist per se auch schön. Vielleicht gelingt es nicht immer. Aber ich gebe nicht auf. Wie man es genau festmachen kann, ist mir unklar. Auch wenn man alle kompositionstechnischen Parameter erfüllt, ist noch mehr dahinter.

Was ist Dein Ideal von Klang?

Es ist in mir drinnen, aber ich kann es nicht benennen. Beim Komponieren höre ich es genau, ob der Klang passt oder nicht, ob er richtig ist oder falsch.

Welche Formen prägen Deine Musik?

Es schlägt sich in meinem Schaffen schon nieder, dass ich jahrzehntelang Formenlehre unterrichtet habe. Maßgebliche Formen in meinem Schaffen sind: die grundsätzliche Einsätzigkeit; dann einsätzige Formen, die eine Mehrsätzigkeit in sich bergen und noch untergliedert sind; des Weiteren zwei- und dreisätzige Werke. In meinen „Nocturnes“ beispielsweise bilden das zweite und dritte Adagio-Formen mit Reprisen und variierten Reprisen. Im Violinkonzert gibt es vier Sätze mit einem jeweils prägnanten formalen Aufbau, gleichzeitig sind diese vier Sätze wiederum wie vier Teile eines Sonatensatzes mit Exposition, Durchführung, Reprise und Koda.

Eine Viersätzigkeit als Einheit also

… wie zum Beispiel auch in Schumanns vierter Sinfonie und Schönbergs Kammersinfonie.

Zum Thema Formgebung zählt auch der Werkaufbau.

Für den Aufbau ist die Dramaturgie eines Werkes wichtig. Mein Postulat lautet: Wenn man Steigerungen und Dissonanzen in einem gut abgestimmten Sättigungsgrad einbaut, dann kann man dem Publikum die größten Schärfen schmackhaft machen. Ein großartiges Beispiel gibt dafür „Elektra“ von Richard Strauss ab: eine unglaubliche Dissonanz-Anhäufung, bis es in einer Dominante mündet, die sich dann in die Tonika entlädt.

Weitere kompositionstechnische Grundbausteine?

  • Natürlich der Kontrapunkt! Also: Aus der horizontalen Verarbeitung des Grundmaterials der jeweiligen Komposition, dessen Kombinatorik und Linienführung entsteht ein polyphones Geflecht.
  • Alle Parameter wie Dichte, gestaltete Periodik oder Nicht-Periodik, teilweise auch nach mathematischen Gesichtspunkten.
  • Dann die Rhythmik, die allerdings mittlerweile nicht mehr immer genau abgezählt wird. Ich habe viele rhythmische Studien gemacht, zum Beispiel im zweiten Satz vom „Nacht-Triptychon“: Da sind es sich entwickelnde rhythmische Zellen. Oder im zweiten Streichquartett, in dem ich Abschnitte in der Art einer isorhythmischen Motette komponierte. Später habe ich auch einen isorhythmischen Prozess im „Radek“ verwendet, und zwar in der Szene von Radek mit Lenin. Dort brauchte es eine stärkere musikalische Basis, weil es inhaltlich nur Politgequatsche ist. Dazu habe ich eine Isorhythmik mit Variationen gebaut, damit die Szene nicht zur Beliebigkeit verkommt.
  • Die musikalische Rhetorik. Sie war schon im Barock als Figurenlehre eine maßgebliche Stilistik, die bis in die Musik der Moderne zu beobachten ist. Auch bei Schönberg findet man Figuren, ebenso in meiner Musik. Als Beispiel erwähne ist die Abruptio, das plötzliche Abreißen des musikalischen Gedankens wie im „Kriegssatz“ meines Bratschenkonzertes aus dem Jahr 2023. Die Phrase endet nicht, sie reißt plötzlich ab.
  • Die Orchestration, die auch für die Farbgebung eine ganz besondere Bedeutung hat und strukturell verankert wird. Farben werden aber nicht nur durch Instrumentierung erzeugt, sondern auch durch Melodik …

… von der alle Deine Werke erfüllt sind.

Ja: In meiner Musik gibt es...

Erscheint lt. Verlag 10.6.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Kunst / Musik / Theater Musik
ISBN-10 3-7011-0563-4 / 3701105634
ISBN-13 978-3-7011-0563-2 / 9783701105632
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
EPUBEPUB (Wasserzeichen)
Größe: 7,7 MB

DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasser­zeichen und ist damit für Sie persona­lisiert. Bei einer missbräuch­lichen Weiter­gabe des eBooks an Dritte ist eine Rück­ver­folgung an die Quelle möglich.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich
Mathematische Theorie musikalischer Intervalle und historischer …

von Karlheinz Schüffler

eBook Download (2023)
Springer Berlin Heidelberg (Verlag)
49,99