Auf den Brettern der Welt (eBook)

Das Deutsche Theater Berlin

(Autor)

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2023 | 1. Auflage
384 Seiten
Aufbau digital (Verlag)
978-3-8412-3295-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Auf den Brettern der Welt - Esther Slevogt
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Bühne und Schauplatz der Geschichte - das Deutsche Theater Berlin

Sternstunden und Abgründe eines Landes spiegeln sich selten so prägnant in der Geschichte eines Theaters wie im Fall des Deutschen Theaters Berlin. Angefangen von Aufbruch und Emanzipation des deutschen Bürgertums in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, dem das Theater seine Gründung verdankt, hin zum Verhängnis der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts, in das dieses Bürgertum im Nationalsozialismus stürzte. Im anschließenden Kalten Krieg war es die wichtigste Bühne in der DDR, von der während der politisch-gesellschaftlichen Wende von 1989/90 entscheidende bis in die Gegenwart reichende Impulse ausgingen.

Sprachlich genau und elegant erzählt, ein wunderbar inszenierter Text.



Esther Slevogt, in Paris geboren, studierte Philosophie, Literatur- und Theaterwissenschaften und lebt als Theaterkritikerin in Berlin. Sie ist Chefredakteurin und Mitbegründerin von nachtkritik.de, dem reichweitenstärksten Onlineportal für Theaterberichterstattung, und veröffentlichte u. a. eine Biografie über den Schauspieler und Regisseur Wolfgang Langhoff.

I Auf den Brettern der Welt: ein Prolog


Eine Geschichte des Deutschen Theaters in Berlin muss dort beginnen, wo das Theater die Geheimnisse verbirgt, mit denen es seine Verwandlungen und Bildvisionen technisch erzeugt, und ohne die auch der repräsentative Glanz seiner äußeren Erscheinung nichts bedeuten würde. Also steigen wir zunächst in die Unterbühne hinab: einen nach Staub und Arbeit riechenden Kosmos der Eisenträger, Hubvorrichtungen und Stromschaltkreise. In seinem Zentrum befindet sich ein gemauertes, weiß verputztes Rondell. Es umgibt das Betriebssystem der Drehbühne, einer in den Bühnenboden eingelassenen enormen Scheibe, mit der sich fast die gesamte Fläche der Bühne in Rotation versetzen lässt. Diese Drehbühne ist das Herzstück des Theaters und in gewisser Weise auch Schlüssel zu der Geschichte, die hier erzählt werden soll.

Als die Drehbühne im Jahr 1905 eingebaut wurde, gehörte das Deutsche Theater zu den ersten Theatern in Deutschland, die überhaupt eine solche Vorrichtung besaßen.1 Waren zuvor von Akt zu Akt (und hinter heruntergelassenem Vorhang) behäbige Umbauten der Kulissen nötig gewesen, konnten mithilfe der Drehbühne nun schnelle Szenenwechsel organisiert, wie von Geisterhand Kulissen und Bauten ins Dunkel des vom Zuschauerraum abgewandten Teils des Bühnenraums gedreht werden, tauchten aus diesem Dunkel immer neue Bilder vor den Augen der Zeitgenossen auf. An der Schwelle zum 20. Jahrhundert machte die Drehbühne fließende, fast filmische Übergänge der Szenen und damit eine nie gekannte Verflüssigung der Handlungsabläufe im Drama möglich.

Elektrizität, Eisenbahn, Motor, Telegrafie, all das war erst seit der Mitte des 19. Jahrhunderts erfunden worden2 und hatte im Zeitraum von nur einer Generation aus der geruhsamen, biedermeierlichen preußischen Residenzstadt Berlin ein tosendes Zentrum der Industrialisierung gemacht. Zum Beginn der Spielzeit 1888/89 war das Deutsche Theater vollständig elektrifiziert worden.3 Etwa zur gleichen Zeit hatten die Berliner Elektricitätswerke auf der Straße Unter den Linden die ersten elektrischen Straßenlampen in Betrieb genommen. Um 1900 hatten Mechanisierung und Elektrifizierung nicht nur das Leben der Menschen in nie gekanntem Umfang beschleunigt und verändert, sondern längst auch die Produktionsweisen des Theaters nachhaltig umzukrempeln begonnen. Das Deutsche Theater ist einer der Orte, von dem diese technische Revolutionierung der Theatermittel in Deutschland ausgegangen ist und wohl die größten künstlerischen Früchte trug. Davon zeugt in der Unterbühne bis heute die gemauerte Verkleidung des Drehbühnenantriebssystems.

Die technischen Mitarbeiter des Deutschen Theaters auf der Drehbühne, 1907

Veranlasst hatte den Einbau der Drehbühne der berühmteste Direktor, den das Deutsche Theater jemals hatte: Max Reinhardt, der seit 1905 nicht nur Intendant des Theaters und sein bedeutendster Regisseur, sondern auch Eigentümer der Immobilie an der Schumannstraße war. Reinhardt und sein Bruder Edmund hatten gemeinsam mit dem Bühnenbildner Gustav Knina, der gleichzeitig Ingenieur und Elektrotechniker war, ein eigenes Drehbühnenpatent entwickelt.4 Auf der Bühne konnten nun bis zu acht unterschiedliche Szenen gleichzeitig aufgebaut, ihre Wechsel im Nu organisiert werden.5

Zur technischen Revolutionierung der Theatermittel jener Zeit gehörte auch der künstlerische Einsatz des elektrischen Lichts. Seit dem Barock hatten Kerzen, Öl- und Gaslampen die Bühne beleuchtet. Im deutlich differenzierten elektrischen Licht hatten die gemalten Prospekte und zweidimensionalen Kulissenteile, die bisher wesentliches Ausstattungselement der Bühne gewesen waren, schlagartig ihre Wirkung verloren. Plötzlich von tageslichthellem Licht beleuchtet, wirkten gemalte Landschaften und Fassaden unnatürlich und primitiv.6 »Das unverhältnismäßig starke und intensive Licht […] frißt alle Farben der Umgebung weg«, beschrieb es in den 1880er Jahren der vielbeschäftigte Theaterleiter Paul Lindau, der in der Spielzeit 1904/05 Direktor des Deutschen Theaters war, bevor Max Reinhardt es übernahm.7 Dadurch, dass »in der hellen Beleuchtung die Hilfsmittel grob hervortreten«, sah Lindau die gesamte Theaterillusion zerstört. »Statt eines Baumes sieht man die gemalte Leinwand und anstatt des Himmels ein gezogenes Segeltuch«, lautet seine ernüchterte Feststellung.8 Neue, von der Architektur und bald auch vom Film her gedachte Mittel wurden nötig, um auf der Bühne glaubhaft die Illusion von Räumen, Bauten, Lichtstimmungen oder Tageszeiten herzustellen. »Es werden an Stelle der groben Linien und Klexereien, in der die landläufige Malerei sich zu bewegen pflegt, mit größerer Feinheit durchgeführte, veredelte Darstellungen treten«, war schon 1882 in der Deutschen Bauzeitung zu lesen.9 Dieser Anspruch würde bald auch an die Kunst der Menschendarstellung gestellt.

Neben einer Bühnenlichtanlage hatte Reinhardt als hinteren Abschluss der Bühne einen festen Rundhorizont einbauen lassen:10 eine halbzylindrisch abgerundete Riesenwand, mit deren Hilfe sich durch Lichtstimmungen der Eindruck eines unendlich tiefen Raums erzeugen ließ, »die Illusion der Luft und des Himmels«,11 wie es in der Patentschrift Nr. 206 340 des Kaiserlichen Patentamts Berlin vom 26. Oktober 1906 formuliert ist. Max Reinhardts Rundhorizont im Deutschen Theater war am Anfang des 20. Jahrhunderts eine Art Weltwunder des Bühnenbaus.

Auch dieser Rundhorizont ist bis heute im Einsatz. Er überstand zwei Weltkriege sowie diverse Abrisspläne und zeugt noch immer von der technischen und künstlerischen Revolution, die von diesem Theater in den ersten zwei Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts ausgegangen ist. Und von Max Reinhardt, der mit seinem künstlerischen und technischen Forschungsdrang die Regie als gestaltendes Prinzip des Theaters zur eigenständigen Kunstform erhob und das Deutsche Theater zu Weltruhm führte. Denn in Reinhardts Theater geschah etwas Sonderbares: Die von Technik und Industrialisierung entzauberte Welt wurde mit eben dieser Technik im Theater zurückverzaubert. Elektrifizierung und Technisierung der Bühne verbargen die Mittel des Theaters nun in dem Maße, wie Reinhardt gleichzeitig ihre Möglichkeiten in bis dahin ungekannte Dimensionen trieb.

Das Deutsche Theater und seine Köpfe


Doch wir wollen nicht schon zu tief in die Geschichte geraten, deren Anfang doch erst noch erzählt werden muss – eine Theatergeschichte, in der sich die deutsche Geschichte exemplarisch spiegelt: Angefangen von Aufbruch und Emanzipation des Bürgertums in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, dem das Deutsche Theater seine Gründung verdankt, bis in die Abgründe des 20. Jahrhunderts, in die dieses Bürgertum während des Nationalsozialismus stürzte, durch den Kalten Krieg und die DDR hindurch, deren wichtigste Bühne das Theater in der Schumannstraße war, bis in die Jahre der Wende von 1989/90, die aus dem Deutschen Theater heraus wichtige, ja entscheidende Impulse erhielt.

So ist das Deutsche Theater nicht nur der Ort, an dem das bürgerliche Theater, wie wir es heute (noch immer) kennen, wesentlich miterfunden wurde. Es ist selbst Protagonist eines bewegten (deutschen) Dramas, in dem mitunter auch seine Direktoren und Intendanten zu Tragödienfiguren wurden. Die Köpfe der vier berühmtesten unter ihnen säumen heute in Bronze gegossen den Vorplatz des Theaters. Da ist natürlich Max Reinhardt selbst, dessen Büste12 unter den Platanen rechts vor dem Bühneneingang ihr fliehendes Profil in den Himmel reckt. Ihm gegenüber, vor dem Eingang zum Besucherservice, steht Otto Brahm,13 der Reinhardt entdeckt und einundzwanzigjährig als Schauspieler an das von ihm von 1893 bis 1903 geleitete Deutsche Theater engagierte.

Brahm war der erste Theatermacher, der das Theater als Tribüne definierte, auf der aktuelle Fragen der Zeit verhandelt werden sollten. Dabei setzte er ausdrücklich auf eine Dramatik, die sich als radikaler Spiegel der Gegenwart begriff. Während in der benachbarten Charité weltberühmte...

Erscheint lt. Verlag 10.10.2023
Sprache deutsch
Themenwelt Kunst / Musik / Theater
Schlagworte Berlin • DDR • Deutsches Theater • Drittes Reich • Geschichte • Jubiläum • Kaiserreich • Nationalsozialismus • Theatergeschichte • Weimarer Republik
ISBN-10 3-8412-3295-7 / 3841232957
ISBN-13 978-3-8412-3295-3 / 9783841232953
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