Im Schatten des Vulkans (eBook)

Eine literarische Reise ins Herz Islands
eBook Download: EPUB
2024
512 Seiten
btb Verlag
978-3-641-30373-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Im Schatten des Vulkans - Halldór Guðmundsson
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Eine Reise durch die literarische Geschichte Islands - und eine Erkundung der menschlichen Seele, die in der rauen Schönheit des Nordens lebt.
Island, das Land der Geysire und Vulkane, birgt eine reiche Geschichte und eine einzigartige literarische Tradition. Im Schatten des Vulkans führt auf eine faszinierende Entdeckungsreise durch diese Welt der Literatur, die immer auch ein Spiegel der Lebensverhältnisse auf jener fernen, mythenumwobenen Insel war. Beginnend bei den alten Edda-Gedichten und Sagas, die die Grundlage der nationalen Identität bilden, spannt das Buch einen Bogen bis zur pulsierenden Gegenwart.

Halldór Gudmundsson - Autor, Verleger und Leiter der Gastlandauftritte Islands und Norwegens auf der Frankfurter Buchmesse - zeigt anekdotenreich und sprachmächtig, wie dieses kleine, abgelegene Land eine bemerkenswerte Vielfalt an Stimmen und Geschichten hervorgebracht hat. »Im Schatten des Vulkans« wird so nicht nur zu einer Reise durch die literarische Geschichte Islands, sondern auch zu einer Erkundung der menschlichen Seele, die in der rauen Schönheit des Nordens lebt. Ein Muss für jeden Literatur- und Kulturliebhaber.

Halldór Gudmundsson wurde 1956 in Reykjavík, Island, geboren, wuchs zum Teil in Deutschland auf und studierte in Dänemark. Bekannt ist er als Verleger, Schriftsteller und Kulturmanager.

Er war langjähriger Direktor von Mál og menning, damals Islands größtem Verlag, und später von Edda (1984-2003). Seit 2007 ist er Vorstandsmitglied von Forlagið und seit 2019 dessen Vorsitzender.

Gudmundsson hat mehrere Bücher verfasst, darunter eine Biografie über den isländischen Nobelpreisträger Halldór Laxness, für die er den Isländischen Literaturpreis erhielt und die in fünf Sprachen übersetzt wurde. Eine besondere Rolle spielte Gudmundsson als Projektleiter für die Ehrengastländer auf der Frankfurter Buchmesse: 2011 für Island und 2019 für Norwegen.

Darüber hinaus war er von 2012 bis 2017 Direktor von Harpa, dem international bekannten Konzerthaus und Konferenzzentrum in Reykjavík. Gudmundsson engagiert sich in verschiedenen kulturellen Gremien, unter anderem seit 1987 im Vorstand des Isländischen Literaturfestivals und seit 2022 im Vorstand von Snorrastofa, dem Kultur- und Mittelalterzentrum in Reykholt, sowie als Aufsichtsratsvorsitzender des Isländischen Nationaltheaters.

Er ist verheiratet mit Anna Vilborg Dyrset, die beiden haben fünf Kinder.

Die Bibel des Wulfila


Um 800 fing alles an, um 1400 war es zu Ende, teils schon vorher. Das Zeitalter der Wikinger, die gemeinsame westnordische Sprache, die Landnahme Islands, die Ereignisse, die den Stoff der Sagas ausmachten, die nordische Besiedlung von Grönland (das heißt Teile von Südgrönland wohin die Inuit erst später kamen), die königsfreie Gesellschaft der Bauernhäuptlinge, die sich zum Thing trafen, der isländische Freistaat, die unglaubliche literarische Arbeit in Island, wo im 13., 14. und 15. Jahrhundert das gesamte Korpus der Eddas und Sagas aufgeschrieben und zum großen Teil sicher auch verfasst wurde.

Sprachgeschichtliche Forschungen, ganz besonders bei Sprachen, die jahrhundertelang nicht schriftlich dokumentiert wurden, bewegen sich zwischen intelligenter Rekonstruktionsarbeit bis hin zum Bereich reiner Vermutungen. Die älteste Überlieferung eines längeren germanischen Textes ist die sogenannte Wulfilabibel, benannt nach dem Bischof Wulfila, der im 4. Jahrhundert die Bibel aus dem Griechischen ins Gotische übersetzen ließ; nur ein Teil der Übersetzung ist erhalten. Dabei erfand Wulfila sogar das gotische Alphabet. (Die Goten lebten damals in den heutigen Regionen von Bulgarien, Rumänien und der Ukraine.) Andere schriftliche Dokumente der germanischen Sprachen aus dem frühen Mittelalter sind meistens kurze Runeninschriften. Unser Studium der Sprachgeschichte an der Universität Reykjavík fing deshalb für uns Studenten immer mit dem Lesen einiger Kapitel aus der gotischen Bibel an; Wulfilaorchester nannten meine musikalischen Mitstudierenden ihre Rockband in diesen Jahren. Pech nur, dass Gotisch längst keine lebendige Sprache mehr ist und außerdem zu den ostgermanischen Sprachen gehört, die es auch nicht mehr gibt. Es ist daher sicher diskutabel, wie viel uns diese Bibel über den Ursprung des Isländischen sagen kann.

Bei den Runen sieht es nicht besser aus, jedenfalls was die isländische Sprachgeschichte betrifft, denn die meistens auf Stein oder Holz geritzten Inschriften, die man hier gefunden hat, sind relativ jung. Mag sein, dass die ersten Siedler, die nach Island kamen, sich fleißig Runenbotschaften auf Holztelegrammen zuschickten, aber nur eine davon ist uns überliefert. Sie kommt aus dem 10. oder 11. Jahrhundert, genauer lässt es sich nicht sagen, und ist beschädigt, und das einzige Wort, das man mit Sicherheit hat entziffern können, ist ást, Liebe, somit das erste isländische Wort, das uns schriftlich überliefert ist.

Im 13. Jahrhundert hatte man längst das lateinische Alphabet in Gebrauch genommen. Runen sind für die isländische Literaturgeschichte deshalb von keinerlei Bedeutung, was auch immer man sich vorgestellt haben mag. (Jules Verne ging zum Beispiel davon aus, dass Snorri Sturluson seine Geschichte der norwegischen Könige, Heimskringla, mit Runen geschrieben habe, was ihm nie eingefallen wäre, obwohl er das Runenalphabet, Futhark, sicher beherrschte.)

So mangelhaft die schriftlichen Zeugnisse auch sind, geht man doch gemeinhin davon aus, dass die nordgermanischen Sprachen im 5. Jahrhundert ihre eigenständige Entwicklung begannen und dass man – trotz naher Verwandtschaft – ab 800 zwischen westnordischen (Norwegisch, Färöisch und Isländisch) und ostnordischen (Dänisch, Schwedisch) Sprachen unterscheiden konnte. Man sprach also in Island von Anfang an Norwegisch, manchmal Altnordisch genannt, oder einfach Isländisch, das ist damals alles die gleiche Sprache. Es war die Sprache der Häuptlinge, nicht der Sklaven und bei weitem auch nicht aller Frauen.

Zum Altisländischen gibt es ein wichtiges historisches Dokument, den sogenannten »ersten grammatikalischen Aufsatz« aus dem 12. Jahrhundert. Mit dessen Hilfe kann man sogar die Aussprache der ersten Bewohner des Landes rekonstruieren, denn der anonyme Autor wollte zeigen, wie man Isländisch am besten mit dem lateinischen Alphabet schreiben konnte. Doch in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts begann die Auflösung der norwegisch-isländischen Sprachgemeinschaft, die so wichtig für die isländische Literatur war; ab 1400 kann man von zwei verschiedenen Sprachen, und nicht nur Dialekten, ausgehen, und ab 1500 haben die Menschen in Norwegen und Island wahrscheinlich einander nur mit Mühe verstehen können.[4] Dänisch wurde zur Schriftsprache in Norwegen, und das Altnordische lebte als Isländisch weiter. Teile der Edda und der sogenannten Skaldendichtung stammen ursprünglich aus dem 9. Jahrhundert, die Isländersagas spielen sich hauptsächlich in den Jahren 900–1050 ab, fast der gesamte Korpus der Eddas und Sagas wurde in Island im 13. und 14. Jahrhundert aufgeschrieben, und ab 1400 verstand sie keiner außerhalb der Insel mehr. Erst im 17. Jahrhundert fing man an, diese Literatur zu übersetzen, und zwar in die nordischen Sprachen und Latein.

Das Zeitalter der Wikinger fing um 800 an, genauer gesagt markiert der Überfall auf die Insel Lindisfarne an der nordöstlichen Küste Englands, auch Heilige Insel genannt, im Jahre 793, in vielen Geschichtsbüchern den Anfang der Wikingerzeit, wobei die ersten Raubzüge in England sicher noch weiter zurückgehen. 150 Jahre zuvor hatte auf Lindisfarne ein irischer Mönch ein Kloster gegründet, und der Überfall wurde ein Symbol des Angriffs der nordischen Heiden auf die christliche Welt. In der sogenannten Angelsächsischen Chronik steht zu lesen: »In diesem Jahr erschienen schlimme Vorzeichen über Northumbria und versetzten die Menschen in Schrecken. Sie bestanden aus starken Wirbelwinden und Blitzen, und feuerspeiende Drachen sah man durch die Luft fliegen. Diesen Vorzeichen folgte eine große Hungersnot und ein wenig später im selben Jahr, am 8. Juni, verheerten die Überfälle der Heiden Gottes Kirche in Lindisfarne durch Plünderung und Mord.«[5] Zwei Jahre später folgte der erste Raubzug der Wikinger – die hauptsächlich aus den westnorwegischen Fjorden kamen – nach Irland, und um 850 hatten sie in einem Teil des Landes ihr eigenes Reich, das Königreich Dublin, gegründet.

Es gibt schriftliche Belege, die mit ziemlicher Sicherheit darauf hindeuten, dass Menschen um 795 nach Island kamen; ganz sicher werden wir indes wohl nie sein, und die Historiker streiten noch immer darüber, ob in den besagten Quellen eventuell andere Inseln nördlich von Schottland und Irland gemeint sind. Der irische Mönch Dicuil, der Gelehrter am Hofe Karls des Großen war, verfasste 825 ein Werk über die Vermessung der Erde, De mensura orbis terrae. Darin schreibt er, dass ihm dreißig Jahre zuvor irische Mönche von ihrem Besuch auf die nordische Insel Thule erzählt hätten, wo sie sich vom Frühjahr bis zum Herbst aufhielten. Die Beschreibung des Klimas, Sonnengangs und des Eises nördlich von der Insel passt gut zu Island. Dicuil erfuhr unter anderem, dass es um Mitternacht noch so hell war, dass die Menschen ihren alltäglichen Tätigkeiten nachgehen konnten, wie zum Beispiel sich gegenseitig die Läuse aus den Hemden zu fangen.[6]

Der sagenumwobene Name Thule stammt von dem griechischen Entdecker Pytheas aus Massilia, dem heutigen Marseille, der die Insel auf seinen Reisen nach Nordeuropa um 325 vor Christus fand und in einem Werk beschrieb. Bloß stoßen wir hier auf ein typisch isländisches Problem, das heißt, sein Werk ist nicht originalgetreu überliefert, und es gibt es nur in der Wiedergabe von späteren Autoren, die ihm teilweise sehr kritisch gegenüberstanden. Noch immer sind die Forscher sich nicht einig, ob Pytheas wirklich nach Island kam oder ob es sich bei Thule um Shetland, die Färöer oder sogar Norwegen handelt. Pytheas, so wie Plinius der Ältere es in seinen Schriften zur Naturgeschichte aus dem ersten Jahrhundert berichtet, fand Island nach sechs Tage langem Segeln von Britannien aus, und es war das äußerste Land der Welt (daher auch die Bezeichnung Ultima Thule), wo es mitten im Sommer keine Nächte gab und mitten im Winter keine Tage, und nördlich von der Insel war nur das gefrorene Meer.[7]

Aber die Beschreibungen von Thule in späteren Quellen, darunter auch arabischen, sind verworren und manchmal auch sehr abenteuerlich, und vielleicht gehört Thule in das Reich des Imaginären, wie der deutsche Philologe und Historiker Klaus von See es formuliert hat.[8] Auf jeden Fall hat die Mythologie ganz übernommen, als Goethe ein Gedicht über den König in Thule verfasste (»Es war ein König in Thule/ Getreu bis in das Grab«), denn darin ist die Insel bereits ein Reich mit Städten und Rittern; Goethe ging es im Gedicht wohl nicht um Geografie, sondern um die Liebe, und er fand vielleicht deswegen später Verwendung für diese Strophen im Faust.

Die ersten Siedler aus Norwegen im letzten Drittel des 9. Jahrhunderts fanden ein unbewohntes Land vor, ein wortloses Land, und wähnten sich wahrscheinlich am Ende der Welt. Nun, ganz leer war es vielleicht nicht, denn es hielten sich in Island möglicherweise bereits Einsiedler auf. Das waren die schon erwähnten irischen Mönche, auf Isländisch Papar, Papen, genannt. In der zuverlässigsten Quelle zur Landnahme Islands, dem Buch der Isländer (Íslendingabók) von Ari dem Gelehrten, um 1130 verfasst, steht: »Da lebten hier Christen, von den Norwegern ›Papen‹ genannt; sie verließen jedoch nachher die Insel, weil sie nicht mit den Heiden hier leben wollten, und hinterließen irische Bücher und Glocken und Krummstäbe, woraus man ersehen konnte, dass es Irländer waren.«[9]

Einige Ortsnamen in Island deuten darauf hin, dass die Papen hier waren, und es gibt auch mündlich...

Erscheint lt. Verlag 20.3.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Kunst / Musik / Theater
Schlagworte 2024 • eBooks • Island • Kopenhagen • lebensverhältniss • Literatur • Neuerscheinung • Sagas • Vulkane
ISBN-10 3-641-30373-7 / 3641303737
ISBN-13 978-3-641-30373-0 / 9783641303730
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