Look out kid (eBook)

Bob Dylans Lieder, unsere Geschichten
eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
272 Seiten
Ullstein (Verlag)
978-3-8437-2532-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Look out kid -  Maik Brüggemeyer
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Wie könnte man Bob Dylan, diesen fahrenden Sänger und Dichter mit den vielen Stimmen und Geschichten, zu seinem 80. Geburtstag besser ehren als mit einem Buch voller Geschichten, die mit ganz unterschiedlichen Stimmen von ihm und seinen Liedern erzählen? Für LOOK OUT KID haben renommierte und beliebte Erzähler und Künstler ihre persönlichen Geschichten über Dylan und seine Songs geschrieben - darunter Benedict Wells, Judith Holofernes, Jan Brandt,  Christiane Rösinger und viele andere. Wie bei Dylan selbst sind einige Storys dem Leben abgeschaut, andere sind fiktional, und manche handeln von einem bestimmten Song des wohl größten amerikanischen Songwriters.

Maik Brüggemeyer, geboren 1976, arbeitet seit 2001 beim 'Rolling Stone'. Er schreibt über Musik, Literatur und Film und veröffentlichte zwei Romane, unter anderem über Bob Dylan, es folgten die Sachbücher 'I've been looking for Frieden' und 'Pop. Eine Gebrauchsanweisung'.

Maik Brüggemeyer, geboren 1976, arbeitet seit 2001 beim "Rolling Stone". Er schreibt über Musik, Literatur und Film und veröffentlichte zwei Romane, unter anderem über Bob Dylan, es folgten die Sachbücher "I've been looking for Frieden" und "Pop. Eine Gebrauchsanweisung".

Bob Dylans Lieder, unsere Geschichten


Sprechen wir über den Homer unserer Zeit. Sprechen wir über Peter Kurzeck, den 2013 verstorbenen poetischen Chronisten und Abschweifer. Als ich in seinem Epos Das alte Jahrhundert las, genauer gesagt im fünften Band Vorabend, stieß ich gleich zu Beginn auf eine Stelle, in der er auf den Sänger zu sprechen kommt, um den es hier gehen soll. Der Erzähler berichtet von seiner Schreibmanie. »Seit ich nicht mehr trinke, ist es noch schlimmer geworden«, heißt es da. »Kann nur immer weiter so (…). Und dabei Musik. Janis Joplin. Bob Dylan. Den ganzen Herbst und Winter Hard Rain.«

Hard Rain ist ein Live-Album von Bob Dylan aus dem Jahr 1976, aufgenommen am vorletzten Abend einer langen Tournee. Der Sänger hat seine Lieder wund gesungen. Die Haut aus Metaphern, Wortspielen und musikalischen Ornamenten ist abgescheuert, geblieben ist reine Energie, ist eine Bewegung oder besser: sind viele Bewegungen – zeitliche, räumliche, emotionale –, von denen Kurzeck sich tragen lässt. Nicht an fremde Orte, sondern an Orte aus seiner eigenen Geschichte.

Bob Dylan zuzuhören ist für jeden, der sich seinen Liedern aussetzt, wie der Blick aus dem Zugfenster, an dem schemenhaft Bilder aus dem eigenen Leben vorbeiziehen. Seine Lieder regen den Speichelfluss des inneren Erzählers an.

Dabei hält der amerikanische Theatermacher und Psychologe Jacques Levy, der Mitte der Siebziger mit Dylan an einigen Liedern gearbeitet hat, den Songwriter selbst nicht mal für einen besonders guten Erzähler. Dylan habe Probleme, sich auf eine Geschichte zu konzentrieren und sie linear wiederzugeben, erklärte er mal in einem Interview. »Er geht nicht von A nach B nach C nach D. Er hat viele gute Sachen in seinen Songs, aber sie ergeben nur selten eine Geschichte.«

Im Englischen nennt man diese mäandernden, oft Nebensächlichkeiten betonenden und nicht zum Ziel findenden Erzählungen shaggy dog stories. Sie erzählen keine Geschichte vom Anfang bis zum Ende, sie handeln vom Erzählen selbst, sie sind das Erzählen. Und genau das ist es, was auch in Dylans Zuhörer die Lust weckt, einen der vielen losen Fäden, die der Songwriter liegen lässt, mit seinen eigenen Gedanken, Fantasien und Erlebnissen weiterzuspinnen. Sein Song »Subterranean Homesick Blues« von 1965 etwa scheint aus lauter ersten Sätzen zu bestehen, die man gleich fortschreiben möchte.

Johnny’s in the basement mixing up the medicine …

I’m on the pavement thinking about the government …

The man in the trench coat badge out, laid off says he’s got a bad cough wants to get it paid off …

Look out kid, it’s somethin’ you did God knows when but you’re doing it again,

You better duck down the alley way lookin’ for a new friend …

A man in the coonskin cap, in the pig pen wants eleven dollar bills, you only got ten …

So gesehen ist Bob Dylan weniger ein Geschichtenerzähler als ein Geschichtenermöglicher. Das ist seine eigentliche Verbindung zur Literatur, auch wenn die Schwedische Akademie 2016 einen anderen Grund dafür fand, ihm den Nobelpreis zuzusprechen: die »neuen poetischen Ausdrucksmöglichkeiten innerhalb der großen amerikanischen Songtradition«, die er in seinen Liedern erkundet hatte.

Diese Begründung ist fast so alt wie Bob Dylan selbst. Schon mehr als ein halbes Jahrhundert zuvor beschrieb der Jazzkritiker Robert Shelton den jungen Sänger mal als »eine Kreuzung aus Chorknabe und Beatnik … Er bricht alle Regeln des Songschreibens – außer der, dass man etwas zu sagen haben muss«. Der so Beschriebene beteuerte später in seinen Memoiren Chronicles. Volume One, er habe nie vorgehabt, irgendwelche Regeln zu brechen. »Ich wollte nur etwas ausdrücken, was jenseits der gewohnten Grenzen lag.«

Wenn die moderne Welt in der alten Songform Platz finden sollte, musste er diese halt erweitern, musste über Dinge singen, über die noch niemand gesungen hatte, die Form, die Sprache und die Struktur der Lieder dem anpassen, was er ausdrücken wollte. Er musste Platz schaffen für das Reale und das Surreale, die Geschichte und den Mythos, die Liebe und den Hass, die Großstadt und die Landschaft, das Innenleben und die Nachrichten, das Ernste und das Triviale, die Filme und die Literatur – von Ovid bis Allen Ginsberg, von Shakespeare bis zum japanischen Pulp-Autor Junichi Saga.

Doch auch wenn er über den traditionellen Song hinausgeht, ist das immer noch Musik, nicht Lyrik. Es braucht die Entäußerung, den Klang der Stimme, die Betonung, die Melo­die, das Arrangement, den Rhythmus – eben die Energie, um die Bedeutung eines Liedes zu erfassen.

Und die kann sich von Aufführung zu Aufführung ändern.

So wie wir alle, wenn wir etwas erlebt haben, es jedem, dem wir davon berichten, wieder neu erzählen, auf unser Gegenüber und die Umgebung reagieren, den Fokus anders setzen, ausschmücken oder verknappen, verfährt der Songwriter mit den mäandernden Geschichten, die er spinnt wie ein langes Garn. Es gilt das gesungene Wort, nicht das ge­schriebene.

Was für das Werk gilt, gilt für den Künstler – auch seine Identität ist permanent im Fluss, variiert und verändert sich. Denn Bob Dylan ist Teil seines Werks, ist eine Kunstfigur, die sich der junge Robert Allen Zimmerman aus dem Mittleren Westen der Vereinigten Staaten Anfang der Sechzigerjahre ausgedacht hat.

»Bob Dylan wurde am 24. Mai 1941 in Duluth, Minnesota, geboren«, heißt es auf der Hülle seiner ersten LP von 1962 in einem Text von Stacey Williams (auch das ein Pseudonym – von Robert Shelton).

»Nachdem er kurz in Sioux Falls, South Dakota, und Gallup, New Mexico, gelebt hatte, absolvierte er die Highschool in Hibbing, Minnesota, ›ganz oben an der kanadi­schen Grenze‹. Für sechs quälende Monate besuchte Bob die
University of Minnesota mit einem Stipendium. Aber wie so viele der unruhigen, wissbegierigen Studenten seiner Generation konnten ihn die engen Mauern des Colleges nicht halten. ›Die Schule war nichts für mich‹, sagt er. ›Ich bin rausgeflogen. Ich habe viel gelesen, aber nicht die verlangte Lektüre.‹ Er erinnert sich, wie er die ganze Nacht wachblieb, um die Philosophie von Kant durchzuarbeiten, anstatt ­Living With the Birds für einen naturwissenschaftlichen Kurs zu lesen. ›Meistens‹, fasst er seine College-Tage zusammen, ›konnte ich nicht lange an einem Ort bleiben.‹«

Auch Robert Allen Zimmerman wurde am 24. Mai 1941 in
Duluth geboren, wuchs in »Hibbing, Minnesota, ganz oben an der kanadischen Grenze« auf und besuchte die University of Minnesota in Minneapolis – beziehungsweise: Er besuchte sie eben nicht, weil er lieber in den Folkclubs des Vergnügungsviertels Dinkytown Lieder des linken Folksängers Woody Guthrie sang. Aber als milchgesichtiger Spross einer jüdischen Mittelstandsfamilie wäre das nicht besonders glaubwürdig gewesen, also erfand er sich als viel herumgekommener, mit der Halbwelt vertrauter Vagabund Bob Dylan neu. In Sioux Falls, South Dakota, und Gallup, New Mexico, war Robert Zimmerman nie gewesen. Auch nicht in Central City, Colorado, wo Bob Dylan laut Stacey Williams 1959 seinen ersten Job hatte – »in einem schäbigen Striptease-Laden«. Und wenn man hört, wie er 1962 auf seinem ersten Album mit der Stimme eines alten Mannes Folksongs und ein paar altersweise eigene Lieder singt, glaubt man ihm jedes Wort seiner Rumtreibergeschichten.

Diese Stimme ist erstaunlich, klingt sie doch im Lauf der Zeit von Album zu Album immer wieder anders, so als hätte der Sänger sich jedes Mal einen neuen Erzähler für seine struppigen Storys ausgedacht. Wohl kein Zufall, dass er in seiner Kindheit immer eine Bauchrednerpuppe mit sich rumschleppte, die er Peco’s Pete nannte. Er liebte es schon damals, mit Identitäten zu spielen und jemand anderes zu sein als der, den die Leute in ihm sahen.

Der Musikjournalist Rob Jones hat in seinem Blog The ­Delete Bin mal acht verschiedene Dylan-Stimmen unterschieden: den »jungen Mann in den Kleidern eines alten«, den »nasalen Jüngling«, den »gellenden Beatnik«, den »sepia-gefärbten Ton eines Erzählers von Parabeln«, den »Country-Schnulzensänger«, den aus »voller Kehle schmetternden Rocksänger«, den »Altvorderen« und den »alten quengelnden Troubadour«. Aber hat er da nicht noch einige Stimmen vergessen? Was ist mit dem biblischen Prediger? Dem weit gereisten Hobo? Dem Trickster und Falschspieler? Dem raunenden Apokalyptiker? Dylan erschafft durch den Ton seiner Stimme Typen und Figuren und weckt Assoziationen, die oft genug weit über den Text des jeweiligen Liedes hinausgehen.

Die Masche, seine Stimme zu verändern, um sich so eine Art Maske zu verpassen, ist nicht Dylans Erfindung, sondern hat ihre Wurzeln in der Tradition des Blues. Charley Patton, der große Delta-Blues-Sänger aus Mississippi, legte sich etwa das Pseudonym The Masked Marvel, das maskierte Wunder, zu und sang in vielen Zungen Rollenprosa.

»Hast du mal von den italienischen...

Erscheint lt. Verlag 29.3.2021
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Kunst / Musik / Theater Musik
Schlagworte 80. Geburtstag • All along the watchtower • Blonde On Blonde • Bob Dylan • Chronicles • E-Gitarre • Folkmusik • Gitarre • Live Aid • Mundharmonika • Nobelpreis • Popkultur • Rockmusik • Singer & Songwriter
ISBN-10 3-8437-2532-2 / 3843725322
ISBN-13 978-3-8437-2532-3 / 9783843725323
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