'Die Rheinnixen' contra 'Tristan und Isolde' an der Wiener Hofoper (eBook)

Studien zu Jacques Offenbachs Großer romantischer Oper aus dem Jahr 1864
eBook Download: EPUB
2020 | 1. Auflage
280 Seiten
Tectum-Wissenschaftsverlag
978-3-8288-7585-2 (ISBN)

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'Die Rheinnixen' contra 'Tristan und Isolde' an der Wiener Hofoper -  Anatol Stefan Riemer
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Auch gut 200 Jahre nach Jacques Offenbachs Geburtstag am 20.6.1819 ist die Forschung zu Richard Wagners deutsch-französischem Antipoden des Musiktheaters des 19. Jahrhunderts noch immer geprägt von einem Übergewicht an Untersuchungen zu seiner Biografie und zu den Libretti seiner Opern. Anatol Stefan Riemer nimmt hier erstmals die Kompositionstechnik Jacques Offenbachs detailliert in den Blick. Als Ausgangspunkt der Analysen dient dessen Große romantische Oper Die Rheinnixen, die im Jahr 1864 Wagners Tristan und Isolde vom Spielplan der Wiener Hofoper verdrängt und nicht zuletzt interessante Einblicke in Offenbachs Technik der Erinnerungsmotivik jenseits von Wagners Leitmotivik ermöglicht.

1 Zum Verhältnis Offenbach – Wagner

1.1 Offenbach contra Wagner in der Literatur

In der Literatur ist das Verhältnis der beiden Musikdramatiker Jacques Offenbach und Richard Wagner immer wieder aus den unterschiedlichsten Blickwinkeln beleuchtet worden. Neben den wenigen direkten Auseinandersetzungen der Komponisten miteinander, die in Briefen und Schriften bzw. im Falle Jacques Offenbachs darüber hinaus in einer musikalischen Parodie des »Zukunftsmusikers« Richard Wagners dokumentiert sind,6 laden insbesondere die in nahezu jeder Hinsicht kontrastierenden ästhetischen Anschauungen, dramaturgischen Konzepte sowie musiksprachlichen Modelle dazu ein, anhand der beiden Antipoden das überaus breite Spektrum des Musiktheaters der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu beschreiben.

Eine solche holistische Betrachtungsweise findet sich beispielsweise bei Anton Henseler in seinem 1930 vorgelegten Standardwerk über Jacques Offenbach:

»Offenbachs ›art difficile de faire court et mélodieux‹ und Wagners ›unendliche Melodie‹, Offenbachs Prestissimo-Galoppaden und Wagners in feierlichem Grave einherschreitender Ernst, Offenbachs parodistische Verhöhnung alter Sagenstoffe und ihre philosophische Durchdringung bei Wagner, das sind nicht nur Gegensätze der Gestaltung, sondern auch der geistigen Haltung, wie sie als äußerste Pole die Möglichkeiten und den Reichtum der Musik nach 1850 umspannen.«7

Peter Ackermann hebt hervor, dass die kontrastierenden künstlerischen Standpunkte Offenbachs und Wagners die divergierenden zeitgenössischen Strömungen des Musikdenkens nicht nur paradigmatisch widerspiegeln, sondern sie im Gegenzug auch prägen und verstärken:

»Der Fall Offenbach – Wagner, das Verhältnis zweier Musiker, die wohl nie persönlich sich begegnet sind, ist in seiner differenziert antinomischen Struktur symptomatisch für die musikalische wie für die politische Geschichte des 19. Jahrhunderts. […] In Offenbach und Wagner stehen nicht nur zwei individuelle ästhetische Positionen bewußt sich gegenüber, sondern deren Spannung manifestiert sich zugleich im Musikdenken, der musikalischen Theorie der Zeit.«8

Beispielhaft für Interpretationsansätze, in denen anhand übergeordneter Problemstellungen – hier die romantische Idee einer umfassenden Darstellung der »Welt« – Gemeinsamkeiten zwischen Wagner und Offenbach aufgezeigt werden und die lediglich hinsichtlich der unterschiedlichen Herangehensweisen differenzieren, steht der folgende von Lionel Pons:

»Wagner et Offenbach ont en commun le désir de faire tenir en quelque sorte le monde entier sur scène dans leurs ouvrages. Les modalités sont différentes, Wagner ambitionne un art total renouant avec ce qu’il pense être la pureté de la tragédie grecque, Offenbach met ses contemporains en scène (en les travestissant parfois sous des costumes antiques) et leur tend un miroir. Cette démarche esthétique est éminemment romantique, aussi bien dans un cas que dans l’autre.«9

Solche Betrachtungen dichotomischer Herangehensweisen von Wagner und Offenbach an diverse musikalisch-dramaturgische Fragestellungen bzw. die Analyse signifikanter Abweichungen bei beiden Komponisten beanspruchen in der Forschung breiten Raum und lassen sich auf nahezu sämtliche Untersuchungsgegenstände anwenden. So nimmt beispielsweise Grete Wehmeyer die Behandlung von Frauenfiguren in den Blick und gelangt zu der Feststellung:

»[Bei Wagner] müssen [Frauen] tugendsam, anmutig und blütengleich sein, sie müssen sich für die Männer, von denen sie geliebt werden wollen, opfern – was Elisabeth, Senta, Sieglinde, Isolde tun, auch Brünnhilde und Gutrune bekommen nie das Steuer in die Hand. Sie sind Material in den Aktionen der Männer – der Helden.«10

Bei Offenbach und einem seiner wichtigsten Librettisten, Ludovic Halévy (1834–1908), hingegen

»brauchen die Frauen sich keine Sorge um ihre Gleichberechtigung zu den Männern zu machen. Die beiden Autoren dürften nicht solche persönlichen biographischen Probleme gehabt haben wie Wagner. Die Atmosphäre zwischen den Geschlechtern ist entspannt; es gibt unter den Männern wie auch unter den Frauen patente Gestalten, mit denen man Pferde stehlen könnte.«11

Anna-Christine Brade analysiert sogar die dramaturgische und kompositorische Ausführung von Kundry und Stella aus den jeweiligen Spätwerken Parsifal (1882) und Les Contes d’Hoffmann (1881), um

»in der Focussierung auf die Frauengestalten exemplarisch die These [zu] belegen und [zu] prüfen, daß Offenbach, der so von Wagner geschmähte Operetten-Komponist, die ideologische, dramatische und damit auch musikalische Antithese zu Wagner darstellt.«12

Aufschlussreich ist auch – um noch ein Beispiel ganz anderer Kategorie zu geben – die Auseinandersetzung in der Literatur mit der vor allem mit dem Schaffen Jacques Offenbachs assoziierten Ebene des Humors. In seinen weit über hundert Bühnenwerken findet sich ein breites Spektrum an Abstufungen des Komischen, das von zarten ironisierenden Anspielungen, buffonesken Elementen und den unterschiedlichsten Parodieformen bis hin zu bizarren Grotesken reicht. Bezeichnend ist, dass Offenbach nahezu während seiner ganzen Schaffenszeit auf die unterschiedlichen Ausprägungen immer wieder zurückgreift und sie mitunter sogar in einzelnen Opern kombiniert. Im Falle Richard Wagners wird die Frage des Humors insbesondere anhand der Meistersinger (1868) diskutiert und damit eine Schaffensperiode in den Blick genommen, »in der sich Wagners gereiftes Komik-Verständnis vom ›Witzigen‹ zum ›Heiteren‹ wandelt«.13 Bereits in den vorausgehenden Werken zeigt sich jedoch,

»daß Wagners vis comica offenkundig etwas anhaftet, das schon bei den Zeitgenossen Widerwillen hervorrief, weil es allzu deutlich mit dem Moment des Spottes zusammenhängt, eines Spottes, der immer wieder – und nicht zu Unrecht – als gnadenlos und grausam empfunden wurde.«14

Erwähnenswert scheint zudem, dass beispielsweise sowohl Theodor W. Adorno als auch Carl Dahlhaus für die Diskussion des »unsteten« oder »unechten« Komischen bei Wagner die Meistersinger und bei Offenbach Les Contes d’Hoffmann (1881) in den Blick nehmen und hierfür zudem für beide Werke jeweils dieselben Begrifflichkeiten verwenden. Bei Adorno heißt es: »Wagners Humor springt grausam um«15 bzw. mit Blick auf Offenbachs Spätwerk »wo Lustigkeit jeden Augenblick in wüste Grausamkeit umspringen möchte«,16 und Dahlhaus konstatiert: »Die Meistersinger sind das Werk eines Humors, dem nicht zu trauen ist«17 bzw. kommt hinsichtlich des »ins Unheimliche umkippenden Operettenton[s]« in Offenbachs Opéra fantastique zu dem Schluss, dass »dem Wohllaut, den [die Barcarolle] ausbreite[t], nicht zu trauen ist.«18

Ein bemerkenswertes zeitgenössisches Dokument für die gezielt eingesetzte Nivellierung der musikalisch-dramatischen Gegensätze im Werk beider Komponisten insgesamt stellt das nach dem Ende des Deutsch-Französischen Krieges 1871 erschienene deutschtümelnde Pamphlet »Richard Wagner und Jacob Offenbach. Ein Wort im Harnisch von einem Freunde der Tonkunst« eines anonymen Autors dar, dessen vorrangige Intention am Ende folgendermaßen zusammengefasst wird:

»Aber in dem ruhmvollen Glanze eines neuerstandenen deutschen Reiches wollen wir uns wenigstens durch reine und vernünftige deutsche Auffassung eine andere Zukunftsmusik und Zukunftsoper vorbereiten, als diese, stark an Selbstüberschätzung und vielen längst abgethanen, abgeschmackten Irrgängen laborirende Wagner’sche Zukunftsmusik!«19

Bereits Peter Ackermann weist darauf hin, dass die an zahlreichen Stellen der Abhandlung konstruierte Gleichsetzung von Wagner und Offenbach hinsichtlich zahlreicher ästhetischer und musikalischer Aspekte nicht haltbar ist20 und lediglich dem Zweck dient, Thesen wie »[b]eide sind die absolute Negation, der reine Widerspruch der Vergangenheit und alles in natürlicher Entwicklung Gewordenen«21 zu untermauern. Besonders deutlich wird diese Vereinnahmung beispielsweise mit Blick auf die Harmonik:

»Möge darum Richard Wagner das Alte nur stürzen wollen und als gleichgesinnter Knappe Jacob Offenbach ihm dabei hülfreiche Hand leisten, in den harmonischen Grundsätzen wenigstens gleichen sie sich ja wie ein Ei dem andern. […] In Rücksicht der harmonischen oder antiharmonischen Grundsätze sind Richard Wagner und Jacob Offenbach […] wahre Glaubensgenossen. Und es ist noch die Frage, wer von Beiden es in der Mißachtung und Verspottung aller harmonischen Grundsätze und Geschmacksregeln am weitesten gebracht hat.«22

Der Autor hebt des Weiteren darauf ab, dass die Eigentümlichkeit von Wagners und Offenbachs Musikstil nicht auf der fundierten und versierten Weiterentwicklung traditioneller Ausdrucksformen beruhe, sondern vielmehr auf der mangelnden Kenntnis theoretischer Grundlagen:

»Weil es [Wagner] an technischer Bildung, an ruhig und systematisch entwickelten Kräften, ja auf dem poetischen Gebiete selbst an dem reinen und edlen Geschmack fehlte, so gerieth er in seiner...

Erscheint lt. Verlag 24.9.2020
Reihe/Serie Frankfurter Wagner-Kontexte
Verlagsort Baden-Baden
Sprache deutsch
Themenwelt Kunst / Musik / Theater Musik
Schlagworte Erinnerungsmotivik • Grand opéra • Große romantische Oper • Kompositionstechnik • leitmotivik • Opéra bouffe • Opéra comique • Wiener Hofoper
ISBN-10 3-8288-7585-8 / 3828875858
ISBN-13 978-3-8288-7585-2 / 9783828875852
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