Geschichte der Türkei (eBook)
128 Seiten
C.H.Beck (Verlag)
978-3-406-75776-1 (ISBN)
Die Republik Türkei entstand 1923 auf den Trümmerndes Osmanischen Reiches und machte sich sogleichkulturell, wirtschaftllich und politisch auf den Weg nach Europa. Klaus Kreiser beschreibt, wie das Vielvölkerreich in kürzester Zeit zu einem Nationalstaat umgestaltet wurde und welche Spannungen sich daraus ergeben. Bis heute sorgt die einmalige Stellung der Türkei zwischen Orient und Okzident - als unbestrittener Bestandteil der islamischen Welt und zugleich eingebunden in den Westen - für vielfältige Konflikte, im Land selbst, aber auch gegenüber Nachbarn und Partnern.
Klaus Kreiser ist Professor em. für Türkische Sprache, Geschichte und Kultur.
Cover 1
Titel 3
Zum Buch 2
Über den Autor 2
Impressum 4
Inhalt 5
Vorwort 6
1. Das Osmanische Reich in einer Nussschale? 9
2. Die Republik vor der Republik (1920–1923) 19
3. Revolutionen und Reformen (1923–1928) 39
4. Von der Überzeugung zum Zwang (1928–1938) 49
5. Zwischen Wölfen: Erfolgreiche Neutralität (1938–1945) 63
6. Ein demokratisches Experiment (1945–1960) 76
7. Verlorene Jahrzehnte? (1960–1980) 90
8. Vom Putsch des Generals Evren bis zu den Wahlsiegen Erdogans (1980–2020) 101
Zeittafel 120
Literaturhinweise 122
Personenregister 125
Geographisches Register 126
Karte 1: Die Türkei beim Tod Atatürks 1938 129
Karte 2: Regionen und Provinzen der Türkei 130
1. Dürers Nürnberg – Wiege des deutschen Humanismus
Das meiste, was Albrecht Dürers Nürnberger Lebenswelt einst ausgemacht hat, ist kurz vor Kriegsende zugrunde gegangen. Darunter befand sich etwa sein mutmaßliches Geburtshaus beim Hauptmarkt, das zum Anwesen der Familie seines nachmals engsten Freundes Willibald Pirckheimer gehörte. Hier wohl kam er am 21. Mai 1471 als Sohn des angesehenen Goldschmieds Albrecht Dürer d. Ä. (ca. 1427–1502) und der Goldschmiedstochter Barbara Holper (1452–1514) zur Welt. Auch das mittelgroße Eckhaus am Burgberg, Stätte seiner Kindheit und von 1481 bis 1486 der Goldschmiedelehre beim Vater, ist untergegangen, und dies gilt schließlich wohl ebenso für die Malerwerkstatt des Michael Wolgemut (1434–1519), bei dem er bis 1490 seine zweite, entscheidende Lehre absolvierte.
Auch wenn der Wiederaufbau Nürnbergs große Rücksicht auf die Vorkriegsgestalt nahm und viele stadtprägende Bauten rekonstruiert wurden, ist seit dem Januar 1945 eines der bedeutendsten und geschlossensten europäischen Stadtensembles des Spätmittelalters unwiederbringlich verloren gegangen. Die Jahrzehnte um 1500, die auch Dürers Leben umschließen, gelten dabei bis heute als besondere Blütezeit der Reichsstadt. Sie befand sich zudem im Zenit ihrer politischen, wirtschaftlichen und militärischen Macht. Ein relativ geschlossenes Staatsgebiet, größer als so manches Fürstentum im Heiligen Römischen Reich, umgab die stark befestigte Stadt, und die Wege ihres Fernhandels und Geldes durchzogen die halbe Welt. Doch mit der Einführung des neuen Glaubens 1525 war das seit dem Hochmittelalter so enge Treueverhältnis zu Kaiser und Reich empfindlich gestört, und im Dreißigjährigen Krieg büßte die Stadt dafür schwer: Ohne je auch nur beschossen worden zu sein, waren doch das Umland verwüstet, die Staatsfinanzen desolat und die alten Handelswege unterbrochen. Bis zur Industrialisierung im 19. Jahrhundert setzte ein allmählicher Niedergang ein, und als das Reich 1806 aufgelöst wurde, konnte das einst so stolze Nürnberg der Annexion durch das neue Königreich Bayern keinen nennenswerten Widerstand mehr entgegensetzen – ein Tiefpunkt war erreicht. Dass er aber zugleich ein Wendepunkt wurde, hat nicht zuletzt mit der Person Albrecht Dürers zu tun: Die beiden romantisch gesinnten Erlanger Studenten Wilhelm Heinrich Wackenroder und Ludwig Tieck hatten 1796 Nürnberg besucht, und ihre Begeisterung für die «altfränkische» Stadt und ihren bedeutendsten Sohn kulminierte in der kleinen Schrift «Ehrengedächtnis unseres ehrwürdigen Ahnherrn Albrecht Dürers». Damit gehörte Nürnberg von Beginn an zu den Sehnsuchtsorten der – nicht nur deutschen – Romantiker mit ihrer schwärmerischen Mittelalter-Begeisterung.
Wie durch ein Wunder hat Dürers stattliches Haus am Burgberg, das ihm von 1509 bis zu seinem Tod am 6. April 1528 Wohn- und Arbeitsstätte gewesen ist, das Inferno 1945 überstanden (Abb. 1). Doch obwohl es schon 1828 als Künstlergedenkstätte eröffnet wurde, ist einzig die Küche noch in ihrer authentischen Funktion erkennbar geblieben. Wo Dürer also geschlafen, gegessen und vor allem: gearbeitet hat, ist heute kaum mehr nachvollziehbar.
1 Dürer-Haus in Nürnberg
Dabei hat es bis ins 18. Jahrhundert hinein kaum einen zweiten deutschen Künstler gegeben, dessen Leben so dicht von schriftlichen Quellen aus eigener und fremder Feder begleitet wird. Doch nimmt man die niederländischen Reisenotizen von 1520/21 (s. Kap. 8) aus, dann berichtet so gut wie kein Dokument von Dürers Alltagsleben, und auch der sonst so ergiebige Fundus historischer Gerichtsakten gibt bei ihm kaum etwas her. So darf man all den lateinischen Lobeshymnen von 1528 aus Anlass von Dürers Tod wohl Glauben schenken, wenn sie von seinem tadellosen Charakter und seiner entsprechenden Beliebtheit berichten. Dies wird umso plausibler, wenn man bedenkt, wie glatt und – zumindest äußerlich – konfliktarm sein Leben im Grunde verlaufen ist. Ernsthafte Künstler-Konkurrenten, die er mit allen Mitteln aus dem Wettbewerb hätte drängen müssen, gab es weder in Nürnberg noch anderswo, und der größte Schmerz, von dem er selbst berichtet, war der Tod seiner Eltern 1502 und 1514, die zudem beide ein relativ hohes Alter erreicht hatten. Auch verzeichnet er sorgsam, dass von seinen insgesamt 17 Geschwistern 15 im frühen Kindesalter verstorben waren. Überlebt hatten nur seine beiden Brüder Endres (1484–1555) und Hans (1490–1534), die aber – wie Dürer selbst – kinderlos starben, der eine als Goldschmied, der andere als Maler im fernen Krakau. Wenn Dürer seine Eltern also als fromm und rechtschaffen, aber streng und wohl auch ein wenig grämlich charakterisiert, überrascht das angesichts all dieser Schicksalsschläge kaum.
Doch wird in Dürers Kindheit auch die Basis für einen schwerwiegenderen Konflikt gelegt, der ihn sein ganzes Leben lang belasten sollte, der zugleich aber auch kreative Kräfte freisetzte. Denn so dürftig wie die einzige, knappe Nachricht darüber ist auch seine Schulbildung gewesen: Lesen und Schreiben, vielleicht noch die Grundrechenarten waren das, was für den Sohn eines Handwerkers, der ja seinerzeit selbst nicht mehr gelernt hatte, als ausreichend angesehen wurde. Zudem waren die vier Nürnberger Lateinschulen alle in kirchlicher Hand, und selbst für einen so frommen Mann wie Dürer senior dürfte das Risiko zu groß gewesen sein, seinen talentierten Ältesten in eine Klerikerlaufbahn entschwinden zu sehen. So deutet nichts darauf hin, dass der Knabe, der in seinen Lehrbüchern einmal Perspektivik und die menschliche Proportion, Geometrie, Algebra und sogar Festungsbaukunde behandeln sollte, der Astronomie und das Lautenspiel betrieb, mehr als eine schulische Grundausbildung genossen hatte. Doch blieb ihm dabei vor allem die lateinische Sprache als universaler Zugang zu jeder geistigen Verfeinerung und als Basis der humanistischen Bewegung zeitlebens verschlossen. Umso verblüffender also, wie Dürer auf dieser schmalen Bildungsgrundlage zu einem der bedeutendsten Stilisten der frühen deutschsprachigen Wissenschaftsprosa werden konnte.
All diese Bemerkungen müssen aber hinter der Feststellung zurückstehen, dass es in Dürers Jugend auch viele äußerst glückliche Weichenstellungen gegeben hat, die so in kaum einer anderen Stadt denkbar gewesen wären. Sie sollten ihm alsbald helfen, die Grenzen vom Handwerk zur Hochkultur auf seine Weise – mit seinen Werken nämlich – zu überwinden. Da war zunächst der Umstand, dass Nürnberg einer der Hauptorte des deutschen Frühdrucks war und dass bei seiner Taufe mit dem ehemaligen Goldschmied Anton Koberger (1440–1513) ein Mann Pate gestanden hatte, der ab den 1480er Jahren zu einem der größten Druckunternehmer Europas werden sollte und mit Blick auf Dürers Karriere kaum zu überschätzen ist. Für seine meist lateinischen Bücher pflegte Koberger Kontakte und Vertriebswege über den gesamten Kontinent hinweg – zu den gleichen gebildeten und wohlhabenden Kunden, die sich wenig später auch für Dürers Druckgrafik interessieren sollten. Bemerkenswert ist ferner, dass der junge Dürer die Goldschmiedelehre beim Vater 1486 nach immerhin fünf Jahren zugunsten einer erneuten Ausbildung abbrechen konnte, was diesen nach Dürers eigenem Bericht wegen der verlorenen Zeit auch zutiefst verdross. Wie sich hier der unmündige Sohn hatte durchsetzen können, der seinem Vater eigentlich absoluten Gehorsam schuldig gewesen wäre, bleibt ein Rätsel, so dass gewichtige Fürsprecher – Michael Wolgemut selbst, Pate Koberger oder der einflussreiche Sebalder Kirchenpfleger Sebald Schreyer – in Erwägung gezogen werden müssen. Immerhin gab es ein starkes Argument für den Wechsel in die Werkstatt Wolgemuts: Die Buchillustration schickte sich soeben an, von einem vernachlässigten Randbezirk der grafischen Künste zu einer echten Innovations- und Wachstumsbranche zu werden, und seine Malerlehre bei Wolgemut brachte für Dürer bedeutende Impulse in genau diese Richtung. Dort nämlich wurden zwei herausragende Werke des frühen Buchdrucks, der Schatzbehalter und die berühmte Schedelsche Weltchronik, mit Hunderten von Holzschnitten höchst aufwendig, vielfach ganz- oder sogar doppelseitig illustriert und 1489 und 1493 bei Koberger gedruckt. Deren neuartige Qualität bedeutete einen Quantensprung in der Ausstattung teurer Bücher; doch vor allem eröffnete sich hier für den Künstler neben der Malerei und dem bereits blühenden Kupferstich ein neues, unabsehbar weites Betätigungsfeld, das keinen Beschränkungen durch strenge Zunftordnungen unterlag. Es ist naheliegend, dass der junge Dürer, der die Gattung Holzschnitt schon wenige Jahre später revolutionieren...
Erscheint lt. Verlag | 27.8.2020 |
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Reihe/Serie | Beck'sche Reihe | Beck'sche Reihe |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Biografien / Erfahrungsberichte |
Kunst / Musik / Theater ► Malerei / Plastik | |
Sachbuch/Ratgeber ► Beruf / Finanzen / Recht / Wirtschaft ► Geld / Bank / Börse | |
Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Regional- / Landesgeschichte | |
Reisen ► Reiseführer ► Europa | |
Geisteswissenschaften ► Geschichte ► Regional- / Ländergeschichte | |
Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung ► Staat / Verwaltung | |
Schlagworte | 20. Jahrhundert • Atatürk • Geschichte • Islam • Kultur • Politik • Republik • Staat • Türkei • Zypern |
ISBN-10 | 3-406-75776-6 / 3406757766 |
ISBN-13 | 978-3-406-75776-1 / 9783406757761 |
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