Ein Maler aus Deutschland (eBook)
304 Seiten
Piper ebooks (Verlag)
978-3-492-97750-0 (ISBN)
Jürgen Schreiber, ist einer der besten investigativen Journalisten Deutschlands. Für seine herausragenden Arbeiten auf dem Gebiet Reportage und Enthüllung wurde er bereits zweimal mit dem Wächter-Preis der deutschen Presse ausgezeichnet. Außerdem erhielt er den Theodor-Wolff-Preis. Er arbeitete u.a. für die Stuttgarter Zeitung, Frankfurter Rundschau und das SZ-Magazin. Er war Gründungsmitglied der Woche. Zuletzt war Schreiber Chefreporter beim Berliner Tagesspiegel.
Jürgen Schreiber wurde für seine herausragenden Reportagen mit dem Theodor-Wolff-Preis ausgezeichnet; zweimal erhielt er den Wächter-Preis der deutschen Presse. Schreiber ist Chefreporter beim Berliner Tagesspiegel. Gerhard Richter gilt als erfolgreichster Künstler der Gegenwart. 1932 in Dresden geboren, verließ er 1961 die DDR. Er entwickelte eine neue Gegenständlichkeit – eine eigene Avantgarde. Richter lebt mit seiner Familie in Köln.
DAS FEUER
Der Knabe wird ein Maler werden.
Er ist 13 Jahre alt. Gerhard Richter hatte eben Geburtstag. Kein Geschenk, keine Feier, 1945 gab es nichts. Seit 1993 Tagen, fast die Hälfte seines Lebens, herrscht Krieg. Die Russen kommen. Mit seiner Mutter Hildegard und Schwester Gisela hatte es ihn ins sächsische Waltersdorf verschlagen, einen entlegenen Sprengel an der Grenze zum tschechischen Protektorat. Der Vater Horst Richter kämpft im Westen an der Front. Von Osten einschießende Tiefflieger bestreichen die Oberlausitz, treiben Flüchtlingstrecks und Hitlers zurückflutende Wehrmacht in die Gräben. Gefechtsdonner aus Richtung Görlitz. Gewalt überrollt das Hinterland. Erschießungen. Plünderungen. Vergewaltigungen. Freund oder Feind, das Kind hält sich das Grauen spielerisch vom Leib. Der Erwachsene wird den Krieg später als spannendes Abenteuer erinnern. Der Knabe sollte eines Tages weltberühmt sein.
70 Kilometer Luftlinie westlich legen britische Bomber Richters Geburtsstadt Dresden in Schutt und Asche. Schwere Attacken im Schutze der Nacht des 13. Februar 1945. Die Stadt, der Adolf Hitler versprach, »der Nationalsozialismus wird ihr eine richtige Fassung geben«, soll sterben. 650 000 Stabbrandbomben und 529 Luftminen fallen, um nur das Gröbste zu nennen, verwandeln die einstige königliche Residenz in eine Todesfalle für Zehntausende. Am helllichten Tag des 14. geben amerikanische Geschwader »Elbflorenz« den Rest. So weit das Auge reicht, Ruinen, eine mit Schutt übersäte Weite. Von der klaffenden Leere gibt es keinen richtigen Begriff, es sei denn in Bildern ihres großen Sohnes Gerhard Richter.
In den 50er Jahren stapft der Student Tag für Tag durch die Trümmer zur Kunstakademie, der Pfad geht mitten durch die skelettierte Frauenkirche. Die Öde der dem Erdboden gleichgemachten Stadt, ihr Untergang binnen Stunden, lastet bis heute auf den Gemütern wie ein Phantomschmerz: Eine »Ziegelsteppe«, ein »Garnichts« blieb von den viel beschriebenen Kulturstätten, notieren Chronisten wie Erich Kästner: »Man geht hindurch, als liefe man im Traum durch Sodom und Gomorra.« Das bestimmte Dresdner Gefühl, schwerlich mit etwas anderem zu vergleichen, hinterließ ein Empfinden umfassenden Verlustes. Kein Neubau, keine Rekonstruktion konnte es heilen. Das Zerborstene, so hieß es unter Schock, könne nie wieder auferstehen. In dem Dauerprovisorium war Richter nie »daheeme«. Der übermächtige Eindruck einer vielfach zerklüfteten Stadtlandschaft verstärkte bei ihm die Stimmung politischer Hoffnungslosigkeit. Schlussendlich ließ ihn die Enttäuschung 1961 aus dem Sozialismus in den Kapitalismus flüchten.
Zum 50. Jahrestag der Vernichtung Dresdens hängt 1995 vor den Brühlschen Terrassen (schwarz gebackene Krusten konservieren im Elbsandstein die Februarkatastrophe, als müsse für ewig Trauer getragen werden) sein Wandbild »2 Kerzen«, ausgespannt ein Banner von 19 x 23 Meter: Zeichen des Gedenkens und Symbol für Richters Heimkehr. Er war dort an der Kunsthochschule ausgebildet worden, laut Bestandsliste »mittelschwer beschädigt«, was bedeutete, der Bau ließ sich notfalls reparieren. Selbst im demolierten Zustand für den Anfänger »wahnsinnig imponierend«, mit Säulen, Nischen, Statuen, Medaillons und was sonst in Stein geschlagen oder in Kupfer getrieben an Raffinessen vorgeführt wird. Über dem Hauptportal der »Genius der Kunst«. Richter swingt förmlich durch den Triumphbogen, sein Tor zur Welt. Ein über die Maßen erhebender Beginn, »dass man nun dazugehörte und die Lehrer echte Künstler waren«. Otto Dix lief ihm über den Weg, Kretzschmar, Rudolph, die Grundigs, lauter Bedeutende. Der Architekt Mart Stam dürfte bei der Immatrikulationsfeier gesprochen haben, »eine imposante Erscheinung«. Heiß durchströmte Richter das Glück des Anfangs. Wenige Festtage reichen an diesen heran.
Nebenan hatte in der Pracht des Museums Albertinum die »Örtliche Luftschutzleitung«, »ÖL«, Deckung gesucht. Dort liefen im Februar ’45 die Meldungen wegen anfliegender »schneller Kampfflugzeuge mit Nordostkurs« ein. Die Alliierten markierten das Gebäude auf ihren Angriffsplänen mit einem schwarzen Kreuz: zur Zerstörung freigegeben! Später wird Gerhard Richter deutsche Stukas malen, die dem Feind entgegenrasen, sowie eine aus acht Maschinen gebildete »Mustang-Staffel« über offenem Gelände, ein Schwarm wilder Hornissen im Sturzflug. Bei der Attacke auf Dresden gaben sie in einer Stärke von 430 Jägern den amerikanischen Bombern Geleitschutz. Ihre Fracht konnte Menschen bei lebendigem Leib schmoren lassen und zerreißen.
2004 präsentiert Richter dieses der Zerstörung seiner Heimat geschuldete Flieger-Bild bei einer Ausstellung im Albertinum. Wohin er sich dreht und wendet, mit seinen Arbeiten voll gehängte Säle. Selbst wenn die auf der Glaskuppel der Akademie tänzelnde »Fama«, Personifizierung des Gerüchts, ihm das zugeflüstert hätte, der Student hätte es sich in den kühnsten Träumen nicht vorzustellen gewagt. 1960 war sein »Stilleben mit Muscheln« dort im Museum zur Schau »Junger Künstler« zugelassen. Heute muss er nur wollen, schon hat er alle Wände für sich. Der früheste Erfahrungsraum des Knaben, der ein Maler werden wird, ist der Krieg. Was ihn streifte, musste Narben hinterlassen. Die Erfahrung des Abgrunds führt bis zum explosiven »War cut«, seinem in prangenden Farben gehaltenen Künstlerbuch zum Irak-Konflikt, 59 Jahre nach der Zerstörung Dresdens.
13. Februar 1945. Tod und Verderben brechen in Wellen herein. Ein endloser Bomberstrom aus England über dem schwarzen Spiegel der Nordsee. Bald glänzte die Elbe unter ihnen auf. 1281 Todbringer erfüllen die Luft mit gleichmäßig sonorem Brummen, das so noch niemand gehört hatte und das nicht enden wollte. Kaum behelligt von Flak, erreichen die Heere aus der Nacht die ihnen schutzlos ausgelieferte Zielscheibe. Die letzte Warnung an die Bevölkerung: »Volksgenossen, haltet Sand und Wasser bereit!« Wie von englischen Meteorologen prognostiziert, öffnete sich zum Abend die dicke Wolkendecke über Mitteleuropa für Stunden. Eine Lücke, in die Piloten nur hineinstoßen mussten, die schlafende Stadt unter sich. Knapp eine Million Einwohner und Flüchtlinge wähnten sich sicher. Bisher vergleichsweise glimpflich durch den Zweiten Weltkrieg gekommen, war Dresden nur allzu bereit, die Luftattacken vom Herbst ’44 für einen Irrtum zu halten. Fast überheblich in ihrer gerühmten Schönheit, wähnt sich die Stadt unantastbar. Nahte nicht schon der Frieden? Dresden glaubte an seine Bestimmung, barockes Kleinod mit unvorstellbaren Schätzen zu sein.
Umso brutaler treffen die ersten Einschläge. Ein Pfeifen und Rauschen durchbraust den Äther, Explosionen lassen die Erde zittern, Rauchgebirge türmen sich auf. Wie zur Verhöhnung filmen die Angreifer aus knapp 5000 Meter Höhe die unter ihnen schmelzende Stadt. Bis dort hinauf sind die am Boden herrschenden 1000 Grad Celcius zu spüren. Grüne, weiße, rote Feuerwerkskörper illuminieren die Szenerie, am Firmament funkelndes Gestirn, das zuvor kein Astronom kannte. Für die Überlebenden gibt es auf weich gekochten Straßen kaum ein Entrinnen. Nicht wenige fangen an den Füßen zuerst Feuer und verbrennen von unten nach oben. Die dicht auf dicht folgenden Treffer wirken wie ein einziger Schlag, verheerend, da die Menschen in panischer Flucht unterwegs oder als Helfer mit Löscharbeiten beschäftigt sind.
Unvorstellbares Chaos herrscht in den Straßen und Winkeln. Tausende Brände lodern auf einer Fläche von 7 x 5 Kilometern, von keinem Hindernis aufzuhalten. Einheimische irren fremd in ihrer eigenen Stadt herum. Die Eingeschlossenen fürchten, die Elbe werde zu sieden beginnen, ein Eindruck, der in den Davongekommenen lebenslang nachglüht. Eine so übermächtige Gewalt, als wollten die Alliierten nicht nur ein für alle Mal den Nazi-Ungeist ausräuchern, sondern Feuerteufeln gleich alles abfackeln. Am Ende der Nacht erwacht trotzdem der Morgen, Dresden ist erfüllt von Wehklagen.
Die geheime »Schlussmeldung« der Ordnungspolizei, Dokument 7/45, »gez. i.A. Thierig«, versucht wenigstens statistisch eine Art Struktur in die Heimsuchung zu bringen. Aber die Fakten machen die Dinge noch unerträglicher: »Fliegeralarm: 21.55 Uhr, Vorentwarnung: 22.40 Uhr, Entwarnung 23.27 Uhr, Bombenabwurf: 22.09 Uhr bis 22.35 Uhr.« Fast 12000 Gebäude total zerstört, darunter Semperoper, Zentraltheater, Zirkus Sarrasani, Taschenbergpalais, Coselpalais, Altes Rathaus. »Schwer beschädigt«: Ehemaliges Residenzschloss, Grünes Gewölbe völlig ausgebrannt, Hauptwache von Schinkel undundund.
Es war der Faschingsdienstag. Der Himmel über Sachsen leuchtet im Zeichen des Mars. Beherrscht von den Kriegsfarben blutrot und schwefelgelb, mit Wolken, zerfetzt und selbst wie zerschossen. Vergleichbar Caspar David Friedrichs Gemälde »Abend« von 1824. Wechselweise von violett, lachsrosa oder zinnober beherrscht. Diese Farben des Todes sind die Farben, die man auch auf späteren Bildern Richters sieht. Über allem lastet ein blendender Schein, ein Stieben und Funkeln im Wechsel mit schwarz und schwärzer werdender Finsternis durch Qualm.
In Waltersdorf war der Schüler Gerd Richter mit dem ganzen Dorf auf der Gasse. Etwas Schnee lag. Ein Auflauf erregter Menschen, hochgeschreckt von der Rundfunkmeldung aus dem »Gefechtsstand Berlin«. Zuerst monotones Ticken, Knistern, gefolgt von der Ansage: »Achtung, Achtung, hier Dresden. Mehrere feindliche Bombengeschwader im Anflug … Entfernung 20 Kilometer.« Schon heulen die Sirenen. 2402 Einwohnern, darunter 617 Flüchtlingen, ist es, als würde trotz Verdunkelung der Horizont...
Erscheint lt. Verlag | 2.10.2017 |
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Zusatzinfo | Mit zahlreichen Schwarz-Weiß-Abbildungen |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Biografien / Erfahrungsberichte |
Kunst / Musik / Theater ► Malerei / Plastik | |
Geisteswissenschaften ► Geschichte | |
Schlagworte | 19. Jahrhundert • aufdecken • Berühmt • Biografie • Buch • Bücher • Enthüllung • Film • Gerhard Richter • Gerhard Richter painting • Künstler • Leben • Maler • Porträt • Revolution • Schwiegervater • Tante Marianne • Tom Schilling • Werk ohne Autor |
ISBN-10 | 3-492-97750-2 / 3492977502 |
ISBN-13 | 978-3-492-97750-0 / 9783492977500 |
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