So fern wie nah (eBook)

(Autor)

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2024 | 1. Auflage
256 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-7336-0750-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

So fern wie nah -  John Boyne
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Der Autor des Weltbestsellers Der Junge im gestreiften Pyjama schreibt über den Ersten Weltkrieg Als an Alfies fünftem Geburtstag der Erste Weltkrieg ausbricht, verspricht sein Vater, nicht in dem Kampf zu ziehen - und bricht sein Wort am Tag darauf. Vier harte Jahre später geht Alfie heimlich arbeiten, um seine Mutter zu unterstützen. Er ist davon überzeugt, dass er seinen Vater nie wiedersehen wird. Doch dann erfährt Alfie zufällig, dass sein Vater in einer Klinik für traumatisierte Soldaten behandelt wird. Und er beschließt, ihn nach Hause zu holen ... »Ein großartiger Antikriegsroman, der nicht nur junge Leser fesseln und berühren wird.« Wilhelmshavener Zeitung + Ausgezeichnet mit dem Gustav-Heinemann-Friedenspreis 2015 + Bei Antolin gelistet

John Boyne wurde 1971 in Dublin, Irland, geboren, wo er auch heute lebt. Er ist der Autor von zwanzig Romanen, darunter Der Junge im gestreiften Pyjama, der sich weltweit über elf Millionen Mal verkaufte, zahlreiche internationale Buchpreise gewann und mit großem Erfolg verfilmt wurde. John Boynes Romane wurden in über fünfzig Sprachen übersetzt.

John Boyne wurde 1971 in Dublin, Irland, geboren, wo er auch heute lebt. Er ist der Autor von zwanzig Romanen, darunter Der Junge im gestreiften Pyjama, der sich weltweit über elf Millionen Mal verkaufte, zahlreiche internationale Buchpreise gewann und mit großem Erfolg verfilmt wurde. John Boynes Romane wurden in über fünfzig Sprachen übersetzt. Brigitte Jakobeit, Jahrgang 1955, lebt in Hamburg und übersetzt seit 1990 englischsprachige Literatur, darunter die Autobiographien von Miles Davis und Milos Forman sowie Bücher von John Boyne, Paula Fox, Alistair MacLeod, Audrey Niffenegger, J. R. Moehringer und Jonathan Safran Foer.

Kapitel Eins


Jeden Abend vor dem Schlafengehen versuchte Alfie Summerfield sich ins Gedächtnis zu rufen, wie das Leben vor dem Krieg gewesen war. Und mit jedem Tag fiel es ihm schwerer, sich genau daran zu erinnern.

Die Kampfhandlungen hatten am 28. Juli 1914 begonnen. Andere hätten dieses Datum wohl nicht so bestimmt gewusst, doch Alfie würde es nie vergessen, denn das war sein Geburtstag. An jenem Tag war er fünf Jahre alt geworden, und seine Eltern gaben ihm zu Ehren ein Fest, zu dem aber nur eine Handvoll Leute kamen: Oma Summerfield, die in der Ecke saß, in ihr Taschentuch schniefte und immer wieder jammerte: »Es ist aus mit uns, aus mit uns allen«, bis Alfies Mutter sagte, sie solle sich gefälligst zusammenreißen, sonst könne sie gleich wieder gehen; der alte Bill Hemperton, der Australier von nebenan, der ungefähr hundert Jahre alt war und das Kunststück beherrschte, mit der Zunge seine falschen Zähne aus dem Mund heraus und wieder hinein flutschen zu lassen; Alfies beste Freundin, Kalena Janáček, die drei Häuser weiter in Nr. 6 wohnte, und ihr Vater, der den Süßwarenladen an der Ecke betrieb und die blankpoliertesten Schuhe von ganz London besaß. Alfie hatte fast alle seine Freunde von der Damley Road eingeladen, aber am Geburtstagsmorgen klopften ihre Mütter eine nach der anderen bei den Summerfields an die Haustür und sagten, Klein-Soundso könne nicht kommen.

»Das ist ja wohl nicht gerade der richtige Zeitpunkt für ein Fest, oder?«, fragte Mrs Smythe aus Nr. 9, die Mutter von Henry Smythe, der in der Schule direkt vor Alfie saß und mindestens zehnmal am Tag stank wie die Pest. »Am besten, Sie blasen es einfach ab, meine Liebe.«

»Ich blase gar nichts ab«, sagte Margie, Alfies Mutter, und hob enttäuscht die Hände, nachdem die fünfte Mutter aufgetaucht war. »Wenn überhaupt, dann sollten wir unser Bestes tun, um es uns heute gutgehen zu lassen. Und was soll ich mit dem ganzen leckeren Essen anfangen, wenn keiner kommt?«

Alfie folgte ihr in die Küche und sah zum Tisch, wo Sandwichs mit Corned Beef, geschmorte Kutteln, eingelegte Eier, kalte Zunge und Aal in Aspik ordentlich aufgereiht und mit Geschirrtüchern abgedeckt waren, damit sie frisch blieben.

»Das kann ich doch essen«, sagte Alfie, der immer gern behilflich sein wollte.

»Ha«, sagte Margie. »Das glaube ich wohl. Du bist ein Fass ohne Boden, Alfie Summerfield. Ich weiß nicht, wo du das alles hinsteckst, ganz ehrlich.«

Als Georgie, Alfies Vater, an dem Tag um die Mittagszeit nach Hause kam, sah er besorgt aus. Er ging nicht wie sonst in den Hinterhof, um sich zu waschen, obwohl er ein bisschen nach Milch und nach Pferd roch. Stattdessen stand er im Wohnzimmer und las in einer Zeitung, faltete sie dann zusammen, versteckte sie unter einem Sofakissen und ging in die Küche.

»Na, Margie«, sagte er und gab seiner Frau ein Küsschen auf die Wange.

»Na, Georgie.«

»Na, Alfie«, sagte er und wuschelte dem Jungen durchs Haar.

»Na, Papa.«

»Alles Gute zum Geburtstag, mein Sohn. Wie alt bist du jetzt noch mal, siebenundzwanzig?«

»Ich bin fünf«, sagte Alfie, der sich nicht vorstellen konnte, wie es wäre, siebenundzwanzig zu sein; schließlich fühlte er sich schon bei dem Gedanken, dass er endlich fünf war, sehr erwachsen.

»Fünf. Aha«, sagte Georgie und kratzte sich am Kinn. »Kommt mir vor, als wärst du schon viel länger in der Gegend.«

»Raus! Raus! Raus!«, plärrte Margie und scheuchte sie zurück ins Wohnzimmer. Sie sagte immer, sie könne es auf den Tod nicht ausstehen, wenn ihre beiden Männer ihr vor den Füßen herumliefen, während sie beim Kochen war. Also verzogen Georgie und Alfie sich brav, spielten am Tisch beim Fenster das Leiterspiel und warteten darauf, dass das Fest endlich losging.

»Papa«, sagte Alfie.

»Ja, mein Sohn?«

»Wie geht es Mr Asquith heute?«

»Schon viel besser.«

»Hat der Tierarzt ihn sich angesehen?«

»Ja, das hat er. Keine Ahnung, was da in ihm rumort hat, aber es scheint sich verdünnisiert zu haben.«

Mr Asquith war Georgies Pferd. Genau genommen war er das Molkereipferd und zog den Wagen, mit dem Georgie jeden Morgen die Milch auslieferte. Als er Georgie vor einem Jahr zugeteilt worden war, hatte Alfie ihn auf den Namen getauft, den er so oft im Radio hörte; es musste jemand sehr Wichtiges sein, deswegen fand Alfie, es wäre genau der richtige Name für ein Pferd.

»Hast du ihn von mir getätschelt, Papa?«

»Ja, mein Sohn«, sagte Georgie.

Alfie lächelte. Er liebte Mr Asquith. Er liebte ihn von ganzem Herzen.

»Papa«, sagte Alfie einen Augenblick später.

»Ja, mein Sohn?«

»Darf ich morgen mit dir zur Arbeit gehen?«

Georgie schüttelte den Kopf. »Tut mir leid, Alfie. Du bist noch zu klein für den Milchwagen. Du weißt nicht, wie gefährlich das ist.«

»Aber du hast doch gesagt, wenn ich älter bin, darf ich mit.«

»Ganz richtig – wenn du älter bist.«

»Aber ich bin doch jetzt älter«, sagte Alfie. »Ich könnte unseren Nachbarn helfen, wenn sie alle kommen und ihre Milchflaschen am Wagen auffüllen wollen.«

»Damit setze ich nicht nur meine Arbeit aufs Spiel, Alfie.«

»Na, dann leiste ich eben Mr Asquith Gesellschaft, und du füllst die Milch selber ab.«

»Tut mir leid, mein Sohn«, sagte Georgie. »Aber du bist immer noch nicht alt genug.«

Alfie seufzte. Für sein Leben gern wäre er mit seinem Vater morgens losgezogen, um mit ihm zusammen die Milch auszuliefern und Mr Asquith zwischendurch mit Zuckerstückchen zu füttern, auch wenn das hieß, dass er mitten in der Nacht aufstehen müsste. Bei der Vorstellung, draußen auf den Straßen unterwegs zu sein und die Stadt zu erleben, wenn alle anderen noch im Bett lagen, lief ihm ein Schauer über den Rücken. Und seinem Vater zur Hand zu gehen – was gab es Besseres als das? Mindestens tausendmal hatte er schon darum gebeten, aber immer lautete die Antwort gleich: Nein, Alfie, du bist noch zu klein.

»Erinnerst du dich noch daran, wie du fünf warst?«, fragte Alfie.

»Und ob, mein Sohn. Das war das Jahr, in dem mein alter Herr gestorben ist. Ein hartes Jahr war das.«

»Wie ist er denn gestorben?«

»In der Mine.«

Alfie dachte nach. Er kannte nur einen Menschen, der gestorben war. Kalenas Mutter, Mrs  Janáček, sie hatte Tuberkulose gehabt. Das Wort konnte Alfie schon buchstabieren. T-u-b-e-r-k-u-l-o-s-e.

»Und was war dann?«, fragte er.

»Wann?«

»Als dein Papa gestorben ist.«

Georgie überlegte einen Augenblick und hob die Schultern. »Tja, dann sind wir eben nach London gezogen«, sagte er. »Deine Oma hat gemeint, in Newcastle hält uns nichts mehr. Wenn wir hierherkämen, könnten wir ganz neu anfangen. Sie hat gesagt, jetzt wäre ich der Mann im Haus.« Er würfelte eine Fünf und eine Sechs, landete auf der blauen 37 und musste eine lange Leiter hinunter bis zur weißen 19. »So ein Pech aber auch«, sagte er.

»Heute Abend kannst du länger aufbleiben, oder?«, fragte Alfie, und sein Vater nickte.

»Extra für dich, jawohl«, sagte er. »Weil heute dein Geburtstag ist, bleibe ich bis neun auf. Na, wie klingt das?«

Alfie lächelte; sonst ging Georgie spätestens um sieben Uhr zu Bett, weil er so früh zur Arbeit musste. »Ohne meinen Schönheitsschlaf bin ich zu nichts zu gebrauchen«, behauptete er immer, und wenn Margie dann lachte, sagte er zu Alfie: »Deine Mutter hat mich nämlich nur geheiratet, weil ich so ein hübscher Bursche bin. Aber wenn ich nicht eine ordentliche Mütze Schlaf kriege, dann wachsen mir dunkle Ringe unter den Augen, und ich werde kalkweiß im Gesicht wie ein Gespenst, und dann brennt sie mir am Ende mit dem Briefträger durch.«

»Ich bin schon mit einem Milchmann durchgebrannt, und was habe ich davon?«, gab Margie darauf stets zur Antwort, aber sie meinte es nicht so, denn dann sahen sie einander an und lächelten, und manchmal gähnte sie und sagte, sie hätte auch nichts dagegen, früh ins Bett zu kommen, und schwups, waren sie oben im Schlafzimmer, was bedeutete, dass Alfie ebenfalls zu Bett gehen musste, und damit stand eins für ihn fest: Gähnen war ansteckend.

Alfie versuchte, es sich nicht zu sehr zu Herzen zu nehmen, dass sein Geburtstagsfest wohl nicht so sein würde, wie er es sich vorgestellt hatte. Er wusste, da draußen in der Welt ging irgendwas vor sich, über das alle immerfort redeten, aber es klang langweilig und interessierte ihn nicht die Bohne. Seit Monaten ging das schon so: Ewig und drei Tage bekam man von den Erwachsenen zu hören, es stünde etwas Großes bevor, das sie alle betreffen würde. Manchmal sagte Georgie zu Margie, es könne jetzt jeden Tag so weit sein, und sie müssten sich darauf einstellen, und wenn sie dann außer sich geriet, sagte er wieder, sie solle sich keine Sorgen machen, am Ende liefe ja vielleicht doch alles auf Friede, Freude, Eierkuchen hinaus, und überhaupt sei Europa viel zu zivilisiert, um eine Mordskeilerei anzufangen, von der jeder wusste, dass sie nicht zu gewinnen war.

Als das Fest endlich losging, gaben sich alle Mühe, ein fröhliches Gesicht zu machen und so zu tun, als wäre es ein Tag wie jeder andere. Sie setzten sich in einen Kreis und reichten eine heiße Kartoffel herum; wer sie fallen ließ, war raus. (Dabei gewann Kalena.) Der alte Bill Hemperton baute im Wohnzimmer ein Wurfspiel auf, nach dem Alfie um einen Dreiviertelpenny reicher war. Oma Summerfield gab jedem eine Wäscheklammer und stellte...

Erscheint lt. Verlag 2.2.2024
Übersetzer Brigitte Jakobeit, Martina Tichy
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Kinder- / Jugendbuch Jugendbücher ab 12 Jahre
Schlagworte 1. Weltkrieg • Antiheld • Anti-Kriegsbuch für Jugendliche • Der Junge im gestreiften Pyjama • Empathie • Familie • Granatenschock • Great War • Gutav-Heinemann-Friedenspreis • Historische Romane • Kinderarbeit • Kindheit • King's Cross • Krieg • Kriegsversehrte • London • Nie wieder Krieg • Pazifismus • Plädoyer für Menschlichkeit • Posttraumatische Belastungsstörung • PTBS • Schuhputzer • Soldaten • Vater-Sohn-Geschichte
ISBN-10 3-7336-0750-3 / 3733607503
ISBN-13 978-3-7336-0750-0 / 9783733607500
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