Das Geheimnis des Feuers (eBook)

Roman
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2016 | 1. Auflage
240 Seiten
dtv Deutscher Taschenbuch Verlag
978-3-423-43026-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Das Geheimnis des Feuers -  Henning Mankell
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Die Geschichte von Sofia und ihrer Familie, die versuchen, dem Krieg zu entfliehen. >Das Geheimnis des Feuers< beschreibt den Lebensweg der 12- jährigen Sofia aus dem bürgerkriegsgeschüttelten Mosambik. Als Sofia auf eine Landmine tritt, verliert sie beide Beine. Aber sie verliert dennoch nicht den Lebensmut. Mithilfe eines Arztes erkämpft sie sich trotz ihrer Behinderung eine eigene Zukunft. Henning Mankells Jugendbuch-Afrika-Trilogie erstmals als eBook!

Henning Mankell, geboren 1948 in Härjedalen, war einer der großen schwedischen Gegenwartsautoren, von Lesern rund um die Welt geschätzt. Sein Werk wurde in über vierzig Sprachen übersetzt, es umfasst etwa vierzig Romane und zahlreiche Theaterstücke. Nicht nur sein Werk, sondern auch sein persönliches Engagement stand im Zeichen der Solidarität. Henning Mankell lebte abwechselnd in Schweden und Mosambik, wo er künstlerischer Leiter des Teatro Avenida in Maputo war. Er starb am 5. Oktober 2015 in Göteborg. Seine Taschenbücher erscheinen bei dtv.    

Henning Mankell, geboren 1948 in Härjedalen, war einer der großen schwedischen Gegenwartsautoren, von Lesern rund um die Welt geschätzt. Sein Werk wurde in über vierzig Sprachen übersetzt, es umfasst etwa vierzig Romane und zahlreiche Theaterstücke. Nicht nur sein Werk, sondern auch sein persönliches Engagement stand im Zeichen der Solidarität. Henning Mankell lebte abwechselnd in Schweden und Mosambik, wo er künstlerischer Leiter des Teatro Avenida in Maputo war. Er starb am 5. Oktober 2015 in Göteborg. Seine Taschenbücher erscheinen bei dtv.    

2.


Es war die alte Muazena, die Sofia und Maria vom Geheimnis des Feuers erzählt hat.

Jede Flamme hat ihr Geheimnis. Wenn man im richtigen Abstand von den Flammen sitzt, kann man tief hineinsehen und erfahren, was im Leben geschehen wird, in der Zukunft, während all der Tage, die ungenutzt vor jedem Menschen liegen. Muazena zeigte mit ihrer alten, runzligen und zitternden Hand zu einem Acker, auf dem verschiedene Pflanzen in Reihen standen.

»So sieht das Leben aus«, sagte Muazena. »Jeder Tag ist eine Pflanze, die ihr pflegen und gießen müsst, von Unkraut befreien und einmal ernten werdet. Jede Pflanze ist ein Tag in eurem Leben, den ihr noch nicht gelebt habt.«

Im Feuer leben auch alle Erinnerungen.

Auch das hatte die alte Muazena Sofia und Maria erzählt, als sie noch klein waren. Indem man ins Feuer schaut, kann man Erinnerungen hervorlocken, von denen man meint, man habe sie für allezeit vergessen.

 

Sofia dachte oft an Muazena. Aber Muazena war nicht mehr da. Genauso wenig wie Maria. Wenn Sofia an Muazena dachte, dachte sie an die Zeit, als sie noch nicht auf der Flucht sein mussten. Das war vor der langen Reise, ehe sie sich hier am Fluss niedergelassen hatten. Das war die gute Zeit gewesen, als sie kaum wusste, was Schmerz war. Oder Trauer. Oder Hunger. Oder das Schlimmste von allem: Einsamkeit.

 

Damals hatten sie gelebt, wo sie immer gelebt hatten. Am besten konnte Sofia sich an das Dorf erinnern. Dort waren alle Hütten rund und hatten kunstvoll geflochtene Dächer aus Palmblättern. Dort war sie geboren worden, genau wie Maria und Alfredo. Und ihr Vater Hapakatanda hatte sie hoch in den Himmel hinaufgehoben und sie die Sonne begrüßen lassen. Sie hatte festgebunden auf dem Rücken ihrer Mutter gesessen, Lydia, die damals die schönste und stärkste Frau des ganzen Dorfes war. Sofia hatte auf ihrem Rücken gesessen, während Lydia vorgebeugt in der trockenen Erde hackte. Wenn sie an diese Zeit dachte, hörte sie immer Musik in ihrem Innern. Die Trommeln und die eintönige Melodie einer Timbila1. In ihrem Körper verwahrte Sofia immer noch das Echo der schaukelnden Bewegungen, wenn ihre Mutter mit den anderen Frauen tanzte. Sie konnte sich nicht erinnern, damals je hungrig gewesen zu sein. Oder ängstlich. Das war die glückliche Zeit gewesen.

Auch davon hatte Muazena erzählt. Sie hatte vom Paradies erzählt. Und sie hatte gesagt, das Glück sei nur dort, wo wir einmal gewesen sind, nachdem wir es verloren haben.

 

Dann war das geschehen, was sie bis jetzt versucht hatte zu vergessen. Aber die Erinnerung war wie eine Narbe in der Haut, die niemals verschwindet.

Es war Nacht.

Kein Mond, keine Sterne.

 

Plötzlich explodierte ihr ganzes Leben. Ein scharfer weißer Schein füllte die Hütte, dann kam eine Serie starker Explosionen. In ihrer Erinnerung, jener Erinnerung, die sie am liebsten von allem in ihrem Leben vergessen wollte, sah sie verzerrte Menschengesichter im grellen Feuerschein. Es waren Menschen, aber sie glichen Monstern und Sofia hatte sofort begriffen, dass sie gekommen waren, um sie und alle anderen im Dorf zu töten.

 

Es waren die Banditen.

Sie hatten sich im Schutz der nächtlichen Dunkelheit an das Dorf herangeschlichen und sie hatten die Hütten niedergebrannt und die Menschen getötet. Irgendwo in diesem entsetzlichen Durcheinander von Feuer und Tod, von blutigen Körpern, Schreien und Rufen, hatte ihr Vater Hapakatanda versucht sie und Maria zu verstecken. Doch er war von einem Stich mit einem großen Messer getroffen worden, oder vielleicht war es auch ein Beil gewesen, und er war gefallen und sie hatte zusammen mit Maria unter ihm gelegen.

 

Dann war es sehr still gewesen und sie hatte verstanden, was mit der Stille des Todes gemeint war. Aber ihrem Vater war über den Tod hinaus gelungen, was er gewollt hatte: sie und Maria vor den Messern, Beilen und Gewehren zu schützen.

 

Am Morgen, als die Sonne zurückkehrte, wagten sie es hervorzukriechen. Ihr Vater war tot und sie hatten sehr geweint. Muazena war auch tot, sie lag vornübergefallen über dem verglimmenden Feuer. Aber Lydia war nicht da, auch Alfredo nicht. Weder Sofia noch Maria wagten zu rufen und sie weinten lautlos, während sie aus der Hütte krochen. Sie gingen durch das Dorf, überall lagen tote Menschen und sie kannten alle und waren mit ihnen verwandt, Menschen, mit denen sie gespielt, gearbeitet und gelacht hatten. Die Monster, die in der Nacht gekommen waren, hatten die Stille des Todes mitgebracht, sie hatten das Dorf in einen Friedhof verwandelt. Überall lagen tote Menschen in verrenkten Stellungen; die Monster hatten sogar die Hunde umgebracht. Manchen waren Arme und Beine abgeschlagen, einem auch der Kopf. Sofia und Maria gingen durch das tote Dorf, durch die Stille des Todes, bis sie die letzte der niedergebrannten Hütten erreichten. Sofia dachte, irgendwo müsse Lydia sein, ebenso Alfredo. Alle konnten doch nicht tot sein. Es konnte einfach nicht sein, dass nur Maria und sie übrig waren. Das war es, wovon Muazena erzählt hatte, das größte Grauen für einen Menschen ist es, der letzte Mensch auf der Erde zu sein.

Ich will nicht der letzte Mensch sein, hatte sie hinter ihrem lautlosen Weinen gedacht. Wenn Maria auch noch etwas zustößt, bin ich allein übrig.

Aber Lydia war dort gewesen. Am Rande des Dorfes, versteckt in einem Gebüsch, fanden Sofia und Maria sie, Alfredo war auch am Leben geblieben. Dort waren Lydia, Alfredo, zwei andere Frauen und drei Kinder. Sofia und Maria durften ihre Freude nicht herausschreien, vielleicht waren die Banditen noch in der Nähe und konnten sie hören. Sie umfassten einander nur und lagen den ganzen Tag im Gebüsch versteckt, ohne Wasser, ohne zu essen, und warteten, dass es wieder dunkel würde.

 

Dann waren sie geflohen. In der ersten Nacht schlugen sie sich durch das kratzende Gebüsch, solange sie konnten. Danach trauten sie sich auch tagsüber zu wandern. Da sie nicht wussten, wohin, gingen sie einfach geradeaus, geradewegs hinaus in das trockene Land, hin zu den hohen Bergen, die am Horizont zu sehen waren. Sofia erinnerte sich an ihren Hunger. Aber der Durst hatte sie noch mehr gequält.

Am dritten Tag zerstritt Lydia sich mit den anderen beiden Frauen darüber, in welche Richtung sie gehen sollten. Sie trennten sich und Lydia, Sofia, Maria und Alfredo wanderten weiter auf die Berge zu, während die anderen Frauen in eine andere Richtung abbogen.

Sie gingen weiter und drehten sich nicht mehr um.

 

Irgendwo auf dem Weg ins Unbekannte trafen sie eine alte Frau. Sie war sehr arm, ihre Kleider hingen in Fetzen an ihr herunter und die Beine waren geschwollen und voller Wunden. Sofia dachte, sie ist genauso alt wie Muazena. Plötzlich stand sie vor ihnen, und als Mama Lydia sie ansprach, konnten sie sich verständigen, denn ihre Sprachen waren ähnlich. Lydia erzählte, was geschehen war.

»Das waren die Banditen«, sagte sie. »Sie sind in der Nacht gekommen und sie haben meinen Mann umgebracht.«

»Wen noch?«, fragte die alte Frau. »Die Banditen sind Ungeheuer und sie töten niemals nur einen. Sie töten, so viele sie können.«

»Sie haben alle im Dorf getötet«, antwortete Lydia.

»Und die Hunde«, sagte Sofia. »Sie haben auch alle Hunde umgebracht.«

Die alte Frau begann den Körper zu wiegen, sie warf den Kopf hin und her und stieß klagende Rufe aus. Lydia machte dasselbe, dann auch Sofia, Maria und Alfredo. Sie wiegten die Körper und jetzt trauten sie sich zu weinen und ihre Trauer und ihren Schmerz herauszuschreien, sodass es zu hören war.

Dann gingen sie weiter auf die Berge zu. Die alte Frau folgte ihnen und sie teilte das Fleisch eines toten Vogels mit ihnen. In einem fast ausgetrockneten Flussbett fanden sie Wasser zu trinken.

Nachts schliefen sie am Feuer unter mächtigen Baobabbäumen und es geschah, dass Sofia Maria weckte, als sie einen Löwen in der Dunkelheit brüllen hörte.

Die alte Frau hatte ihnen nicht ihren Namen genannt. Aber sie hatte ein freundliches Lächeln, obwohl sie keinen einzigen Zahn mehr hatte.

 

In Sofias Träumen kehrten die Monster zurück. Wenn eins der Ungeheuer erneut sein Beil über ihrem Vater erhob, wurde sie wach. Lydia schlief zusammengerollt, Alfredo dicht an ihren Körper geschmiegt. Die alte Frau schlief am Feuer, das jetzt nur noch schwach glomm. Maria lag an ihrer anderen Seite. Sofia dachte, dass vielleicht Muazenas Geist in der alten Frau wiedergekehrt war, die ihren Namen nicht nannte.

 

In der frühen Morgendämmerung setzten sie ihre Wanderung fort, auf die Berge zu, die immer noch weit entfernt schienen. Plötzlich meinte Sofia zu hören, wie Mama Lydia die alte Frau nach der Stadt fragte.

»Ich bin niemals dort gewesen«, antwortete die Alte.

»Ist es weit bis dorthin?«, fragte Lydia.

»Die Stadt liegt weit entfernt, damit solche wie du und ich und deine Kinder sie nicht erreichen. Meine Beine sind alt und voller Schwären, die deiner Kinder viel zu kurz und zu jung. Keiner von uns hat Beine, die dazu gemacht sind, die Stadt zu erreichen.«

Lydia fragte nicht mehr. Schweigend gingen sie weiter. Es war sehr heiß. Sie versuchten sich vor der Sonne zu schützen, indem sie ihre Capulana2 um die Köpfe schlangen. Die alte Frau hatte noch ein wenig Wasser in einem schmutzigen Plastikbehälter. Doch als der Nachmittag schon weit vorangeschritten war, konnten sie noch immer keine Andeutung von Baumgruppen entdecken. Das wäre ein Zeichen gewesen, dass es in der Nähe Wasser gab.

In der kurzen Dämmerung blieb die alte Frau...

Erscheint lt. Verlag 14.10.2016
Reihe/Serie Die Sofia-Reihe
Übersetzer Angelika Kutsch
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur
Kinder- / Jugendbuch Jugendbücher ab 12 Jahre
Schlagworte Afrika • Afrika-Roman • Afrika-Trilogie • All Age • Band 1 • Behinderung • Bürgerkrieg • "Das Rätsel des Feuers" • "Der Zorn des Feuers" • Einführung • Erwachsenwerden • Flüchtlingsmädchen • Gesamtdarstellung • Ideengeschichte • Indonesien • Islamische Kultur • Islamische Kunst • Jugendbuch • Landmine • Lebensgeschichte • Lebensmut • Mosambik • Muhammad • Philosophie • Religion • Romanbiografie • Schicksal • Sofia • Starke Mädchen • Terrorismus • Weltreligion
ISBN-10 3-423-43026-5 / 3423430265
ISBN-13 978-3-423-43026-5 / 9783423430265
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