Das Glück ist nicht immer gerecht (eBook)

Roman
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2016 | 1. Auflage
288 Seiten
dtv Deutscher Taschenbuch Verlag
978-3-423-42971-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Das Glück ist nicht immer gerecht -  Anne-Laure Bondoux
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Sommer in Südfrankreich Nach dem Tod ihrer Eltern wollen die 15-jährige Mado und ihre ältere Schwester Patty im Ferienhaus ihrer Eltern in der französischen Ardèche einen Neuanfang wagen. Doch Patty, Vormund ihrer Schwester auf Probe, ist schwanger und bringt nicht nur damit das ganze Rollenmodell ins Wanken. Ein Sommer voller emotionaler Hoch- und Tiefpunkte erwartet die Schwestern. Und am Ende wissen sie: Das Leben lässt sich nicht planen. Es kommt, wie es kommt.

Anne-Laure Bondoux arbeitete nach ihrem Studium der Literatur zunächst als Lektorin. Mit ihren Büchern gehört sie zu den renommiertesten Jugendbuchautorinnen Frankreichs und ist auch international sehr erfolgreich. Unter anderem war sie für den Deutschen Jugendliteraturpreis nominiert. Anne-Laure Bondoux hat zwei Kinder und lebt in der Nähe von Paris.

Anne-Laure Bondoux arbeitete nach ihrem Studium der Literatur zunächst als Lektorin. Mit ihren Büchern gehört sie zu den renommiertesten Jugendbuchautorinnen Frankreichs und ist auch international sehr erfolgreich. Unter anderem war sie für den Deutschen Jugendliteraturpreis nominiert. Anne-Laure Bondoux hat zwei Kinder und lebt in der Nähe von Paris.

3. Kapitel


Samstag, 18.00 Uhr

Der erste Tag allein war schließlich gar nicht so schlimm, wie ich befürchtet hatte. Ich bin spät aufgestanden, habe lange gebadet, Mathe und Französisch gelernt, nachmittags eine Packung Kekse gefuttert und fast gar nicht an meine Eltern gedacht.

Jetzt muss ich nur noch den Abend überstehen. Die hereinbrechende Dunkelheit, die sich verändernden Geräusche, die Stimmen aus den Nachbarwohnungen und dieses hartnäckige Gefühl, nicht auf derselben Party eingeladen zu sein wie sonst alle … Abends ist alles anders. Abends ist alles schwerer.

Ich räume meine Bücher und Unterlagen weg und überlege, wie ich die nächsten Stunden am besten hinter mich bringe. Soll ich fernsehen? Musik hören? Ein bisschen spazieren gehen? Patty auf ihrem Handy anrufen? Ich kann mich nicht entscheiden, darum trete ich auf den Balkon, stütze die Ellbogen auf die Brüstung und atme kurz durch.

Wenn ich in den letzten Monaten noch etwas Wichtiges gelernt habe, dann, dass das eigene Unglück den anderen Angst macht.

Ich werde nie den Herbstmorgen vergessen, an dem ich nach einer Woche Abwesenheit wieder zur Schule gegangen bin. Natürlich wussten alle Bescheid: die Lehrer, die Schüler, die Pausenaufsicht und sogar die Eltern der Schüler.

»Kennen Sie Mado Yazinsky aus der 9c? Sie hat ihre Eltern bei einem Autounfall verloren. Die beiden waren sofort tot. Das Auto ist in einer Schlucht zerschellt. Stellen Sie sich das mal vor!«

Natürlich konnte sich das niemand wirklich vorstellen.

Als ich den Schulhof betrat, kamen meine Freundinnen auf mich zu. Olivia, Maude, Sabrina und Judicaëlle, eine ganze Beerdigungsgesellschaft! Sie sahen so traurig aus, als wären ihre Eltern gestorben und nicht meine. Plötzlich musste ich lachen, ich konnte einfach nicht anders. Sie haben es nicht verstanden. Wie konnte ich nur lachen, wo doch solch ein Unglück geschehen war? Ich spürte ihre verblüfften und missbilligenden Blicke.

»Das ist die Anspannung«, behauptete ich.

»Verstehe«, log Sabrina.

Maude und Judicaëlle nickten.

»Bist du sicher, dass du schon wieder zur Schule gehen solltest?«, fragte Olivia.

»Das lenkt mich ab«, sagte ich.

Dieses Mal meinte ich es ernst. Es war keine Lösung, den ganzen Tag zu Hause zu sitzen, Trübsal zu blasen und sich immer wieder mit denselben Erinnerungen zu quälen. Sogar die Psychologin hatte mich ermuntert, wieder in die Schule zu gehen.

Dann standen wir zu fünft auf dem Schulhof und warteten stumm auf das Klingeln. Sabrina trug einen neuen Pullover, blasslila und grau, superhübsch. Ich traute mich nicht, sie darauf anzusprechen, weil ich nicht oberflächlich wirken wollte. Judicaëlle war am vergangenen Samstag auf der Party von Mathieu gewesen. Ich hätte gerne gewusst, wie es gewesen war, ob Laura Gabriel geküsst und Éléonore mit Kevin getanzt hatte … Aber ich traute mich nicht, sie zu fragen.

Da wurde mir klar, dass ich ab sofort ständig auf der Hut sein musste, um den Erwartungen der anderen zu entsprechen. Ich hatte traurig und zermürbt auszusehen, und damit basta. Ein anderes Verhalten kam nicht infrage. Meine Freundinnen rissen sich ebenfalls zusammen. Sie lachten nicht, stießen mich nicht an, redeten mit mir weder über traurige noch über lustige Dinge und vermieden Tabuwörter wie »Papa«, »Mama« und sogar »Auto« …

Diese unangenehme Situation dauerte einige Tage. Dann entspannte sich die Lage ganz allmählich. Um mich nicht traurig zu machen, lachten meine Freundinnen jetzt lieber ohne mich, amüsierten sich ohne mich und erzählten sich ihre alltäglichen Geschichten ohne mich. Sie wollten mich nicht wirklich fallen lassen. Ich war bereits am Boden.

Während des nächstens Halbjahrs habe ich mich mit Jeanne angefreundet, einem Mädchen, mit dem ich mich vor dem Unfall nie getroffen hätte. Mit ihr konnte ich über meine Eltern und mein neues Leben reden. Es war leichter, weil wir uns vorher nicht besonders gut gekannt hatten. Sie nahm mich so, wie ich war: Mado, die Waise, Mado, die allein mit ihrer großen Schwester lebt, die manchmal traurig und abwesend ist, mit der man aber auch lachen kann, die neue Mado. Keine Ahnung, was aus der alten geworden ist … Wahrscheinlich ist sie zusammen mit dem Auto in die Schlucht gestürzt. Die alte Mado gibt es nicht mehr.

Mitten in meine Gedanken hinein klingelt das Telefon. Es ist Jeanne. Als sie hört, dass ich ganz allein bin, fragt sie, ob ich bei ihr übernachten will. Bei ihr ist immer was los, es geht stets laut und lebhaft zu. Genau das, was ich brauche! Der Abend ist gerettet.

Bevor ich meine Sachen packe und verschwinde, rufe ich Patty auf dem Handy an, um ihr Bescheid zu sagen.

Es läutet fünf- oder sechsmal, bis sie endlich abnimmt. Ihre Stimme klingt irgendwie anders als sonst.

»Störe ich?«, frage ich.

»Nein, kein Problem.«

»Ich übernachte heute bei Jeanne. Morgen Nachmittag bin ich wieder da.«

»Von mir aus. Tu, was du für richtig hältst.«

Ich schweige verwirrt. Patty klingt nicht gerade wie eine glückliche Verliebte, die auf Wolke sieben schwebt. Ob sie sich mit Luigi gestritten hat?

»Stimmt was nicht?«, frage ich.

»Nein, alles klar. Ich bin im Hotel. Ich … ich war gerade unter der Dusche.«

Das riecht auf hundert Kilometer nach einer Lüge. Plötzlich sehe ich Patty vor mir, ganz allein in dieser fremden Stadt und am Boden zerstört, weil Luigi, den ich noch nie mochte, mit ihr Schluss gemacht hat, und sie zu stolz ist, um etwas zu sagen.

»Ist das Hotel schön?«, frage ich weiter.

»Superschön«, antwortet Patty mit einem gezwungenen Lachen. »Wir haben ein großes Zimmer mit Fernseher …«

Im Hintergrund sind hallende Stimmen und zuschlagende Türen zu hören.

»Und wie ist Amsterdam so?«

»Nett.«

»Hast du eine Mühle gesehen?«

»Doch nicht mitten in der Stadt, du Dummkopf.« Patty seufzt. »Luigi wartet. Ich muss jetzt Schluss machen.«

»Viel Spaß«, sage ich halbherzig. »Bis morgen.«

»Schönen Abend noch, Mado. Grüß Jeanne von mir.«

Ende des Gesprächs. Ich bleibe mit hängenden Armen im Flur stehen. Warum klang Patty so müde, angespannt und traurig? Und was waren das für Geräusche im Hintergrund? Es hat sich eher nach einer Bahnhofshalle oder einem Flughafen angehört. Jedenfalls nicht nach einem gemütlichen Hotelzimmer.

Ich überlege kurz, ob ich sie noch einmal anrufen soll, doch dann lasse ich es sein. Schließlich ist Patty die Große, die Erwachsene! Und es war ihre eigene Entscheidung, übers Wochenende wegzufahren und sich eine schöne Zeit zu machen. Ich werde mir nicht den Abend verderben lassen, weil ich mir Sorgen um sie mache. Außerdem wäre es kein großer Verlust, wenn sie sich von Luigi getrennt hätte. So wie ich Patty kenne, wird sie es überleben.

Als ich die Wohnungstür hinter mir zuschlage, ist es, als würde ich einen Sarg schließen. Klack! Schlaft gut, ihr Geister! Ich werde mich woanders amüsieren!

 

Als ich am Sonntagabend Pattys Schlüssel im Treppenhaus klirren höre, kann ich meine Erleichterung trotz allem nicht verbergen und laufe ihr entgegen.

»Wie geht’s, Pat? War’s schön? Bist du sehr müde?«

Sie sieht schlecht aus, aber gleichzeitig scheinen ihre Augen intensiver zu leuchten als sonst. Ich schließe daraus, dass das Wochenende stürmisch war, aber alles gut ausgegangen ist. Ich habe das Abendessen vorbereitet und frage sie, ob sie Hunger hat.

»Nein danke, ich hab unterwegs ein Sandwich gegessen.«

»Schade, ich hatte ein Diät-Menü vorgesehen: Gurken, grüner Salat und magerer Schinken.«

Patty scheint gar nicht zuzuhören. Sie wirft ihre Keilabsatzschuhe in die Ecke, geht direkt ins Wohnzimmer und lässt sich aufs Sofa fallen. Als ich sie genauer anschaue, wird mir klar, warum sie so schlecht aussieht. Sie ist nicht geschminkt! Sofort ist mein Misstrauen wieder da. Hier stimmt was nicht! Das Einzige, was Patty davon abhält, sich das Gesicht anzumalen, ist eine Krankheit. Und selbst dann muss es schon eine richtig schwere Grippe sein.

»Du siehst nicht so richtig fit aus«, murmle ich vorsichtig. »Wirst du etwa krank?«

Patty greift nach der Fernbedienung und stellt den Fernseher an, ohne zu antworten. Plötzlich traue ich mich nicht mehr, weiter zu fragen, und setze mich einfach neben sie. Es fängt gerade eine Reportage über das Leben reicher Leute an. Das interessiert mich nicht die Bohne, aber ich verkneife mir einen Kommentar. Patty hat sich in der Sofaecke zusammengerollt. Diese Haltung kenne ich nur zu gut, es ist die des verletzten Kindes. Wie oft habe ich sie so zusammengekauert gesehen, mit leerem Blick, während ihre Finger mit einer blondierten Haarsträhne herumspielen? Wenn es ihr nicht gut geht, wird Patty wieder zum Kind. Fehlt nur noch, dass sie am Daumen lutscht. Als Papa und Mama noch lebten, habe ich mich über sie lustig gemacht. Jetzt nicht mehr.

Im Fernsehen erklärt ein Mann in einem sehr teuren Anzug gerade der Kamera, dass er einen kleinen Empfang »im engsten Kreis« plant. Es sind dreihundert Leute eingeladen. In der riesigen Küche seiner Luxusvilla wirbeln Dutzende von Köchen zwischen ihren Töpfen herum. Soßen werden angerührt, Fleisch wird gebraten, Fisch gedünstet und das Dessert angerichtet.

Mir läuft das Wasser im Mund zusammen und ich will gerade etwas sagen, da springt Patty plötzlich vom Sofa und rennt auf die Toilette. Verdutzt klappe ich den Mund wieder zu. Durch die Tür höre ich, wie...

Erscheint lt. Verlag 22.7.2016
Übersetzer Maja von Vogel
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur
Kinder- / Jugendbuch Jugendbücher ab 12 Jahre
Schlagworte Ardeche • La vie comme elle vient • Liebe • Mädchenroman • Schwangerschaft • Schwestern • Sommerferien • Sommerroman • Südfrankreich • Verantwortung
ISBN-10 3-423-42971-2 / 3423429712
ISBN-13 978-3-423-42971-9 / 9783423429719
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