Nüchtern betrachtet (eBook)

Bargespräche zweier Philosophinnen Vol. II
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
150 Seiten
Arisverlag
978-3-907238-41-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Nüchtern betrachtet -  Vanessa Sonder,  Patrizia Hausheer
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Es war der Verkaufsschlager 2018 und wurde breit medial besprochen: «Was soll das alle - Bargespräche zweier Philosophinnen» von Vanessa Sonder und Patrizia Hausheer. Nach einem grossen Medienecho setzten sie diese Gespräche auch an zahlreichen Lesungen und in einer regelmässigen Kolummne für die NZZ fort. In «Nüchtern betrachtet- Bargespräche zweier Philosophinnen Vol. II» treffen sich die beiden Autorinnen weiterhin zum philosophischen Austausch. Sechs Jahre später aber nicht mehr nur an der Bar, sondern auch mal an einer Baustelle oder im Park. Der Wein fliesst nicht mehr in Strömen, die Lust am philosophischem Gespräch aber ist unvermindert geblieben. Die Welt und die beiden Philosophinnen haben sich verändert. Was treibt sie heute um? Sie ziehen Bilanz und wagen den nüchternen - und teilweise ernüchterten - Blick auf gesellschaftsrelevante Fragen.

Vanessa Sonder (1982) studierte Philosophie, Biologie und Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft an der Universität Zürich. Nach einem längeren Aufenthalt als Redaktorin in der Filmproduktion wechselte sie in die Verlagsbranche und arbeitet heute als Projektleiterin und Lektorin bei einem Lehrmittelverlag. Sie wohnt mit ihrem Partner und den gemeinsamen Kindern in Zürich.

Vanessa Sonder (1982) studierte Philosophie, Biologie und Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft an der Universität Zürich. Nach einem längeren Aufenthalt als Redaktorin in der Filmproduktion wechselte sie in die Verlagsbranche und arbeitet heute als Projektleiterin und Lektorin bei einem Lehrmittelverlag. Sie wohnt mit ihrem Partner und den gemeinsamen Kindern in Zürich.Patrizia Hausheer (1983) studierte Philosophie, französische Literatur und Rechtswissenschaften an den Universitäten Sorbonne, Bourgogne, Fribourg und Zürich. Anschliessend war sie als Lehrperson an Gymnasien und als freie Journalistin tätig. Seit 2019 unterrichtet sie als Lehrperson für Begabungs- und Begabtenförderung. Patrizia Hausheer lebt in Zürich.

Wozu lachen?

Vanessa

Zögerlich drehe ich mich auf den Rücken und fasse mir an den Nacken. Er schmerzt. Parkbänke haben sich noch nie als Liegefläche geeignet. Sie fallen leicht ab, sind schmal und ausgesprochen hart. Mit halb geöffneten Augen erahne ich allmählich die Welt um mich herum, bemerke das viele Grün, die tanzenden Schatten, die verschwommenen Gestalten in der Ferne – bis sie irgendwann in die Weichzeichnung einbricht: die Klarheit.

Ich muss eingenickt sein, eingelullt vom Rauschen der Bäume, die großgewachsen den Stadtpark säumen. Mein letzter Gedanke, jetzt erinnere ich mich, galt den feinen Adern, die ich auf den Blättern über mir deutlich erkennen konnte. Die Transparenz irritiert mich auch jetzt. Wo verlaufen die Adern? Auf der Innenseite des Blattes? Auf der Außenseite? –

Erneut spüre ich einen stechenden Schmerz im Nacken. Ich richte mich auf und betrachte den noch jungfräulichen Rasen, der vor mir liegt. Die Sonne scheint von oben durch das blätterreiche Geäst der Bäume und fächert sich über der Wiese zaghaft zu feinen Strahlen auf. Ein Hauch von Mystik umgibt das Schauspiel.

Ich mag dieses gedämpfte, sanfte Licht, das, in seiner durchdringenden Eigenschaft zurückgenommen, den Raum hier füllt. Direktes Sonnenlicht hingegen ist erbarmungslos, es leuchtet jeden noch so kleinen Winkel aus. Die Welt wirkt platt und ohne Tiefe im hellen Schein. Darum lasse ich an schönen Tagen manchmal die Rollos runter, was niemand versteht. Ich will nur den Raum zurück, den das grelle Licht genommen hat.

Von der anderen Seite des Parks dringt jetzt lautes Gelächter zu mir. Eine Gruppe junger Leute hat es sich auf dem Rasen gemütlich gemacht und breitet Essen vor sich aus. Unweit davon erblicke ich Patrizia, sie kommt auf mich zu. Ich wende mich nochmals rüber zu den Strahlen: Was ist ihr Geheimnis? Machen sie das Unsichtbare sichtbar, das Licht?

Patrizia* Fast ohrenbetäubend dieses Gelächter.

Vanessa* Lachen sie jemanden aus? Ich kann’s nicht richtig deuten.

[Fortan werden die Namenskürzel P und V verwendet.]

PScheint so. Sieh mal. Jetzt steht einer auf – der guckt richtig fies.

VEr lacht dem anderen ins Gesicht. – Eigentlich ein spannendes Phänomen: jemandem ins Gesicht lachen. Was passiert da?

PDas ist doch vor allem eine Redewendung. Das tut man ja nicht wörtlich.

VDoch, das gibt es, wie hier beispielsweise oder im Streit.

PIm Sinne von «Ich nehme dich nicht ernst»?

VJa. Aber auch im Sinne von «Du kannst mir nichts anhaben».

PStimmt.

VDas Lachen hat dann so was wie eine Schutzfunktion.

PAber es kann auch Überlegenheit damit ausgedrückt werden. Ich habe das schon in Diskussionen erlebt, wo mein Gegenüber die ganze Zeit gelächelt hat. Das hat mich unglaublich provoziert. Gerade weil etwas von «Ich stehe über allem» und auch «Ich nehme dich nicht ernst» mitschwingt. «Ich streite gar nicht, ich lache doch». Klassisch: Man lässt jemanden auflaufen.

VGleichzeitig auch eine Abwehr im Sinne von «Du dringst nicht zu mir vor mit dem, was du sagst».

PEin herzhaftes Lachen steht dem eigentlich völlig entgegen, es ist sogar enorm ansteckend. Wenn z. B. Leute am Nebentisch herzhaft lachen, dann lacht man doch oft mit.

VGenau, obwohl man keine Ahnung hat, warum sie lachen.

PIch würde sagen, wenn man mitlachen kann, dann ist das ein Zeichen, dass es sich um herzhaftes Lachen handelt. Lachen kann auch sehr störend sein. Kennst du solche Situationen, zum Beispiel bei Meetings, wenn Arbeitskollegen untereinander lachen, um sich nicht unwohl zu fühlen? Es ist dann aber sehr künstlich, ostentativ und angestrengt laut. Es nervt nur. Und das Lachen im Streit, wie du es eben erwähnt hast, ist dann so ein Fratzenlachen. Ein Triumphieren.

VInteressant, wie viele Arten von Lachen es im Grunde gibt. Dabei beginnt alles mit einem Reiz.

PWie meinst du das?

VEin Säugling lächelt dich schon sehr früh an. Die Frage ist aber: Hat er auch entsprechende Emotionen?

PNatürlich, er lacht doch aus Freude.

VDas dachte ich bei meinen Kindern auch immer, aber in Wahrheit ist es – zumindest zu Beginn – ein einfaches Reiz-Reaktionsmuster. Der bloße Anblick eines Gesichts löst beim Säugling ein Lächeln aus. Auch formähnliche Dinge wie ein Luftballon werden angelächelt. Gemäß Wissenschaft dient dieses Lächeln dazu, eine Bindung aufzubauen.

PIrgendwie unheimlich. Wenn hinter einem Lächeln keine Freude steckt, was geht da in einem Säugling vor? Ich meine ganz grundsätzlich. Wir Erwachsenen haben immerhin die Sprache, über die wir uns verständigen können, ebenso die Kinder.

VAuch der Säugling kann sich mitteilen. Ziemlich deutlich sogar: Er schreit, wenn er Hunger hat. Er verzieht das Gesicht, wenn ihn etwas schmerzt etc. Klar, hin und wieder sind wir damit überfordert, sein Verhalten zu deuten. Aber bringt uns die Spekulation über sein Inneres in diesem Fall weiter?

PSicher ist es entscheidend, was wir im Innern eines anderen vermuten. Wir richten unser Verhalten doch auch danach aus. Du würdest dein Baby anders behandeln, wenn du annehmen müsstest, es sei ein Automat und hätte kein Innenleben. Fragst du dich denn nie, was in deinem Gegenüber so vorgeht, z. B. in mir? Ob ich alles immer nur lustig finde … trotz meines Lachens?

VIch würde es merken, wenn dein Lachen nicht echt ist.

PWoher willst du das wissen? Du kannst ja nicht in mich hineinsehen.

VDas klingt immer so, als würde dein Körper den Blick auf dich verstellen und als gehöre er nicht zu deinem wahren Wesen.

PNatürlich tut er das. Aber ich habe auch ein Innenleben, das sich nicht zwingend im Körperlichen manifestiert.

VDann sprichst du dich für einen Dualismus aus – Geist vs. Körper?

PSagen wir es so: Ich habe eine Welt, zu der du keinen Zugang hast.

VUnd wenn ich einen Zugang hätte? Würde ich erschrecken, weil ich plötzlich mit einer anderen Patrizia konfrontiert wäre? Es ist doch wie beim Säugling: Alles, was für mich als dein Gegenüber wichtig ist, ist sichtbar: Du redest, du gestikulierst, du verziehst dein Gesicht, du sitzt aufrecht da, deine Augen sind weit geöffnet. Du gibst ständig dein Inneres preis, ob du willst oder nicht.

PDennoch: Du kannst nicht wissen, wie es sich in mir anfühlt. Mein Inneres und das, was du an mir wahrnimmst, müssen sich eben nicht immer entsprechen.

VVielleicht störe ich mich genau an dem: an dieser Vorstellung, dass der Mensch in ein Inneres und ein Äußeres zerfällt, wobei auch noch das Innere für andere verborgen sein soll. Dabei durchdringt sich doch alles gegenseitig. –

Ich stelle es mir so vor: Das Innere ist nach außen hin geöffnet und das Äußere eine Membran, die gleichsam das Innere atmet.

PDas Innere ist doch per se für andere verborgen.

VAber wenn es für mich per se verborgen ist, dann ist es für mich doch vernachlässigbar. Wenn ich ohnehin nichts darüber wissen kann, warum mir dann Gedanken darüber machen?

PGanz einfach: Das, was du siehst, kann dich täuschen.

VWarum hat eigentlich das Sichtbare so einen schlechten Stand? Warum misstraut man ihm?

PWeil es einen dazu verleitet, voreilige Schlüsse zu ziehen? Schein und Sein?

VKlar, Leute machen sich gegenseitig was vor, lügen, betrügen etc.

PGenau – und das kannst du nicht einfach ignorieren. Es hat einen Einfluss auf dein Leben, ob man mit dir ehrlich umgeht oder nicht. Wenn jemand zum Beispiel vorgibt, sich für deine Arbeit zu interessieren, nur um an eine Information zu gelangen, dann fühlst du dich doch betrogen und wirst der Person aus dem Weg gehen.

VJa, aber es liegt in meiner Hand, wie sehr ich mich blenden lasse oder nicht, wie rasch ich zum Beispiel Schlüsse über die Absichten ziehe, wie du eben selbst gesagt hast. Dabei ist das Sichtbare selbst nicht an sich trügerisch, es ist, wenn man so will, schließlich alles, was ich habe.

PDu kannst noch so kritisch durch die Welt gehen: Leute können dich dennoch hinters Licht führen und du merkst es nicht.

VDa hast du recht. Aber – vielleicht will ich auf das hinaus – wenn dir jemand was vormacht, dann läuft in seinem Innern nicht noch ein anderer Film ab, sozusagen der wahre Film. Die Rolle, die er spielt, ist in dem Moment doch genauso echt. Es gibt nicht eine Welt davor und eine Welt dahinter.

PDu meinst, der Schein als Oberflächenphänomen existiert gar nicht?

VJa, in gewisser Weise ist der Schein einfach eine weitere Form des Seins, im Realitätsgrad nicht minderwertiger als das «wahre» Sein.

PDas hat was. Es gibt ja auch Leute, die leben für den Schein, die wollen überall und jederzeit irgendeinen Schein wahren. Und dahinter ist gar nichts.

VGenau – und mit all dem digitalen Firlefanz von heute trifft das wohl auf ganz viele zu. Auch in dieser Hinsicht...

Erscheint lt. Verlag 15.10.2024
Verlagsort Embrach
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Religion / Theologie
Schlagworte Gespräche • Lebensfragen • Philosophie • Platonischer Dialog
ISBN-10 3-907238-41-9 / 3907238419
ISBN-13 978-3-907238-41-7 / 9783907238417
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