Leben mit Demenz (eBook)
194 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7597-1822-8 (ISBN)
Die Autorin Gabriele Knell ist geboren in Wien und ausgebildete Juristin, die sich seit vielen Jahren gemeinsam mit ihren Brüdern um die demenzkranke Mutter kümmert. Sie lebt im Waldviertel.
Die Geschichte meiner Mutter
Es begann im Spätherbst 2013 als meine Mutter so vergesslich wurde, dass wir 4 Kinder den Eindruck bekommen haben, dass sie nicht mehr die ganze Woche alleine leben kann. Diese Erkenntnis war sehr einschneidend für mich, besonders weil ich in den ersten Jahren ihrer Demenzerkrankung die Hauptarbeit der Betreuung und Unterstützung übernommen habe als Tochter, meine 3 Brüder sind erst mit den Jahren voll eingestiegen in die Betreuung der Mutter. Bereits im Winter 2013/2014 also ziemlich am Anfang hat diese Situation Verzweiflung, Zukunftssorgen und Ängste ausgelöst. Bis heute bin ich manchmal sehr unglücklich, dass die Mama ihre geistigen Fähigkeiten ganz verloren hat im Laufe der vielen Jahre. Ich vermisse jene Mutter, die sie früher war, die Mama, die im Garten gearbeitet hat, voller Lebensfreude und Vitalität war, die an unseren Leben teilgenommen hat, mit der ich mich unterhalten konnte. All diese Erfahrungen sind Vergangenheit, und ich frage mich, wo diese Mutter geblieben ist, wie es möglich ist, seinen Geist zu verlieren und dennoch körperlich voll lebendig zu sein. Der Geist, so scheint es, hat sich aufgelöst, der Körper ist noch da. Sie kann noch reden, essen, trinken, schlafen, niesen, gähnen, sich bewegen, schauen und greifen. Aber sich kann sich nicht mehr bewusst erinnern, sich nicht mehr deutlich mitteilen, man kann sich gar nicht mehr mit ihr unterhalten, sie kann nicht mehr erzählen, wie es ihr geht, was sie denkt.
Aber die Lebensgeschichte meiner Mutter begann natürlich mit ihrer Geburt Anfang der 1930iger Jahre. Sie erlebte also noch den 2. Weltkrieg und die Nachkriegszeit in Österreich, verlor ihre Brüder in jungen Jahren im Krieg, und hat das nie wirklich überwunden. In den Jahren des 2. Weltkriegs war meine Mutter ein kleines Mädchen, das dennoch den Hunger, die Angst und die Kriegstraumata miterlebt musste. Zu allem Übel haben sie und ihre einzige Schwester auch noch als Kleinkinder beide Eltern verloren, so wuchsen sie im Krieg auch noch als Vollwaise auf. Man könnte annehmen, dass die Seele unter all diesen Schicksalsschlägen von beiden Schwestern sehr gelitten hat, so sehr, dass beide zwar sehr robust und körperlich widerstandsfähig sehr alt wurden und werden. Doch beide hat vielleicht nicht zufällig im Alter die Demenz heimgesucht, sie verloren ihr Gedächtnis, die Erinnerungen an ihr Leben, an ihre Geschichte. Die Schwester meiner Mutter, die 8 Jahre älter ist als sie, starb wenige Tage vor ihrem 90.Geburtstag vor einigen Jahren. Meine Mutter lebt noch, sie wird Anfang Juni 2024 91 Jahre alt. Doch ein selbständiges Leben ist ihr nicht mehr vergönnt. Wir 4 Kinder kümmern uns um sie, und ich wünsche mir immer noch, dass es nie zu dieser Demenz gekommen wäre, dass sie noch immer im Bewusstsein ihrer Lebensgeschichte und ihres jetzigen Daseins leben könnte. Ist es ein Verhängnis so aus dem Leben zu scheiden, ohne zu wissen, wer man ist, wer man war und was man im Laufe seines Lebens erlebt hat? Ist es eine Gnade nicht mehr zu wissen, dass man fast sein ganzes Leben schon hinter sich hat und nicht mehr weiß, dass man sterblich ist?
Da ich so großes Mitleid mit meiner Mutter empfinde, weil sie ihre geistigen Fähigkeiten verloren hat, wollte ich ihr unbedingt helfen, ich wollte etwas finden, was auch immer, dass es möglich macht ihre geistigen Fähigkeiten wieder zu erlangen oder wenigstens besser zu machen. Es ist so schade, dass auch die Medizin immer noch völlig machtlos ist, Demenz zu heilen. Manchmal empfinde ich das unendlich frustrierend und traurig. Traurig für die Mama, die nicht mehr weiß, dass sie ein tüchtiger Mensch war, eine starke Frau, die nach dem frühen Tod meines Vaters und ihres Ehemannes die ganze Verantwortung für ihre 4 Kinder alleine sehr gut gemeistert hat, inclusive all der finanziellen Verpflichtungen und der Verantwortung für das Haus und die Wohnung. Aber sie hat vor 37 Jahren als mein Vater und ihr Ehemann starb diesen plötzlichen und unerwarteten Tod als ebenso schockierend und einschneidend erlebt wie wir Kinder. Sie hat einige Zeit das Mittel " Nervenruh" genommen. Einmal hat sie mir auch erzählt, dass sie dieser Tod schlimmer getroffen hat als der Tod ihrer Tante und Adoptivmutter.
Dennoch hat sie die Herausforderungen angenommen und eigentlich den Eindruck vermittelt, dass sie gut mit der neuen Lebenssituation klarkommt. Ich weiß noch, dass ich am Todestag meines Vaters schon in Wien an der Universität war, und am darauffolgenden Tag meine erste Prüfung absolvieren musste. Der Pfarrer ist auch zu ihr gekommen, und hat einen ganz wichtigen Satz zu ihr gesagt, dass sie Kinder sie brauchen. Vielleicht hat ihr dieser Zuspruch auch viel Kraft gegeben. Trotzdem glaube ich aber, dass sie ihr ganzes Leben lang eben zu wenig stolz auf sich war. Meine Mutter war immer viel zu bescheiden und hat sich in weiblicher Zurückhaltung geübt, alles Verhaltensweisen, die in patriarchalischen Gesellschaften von Frauen erwünscht waren und vielleicht auch noch sind. Respekt, Wertschätzung und Anerkennung haben Frauen nicht bekommen. Die Generation von Frauen heute erleben nicht mehr eine solche Frauenverachtung. Frauen, besonders junge Frauen sehe ich in allen Berufen in Positionen und mit Entfaltungsmöglichkeiten, die es für Frauen, die heute alt und sehr alt sind, Frauen der Generation meiner Mutter. Meine Mutter gehörte noch zu jenen Frauen, die gerne bei den Kindern zu Hause geblieben sind. Sie hat ihre Arbeit als Krankenschwester in der Kinderstation des Krankenhauses für uns Kinder nicht gezwungenen Maßen aufgegeben. Sie hat immer gerne gelesen, und hatte ein Talent fürs Gestalten mit den Händen, diese Neigung hat sie bei der Gartenarbeit, beim Handarbeiten und Backen ausgelebt, später nach dem Tod meines Vaters hat sie sich zu dem auch viel der Gestaltung im Haus gewidmet. Für sie war die typisch weibliche Rolle noch selbstverständlich, sie hat sie nie hinterfragt. Das Bewusstsein für den eigenen Selbstwert und dieses positive, starke Selbstbewusstsein ist eigentlich wesentlich für die Entwicklung geistiger Fähigkeiten, die niemals verloren gehen, auch nicht im hohen Alter. Doch ein gesundes Selbstwertgefühl kann man auch in einer nicht emanzipierten Rolle erleben und fühlen. Ich denke, dass das entscheidende Kriterium dafür eigentlich die Selbstakzeptanz und eine innere Zufriedenheit ist. In letzter Zeit denke ich sehr oft an das Buch des Hirnforschers Gerald Hüther, der genau diese Eigenschaften als Schutz vor Demenz gesehen hat. Als ich dieses Buch vor 5 Jahren erstmals gelesen habe, war ich noch nicht überzeugt von dieser These. Aber mit den Jahren, und seit ich mich viel intensiver mit der Demenz meiner Mutter beschäftige, komme ich nicht vorbei an dieser Einschätzung.
Geistige Fähigkeiten sind kein Selbstläufer, sie entwickeln sich nicht von alleine, die Verbindungen und die Kommunikation von Nervenzellen untereinander ist die Grundvoraussetzung, dass wir diese geistige Persönlichkeit überhaupt entwickeln können. Geistige Fähigkeiten, geistiges Verstehen muss man üben, ständig anwenden und nutzen, sonst gehen sie verloren, vielleicht wie bei Demenz für immer verloren. Man darf sich selber nicht aufgeben, muss zu sich selber stehen, auch wenn es manchmal schwerfällt, die eigene Meinung vertreten, eine eigene Meinung haben. Meiner Einschätzung nach-nach vielen Jahren der Auseinandersetzung mit Demenz-sowohl durch die Erfahrungen und Beobachtungen meiner Mutter als auch mit der Beschäftigung mit wissenschaftlichen Erkenntnissen hat mich zu der Annahme geführt, dass die mentale Ebene, das Denken eines Menschen zentral ist für die geistige Gesundheit. Dies kann kein Medikament ersetzen oder (wieder)herstellen. Chemie und Biologie können natürlich unterstützen, aber sind kein vollwertiger Ersatz für die reine geistige Denkleistung und geistige Arbeit. Geistige Fähigkeiten sind eigenständige Instanzen gegenüber den biochemischen Prozessen im Gehirn und sind nicht nur materieller Natur. Dennoch sind Gedanken materiellen Ursprungs. Geistige Fähigkeiten und das individuelle Denken von Menschen entwickeln ein Eigenleben behaupte ich, unabhängig von den Nervenzellen ist es aber nicht. Negatives Denken wirkt sich negativ auf die Aktivität von Nervenzellen im Gehirn aus, blockiert oder zerstört Nervenzellenverbindungen und Nervenzellenareale. Die Kommunikation wird gestört. Für die geistige Gesundheit braucht es also ein gesundes Selbstbewusstsein und Selbstwertgefühl. Ernährung, Bewegung, wenig Stress, soziale Kontakte alleine können eine Demenz nicht verhindern oder irgendwelche Medikamente. Keine Selbstheilung ohne Selbstliebe, dies ist der Grundgedanke eines Buches von 4 Ärzten, die diese Erkenntnis aus den langjährigen Erfahrungen ihres Medizinerlebens gewonnen haben, sei es auf der Intensivstation, sei es als praktischer Arzt.
Anfang November 2023, bisher war der Herbst wunderschön, warm und sonnig, wir konnten mit der Mama viel hinausfahren auf die Terrasse in die Sonne. Gestern zu Allerheiligen war es auch nochmals sehr schön, die Herbstfarben, rot, gelb, orange, sind momentan sehr prächtig, und einfach ein Genuss fürs Auge und die...
Erscheint lt. Verlag | 30.8.2024 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Geisteswissenschaften ► Psychologie ► Allgemeine Psychologie |
Medizin / Pharmazie ► Medizinische Fachgebiete ► Psychiatrie / Psychotherapie | |
Schlagworte | Demenz • Hirnforschung • Langlebigkeitsforschung • persönliche Gedanken • Pflegende Angehörige |
ISBN-10 | 3-7597-1822-1 / 3759718221 |
ISBN-13 | 978-3-7597-1822-8 / 9783759718228 |
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Größe: 810 KB
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