Autismus und Gesundheit -  Christine Preißmann

Autismus und Gesundheit (eBook)

Besonderheiten erkennen - Hürden überwinden - Ressourcen fördern
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
202 Seiten
Kohlhammer Verlag
978-3-17-043086-0 (ISBN)
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Access to the health-care system is difficult for people with autism spectrum disturbances as a result of many obstacles. Medical care for many of those affected and their health situation are therefore inadequate. This book provides helpful ideas on how to make collaboration successful for everyone involved. Numerous areas that are necessary for leading a healthy life are discussed: in addition to diagnosis, symptoms and treatment options, special aspects of medical care for people with autism are also presented in relation to a wide variety of barriers. Frequent accompanying illnesses and crisis situations are taken into account, as well as a generally healthy lifestyle, the need for sports and exercise, and autism in transitional periods such as puberty and in the elderly. The book provides an overview of measures for achieving barrier-free access in the various areas of life (school, work and professional life, accommodation, everyday life, friendships, etc.) and offers tips for individuals who are affected, for their relatives and for medical specialists.

Dr. Christine Preißmann is a physician working in general practice and psychotherapy and is suffering from Asperger autism herself. She is the author of several books (including Psychotherapy and Counselling for People with Asperger Syndrome, 3rd ed. 2013; Happiness and Life Satisfaction for People with Autism, 2015) and regularly gives lectures at conferences and specialist meetings. She has contact with specialists in the treatment of autism, members of the boards of the relevant specialist associations, and with self-help groups for those affected and for their relatives.

Dr. Christine Preißmann is a physician working in general practice and psychotherapy and is suffering from Asperger autism herself. She is the author of several books (including Psychotherapy and Counselling for People with Asperger Syndrome, 3rd ed. 2013; Happiness and Life Satisfaction for People with Autism, 2015) and regularly gives lectures at conferences and specialist meetings. She has contact with specialists in the treatment of autism, members of the boards of the relevant specialist associations, and with self-help groups for those affected and for their relatives.

Ambulante und stationäre medizinische Versorgung


Im Folgenden wird häufig der Begriff »Patient« verwendet. Dies geschieht nicht etwa deshalb, weil Menschen mit Autismus per se als krank betrachtet würden, sondern weil dies die klassische Begrifflichkeit von Menschen ist, die sich beim Arzt oder in der Klinik befinden.

Diagnostik einer Autismus-Spektrum-Störung


Eine wichtige Voraussetzung für Hilfe und Unterstützung ist eine Diagnose, und diese Autismusdiagnose wird anfangs von Menschen mit Autismus oft als große Erleichterung erlebt (vgl. Preißmann 2015a). Es ist meist einfach eine Befreiung zu wissen, dass es einen Begriff für die Auffälligkeiten gibt und dass nicht alles auf fehlenden Willen oder auf Unvermögen zurückzuführen ist, wie es dem betroffenen Menschen oft genug in der Vergangenheit vermittelt worden ist (»stell dich nicht so an«, »du bist so komisch«, »streng dich endlich mehr an« etc.). Und Eltern erleben die Zeit der Diagnose bei ihrem Kind meist ähnlich, auch für sie ist es erleichternd zu wissen, dass es eben keine »Erziehungsfehler« waren, die ihr Kind so werden ließen:

»Mit 18 Jahren bekam Max die Diagnose Asperger-Syndrom. Es war, als hätte mir jemand die größte Last meines Lebens auf einmal abgenommen. Meine Unsicherheit, meine Zweifel, meine Ängste – alles war plötzlich weg. Ich hatte die ganze Zeit recht gehabt. Max war anders, ich hatte es gespürt, ich war nicht verrückt, war keine überbehütende Mutter. Es war richtig, Max zu beschützen. Es war richtig, auf ihn zu hören, seine Ängste ernst zu nehmen, ihm reizarme, ruhige Oasen zu ermöglichen. Es war richtig, ihm bestimmte Dinge abzunehmen, die er nicht leisten konnte, Dinge, die andere in seinem Alter problemlos alleine schafften. Es war richtig, meiner Intuition zu folgen. Und es war falsch, Max großem Druck auszusetzen, ihn zu Handlungen zu zwingen, die er nicht leisten konnte, ihm Hilfe zu verweigern und ihm nicht zu glauben. Insgesamt hatte ich es 18 Jahre lang größtenteils richtig gemacht« (A. Hocher, in: Preißmann 2015b, 110).

Die psychosoziale Situation der betroffenen Menschen verbessert sich oft nach der Diagnosestellung deutlich (Riedel et al. 2016). Häufig beginnt mit der Diagnose aber auch ein Trauerprozess: »Die Hoffnung, irgendwann einmal ein ›ganz normales Leben‹ zu führen, in dem soziale Kontakte leicht gelingen und spezifische Belastungen sich einfach auflösen, muss zunächst einmal losgelassen werden. Zugleich betrauern viele Neudiagnostizierte auch die Chancen auf Verständnis und gezielte Unterstützung, die ihnen mangels einer frühzeitigen, passenden Diagnose in ihrem bisherigen Leben entgangen sind. So wird eine späte Diagnose oft zugleich als Segen und als Fluch wahrgenommen, und sehr häufig wird sowohl seitens der Betroffenen als auch der Angehörigen der Wunsch geäußert: ›Hätte man das nur schon früher gewusst‹« (Wilczek 2015, 121).

»Dass ich die Diagnose Asperger-Syndrom im Jahr 2010 bekommen habe, war insofern Glück für mich, obwohl es mich anfangs ziemlich mitgenommen hat und ich oft dachte, es wäre besser gewesen, keine Diagnose einzuholen, weil es nur deprimierend schien. Aber der Nutzen war eben das bessere Verständnis für mich selbst und endlich die Möglichkeit, mich so anzunehmen, wie ich bin, und mich nicht mehr ständig zu fragen, was ich falsch mache und warum ich so bin. Durch diese Selbstakzeptanz bin ich momentan glücklicher, als ich es jemals zuvor in meinem Leben war. Ich lebe bewusster, achte mehr auf mich selbst, und es geht nicht mehr (immer) darum, nur zu funktionieren« (S. Merz, in: Preißmann 2015a, 41).

Man macht sich nach einer Diagnose also viele Gedanken und viele Sorgen: Was wird aus mir bzw. aus meinem Kind werden? Welche Möglichkeiten wird es geben, welche Maßnahmen müssen getroffen werden, was kann hilfreich sein? Sinnvoll in solchen Zeiten sind für alle Beteiligten in erster Linie Austausch und Information. Das Wissen darum, dass man nicht allein ist, dass man von den Erfahrungen der anderen profitieren kann (vgl. Selbsthilfearbeit) und dass es in jedem Lebensalter Verbesserungen und Erleichterungen für den Alltag gibt, über die man sich austauschen kann, ist ein ganz entscheidender Faktor für die Krankheitsbewältigung. Eltern und auch selbst betroffene Menschen dürfen nach einer erfolgten Diagnostik also nicht alleingelassen werden, sondern müssen gleich Informationsmaterial am besten schriftlicher Art erhalten über allgemeine therapeutische Möglichkeiten und die Angebote in der Region. Eine bessere Vernetzung von ambulanten Diagnostikern und Selbsthilfeverbänden sowie Therapiezentren ist wünschenswert, um Betroffenen wie Eltern, die sich oft hilflos der Frage gegenübersehen, was nun zu tun ist und wie die Hilfen gebündelt werden können, Orientierung und Handlungsempfehlungen zu geben:

»Mir wurde ganz schwindlig, weil ich plötzlich so viele neue Fragen hatte. Ich war total überfordert und hatte das Gefühl, es müsse jetzt irgendetwas passieren, aber es passierte erstmal gar nichts« (Bauerfeind 2016, 167). – »Dann erhielten wir die Diagnose Asperger-Syndrom (...). Der Kinderpsychiater teilte mir die Diagnose mit und schob mich zur Türe hinaus. Dass für eine Mutter da die Welt zusammenbricht, dass viele Träume ausgeträumt sind, dass neue Wege gesucht werden müssen, all das musste ich mit mir alleine ausmachen. Ich stand hoffnungslos auf einer dunklen Straße und wusste nicht wohin« (J. Stadler, in: Preißmann 2015b, 52).

Wichtig sind außerdem ermutigende Beispiele von anderen betroffenen Menschen, denen es größtenteils gelingt, sich mit ihrem Leben zu arrangieren. Diese Darstellungen dürfen nichts beschönigen, sie sollen aber doch deutlich machen, dass viele Verbesserungen möglich sind und dass auch das Leben mit Autismus gelingen kann, wenn man den betroffenen Menschen gut begleitet und ihn nicht allein lässt.

Die Autismus-Diagnose erklärt also die eigenen Besonderheiten, was in der Regel als entlastend empfunden wird. Gleichzeitig ist sie aber auch für das sonstige Umfeld ungemein erleichternd und kann über mehr Verständnis für die Auffälligkeiten zu einer deutlichen Verbesserung der familiären oder sonstigen Beziehungen führen:

Meine Kollegin in der Klinik sagte mir eines Tages, sie könnte in die Luft gehen. Ich dachte, sie wollte ihre Urlaubspläne mit mir besprechen, und fragte sie, wohin sie denn gern fliegen würde. Dass sie sich über einen unserer Patienten geärgert hat, habe ich nicht gemerkt. Wenn also diese Kollegin nicht über meine Schwierigkeiten im Hinblick auf zweideutige Äußerungen Bescheid gewusst hätte, so hätte sie mich vermutlich für reichlich unsensibel gehalten. So aber konnte sie meine Worte richtig einordnen und dann sogar mit mir zusammen lachen, nachdem sie mir erklärt hatte, was da gerade in der Kommunikation schiefgelaufen war. Auch für die Kollegin war das hilfreich – sie war danach nicht mehr wütend.

Scheinbar unangemessenes Verhalten basiert eben ganz oft auf Missverständnissen. Unkollegialität oder Rücksichtslosigkeit sind Attribute, mit denen die Betroffenen immer wieder konfrontiert werden, obwohl sie eigentlich so gar nichts mit ihnen zu tun haben. Das Wissen darum kann Verständnis und Unterstützung fördern.

Ansprechpartner für eine Diagnose


Die erste Anlaufstelle ist bis zum vollendeten 18. Lebensjahr der Kinderarzt, der dann bei entsprechendem Verdacht an einen Kinder- und Jugendpsychiater, ein Sozialpädiatrisches Zentrum (SPZ) oder eine Autismus-spezifische Einrichtung (Autismus-Therapie-Institut o. ä.) überweist (Sozialpädiatrische Zentren sind spezialisierte Einrichtungen der ambulanten pädiatrischen Krankenversorgung mit fachübergreifender Arbeitsweise auf pädiatrischem, psychologischem und pädagogisch-therapeutischem Gebiet zum Zweck der Untersuchung und Behandlung von Kindern und Jugendlichen. Sie arbeiten nach Auftrag und Überweisung der niedergelassenen Fachärzte für Kinder- und Jugendmedizin).

Häufig jedoch kann die Symptomatik lange nicht richtig eingeschätzt werden, was die Diagnose erheblich verzögert und die effektive Hilfe erschwert. Nicht selten vermutet man anfangs eine Hörstörung, weil der Erstbehandler vermutet, das Kind »hört nicht richtig (zu)«. Eine HNO-Abklärung bleibt jedoch ohne krankhaften Befund. Eine unspezifische »Entwicklungsverzögerung« schließt sich als Arbeitsdiagnose an, häufig verbunden mit der eher beschwichtigenden Beruhigung der Eltern, das alles werde sich auch ohne Maßnahmen »schon auswachsen«. Da sich aber nichts »auswächst«, folgt als nächster Schritt oft eine Vorstellung bei vermuteter ADHS, auch dies aber trifft es nach Ansicht der Eltern nicht richtig. Eine weitere nicht seltene Fehldiagnose kann auch eine geistige Behinderung sein. Viele Menschen mit Autismus wurden in der Vergangenheit völlig zu Unrecht als intelligenzgemindert eingestuft, weil es nicht gelungen ist, die...

Erscheint lt. Verlag 14.8.2024
Verlagsort Stuttgart
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Psychologie
Schlagworte Ambulante Versorgung • Autismus-Spektrum-Störung • Früherkennung • Gesundheitswesen • Medizinische Versorgung • Stationäre Versorgung • Vorsorge
ISBN-10 3-17-043086-6 / 3170430866
ISBN-13 978-3-17-043086-0 / 9783170430860
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